Rolf Todesco

Jenseits von Kybernetik


 
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In diesem Text behandle ich den Sinn der Kybernetik jenseits davon, dass Kybernetik eine Modellierungstechnik ist. Die Modellierungstechnik behandle ich unter Kybernetik und ein paar epistemologische Aspkte unter Kybernologie als Lehre des Erklärens

Kybernetik kann als Technologie gesehen werden, die sich mit der Regelung von Systemen befasst. Den Name "Kybernetik" wählte N. Wiener in wissenschaftshistorischer Anlehnung an C. Maxwell, A. Ampere und Plato, die sich alle irgendwie mit Regelung befasst und dabei den Steuermann ins Spiel gebracht haben. Kybernetes heisst bei Plato der Steuermann des Schiffes und des Staates. A. Ampere hat die Metapher für seine Gesellschaftsvorstellungen mit dem römischen Wort "Governator" übernommen. Und C. Maxwell nannte seinen Fliehkraftregler Governor, weil er die Funktion des Steuermanns an der Dampfmaschine erfüllte. N. Wiener wählte dann für seine allgemeine Regelungstechnologie wieder den griechischen Ausdruck als Er-Satz für die etwas umständliche Umschreibung "zirkulär-kausale und Rückkoppelungsmechanismen in biologischen und sozialen Systemen".

Es gibt sehr viele Einführungen in die Kybernetik. Die wohl bekannteste ist jene von R. Ashby, wenn man N. Wieners Buch "Kybernetik" nicht auch als Einführung liest. Im vorliegenden Text geht es mir nicht um die Kybernetik, sondern um eine Erläuterung von kybernetischen Sicht- oder Beobachtungsweisen. Es geht hier also nicht darum, wie ein Schiff, ein Staat oder eine Dampfmaschine gesteuert wird, sondern um die Art und Weise der Beobachtung, die der Kybernetik zugrunde liegt.

Die Kybernetik sehe ich als Anweisung zur Konstruktion von Erklärungen, die auf die Frage "wie funktioniert das?" antworten. Diese Frage hat zwei Intensionen: Einerseits kann ich mich als Beobachter fragen, wie ein bestimmtes Phänomen zustande kommt und andrerseits kann ich mich als Ingenieur fragen, wie ich dieses Phänomen erzeugen könnte. Ich kann mich beispielsweise fragen, warum es in meiner Wohnung immer etwa zwanzig Grad warm ist, und ich kann mich fragen, was ich konstruieren könnte, damit es in meiner Wohnung immer etwa zwanzig Grad warm ist. In beiden Fällen ist die Extension der Frage eine Steuerung, die ich als Regelung der Temperatur begreifen kann.

Ich kann mich natürlich auch fragen, warum meine Körpertemperatur relativ konstant ist. Dabei merke ich, dass ich die Intension des Ingenieurs nicht als Ingenieur verfolge. Ich konstuiere zwar ein Temperaturregelungsmechanimus zur Erklärung der Körpertemperatur, aber nicht mit der Idee, einen solchen herzustellen. Ingenieur bezeichnet hier einfach einen konstruktiven Beobachter anstelle eines Wissenschaftler, der nur beobachten will. Im sogenannten Bioengineering ist diese Differenz aufgehoben.

Als kybernetisches Denken bezeichne ich die bewusste Beobachtung von Regelungsprozessen. Die Regelung beinhaltet eine Steuerungsmassnahme und eine Kontrolle der Wirkung dieser Massnahme, die in einem Vergleich des jeweiligen Zustandes (Istzustand) mit einem gewünschten oder angestrebeten Zustand (Sollzustand) besteht. Das Resultate der Kontrolle wird als Feedback zur Steuerungsinstanz zurückgegeben und löst dort allenfalls eine weiter Massnahme aus. Im Beispiel der Schiffssteuerung etwa meldet der Lothse dem Steuermann die aktuelle Position des Schiffes, worauf der Steuermann ein Steuermassnahme einleitet. In einer Heizung fliesst ein Signal zum Thermostat, das Auskunft über die aktuelle Temperatur gibt, nachdem zusätzlich geheizt wurde, weil es davor zu kalt war. Feedbackprozesse melden nach jeder erfolgten Massnahme den jeweiligen Ist-Zustand, der durch die vorangegangene Massnahme erreicht wurde und führen zu weiteren Massnahmen, wenn der Ist-Zustand (noch) nicht dem Soll-Zustand entspricht. Der Lothse sagt beispielsweise dem Steuermann, Du musst noch mehr backbord steuern, wenn das Schiff immer noch nicht auf dem Kurs zur Hafeneinfahrt ist.

Auf Kreuzfahrtschiffen ist nicht nur der Weg, den das Schiff zurücklegt zu regeln, sondern auch das soziale System der Gäste, die an der jeweiligen Schiffsreise teilnehmen. Die Reisenden haben oft sehr verschiedene Anliegen und Ziele, die dann mit dem Kurs und mit der Besatzung des Schiffes in Einklang gebracht werden müssen.

Wenn der Soll-Zustand erreicht ist, befindet sich das Feedback-System im Gleichgewicht. Es sind dann keine weiteren Massnahmen erforderlich, bis das System durch eine Störungen sein Gleichgewicht wieder verliert. Oft führen die getroffenen Massnahmen nicht zum Soll-Zustand, sondern nur in dessen Nähe. Wenn es beispielsweise in der Wohnung zu kalt ist, wird geheizt. Dann aber ist es eine zeitlang immer noch zu kalt und nach einer gewissen Zeit vielleicht zu warm, weil nicht ganz genau soviel geheitzt werden kann, dass der Sollwert erreicht wird. Die Temperatur in der Wohnung ist auch von der Aussentemperatur abhängig, die sich ihrerseits laufend verändern kann. Das Feedbacksignal liefert in diesem Fall immer Abweichungen, die dann durch weitere Massnahmen so kompensiert werden, dass der Sollwert angestrebt wird. Das Feedback-System pendelt um den Sollwert, es ist in einem sogenannten Fliessgleichgewicht, in welchem es einer permanenten Regelung unterliegt.

Kybernetisch beobachte ich jedes Gleichgewicht als Spezialfall eines Fliessgleichgewichtes. Ein aufrechtstehender Mensch beispielsweise sehe ich als immerzu fallender Mensch, der dem Umfallen konstant mit ganz feinen Massnahmen entgegenwirkt. Deutlicher kann ich dieses Phänomen bei Radfahren beobachten, wenn ich immer langsamer werde und nahe beim Stillstehen immer grössere Korrekturen gegen das Umfallen machen muss.

Auch die Massnahmen selbst sehe ich kybernetisch auf ein Fliessgleichgewicht ausgerichtet. Wenn ich beispielsweise mit dem Auto durch eine Kurve fahre, steure ich mit dem Lenkrad die Räder so, dass das Auto die Kurve fährt. Wenn ich mich kybernetischer beobachte, schaue ich immer, ob sich das Auto auf dem richtigen Weg durch die Kurve befindet und mache laufend kleine Korrekturen mit Steuerrad, damit das Auto auf dem Weg bleibt. Auf das Schiffsbeispiel bezogen bin ich im Auto Lothse und Steuermann zugleich, ich schaue beim Steuern laufend, wo ich gerade bin, also ob ich zuviel oder zu wenig eingelenkt habe. Das Steuern, das ich als vorausschauend erlebe, zeigt sich als reagierendes Regeln im Nachhinein.


Panta rhei in Kreisen

"Alles (was fliesst) fliesst im Kreis". (Volksmund, der Heraklit zugeschrieben wurde)

Kybernetisch(gesehen)e Prozesse sind in dem Sinne zirkulär, als jede Massnahme als Ursache weiterer Massnahmen gesehen werden kann. Wenn die Heizung einschaltet, weil es zu kalt ist, muss sie danach vielleicht wieder ausschalten, weil es zu warm geworden ist, worauf sie wieder einschalten muss, weil es ohne heizen, wieder zu kalt wird. Der Istwert - im Heizungsbeispiel also die Temperatur in der Wohnung - ist in ständigen Fluss und der Regelungsprozess durchläuft ständig dieselben Phasen. Es wird eine Abweichung vom Sollwert gemessen und mit einer Massnahme wie eben dem An- und Abstellen der Heizung reagiert. Solche Prozesse werden kybernetisch als sogenannte Regelkreise beschrieben und mit entsprechenden "Kreis"-Schema dargestellt.


Der kybernetische Kreislauf

Eigentliche Kreise sind rund, man kann Kreise aber auch als Linie ohne Anfang und Ende sehen. Im kybernetisch(gedacht)en Kreis sind Elemente durch eine Zirkulation verbunden, die sich als kreisförmige Kettenreaktion auffassen lässt. Dabei spielt die Rundheit keine Rolle, dafür umso mehr, dass die Elemente immer wieder "durchlaufen" werden, dass also jede Massnahme aufgrund eines Feedbacks den Istzustand verändert und einen weiteres Feedbacksignal auslöst.

In eigentlichen Kreisläufen fliesst ein Medium. Als Wasserkreislauf etwa bezeichne ich die im Prinzip geschlossene Zirkulation von immer demselben Wasser. Das Wasser der Erde fliesst von den Bergen zum Meer, vom Meer in die Wolken und von den Wolken zurück auf die Berge. Das Wasser in einer Zentralheizung fliesst durch die Heizkörper, von dort wieder zum Heizkessel und wieder zurück zu den Heizkörpern. Das Wasser fliesst in beiden Fällen als Fluss in einem "Kreis". Das globale Wasser bewässert die Erde und ermöglicht so eine Vegetation. Bei der Heizung hat der Wassserkreislauf die konstruktiv beabsichtigte Wirkung, dass die Wohnung erwärmt wird. Beides sind Effekte, die nicht den Wasserkreislauf als solchen betreffen, sozusagen Nebenwirkungen, die ausserhalb der Kreisläufe stattfinden.

Der kybernetische Kreislauf ist von ganz anderer Art, auch dort, wo ein Wasserkreislauf involviert ist. Bei der Zentralheizung etwa gibt es das Element Thermometer, mit welchem die Temperatur der Raumluft gemessen wird. Dieser Messwert kann als elektrisches Signal zu einem Thermostat fliessen und dort mit einem Sollwert verglichen werden. Dabei fliesst ein Strom, kein Wasser. Durch den Thermostat kann ein Ölventil am Brenner der Heizung geöffnet werden. Das Feuer des Brenners erhitzt das Wasser im Heizkessel und das Wasser fliesst zu den Heizkörpern, wo es seine Temperatur dadurch verliert, dass die Wärme, also kein Wasser, in den Wohnraum und zum Thermometer fliesst. Im kybernetischen Kreis fliesst also nicht eine, sondern es fliessen sehr verschiedene "Flüssigkeiten" wie Strom, Wasser und Wärme.

Kybernetische Kreise sind Wirkungsgefüge, deren Elemente durch einen Fluss so gesteuert werden, dass sie ihrerseits einen Fluss in Bewegung setzen, der ein weiteres Element steuert. Der Strom, der vom Thermostat zum Ölbrenner fliesst, bewirkt, dass nachher heisses Wasser in die Heizkörper fliesst. Diese heisse Wasser, dass zum Heizkörper fliesst, bewirkt, dass warme Luft zum Thermometer fliesst. Diese warme Luft bewirkt, dass vom Thermometer ein elektrischer Strom zum Themostat fliesst. Von jedem Element zum nächsten fliesst ein separater Fluss. Der kybernetische Kreislauf besteht aus einer Abfolge von Flüssen, von welcher jeder den nachfolgenden steuert.

Wenn ich den Wasserkreislauf beobachte, frage ich mich nicht, wo das Wasser herkommt, sondern nur wo es weshalb durchfliesst. Mir scheint dann, das Wasser auf dem Berg wäre lieber unten am Berg, also lieber im Meer, dann aber lieber in der Wolke und schliesslich doch lieber als Regen wieder oben auf dem Berg. Ich frage, warum das Wasser lieber wo wäre oder wie es immer wieder denselben Kreis durchläuft. Ich kann mir naturwissenschaftliche Antworten geben. Wasser verdunstet durch die Energie der Sonne und kondensiert im kühlen Wind und wird durch die Schwerkraft ins Meer gezogen. All diese Antworten sind keine Folgen des Wasserkreislaufes, sondern äussere Motivationen, die das Wasser im Fluss oder eben im Kreislauf halten. Dasselbe gilt für den Wasserkreislauf in der Heizung.

Im kybernetisch(gesehen)en Kreislauf fliessen verschiedene Flüsse, die von einander abhängig sind. Das Wasserrad begründet einene eigenen Energiefluss. Der Wasserkreislauf, der es antreibt, ist davon nicht betroffen. Der elektrische Strom, der in einer Heizung den Ölbrenner aktiviert, fliesst weder in das Öl noch in das geheizte Wasser, das später zum Heizkörper fliesst. Der elektrische Strom fliesst in sein eigenes Tal, nicht in den kybernetischen Fluss. Und das Wasser, das aufgeheizt wird, kommt aus einem Kreislauf, der geschlossen ist. Wenn das Wasser durch den Heizkörper geflossen ist, kehrt es zurück in den Heizkessel. Es mischt sich nicht in einen kybernetischen Fluss. Der kybernetische Fluss erscheint feinstofflich, er fliesst, ohne dass etwas fliesst.


Energie und Energiekreise

Wer am kybernetischen Kreislauf festhält und Feinstoffliches akzeptiert, kann beispielsweise sagen, dass im kybernetischen Fluss Information fliesst oder weitergegeben wird. Information stellt dann in einer ziemlich esoterischen Auffassung beispielsweise "neben Energie und Materie einer der drei wichtigsten Grundbegriffe der Natur- und Ingenieurwissenschaften dar" (Duden Informatik 1988:273). Man kann den kybernetischen Kreislauf aber auch einfach etwas anders - sozusagen grobstofflich - beobachten. Im kybernetischen Kreislauf fliessen dann ganz materielle Flüsse. Sie fliessen einfach nicht ineinander, also nicht im selben Kreis.

Jeder Fluss braucht eine Motivation. Der metapherspendene Fluss besteht aus Wasser, dass von der Sonne auf den Berg getragen wurde und von der Schwerkraft ins Tal gezogen wird. Man kann sich Wasser als eine materielle Menge von Teilchen vorstellen. Kybernetisch ist aber eine andere - mechanische - Vorstellung relevant. Der Fluss aus Wasser kann ein Wasserrad antreiben und so etwas von seiner Motivation weitergeben. Das Wasserrad "fliesst", indem es sich dreht. Jeder Fluss kann einen Teil seiner Motivation weitergeben, also einen anderen Fluss motivieren. Das Wasserrad kann einen Mühlestein antreiben. Dieses Phänomen bezeichne ich als Mechanik, oder spezifischer Kinetik. Wenn eine Billardkugel eine stehende Kugel trift, bleibt sie stehen, während die andere Kugel ihre Bewegung übernimmt.

Die Kybernetik beruht auf der Mechanik. Bei der Heizung beispielsweise bewegt der elektrische Strom, der vom Thermostat kommt, ein Ventil in der Ölzufuhr zum Brenner. Das Ventil öffnet sich, wodurch das Öl zum Brenner fliessen kann. Das Öl wird aber nicht durch den Strom vom Themostat angetrieben, der Ölfluss braucht einen eigenen Antrieb. Der Strom vom Thermostat bewegt nur das Ventil. Das Ventil aber bewegt sich, indem es die Energie vom Thermostat übernimmt. Mechanisch lassen sich so zwei Fälle unterscheiden, die kybernetisch relevant sind. In einem Fall wird die Energie eines Flusses zur Energie eines anderen Flusses. Im anderen Fall wird mit der Energie eines Flusses ein Schalter in einem anderen Fluss geöffnet, der eine eigene Energiequelle hat. Aber in beiden Fällen wird die Energie eines Flusses zur Energie eines anderen Flusses, weil auch die kleine Bewegung eines Schalters als Fluss gesehen werden kann.


Funktion und Funktionsweise

Kybernetisch interessiert mich die Funktionsweise eines Systems, nicht dessen Funktion. Die kybernetische Frauge lautet nicht, welche Funktion hat ein Ding, sondern was tut das Ding oder wie funktioniert das System. Der globale Wasserkreislauf beispielsweise hat gar keine Funktion, während der Wasserkreislauf einer Heizung natürlich ein Funktion hat.

Funktional gesehen geht es bei der Heizung ums Heizen, also um die Temperatur in der Wohnung und mithin um die Wärme der Luft in der Wohnung. Die Wärme fliesst als kybernetische Flüssigkeit vom Heizwasser, das im Heizkörper ist, in den metallenen Heizkörper selbst und vom Heizkörper in die Luft. Dazu muss vorher heisses Wasser in den Heizkörper fliessen. Das Wasser muss heiss sein und es muss in den Heizkörper fliessen, was zwei verschiedene Flüsse repräsentiert. Die Wärme fliesst von der Flamme des Ölbrenners durch den Heizkessel in das Wasser. Die Flamme des Brenners ist heiss, weil das Öl beim Verbrennen Wärme durch die Flamme abgibt.

Es ist üblich zu sagen, dass Öl (potentielle) Energie enthält oder sogar, dass Öl Energie sei, weil die Sprache solche Abkürzungen im Formulieren nahe legt. Hier folge ich aber den Abkürzungen gerade nicht, sondern beschreibe den kybernetischen Kreislauf sehr ausschweifend. Erdöl ist in diesem Sinne keine Energie, sondern ein Brennstoff mit dem ich eine Maschine antreiben oder heizen kann. Wenn Öl brennt, produziert es Wärme, die verpufft. Kybernetisch interessiert nur der Fall, in welchem die Wärme genutzt wird. Energie als solche hat keinerlei Bedeutung.

Damit das Öl in der Heizung verbrennt, muss es als Fluss in die Heizung kommen. Das Öl braucht dazu eine eigene Motivation und ein offenes Ventil in der Leitung zum Ölbrenner. Das Ventil wird durch einen elektrischen Strom(fluss) vom Thermostat geöffnet oder geschlossen. Auch dieser elektrische Strom braucht eine Motivation, die er dem Ventil übergibt. Schliesslich löst die Temperatur in der Wohnung all diese Bewegungen aus, die ganz verschiedene eigenständige Motivationen haben. Im Kreislauf gibt es keinen logischen Anfang, der Prozess ist zirkulär.

Der damit beschriebene Kreislauf erscheint kybernetisch als Feedbackprozess, in welchem die Wohnungstemperatur die Heizung steuert. Die Heizung verwandelt Öl in Wärme und der Thermostat regelt die Heizung. Wenn ich - funktional - die Temperatur in der Wohnung als Zweck begreife, sehe ich die Regelung als zusätzliche Konstruktion mit einem eigenen Energiekreis, den ich als sekundär bezeichne, weil er logisch als Zusatz erscheint. Mit dem sekundären Energiekreis wird der relativ dazu primäre Energikreis gesteuert.


Der Unterschied, der einen Unterschied macht

Der damit beschriebene Kreislauf erscheint kybernetisch als Feedbackprozess, in welchem die Wohnungstemperatur die Heizung steuert. Die Heizung verwandelt Öl in Wärme und der Thermostat regelt die Heizung. Wenn ich - funktional - die Temperatur in der Wohnung als Zweck begreife, sehe ich die Regelung als zusätzliche Konstruktion mit einem eigenen Energiekreis, den ich als sekundär bezeichne, weil er logisch als Zusatz erscheint. Mit dem sekundären Energiekreis wird der relativ dazu primäre Energiekreis gesteuert. Darin sehe ich das zentrale Prinzip des kybernetischen Denkens.

G. Bateson definierte Information als "der Unterschied, der einen Unterschied macht". Ich interpretiere das so: Ein Unterschied im sekundären Kreis macht einen Unterschied im primären Kreis, die Unterschiede im sekundären Kreis nennt G. Bateson Information. Auf die Heizung bezogen wäre der Energiefluss vom Thermostat zum Brenner eine Information bezüglich der Raumtemperatur. Und von dieser Information abhängig würde die Heizung einschalten oder nicht, also einen Unterschied machen.

Die allgemeine Repräsentation dieses kyberentischen Prinzips ist der Verstärker oder Transitor, in welchem anhand eines schwachen Signals, das etwa über eine Radioantenne empfangen wird, ein starkes Signal erzeugt wird, das auf Strom aus der Steckdose beruht. Das Signal wird also nur quasi verstärkt, eigentlich wird es durch ein starkes Signal ersetzt. Wenn ich einem Hund einen Tritt gebe, kann der Tritt so stark sein, dass der Hund durch meine Energie wegfliegt, oder immerhin so stark, dass er mit seiner eigenen Energie wegrennt. Im zweiten Fall wäre meine Energie sekundär, also Information.

Kybernetisch ist Information also ein Energiefluss wie jeder andere. Nur die Konstruktion des Systems definiert, ob die Energie einen weiteren Energiekreis steuert. Und welcher Energiekreis innerhalb eines Feedbacksystems sekundär ist, lässt sich nur funktional bestimmen. Im Falle der Heizung steuert natürlich die Heizung durch die Raumwärme den Thermostaten ebenso, wie der Thermostat die Heizung steuert. Genau deshalb spreche ich von einem kybernetischen Kreis.


Das kybernetische System

Von einem kybernetischen System spreche ich dann und nur dann, wenn ich die Energiekreise, die sich steuern, benennen kann. Und weil ich das kybernetische System durch die Energiekreise definiere, erscheint es als informationsdicht oder als operationell geschlossen. Das kybernetische System ist von seiner Umwelt so abgegrenzt, dass es ausschliesslich auf seine Eigenzustände reagiert. Die Heizung beispielsweise reagiert auf die Temperatur des Thermometers, nicht auf die Raumtemperatur. Nur ein Beobachter der die Heizung in einer Umwelt beobachtet, kann erkennen, dass der Thermometer mit der Raumtemperatur gekoppelt ist. Der Heizung ist das egal, sie funktioniert einfach, wie sie funktioniert. Das kann ich leicht rekonstruieren, indem ich das Thermometer mit einem Zündholz erhitze. Dann kann ich sehen, dass die Heizung nicht auf die Raumtemperatur, sondern auf sich selbst reagiert.

Das kybernetische System repräsentiert einen konstruierten Mechanismus. In diesem Mechanismus fliessen materielle Flüsse. Diese Flüsse kann ich in speziellen Fällen direkt wahrnehmen. Ich kann etwa sehen, dass Wasser auf ein Wasserrad fliesst. Entscheidend ist aber, dass ich die Wirkung der Flüsse wahrnehmen kann. Ich kann beispielsweise zwei Zahnräder in Kontakt bringen. Dann treibt das eine das andere an. Der Energiefluss ist implizit, er hat kein eigenes Medium. Es gibt auch Flüsse wie Radiosignale, die kein Medium formen. Aber immer kann ich die Wirkung im entsprechenden Mechanismus erkennen.


Erklärung

Kybernetische Mechanismen dienen als Erklärungen, wenn sie als Inhalte von Blackboxes beschrieben werden. Ich kann beispielsweise wahrnehmen, dass es in eine Gebäude immer gleich warm ist, gleichgültig wie kalt es draussen ist. Dann kann ich mich fragen, wie das möglich ist. Die Frage stelle ich mir kybernetisch so, dass ich sage, die konstante Temperatur sei das Resultat oder die Wirkung einer Blackbox. Dann frage ich mich, wie die Blackbox wohl gefüllt sein könnte und suche nach einem kybernetischem Modell dafür. Der kybernetische Mechanismus ist dann die Erklärung für das Phänomen der konstanten Temperatur.

Wenn ich bereits thermostatengeregelte Heizungen kenne und wenn ich in diesem Gebäude in den Keller gehen und nachschauen kann, erscheint mir das Phänomen als Resultat einer "Whitebox", weil ich dann weiss, was der Fall ist. Von einer Blackbox spreche ich, wenn ich nicht nachschauen kann. In vielen Gebäuden kann ich nicht nachschauen, weil ich nicht in den Heizungsraum darf. Ich bin dann aber trotzdem ziemlich sicher, dass eine entsprechende Heizung verwendet wird. Aber nur, weil ich solche Heizungen bereits kenne. Als es thermostatengeregelte Heizungen noch nicht überall gab, hätte ich es mit einer für mich eigentlichen Blackbox zu tun gehabt. Und wenn es mir gelungen wäre, einen entsprechende kybernetische Erklärung zu finden, hätte ich nicht nur die Erklärung sondern auch eine Heizung erfunden. Erfindende Ingenieure gehen oft diesen Weg.

Wenn ich ein Modell entwickelt habe, kann ich mit dem Modell spielen. Ich kann schauen, wie sich das Modell unter bestimmten Bedingen verhält und dieses Verhalten mit dem Verhalten der Blackbox vergleichen. Wenn sich das Modell sehr ähnlich oder gar gleich wie die Blackbox verhält, kann ich einerseits hypothetisch annehmen, dass das Modell dem Inhalt der Blackbox entspricht und logische Folgerungen durchspielen, um das Modell weiter zu verifizieren. H. Maturana bezeichnet dieses Verfahren in bewusster Gegenposition zu K. Popper als Wissenschaft.


Analyse und Simulation

Wenn ich einem kybernetischen Modell hinreichend vertraue, kann ich es für Simulationen und Voraussagen verwenden. Das nebenstehende Schema zeigt qualitativ, wie eine thermostatengeregelte Heizung funktioniert. Auf dem Schema ist aber nicht ersichtlich, wann es im Hause wie warm ist. Ich kann sehen, dass die Heizung regelt, aber wenn die Heizung schlecht ausgelegt ist, kann es eventuell ein ganzes Jahr dauern, bis die Solltemperatur erreicht wird, nachdem die Aussentemperatur einmal unter Null gefallen ist. Was ein "System" praktisch taugt, ist auch eine quantitative Frage.

Die qualitative Analyse ist ein kybernetisches Modell, die quantitative Analyse erfolgt durch eine Implementierung der Dynamik des Modellverhaltens in der Zeit. Die einzelnen Elemente des kybernetischen Kreises werden durch Funktionen charakterisiert. Wenn die Regelungs-Funktionen sinnvoll gewählt werden, kann das Modell die modellierte Wirklichkeit auch quantitativ repräsentieren.

Ein typisches Resultat wäre etwa eine Liste, die beispielsweise die Temperatur des Thermometers einer Heizung im stundentakt zeigt, nachdem entweder der Sollwert oder die Aussentemperatur verändert wurde. Ich will hier nicht auf den Nutzen solcher Analysen eingehen, sondern einen anderen Aspekt hervorheben. Das kybernetische produziert eine Wertetabelle, die mit den empirischen Werten verglichen wird. Die Werte sind Resultate von analytischen Funktionen. Wenn die Werte adäquat sind, zeigen sie mir, dass die Analyse gut ist.

Eine andere Absicht verfolge ich mit Simulationen. In Simulationen setze ich voraus, dass die Modellierung gut ist und produziere Wertetabellen als Handlungsgrundlagen.

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Annahme: Die Innentemperatur ist um 13.00 bei 20 Grad, die Aussentemperatur fällt aufgrund eines Schneesturmes schlagartig von 14 Grad auf 3 Grad unter Null.

Gute Heizung

Zeit        Temperatur
14.00     18 Grad
15.00     19 Grad
16.00     20 Grad
17.00     21 Grad
18.00     20 Grad
19.00     20 Grad
20.00     20 Grad

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Schlechte Heizung

Zeit        Temperatur
14.00     18 Grad
15.00     16 Grad
16.00     15 Grad
17.00     14 Grad
18.00     15 Grad
19.00     16 Grad
20.00     17 Grad


System Dynamics

Eine bestimmte Simulation von Systemverhalten wird als System Dynamics bezeichnet. Bekannt wurde dieses Verfahren durch das Projekt des Club of Rome, das im Buch "Grenzen des Wachstums" publiziert wurde. Als Standardbeispiel für System Dynamics fungieren - beliebig variierte - "Räuber-Beute-Inseln", die V. Volterra als operationell geschlossene Systeme beschrieben hat. Auf diesen Inseln (beobachtete Welt) leben Raubtiere, die Grassfresser fressen, Grassfresser, die Gras fressen und Gäser, die mit einer bestimmten Geschwindigkeit wachsen, wenn genug Wasser vorhanden ist. Auch die Tiere produzieren Nachwuchs und Sterben in gegebenen Raten, solange sie genug Nahrung haben. Unter bestimmten Anfangsbedingungen kann es sein, dass sich die Grasfresser sehr stark vermehren, weil sie viel Nahrung finden und wenig Raubtiere vorhanden sind. Nach einer gewissen Zeit reicht dann das Gras plötzlich nicht mehr. Da die verhungernden Grasfresser aber bis zu ihrem Tod auch fressen, nimmt die Nahrung so stark ab, dass viel mehr Tiere verhungern, als rechnerisch nötig wäre. Wenn dazwischen sich die Raubtiere auch vermehrt haben und gerade eine Trockenheit die Insel heimsucht, ergeben sich allerlei Konstellationen, die simuliert werden können.

Vom Standpunkt eines Bauers, der die Grasfresser als Nahrungsmittel für den Markt konzipiert - also etwa Entwicklungshelfer, die die Bewohner eines Entwicklungslandes ernähren wollen - sind die Grasfresser Nutztiere. In dieser Perspektive geht es darum, den Bestand der Grasfresser auf konstant hohem Niveau zu halten. Der Bestand darf nicht zu gross und nicht zu klein werden. Der Sollwert für die Anzahl Grasfresser ist aber auch abhängig von nicht beieinflussbaren Variablen wie etwa dem Wetter in Form von Trockenheiten oder Überschwemmungen.

Und anstelle solcher Inseln können beliebige andere Inseln simuliert werden, beliebte Dynamics-Inseln sind Rohstoff- und Geld-Flüsse. Die Simulationen zeigen Engpässe, Flaschenhälse im System und das Überschreiten von kritischen Grenzen, die zu Verzögerungen oder gar zum Systemkollaps führen, die in nur qualitativen Modellen oft versteckt bleiben. J. Forrester bezeichnet die Resultate der System Dynamics in dem Sinne als kontra-intuitiv, als sie zeigen können, dass eine qualitativ richtige Erklärung in konkreten Fällen als Erklärung versagt, weil sie zu ganz unerwarteten Ergebnissen führen kann. In diesen Fällen funktioniert das System im Prinzip richtig, aber eben nur im Prinzip. Was nützt eine Heizung, die ein Haus erst auf die richtige Temperatur bringt, wenn die Bewohner längstens erfroren sind? Oder was nützt eine Entwicklungshilfe, die zu relativen Überbevölkerungen führt, weil sie die Kindersterblichkeit senkt? Oder was nützt eine Volkswirtschaftspolitik, die von Zeit zu Zeit zu Krisen führt, die nur durch Weltkriege zu lösen sind?

Hier interessiert mich aber nicht, wie viele Tiere auf der Insel wie lange überleben, sondern welche Flüsse und welche kybernetischen Regelungen in diesem Spiel beobachtet werden. Mich interessiert der Kreislauf, der beobachtet wird.


Stocks and Flows

System Dynamics simuliert die Systemverläufe durch "Stocks and Flows", das heisst durch Lager und Materialflüsse, die sich wie Flüsse und Stauseen verhalten. Den Kreislauf des Insel-Bestandes kann man sich so vorstellen, dass im Jenseits ein Lager wie das Meer im diesseitigen Wasserkreislauf vorhanden ist, worin sich die Grasfresser aufhalten, nachdem sie von Raubtieren gefressen und noch nicht wieder geboren sind. Es gibt also einen Fluss, der aus diesem Lager kommt, und einen Fluss, der in dieses Lage geht, so wie das Wasser aus dem Meer in die Wolke fliesst und vom Berg zurück ins Meer. Und Grasfresser können auf ihrem Weg einen für den Kreislauf externen Nutzen haben, indem sie nicht nur für Raubtiere als Ernährungswaren dienen, sie können ihren Weg aber auch ohne exteren Nutzen gehen, indem sie von Raubtieren gefressen werden oder in der Trockenheit verenden. Für den Kreislauf spielt das keine Rolle, so wie es dem Wasserkreislauf gleichgültig ist, ob er die Erde bewässert oder ob wir seine Energie nutzen. Der Kreislauf der Grasfresser ist motiviert durch Fortpflanzung und Sterben, so wie der Wasserkreislauf durch das Verdunsten in der Sonne und durch die Schwerkraft, die das Wasser anzieht, motiviert ist.

Auf der Insel gibt es weitere materielle Kreisläufe wie Raubtiere oder Gras, die ich auch beobachten könnte. Wenn ich die Grasfresser beobachte, ist die Grasmenge, die pro Zeit zur Verfügung steht, eine Bedingung, die selbst rückgekoppelt variiert, weil viele Grasfresser viel Gras fressen.

Im kybernetischen Modell der Heizung wird die Temperatur als Funktion der Massnahmen, die ausgelöst werden, berechnet und weiterverrechnet. In der Stocks an Flows-Simulation wird dagegen in dem Sinne simuliert, als die gedachten Materialflüsse durch wirkliche Flüsse ersetzt werden. Die wirklichen Flüsse sind Flüsse aus elektrischem Strom in einem Computer. Die Mengen, die in den Flüssen fliessen, müssen sinnvoll gewählt werden. Dann kann die Simulation laufen und die Stocks füllen und leeren sich.


Die "Regelung" der Stocks

Wenn ein Stausee einmal ganz leer ist, steht der Abfluss und mithin der Kreislauf an dieser Stelle still, bis wieder Regen fällt. Auf einer Insel kann es unter Umstände dazu kommen, dass alle Grasfresser sterben. Dann bricht der Zustrom für immer ab. Das heisst, es gibt Kreisläufe, die kritische Konstellationen haben. Die Simulation kann daas sichtbar machen. Es gibt eine Redeweise, die sagt, dass die Menschen die Erde brauchen, dass aber die Erde die Menschen nicht braucht. In diesem Sinn ist es für die Insel gleichgültig, ob die Grasfresser auf ihr überleben, aber der Kreislauf der Grasfresser stirbt natürlich mit den Grasfressern zusammen.

Im Wasserkreislauf kann ich mich beispielsweise für einen bestimmten Stock interessieren, etwa wenn ich als Kraftwerkbetreiber einen Stausee bewirtschafte. Die Zuflüsse sind von der Regenmenge im Einzugsgebiet abhängig und den Abfluss kann ich steuern. Ich kann also den Seepegel in bestimmten Grenzen beeinflussen. Wenn ich eine Zeitlang zuviel Wasser abgelassen habe, dauert es wiederum ein Zeitlang bis der See wieder voll ist. Wenn ich zuwenig Wasser abgelassen habe, wird der See beim nächsten Regen überlaufen. Für den Wasserkreislauf ist beides kein Problem.

Durch System Dynamics beobachte ich Stocks, die kreislauf-extern motiviert sind. In diesem Sinne ist die System Dynamics auch nicht auf Kreisläufe angewiesen. Typische Beispiele sind etwa der Verbrauch von "nicht erneuerbaren Energien". Die "nicht erneuerbaren Energien" sehe ich durch die System Dynamics als Stock ohne Zufluss mit einem Abfluss. Wenn mir etwas daran liegt, dass dieser Stock nicht leer wird, muss ich den Abfluss steuern.

Die Regelung erfolgt in dieser Modelierung implizit. Die Grasmenge wird nicht übermittelt oder mitgeteilt, sondern steht im Stock oder fliesst im Fluss. Das heisst, in dieser Modellierung spielt Information keine Rolle


Die "Regelung" der Stocks

Die Regelung erfolgt in dieser Modelierung implizit. Die Grasmenge wird nicht übermittelt oder mitgeteilt, sondern steht im Stock oder fliesst im Fluss. Das heisst, in dieser Modellierung spielt Information keine Rolle