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Quasi-Homonym:
Es gibt die Redeweise, "eine Erklärung abgeben". Damit ist normalerweise nicht gemeint, dass ein Phänomen erklärt wird, sondern dass jemand (in einem politischen Sinne) sagt, was der Fall ist.
Als "Erklärung" bezeichne ich differenztheoretisch eine Differenz zwischen etwas erklären und jemandem etwas erklären.
Erklären hat einen rezeptiven Komplementärbegriff: verstehen [ ]

Erklärungen, mit welchen ich etwas erkläre, sind systematische Beschreibung von Mechanismen (siehe System), die ich zur Erzeugung derjenigen Phänomene verwenden kann, die ich erklären will.

Ich erkläre ein Phänomen anhand eines Mechanismus, aber ich kann den Mechanismus nicht erklären. Ich kann jemandem erklären, wie ich den Mechanismus beobachte, also worauf ich schaue, und ich kann erklären, warum ein bestimmter Mechanismus nicht funktioniert. Aber in diesen Fällen verwende ich den Ausdruck "erklären" uneigentlich (oder quasi-homonym).

Beispiel:

Das Phänomen:
Wenn der Priester die Götter beschwört und das Feuer vor dem Tempel anzündet, öffnet sich die Tempeltüre. Wie kann man das erklären?

Man kann das mit versteckten Sklaven erklären oder mit der guten Beziehung des Priesters zu den Göttern. Eine von vielen möglichen Erklärungen ist jene von Heron von Alexadria. In jedem Fall wird die Funktionsweise eines Mechanismus beschrieben. Die Funktionsweise ist Gegenstand der Konstruktion. Erklärungen werden - in genau diesem Sinne - konstruiert und sind mithin Erfindungen.

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Noch ein Beispiel:
Wir können mit einer Batterie und zwei Drähten einen Funken springen lassen. Dann ist die Beschreibung des Mechanismus mit der Batterie und den Drähten die Erklärung für den Funken, den wir als interessantes Phänomen für-wahr-nehmen.
Und wenn wir wollen, dient die Erklärung innnerhalb einer Theorie auch für Blitze, die wir während eines Gewitters für-wahr-nehmen.
Die Funktionsweise eines Mechanismus ist durch den Mechanismus gegeben. Sie ist Gegenstand der Konstruktion. Erklärungen werden - in genau diesem Sinne - konstruiert und sind mithin Erfindungen.

Nietze sagte: "Der Mensch erträgt fast jedes Was, solange er ein Warum hat." Deshalb sucht "der" Mensch (den Nietzsche meint) Erklärungen.

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Einige Alternativen

"Das ist, was wir erklären nennen, nämlich anzunehmen, dass die überraschenden Tatsachen, die wir beobachtet haben, lediglich ein Teil eines größeren Systems von Tatsachen sind, von dem der größere Teil noch nicht in unser Erfahrungsfeld gekommen ist." (S. Peirce: »Guessing«, S. 267)

F. Simon (in: Psychopathologische Konstruktionen): "Erklären kann man nur, warum etwas nicht funktioniert".
Anmerkung: F. Simon unterscheidet hier - erkenntnistheoretisch üblich - hinreichende und notwendige Bedingungen und folgt der Auffassung, dass man nur nicht erfüllte notwendige Bedingungen erkennen könne. So ist für ihn eine Maschine unter dem Tempel keine Erklärung dafür, dass sich die Türen öffen, ein gerissenes Seil an der Maschine wäre ihm aber eine Erklärung dafür, dass sich die Türen nicht öffnen. Er verwendet den Ausdruck "Erklärung" also philosopisch, nicht systemtheoretisch (Vergl. dazu auch Aufklärung).
Das Nichtfunktionieren kann ich kybernetisch nur als nichtfunktionierende Regelung modellieren. F. Simon stellt "erklären" auf den Kopf: Der Defekt einer Regelung gilt ihm als Erklärung für die Nichtregelung. Er vernachlässigt, dass er eine Erklärung verdrängt.

Gregory Bateson schreibt: Erklärungen beruhen auf Tautologien. Sein Beispiel (auch von Heinz von Foerster verwendet) ist die einschläfernde Wirkung von Opium, mit welcher der Prüfungskandiat in Molieres Le malade imaginaire begründet, das Opium einschläfenrd wirkt. (Geist und Natur:108).
Anmerkung: Bateson verwechselt Defintionen und Vereinbarungen, die logischerweise als Tautologien erscheinen, mit Erklärungen.
"Erklärung – das Abbilden unbekannter Abfolgen von Ereignisse auf Tautologien“. Mind and Nature, p.44)

Heinz von Foerster schreibt: "Erklärungen sind semantische Verbindungen von Beschreibungen" (Wie wir uns erfinden:222). (Explanations semantically link descriptions)
Anmerkung: Wenn Heinz von Foerster damit sagen will, dass Erklärungen aus Wörtern bestehen, die "semantisch" zusammenpassen, dann ist seine Definition so weit, dass sie sicher stimmt. Dann müsste er allerdings noch sagen, was "semantisch passen" heissen soll. Ich glaube (interpretiere), dass er Erklärungen mit Theorie verwechselt und mit "semantisch" irgendwie "bedeutungsmässig" meint. Dann wäre es eine extrem laxe Formulierung für meinen Theoriebegriff.

Morgan schreibt: "Die einfachsten Erklärungen sind die besten".
Anmerkung: Dabei ist "einfach" nicht ganz einfach zu verstehen. Im Falle der Tempeltüren ist mir nicht klar, ob versteckte Sklaven oder eine unterirdische Maschine "einfacher" ist.

J. Searle (:29) schreibt: "Deshalb werde ich so verfahren, dass ich liguistische Charakterisierungen angebe und dann die in diesen Charakterisierungen erfassten Daten durch die Formulierung der zugrundeliegenden Regeln erkläre"
Anmerkung: Auch J. Searle erklärt mit Regeln.

H. Maturana sagt: Was sind Erklärungen, was bewirken sie? Erklärungen sind Erklärungen, sie verändern nicht das Erklärte, sondern allenfalls des Verhalten der Erklärers".
Anmerkung: Wenn ich also sage, dass man nicht kommunizieren man, verändere ich dadurch nichts an den Gesprächen, die die Menschen führen. Ich spreche nur in einer ganz bestimmten Weise darüber ... so, dass ich nachher mich auch bestimmt verhalte.

EXPLANATION
a reformulation of a phenomenon in such a way that its elements appear operationally connected in its generation. (Maturana and Varela, 1979)
Any theory that logically implies or any system that reconstructs or generates what has in fact been observed. The theory or system used in this process constitutes the explanans or the premises of the explanation. The thing to be explained is the explanandum or conclusion of the explanation. Explanation establishes a formal construct on top of existing data, whereas prediction goes beyond them (see generative, reconstructibility). (Krippendorff) [Principia Cybernetica Web]

G. Bateson schlägt vor, kommunikativ immer die Erklärung statt das Erklärte anzuschauen. Das Erklärte ist das Ende der Kommunikation, das nennt er Erklärungsprinzip. Die Erklärung ist Teil der Kommunikation, sie wird verstanden und negiert, oder eben nicht.
Differenztheoretisch nehme ich eine Erklärung als Differenz zwischen der Erklärung und dem Erklärten wahr. Jede Erklärung ist eine mögliche Erklärung für das, was sie erklären soll - und unter doppelter Kontingenz für Phänomene, die sie nicht gar nicht intendiert. Erklärungen zeigen also zuerst, wie sich der Erklärende etwas erklärt und sie stellen die Frage, was erklärt wurde. Wenn ich vor dem Tempel stehe und an versteckte Sklaven oder an versteckte Maschinen denke, bedenke ich auch, was alles mit Sklaven und Maschinen erklärbar wäre. Und wenn ich beide Erklärungen erkenne, frage ich mich auch, wie sie aufeinander beziehbar sind: der Sklave erklärt die Maschine und die Maschine erklärt den Sklaven. Und die gegenseitige Erklärung zeigt zuerst, was sich der Erklärende wie erklärt.

"Er isst und er ist hungrig beschreiben ein und dieselbe Tatsache. (...) Die Gewohnheit, eine Feststellung durch eine andere zu erklären, ist insofern gefährlich, als sie den Eindruck erweckt, dass wir der Ursache auf die Spur gekommen sind und deshalb nicht weiter zu suchen brauchen." (B. Skinner: Wissenschaft und menschliches Verhalten

Man kann die Qualitätsanforderungen an Theorien, die sich unter derart wechselnden Bedingungen zu bewähren haben, in der Forderung zusammenfassen, die Theorie solle etwas »erklären «. Das kann im hier vorgeführten Kontext aber nicht heißen, daß die Theorie die Kausalverhältnisse der wirklichen Welt zu entdecken und die vorgefundenen bzw. noch zu erwartenden Tatsachen darauf zurückzuführen habe. Erklärung soll zunächst nichts weiter heißen als: Reformulierung mit dem Zugewinn besserer Anschlußfähigkeit und höherer Eigenkomplexität des Wissenschaftssystems. Kausalerklärungen und Prognosefähigkeit sind damit nicht ausgeschlossen, sondern einbegriffen. (Luhmann, WdG, S. 410)

Zur Unterrichtsmethode

Eine Bemerkung zur Unterrichtsmethode. Für einige Experimente schlagen wir das folgende Vorgehen vor: Als erstes wird das Experiment vorgeführt. Dann werden die Schüler aufgefordert, zu beschreiben, was man beobachtet. Sie sollen das tun, indem sie über die Geschwindigkeiten der beteiligten Körper sprechen, zum Beispiel so: „Der eine Körper bewegt sich nach rechts, der andere ruht; dann stoßen sie zusammen; danach bewegen sich beide etc.“ Darauf werden die Schüler gebeten, das Experiment zu erklären. Damit ist gemeint, sie sollen erzählen, was mit dem Impuls passiert ist. Beobachtet wird also die Bewegung, erklärt wird mit dem Impuls. Wir werden viel später im Unterricht auf analoge Art vorgehen: in der Wärmelehre. Die Beschreibung der Beobachtung wird dann in Aussagen über Temperaturen bestehen, die Erklärung erfolgt durch das Aufstellen der Entropiebilanz. KPK (37)

Sprüche:
In dem Moment wo Du so weit bist mir etwas erklären zu können, ist es schon uninteressant.
Was einer Erklärung bedarf, ist ihrer nicht wert.


 
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