Rolf Todesco

Dialog im Radikalen Konstruktivismus

Fortbildung Kantonsspital Basel, Departement Anästhesie
Dienstag, 17. September 2002, 17.30 – 18.30 Uhr, Kantonsspital Basel, Klinikum 1, Spitalstrasse 21, 4031 Basel

Folien


Ich habe gestern hier meine Auffassung vom Radikalen Konstruktivismus vorgestellt. Ich will heute mit Ihnen über Kommunikation sprechen. Ich fasse nochmals zusammen, worauf ich mich beziehen will: In der Perspektive des Radikalen Konstruktivismus sehe ich operational geschlossene Systeme, die auf ihre eigenen Zustände reagieren. Sinn dieser Perspektive ist für mich, dass ich immer eine zweite Betrachtungsweise zur Verfügung habe und mir so meiner Wahl und Verantwortung bewusster bin.

In diesem Sinne verstehe ich den Konstruktivismus nicht als Trickkiste für bessere Kommunikation, sondern als Theorie, die mir bewusst macht, was ich tue, wenn ich kommuniziere. Ich lebe mit der verifizierten Hypothese, das ich alles besser mache, wenn ich es bewusster mache. In dieser Auffassung kann ich also um besser zu kommunizieren mein Kommunikationsverhalten ändern, oder eben mein Bewusstsein über meine Kommunikation. Ich habe mithin zwei Möglichkeiten.

Ich will über Hyperkommunikation und über den Dialog sprechen, mache aber zunächst einige Anmerkungen zur Kommunikationstheorie.


Der Wort Kommunikation

Das Wort Kommunikation ist ein Fremdwort, auch wenn uns das nicht ehr so bewusst ist. Ich habe dazu eine Geschichte, die gewährleisten soll, dass wir ungefähr von derselben Sache sprechen:

Die erste physikalisch-technologische Verwendung des Ausdruckes "Kommunikation" stammt von Stephen Gray, der 1729 mit nassen Hanfschnüren elektrostatische Versuche zur Leitfähigkeit von Materialien gemacht hat. Elektrizität hatte - hundert Jahre vor Farraday - noch keinen sichtbaren Nutzen, sondern war ein physikalisches Phänomen, um dessen Verständnis man sich praktisch - also durch konstruktive Manipulation - bemühen konnte. Gray spannte seine Hanfschnur in einem Klostergarten auf. Mönche mussten diese einerseits mit Wasser nass halten und andrerseits während der Messversuche rufen, wenn die mit Bernstein erzeugte elektrische Ladung bei ihnen vorbeikam und sie zwickte. Gray stellte fest, dass und wie schnell sich Strom durch nasse Schnüre bewegt. Aber Gray entdeckte durch das Schreien der Mönche auch, dass er am Ende seiner Schnur erfahren konnte, dass am Anfang der Schnur Strom angelegt wurde. Er nannte seine Stromleitung weit voraussehend "Kommunikationsschnur" und hat so die elektrische Datenübertragung (Telegraph, Telefon, Internet, usw.) vorweggenommen, für die er sich mangels Technologie noch gar nicht interessieren konnte. /p>

Mit seiner funktionalen Interpretation einer "elektrischen" Hanfschnur, die - wie die Handy-Generation weiss - auch aus "Aether" bestehen kann, hat Gray eine spezifische Sicht auf ein Artefakt geworfen: er hat in seiner Schnur ein technisches "Medium" für Kommunikation "erkannt", obwohl er seine Anlage für einen ganz andern Zweck konstruierte. Seine Interpretation der Stromleitung als Medium ist zum Paradigma geworden:


Zwei Sichten auf die Kommnikation

Der Ausdruck "Kommunikation" hat zwei einfache quasi-etymologische Konnotationen: Einerseits die Kommune oder den Kommunismus, also "Gemeinschaft" - und andererseits den technologischen Kommunikationsprozess, also unsere von Gray entdeckten medialen Verfahren mit Signalen und Nachrichten. Der Gesichtspunkt der Kommune akzentuiert das Angleichen und Zusammenkommen, also eine Funktion der Kommunikation. Der technische Gesichtspunkt akzentuiert die Funktionsweise dieses Prozesses. Psychotherapeuten und Werbefachleute beschäftigen sich mit der Kommune, die sich Mitteilungen macht, Elektroingenieure und Neurophysiologen beschäftigen sich mit dem technischen System, das von der Kommune für die Mitteilungen verwendet wird.


Das Paradigma der Kommunikationswissenschaften

Das Paradigma der Kommunikationswissenschaften - das erstaunlich gut mit dem gesunden Menschenverstand übereinstimmt - ist ein Sender-Empfänger-Modell, in welchem Informationen, Nachrichten, Botschaften oder Mitteilungen übermittelt werden. Schulz von Thun fasst das Paradigma im ersten Satz eines der erfolgreichsten Kommunikationsbüchern zusammen: "Der Grundvorgang der zwischenmenschlichen Kommunikation ist schnell beschrieben. Da ist ein Sender, der etwas mitteilen möchte. Er verschlüsselt sein Anliegen in erkennbare Zeichen - wir nennen das, was er von sich gibt, seine Nachricht. Dem Empfänger obliegt es, dieses wahrnehmbare Gebilde zu entschlüsseln. In der Regel stimmen gesendete und empfangene Nachricht leidlich überein, so dass eine Verständigung stattgefunden hat" (Schulz von Thun 1999:25).

Schulz von Thun benennt auch gleich die beiden Probleme, die er sich mit dieser Sicht einhandelt: Er spricht von zwischenmenschlicher Kommunikation und von leidlicher Verständigung. Mit "zwischenmenschlich" umschifft Schulz von Thun die Abgrenzung seines Kommunikationsbegriffes, er lässt offen, ob Tiere und Maschinen auch kommunizieren. Mit "leidlich gelingen" meint Schulz von Thun wohl "leidvoll nicht gelingend", denn sein ganzes Buch gibt Anweisungen dazu, wie man die - manipulierende - Kommunikation, die er meint, zum Gelingen bringen könnte. In dieser psychologisch-funktionalen Sicht des Paradigmas ist von der Kommune in Form einer "verstehenden Angleichung" zwischen "Sender" und "Empfänger" die Rede, nicht aber von Artefakten und deren Funktionsweise in der Signalübermittlung. Dass Menschen beim Kommunizieren ihre Körper und verschiedene Geräte wie Telefonapparate benutzen, erscheint in dieser Sicht ganz unwesentlich - oder ein rein technisches Problem.

C. Shannon schreibt in seiner für das Paradigma grundlegenden Mathematischen Theorie der Kommunikation, das Problem der Kommunikation bestehe darin, eine Nachricht genau zu übermitteln, semantische Aspekte der Kommunikation seien für die technischen Probleme ohne Relevanz (Shannon 1976:41). In seiner technologischen Sicht des Paradigmas ist die Rede von Kommunikation im Sinne einer Uebertragung von Signalen - die er ganz unverschämt Nachrichten nennt -, nicht aber von "verstehender Angleichung". Shannon sagt: "Information hat keine Bedeutung". Dass in der "Kommunikation" irgendwelche Menschen irgendetwas verstehen oder Bedeutungen mitteilen, erscheint in dieser Sicht ganz unwesentlich - oder ein rein psychologisch-semantisches Problem.


Mitteilung versus Ausdruck

Vielleicht kennen Sie das Schema von F. Schulz von Thun. Es eröffnet vier Möglichkeiten Kommunikationen zu verstehen:

Schulz von Thun gewinnt diese vier Möglichkeiten, indem er das Paradigma der Kommunikationswisenschaften mit seinem systemischen Denken erweitert. Ich will im folgenden einiges zu konstruktivistischen Paradigma sagen, was mir einerseits hilft, das4-Ohren-Schema kritisch zu beurteilen und andrerseits hilft, die Kommunikationsprozesse zu verstehen, die mich viel mehr interessieren, als die Beispiele, die Schulz von Thun erwähnt. In einem typisches Beispiel von ihm sagt die Mutter zur Tochter: "Nimm den Mantel mit, es ist kalt". (Prof. Dr. Friedemann Schulz von Thun ist Leiter des Schulz von Thun-Institut für Kommunikation in Hamburg).

Das Paradigma der Kommunikationswissenschaften unterscheidet einen Sender und einen Empfänger. Der Sender will den Empfäger beeinflussen. Und das gelingt ihm mehr oder weniger gut. Diese Sichtweise unterstellt einen Empfänger als offenes System, in welches man Informationen einfüllen kann, damit es das macht, was man gerne hätte.

Gregory Batson hat ein Bild dafür: Er erläutert seinen Informationsbegriff der Unterschied, der den Unterschied macht anhand des folgenden Beispiels: Man kann einem Hund einen Tritt geben, dass der Hund wegfliegt, oder man kann ihm einen Tritt geben, das er wegrennt. Im ersten Fall gibt man die Energie, die den Hund bewegt, im zweiten Fall leiset der Hund seine Bewegung selbst, das heisst, man hat ihm nur Information gegeben.

Mitteilungen gehen immer von einem System zu einem andern. Der Radikale Konstruktivismus beschreibt ein operationell geschlossenes System. In operationell geschlossenen Systemen finden Kommunikationsprozesse innerhalb des Systems statt.

Wenn ich handle oder etwas sage, bringe ich mich ins Gleichgewicht. Ich spreche von Feedback, wenn eine Soll-Ist-Zustand-Differenz sigalisiert wird. Die Frage ist in diesem Sinne, was ich als Kommunikationssystem betrachte.

Bevor Piaget den Ausdruck "Konstruktivismus" verwendete, gab es in der Kunsttheorie einen Konstruktivismus. In dieser Kunstauffassung ing es darum, dass eigentliche Kunst keine Abbildungen macht, sondern kreative Schöpfungen. Das Kunstwerk ist Ausdruck des Künstlers, es steht für sich selbst, nicht für etwas anderes.

Als Konstruktivist betrachte ich jede Aeusserung eines Systems als Kunst. Kunst macht keine Mitteilungen, sondern Werke.

Heute habe ich in der Zeitung gelesen, dass Spielberg keine Filme mehr für ein Publikum machen will, sondern nur noch Filme , die ihm selbst gefallen. Er wird sie aber trotzdem ins Kino bringen, weil sie vielleicht andern Menschen trotzdem gefallen. Wenn ich etwas sage, sage ich etwas, was mir gefällt oder was für mich gut ist. Es kann aber andern Menschen im Sinne einer Ko-Evolution - wie ich sie gestern dargestellt habe - auch gut dienen.

Im Konstruktivismus gibt es das Postulat, dass der Hörer den Inhalt einer Botschaft bestimmt. In meinem radikalen Verständnis gilt das natürlich nur für mich selbst, weil ich ja andere Systeme gar nicht manipulieren will. Wenn ich mich über einen Ausdruck freue oder ärgere, habe ich diesen Ausdruck so interpretiert.


Konstruktivistische Kommunikation

Als konstruktivistische Kommunikation betrachte ich Verhaltensweisen, mit welchen ein System sich selbst beeinflusst. Das will ich nun anhand von zwei Beispielen erläutern:


Hyperkommunikation

Seit einiger Zeit haben wir dass WWW. Das WWW ist ein Hypertext, also eine Menge von verlinkten Textteilen. Der Hyperautor produziert zwar Texte, nämlich Hypertext-Textbausteine, er macht aber mit seinen Texten keine Mitteilungen, sondern ein Hypervokabular für Hyperleser. Der Hyperleser produziert zwar (Hypertext)-Texte, aber er macht natürlich auch keine Mitteilungen - es sei denn eine Mitteilung an sich selbst -, denn er liest ja immer seinen eigenen, von ihm selbst zusammengestellten Hypertext-Text.

Da der Hyperleser bestimmt, was er liest, kann Kommunikation in diesem Zusammenhang mit Senden/Mitteilen und Empfangen/Verstehen des Mitgeteilten nicht adäquat beschrieben werden. Hypertext "erzeugt" einen eigenständigen Handlungszusammenhang. Der Hyperleser holt sich die Textteile, die er braucht. Der Hyperlautor und der Hyperleser sind strukturell gekoppelt oder in einer Koevolution.

Einen eigentlichen Kommunikationsprozess sehe ich in der Kollaboration an einem gemeinsamen Hypertext. In der Hyperkommunikation wird ein gemeinsamer Hypertext konstruiert, an welchem jeder der Beteiligten die Veränderungen vornimmt, die die von ihm gelesenen Hypertext-Texte für ihn selbst sinnvoll machen. Kollaboration am Hypertext ist kommunikativ im Sinne von gemeinschaftlich, weil ein gemeinsames Produkt ohne Arbeitsteilung hergestellt wird: jeder tut alles und alle tun das gleiche. Der Hypertext ist Produkt eines kollektiven Autors, der sich durch die Hyperkommunikation konstituiert.

Die Kollaboration am Hypertext ist kommunikativ im Sinne des sich angleichen wie es kommunizierende Gefässe „tun". Der kollektive Autor verhält sich wie ein einschwingendes System, das auf Perturbationen reagiert, die es durch seine Kompensationen selbst erzeugt. Kommunikation zwischen den Beteiligten findet solange statt, wie sie gegenseitig auf ihre kommunikativen Verhaltensweisen reagieren. Die Kommunikation bricht ab, wenn relativer Gleichstand erreicht ist, das heisst, wenn Texte nichts mehr bewirken oder die Unterschiede der Konstruktionen keine Unterschiede mehr machen.

Die Gemeinsamkeit in der Hyperkommunikation besteht darin, dass der physische Text in wirklicher Kollaboration hergestellt wird. Gemeinsames Produkt der Kommunizierenden ist der Text, nicht dessen Inhalt oder dessen Bedeutung. „Zwei Menschen könnten unter allen möglichen Reizeinflüssen auf ihre Sinne in all ihren Dispositionen zu verbalem Verhalten genau übereinstimmen, und dennoch könnten die jeweiligen Bedeutungen oder Ideen, die durch ihre identisch ausgelösten und identisch lautenden Äusserungen ausgedrückt würden, in einem weiten Bereich von Fällen radikal auseinandergehen." (Quine 1980, 59f.) Die Kollaboration bezieht sich auf die Konstruktion des Textartefaktes, jenseits von Bedeutungen, die der Text für die einzelnen Autoren hat. Jeder Ko-Autor verändert den gemeinsamen Text natürlich so, dass er für ihn sinnvoll ist, also unter dem Gesichtspunkt der Bedeutung, die der Text für ihn hat. Kommunikation ist in diesem Zusammenhang ein sozialer Prozess, in welchem es darum geht, dass die am Prozess Beteiligten gemeinsam erforschen, welche Texte in ihrer gemeinsamen Praxis für alle Beteiligten viabel sind. Zwar ist unerheblich, was bestimmte Texte für andere bedeuten, erheblich ist aber natürlich für jeden Autor, welche seiner Formulierungen in dem Sinne auf Zustimmung stossen, als sie nicht überschrieben werden, und welche nicht.

Natürlich kann man in diesem Zusammenhang auch nicht an „richtigen" und „falschen" Interpretationen des Textes interessiert sein (vgl. Schmidt 1987, S. 68). Die Erfahrung, dass andere den zunächst eigenen Text an verschiedensten Stellen fortlaufend ändern, ist heilsam und befruchtend. Anhand von Hypertext wird einem erst recht klar, was Teamarbeit beim Schreiben heisst. Die Formulierungen gehören schliesslich niemandem mehr, sie vergesellschaften die Autoren im wahrsten Sinne des Wortes. Auf dieser Stufe der Kollaboration zeigt sich die Bedeutung der hier referierten Textauffassung am deutlichsten: Der Schulmeister korrigiert Texte, die in seinen Augen (sic) objektiv falsch sind, weil er sie nicht versteht. Im herrschaftsfreieren Diskurs des Gegenlesens von Manuskripten trauen wir uns dagegen normalerweise nicht, den Text eines andern einfach umzustellen, weil wir - in dieser Rolle weniger arrogant als Schulmeister - nicht sicher sind, ob wir den Text, also seine Bedeutung „richtig" verstanden haben. In vorerst fremde Texte einzugreifen und diese sich so anzueignen, ist Menschen jenseits von Herrschaftsstrukturen nur möglich, wenn sie Text als Artefakt realisieren, das Bedeutung nur im lesenden Subjekt hat. Das Umformen des Textes betrifft dann nicht dessen Bedeutung, sondern ist das erwähnte Erforschen der Viabilität von Formulierungen.

Die Prinzipien der Hyperkommunikation gelten in jedem Dialog, in welchem es den Beteiligten nicht um die Mitteilung ihrer Erkenntnisse, sondern um ihr eigenes Wissen, beziehungsweise um die Reflexion des eigenen Wissens im je andern geht (vgl. Bohm, 1998).


Dialog

(etymologisch: dia (mittels) Logos (Worte))

"Dialog" ist eine Buchstabenkette und - wenn man will - ein Wort, das für etwas steht oder etwas bedeutet. Wenn mich nicht näher interessiert, was Dialog bedeutet, dann bedeutet für mich "Dialog", was das Wort ganz allgemein für jedermann bedeutet. Ich verwende dann das Wort so praktisch, wie ich die Wörter Tomaten oder Erdbeeren auf dem Markt verwende, wenn ich Tomaten oder Erdbeeren kaufen will. Und wenn es mir gleichgültig ist, verstehen alle, was ich mit "Dialog" meine.

Hier ist es mir nicht gleichgültig, ich meine etwas anderes.


Die Idee

Dialog nenne ich einen in der Schwebe gehaltenen, sprachlichen Kommunikationsprozess, in welchem die Vielfalt von Sichtweisen dazu benutzt wird, den Kommunikationsprozess in Gang zu halten und die Anzahl der Sichtweisen zu erhöhen. Im Dialog - den ich hier meine - ist Kommunikation nicht ein Mittel, sondern Zweck.

Wer Kommunikation als Mittel versteht, versucht den Kommunikationsprozess zu beenden, weil er den Zweck, für den er Kommunikation verwendet, erreichen will. Man diskutiert beispielsweise, bis man die Lösung gefunden hat, das heisst bis in dem Sinne ein Monolog entstanden ist, als alle Beteiligten - erzwungener- oder überzeugtermassen - dasselbe sagen.

"Monolog" und "Dialog" sagt in diesem Sinne nichts über die Anzahl der beteiligten Personen, sondern etwas über die (Anzahl der) Sichtweisen. Im Dialog geht es darum, die Anzahl der Sichtweisen zu vergrössern, im Monolog darum, die richtige Sichtweise zu finden und die andern davon zu überzeugen. Im Monolog interessieren sich die Teilnehmenden dafür, wie die Welt wirklich ist - und wie sie deshalb gesehen werden muss. Im Dialog interessieren sich die Teilnehmenden dafür, wie sie die Dinge oder ihre Um-Welt sehen - und wie sie sie auch benennen könnten, weil andere es so tun. Die je andern sind die Quellen der Vielfalt.

Im Dialog mache ich keine Mitteilungen; ich sende nicht, ich drücke mich aus. Was ich im Dialog sage, gebe ich in den Dialog, in die Mitte. Fragen, die ich mir stelle, stelle ich als mögliche Fragen in den Raum. Ich frage niemanden, ich ziehe niemanden zur Verantwortung. Ich frage mich. Im Dialog höre ich, wie ich meine Fragen auch stellen könnte.

Im Dialog gebe ich keine Antworten, ich werde nicht wie im Verhör oder in der Prüfung zur Verantwortung gezogen. Ich sage, was mir einfällt, was mir gefällt. Ich sage, was mir gefällt. Was andere sagen braucht keine Zustimmung von mir. Ich frage mich, ob ich das auch sagen würde, oder unter welchen Umständen ich das auch sagen würde. Im Dialog lehne ich auch keine Aussagen ab. Auch Aussagen, mit denen ich Mühe habe, die ich nicht so verstehen kann, dass ich sie auch machen würde, halte ich sie in der Schwebe. Ich warte, bis sie mir neu erscheinen.

Wenn ich mich dabei finde, dass ich angesichts Aussagen - mental oder wirklich - den Kopf nicke oder schüttle, dann suche ich nach den Gründen, die ich dafür habe. So schaffen mir Aussagen Einsicht in meine Wertungen und Glaubenssätze.


Der Prozess

Den Ur-Dialog führe ich mit dem Du, das Buber als Gott eigentlicher Religionen bezeichnet. Alles Wirkliche ist Begegnung im Sinne einer Kommunikation, die sich ergibt, wenn ich wahrnehme, dass andere mich wahrnehmen, und ich dadurch genötigt bin, mein Handeln in Rücksicht auf den andern zu wählen.

Die Begegnung, den Dialog kann ich praktizieren. Das Praktizieren kann ich bewusst gestalten, um mir der Praxis bewusst zu werden. Ich kann Dialoge veranstalten, in welchen ich wichtige Aspekte des Dialoges üben kann. Dabei erlebe ich, dass die Uebung zum Dialog wird und dass der Dialog nach der Veranstaltung nicht aufhört.

Ich verstehe die Dialogveranstaltung in einem quasi-etymologichen Sinn (dia logos) als Spiel mit Regeln, die Gegenstand des Spieles sind. Im Dialog verwende ich meine Sprache zur Moderation des Dialoges.

Dialoge haben keinen Anfang. Aber Veranstaltungen haben einen Ort und eine Zeit. Und Veranstaltungen müssen in diesem organisatorischen Sinne erläutert werden.


Die Veranstaltung / Moderation

Wir sitzen am Anfang in einem Kreis. Ein Veranstalter deklariert als Veranstalter, was die Organisation betrifft. Ein Veranstalter deklariert als Moderator, was die Regeln in der Veranstaltung sind, solange diese noch nicht im Dialog aufgehoben sind.

Die Moderation wir im Dialog aufgehoben. Alle Beteiligten achten aufeinander.


Das Sprachspiel

Dialoge starten ohne Gesprächsgegenstand, weil die Wahl des Gegenstandes bereits zur Kommunikation gehört. Ein möglicher Anfang ist die Reflexion des Anfanges: Wer hat zuerst was gesagt? Was habe ich zuerst gesagt?

Ich spreche in die Mitte. Ich kommentiere die Aussagen nicht, ich spreche die eigenen Gedanken aus. Argumentationen und Erklärungen deklariere ich als solche. Ich sage beispielsweise, die oder jenes Phänomen erkläre ich mir so oder so. Jemand anderer hat vielleicht eine andere Erklärung. Ich mache keine kritischen Vergleiche mit den Erklärungen. Je mehr Erklärungen, umso besser. So ich mache mir meine Erklärungen bewusst.

Niemand weiss, wie es wirklich ist. Im Dialog gibt es kein Wahrheit. Tatsachen sind Sachen, die im Dialog stattfinden. Es geht es darum, dass jedem bewusst wird, was er weiss und dass andere etwas anderes wissen.


Kommentar zum Dialog als Dialogbeitrag

Der Dialog werde ich mir bewusst als Natur. Natur heisst für mich absichtslose Vielfalt und Co-Evolution. Kultur verstehe ich als Negation der Natur. Kultur ist monologische Monokultur, Evolution mittels Selektion. Kultur hat Absicht und Ziel.

Kultur ist das spezifisch menschliche; Produktion oder Konstruktion.

Der Dialog passiert in einem operationell geschlossenen System. Er bezieht sich auf sich selbst, nicht auf etwas ausserhalb des Dialoges. Im Dialog dient Feedback nicht den andern, sondern im systemischen Sinn der Regelung (des Eigenzustandes) des Dialoges. Feedback(ward) ist ein Naturprinzip, Feedfor(ward) ist ein Kulturprinzip.


 

Literatur