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Als "re-entry" bezeichne ich eine Unterscheidung, die innerhalb der Unterscheidung wiederholt wird.

Beispiel (mehr zum Risiko):
ich stehe im Regen oder nicht (Unterscheidung)
wenn ich im Regen stehe (eine Seite der obigen Unterscheidung), habe ich einen Schirm oder nicht
wenn ich mit einem Schirm im Regen stehe, stehe ich nicht im Regen (re-entry: im Regen stehen oder nicht)

Mit dem Schirm bringe ich die Unterscheidung "im Regen stehen oder nicht" nochmals ins Spiel, aber nicht mehr in Abhängigkeit vom Wetter, sondern in Abhängigkeit davon, ob ich einen Schirm dabei habe. Diese Art von re-entry ermöglicht Paradoxien von der Art: Ich stehe im Regen und ich stehe nicht im Regen, obwohl ich im Regen stehe, usw, usw.

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re-entry ist - eigentlich - der Name eines Konzeptes aus dem Form-Kalkül "Laws of Form - Gesetze der Form" von G. Spencer-Brown. G. Spencer-Brown entwickelte das Kalkül gegen die Typentheorie, mit welcher B. Russel in der Principia Mathematica der logischen Paradoxie ausweicht. Das Kalkül von G. Spencer-Brown führt durch die Operation des Unterscheidens eine Art Zeit (durch eine Oszilation in der Schaltalgebra) ein, was die Logik oder die prinzipielle Mathematik, die zeitlos ist, gerade nicht kann. (Wohl deshalb findet das Form-Kalkül in der Mathematik keinerlei Anschluss. B. Russel hat sich nie damit befasst, obwohl es seine Theorien widerlegen sollte). Die Oszilation besteht - in obigem Beispiel ausgedrückt - darin, dass ich abwechselnd sagen kann, dass ich im Regen stehe und dass ich nicht im Regen stehe, weil ich den Kontext der Unterscheidung wechsle. Ich kann aber pro Zeit nur das eine oder das andere sagen, obwohl beides "wahr" ist und sich ausschliesst. Das Stanardbeispiel von H. von Foerster ist noch primtiver: Die Hausglocke steht unter Strom und ist magnetisch, wenn der Klöppel in der einen Stellung ist und nicht unter Strom, wenn er in der andern Stellung ist, wodurch er osziliert. (noch suchen FOERSTER, Heinz von: Wissen und Gewissen, Frankfurt 1993, S. 299ff.)

H. von Foerster und in dessen Folge N. Luhmann haben das formale Konzept jenseits der Logik inhaltlich aufgeladen und popularisiert, was mich bei deren Freude an Paradoxien nicht erstaunt. Der "Rechner" (Operator), der das re-entry ausführt, wurde von H. von Foerster als Beobachter bezeichnet (vgl. dazu Todesco: Achilles ...). Das Kalkül von G. Spencer-Brown beschreibt unter diesem Gesichtspunkt, was der Beobachter - der in der Zeit lebt, die er sich selbst konstruiert - zu tun hat, anstelle davon, was sich im beobachteten Objekt tut. Konventionelle Kaküle (etwa jene von Boole, Zuse) beschreiben (programmierte) Automaten in Form einer Schaltalgebra. G. Spencer-Brown's Kalkül beschreibt das Beobachten eines "Automaten", indem er die Schaltalgebra durch die Einführung des re-entry's invertiert. H. von Foerster sah in diesem Kalkül einen Formalismus für seine Beobachtung 2. Ordnung, nachdem er mit der 3-wertigen Logik von G. Günther diesbezüglich nicht weiter gekommen war.


Eine differenztheoretische Erläuterung:

Geschichte heisst die Differenz zwischen Geschichte und dem, was der Fall war.

Geschichte ist als Bericht frei erfunden, was nichts über den Gegenstand sagt, über welchen die Geschichte erzählt. Es geht sozusagen um die Kommunikation, nicht um eine kommunizierte Sache. In dieser differenztheoretischen Bestimmung von Geschichte, kommt Geschichte auf beiden Seiten der Vereinbarung vor. Geschichte wird quasi durch Geschichte "definiert". Lesen sollte man die "Definition" operativ: Mache eine Unterscheidung zwischen Geschichte und Nicht-Geschichte. Dann schaue nur noch die Geschichte-Seite der Unterscheidung an und mache die dieselbe Unterscheidung im neuen Kontext noch einmal:

Ein Beispiel:
Dass der Astronaut Amstrong auf dem Mond spazieren gegangen ist, ist Geschichte und eine Geschichte. Es wird seit langem intensiv darüber gestritten, ob er auf dem Mond war oder nicht (Unterscheidung). Er könnte in einem Studio in Hollywood gewesen. Eine gängige Variante lautet: beides. Er war auf dem Mond, weil dort aber schlechte Aufnahmen gemacht wurden, wurden die Aufnahmen im Filmstudio nochmals gemacht. Vielleicht weil die Amerikaner glauten, dass sich eine schlechte Kamera schlecht mit einem gelungenen Mondspaziergang vertragen würde. In der operativen Notation des re-entry's:
Unterscheide: er war auf dem Mond / er war nicht auf dem Mond. Auf der positiven Seite der Unterscheidung wiederhole die Unterscheidung: Die Bilder stammen vom Mond oder nicht. So kann man finden: Die Bilder lügen, obwohl sie etwas wahres berichten.

Es geht um das Unterscheiden und insbesondere um das Aufheben von Untscheidungen durch Unterscheidungen. Die eigentliche Definition - und dazu passt die Schaltalgebra von Boole - ist eine Unterscheidung. Bei G. Spencer-Brown geht es darum, wie solche Unterscheidungen aufgehoben werden. Aufheben heisst dabei - wie schon bei G. Hegel - auflesen, behalten, wegwerfen zugleich. Die erste Unterscheidung - das Auflesen oder Einführen der Unterscheidung - in obigem Beispiel ist nötig, um zu sagen, dass Amstrong auf dem Mond war. Dann braucht es die Unterscheidung noch einmal - sie wird behalten - um zu sagen, dass die Bilder nicht vom Mond stammen. Und schliesslich wird die Unterscheidung dialektisch aufgehoben, um zu sagen, dass die Lüge etwas Wahres erzählt.

Eine richtige re-entry-Geschichte ist Das Schweigen der Sirenen von F. Kafka (siehe dazu Schweigen die Sirenen? von R. Todesco)


Die Re-entry-Gesellschaft:

"Eine Direktive gewinnen wir, wenn wir uns daran erinnern, daß das Einführen einer Unterscheidung - und dies auf jedem Niveau des Theorieaufbaus - das Einführen und Auflösen einer Paradoxie bewirkt. Wo bleibt die Paradoxie, und wie kann man sie wiederentdecken? Einen Hinweis zu dieser Frage gibt der Begriff eines 're-entry' bei Spencer Brown: Eine Unterscheidung markiert einen Bereich und wird dann in das durch sie Unterschiedene wiedereingeführt.... Die Direktive kann nun formuliert werden, Sie lautet: bevorzuge wiedereintrittsfähige Unterscheidungen." (Luhmann, WdG, 379f.)
Direktiven für richtiges 'Machen' sind wohl Ideologien überlassen, die auf Grund bestimmter fundamentaler (also für sie unauflösbarer) Annahmen darüber befinden, wie die Welt zu sein hat." (P. Fuchs, am 06.01.2009 in der Luhmann-Liste)

Kommentar:
N. Luhmann kopiert den ethischen Imperativ von H. von Foerster als Direktive und P. Fuchs bezieht seinen Ausdruck Direktive auf eine völlig andere Situation und stiftet so eine Luhmann-Paradoxie: Die Direktive lautet: Mach keine Direktiven!


"Die Waffe der Kritik kann allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen, die materielle Gewalt muss gestürzt werden durch materielle Gewalt, allein auch die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift." - (Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung. MEW 1, S. 385, 1844)


 
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