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siehe auch: autopoietischer Kreis Zürich: ein Beitrag zum Begriff Autopiese
siehe auch die Differenz Poiesis / Praxis

Autopoiese ist ein Kunstwort, das quasietymologisch für "selbst-erzeugt" (auto-poiesis) steht, das ursprünglich von H. Maturana zur Charaterisierung von Leben eingeführt wurde, aber in einem weiteren Sinn als Eigenname für spezielle Systemtheorien verwendet wird (siehe auch Poiesis bei Aristoteles).

H. Maturana begreift Lebewesen als "skinencapsulated" (skinencapselte)", "sich selbst hervorbringende Maschinen". Die primäre Form ist der Einzeller, der sich selbst hervorbringt, indem er sich eine Haut produziert, durch die er sich von seiner Umwelt abgrenzt. Der Mensch als biologisches Wesen erscheint H. Maturana als binnen-differenzierter Einzeller (=Mehrzeller oder zelluläre Organisation 2. Ordnung). Die Gruppe (Volk, Herde, ..) erscheint als aussendifferenzierter Mehrzeller, der aus Mehrzellern besteht (3. Ordnung). H. Maturana verwendet den Ausdruck "System" für Lebewesen, deren Organisation er als autopoietische Maschinen beschreibt.

Mit dem Ausdruck "Maschine" verweist H. Maturana auf eine von ihm explizit mechanistisch genannte Perspektive, die ich als materialistisch im Sinne des Konstruktivismus bezeichne, weil mechanische Erklärungen (eben Systeme) für nicht mechanisch gedeutete Phänomene verwendet werden.

Autopoiese bezeichnet in diesem Sinn die Erklärung eines Beobachters, in welcher er die Entwicklung von Dingen - die er erfindet, aber nicht herstellen kann - beschreibt (Lebewesen als Maschinen).

N. Luhmann verwendet den Ausdruck "Autopoiese" in seiner Soziologie dagegen ganz anders zur Charaterisierung der Entwicklung, von dem, was er als "soziale Systeme" bezeichnet, die er (natürlich) weder als "skinencapsulated" noch als "Maschinen" sieht: Autopoiese by Luhmann.

"Wenn ich von einer Autopoiese spreche, bezeichne ich in gewisser Hinsicht einen spezifischen Moment einer dort geteilten Entwicklung. Wenn ich beispielsweise von der Entwicklung des Menschen spreche, unterscheide ich in diesem Sinne eine naturhistorische Entwicklung innerhalb des Tierreiches, die mit dem Auftreten des Menschen abgeschlossen ist, und eine sozialhistorisch Entwicklung des Menschen, die mit dem Auftreten des Menschen beginnt und in welcher sich nicht mehr der Mensch, sondern dessen Lebensverhältnisse als Kultur entwickeln. Menschen kann ich beispielsweise - wenn mir das gefällt - als toolmaking animals sehen. Dann beobachte ich im Tierreich eine Entwicklung hin zur Verwendung von Objekten, welche am Schluss den Menschen als Herstellenden hervorbringt, und eine zweite Entwicklung, in welcher sich die Menschen dadurch entwickeln, dass sie ihre Werkzeuge entwickeln"
FN: In naturhistorischen Zeiträumen mag sich unter evolutionstheoretischen Gesichtspunkten natürlich auch der Mensch weiterentwickeln, aber im historischen Zeitraum kann ich keinerlei Entwicklung des Menschen als biologisches Wesen erkennen. Ich wüsste nicht, inwiefern ich „entwickelter“ sein sollte als beispielsweise die „alten Griechen“, deren Philosophen auch zeigen, dass nicht ernsthaft von einer geistigen Weiterentwicklung gesprochen werden kann. Was wir früheren Generationen voraus haben, sind Maschinen wie das Internet. (Todesco, R: Geld:47)


 

Hinweise:
Autopoiese wird oft mit Selbstorganisation übersetzt, verwechselt oder gleichgesetzt.

poie|tisch [peu-e...; gr.]: bildend, das Schaffen betreffend - e Philosophie: bei Plato die dem Herstellen von etwas dienende Wissenschaft (z B. Architektur).

Autopoiesise ist ein Wort, das von H. Maturana eingeführt wurde. Er verwendet es für ein "Sich-selbst-Hervorbringen von 'biologischen Maschinen' (Lebewesen)", das darin besteht, sich durch eine Haut eine Begrenzung zu geben.
N. Luhmann verwendet die Buchstabenkette "Autopoiese" ganz anders: Soziale Systeme sind weder "skinencapsulated" noch "biologische" Maschinen. N. Luhmann hat gefallen, dass Poiesis im Sinne von Aristoteles einen Zweck verfolgt, der sich als Funktion deuten lässt.
Hinreichend abstrakt bezeichne ich mit Autopoise die Erfindung einer Beobachtung: Ich kann Lebewesen beobachten, aber natürlich auch Handlungszusammenhänge. Immer wenn ich keinen Hersteller der beobachteten Sache nennen kann, etwa weil mir das Wort Gott nicht gefällt, spreche ich von einer Autopoiese. H. Maturana und N. Luhmannn tun das wohl auch, wenn auch nicht so bewusst.

Literatur

Nach Keil-Slawik, 1990 (2), ist das Konzept der Autopoiese zeitlos. "Es gibt keine Differenzierung dahingehend, ob sich z.B. Verhaltensänderungen eines Organismus aus dem Prozess des Alterns oder aus der Einwirkung von aussen (Perturbation) begründen. Zeitlosigkeit aber ist ausschliesslich ein Wesensmerkmal formaler Systeme und abstrakter Automaten" (8).

Jede Zelle hat denselben Code, die selbe "Information, je nachdem, was die Nachbarn machen, macht sie aber etwas anderes. Deshalb ist die DNS keine hinreichende Bestimmung dafür, was eine Zelle tut. (Maturana, Baum, roter Eintrag)

"Vorsorglich sei angemerkt, daß wir uns schon hier, trotz der Übernahme des Begriffs Autopoiesis, von der Theorie Humberto Maturanas trennen, die zur Zeit in der Familientherapie Beachtung und Anwendung findet." (Soziologische Aufklärung 5, S. 196) bereits 1988!


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