sokratischer Dialog        zurück ]      [ Stichworte ]      [ Die Hyper-Bibliothek ]      [ Systemtheorie ]         [ Meine Bücher ]      [ noch mehr alte Griechen ]
 
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Der sokratische Dialog ist kein Dialog, sondern ein dramatischer Monolog (siehe Mäeutik, was für das Drama ein besseres Wort ist).
Dialogisch wird Sokrates nur wider Willen, wo er beim Feststellen der monologischen Wahrheit scheitert.

Das dramatische Verfahren stammt von Plato, der in seinen Texten (Platon's Dialoge) den von ihm erfundenen Sokrates an seiner Stelle sprechen liess. Als "sokratischer Dialog" wird das Verfahren vorab in der Didaktik bezeichnet, wo es als Trick verwendet wird, um den Monolog des Wissenden (Lehrer) zu verschleiern. Sokrates zieht sich oft den Zorn der Schüler zu, die nicht verstehen, dass das nur zu ihrem Besten geschieht. (Platon, Theaitetos 150b–151d).

Typischerweise werden solche Gespräche von Rollenträgern geführt, wobei ein Wissender, ein Zweifelnder und ein Idiot vorkommen. Das Verfahren hat Schule gemacht:

Berühmte Beispiele: G. Galilei (der Diskurs und Dialog nicht unterscheidet), G. Berkeley, A. Bogdanow und andere.
B. Skinner glaubt generell nicht, dass solche Gespräche sinnvoll sein könnten [ ] und E. von Glasersfeld zeigt am Beispiel von A. Bogdanov, dass es - wie im Fall von G. Galilei nicht um das vordergründige Verhältnis von Schüler und Lehrer, sondern um politische Programme geht, die auf diese Weise qualifiziert werden.
Bei Galilei etwa vertritt der Simplicius die aristotelische Auffassungen (peripatetischen Philosophie), die als unbrauchbar erscheint, aber in gewissen Hinsichten nachvollziehbar scheint, so dass die Lehre der Kirche nicht als solche verworfen, sondern nur durch wissenschaftliche wahre Erkenntnis ergänzt werden muss.
Bei A. Bogdanov wird die Philosophie als Ideologie bezeichnet, die durch Wissenschaft ersetzt wird, aber eine gewissen Berechtigung behält, solange die Wissenschaft die gestellten Fragen noch nicht beantwortet hat. Bestimmte Philosophie aber, insbesondere Erkenntnistheorie, wird als eitle Scholastik bezeichnet, die der Wissenschaft nichts bringt.

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Noch mehr Beispiele:
Hume, D.:Dialoge über natürliche Religion

Ein Dialog-Beispiel aus dem Dialog von G. Galilei

Salv. Ich glaube, Ihr habt mich zum besten und stellt Euch, als ob Ihr nicht verstündet, was Ihr besser versteht als ich. Sagt mir doch, Signore Simplicio, wenn Ihr Euch vorstellt, ein bewegter Körper übertreffe einen anderen an Geschwindigkeit, Avelchen Begriff' verbindet Ihr damit?
Simpl. Ich stelle mir vor, der eine lege in der nämlichen Zeit eine gröfsere Strecke als der andere zurück, oder die gleiche Strecke, aber in kürzerer Zeit.
Salv. Sehr wohl, und was stellt Ihr Euch unter gleichen Geschwindigkeiten zweier Körper vor? (25 115)
Simpl. Ich stelle mir darunter vor, dafs sie gleiche Strecken in gleichen Zeiten zurücklegen. Salv. Sonst nichts als das? Simpl. Es scheint mir dies die richtige Definition gleicher Bewegungen zu sein.
Sagr. Wir können doch noch eine andere aufstellen: es heissen Gesciiwiudig- die Geschwindigkeiten auch dann gleich, wenn die zurückgelegten Wege gleich, wenn die Sich Verhalten wie die Zeiten, m welchen sie zurückgelegt Avorden sind. Wege den zeiteuDiese Dcfinition ist eine allgemeinere. proportional Bind.
Salv. So ist es; denn sie umf'afst sowohl den Fall, wo gleiche Strecken in gleichen Zeiten, als auch den, wo ungleiche Strecken in ungleichen, aber den Strecken jjroportionalen Zeiten durchlaufen werden. Nehmt nun dieselbe Figur noch einmal vor und sagt mir sodann, unter Benutzung des Begriifs der rascheren Bewegung, warum Ihr die Geschwindigkeit des längs CB fallenden Körpers für gröfser haltet als die Geschwindigkeit des längs CA fallenden.
Simpl. Ich glaube darum, weil der frei fallende Körper in einer Zeit die ganze Strecke CB zurücklegt, in welcher der andere auf CA eine kleinere Strecke als CB zurücklegt.
Salv. So ist es. Es hat demnach seine Richtigkeit, dafs der Körper schneller in der senkrechten Richtung als in der geneigten sich bewegt. Überlegt nun, ob in dieser nämlichen Figur nicht auch der andere Satz zu seinem Recht gelangen kann, und ob sich nicht ei^eisen läfst, dafs die Körper auf beiden Linien CA und CB gleiche Geschwindigkeiten besitzen.
Simpl. Ich kann nichts derartiges entdecken; es scheint mir im Gegenteil darin ein Widerspruch mit dem eben Gesagten zu liegen.
Salv. Was meint Ihr, Signore Sagredo? Ich möchte Euch nicht erst lehren, was Ihr schon wifst, imd was Ihr mir noch eben ganz richtig definiert habt.
Sagr. Die Definition, die ich angefühi-t habe, lautete, dafs die Geschwindigkeiten der Körper gleich genannt werden dürfen, wenn die von ihnen zurückgelegten Wege sich verhalten wie die Zeiten, in welchen sie zurückgelegt werden. Soll also diese Definition hier gelten, so müfste die Zeit für das Fallen längs CA zu der Zeit des freien Falls längs CB dasselbe Verhältnis haben, wie die Linie CA selbst zur Linie CB. Nur begreife ich nicht, wie dies möglich ist, sobald die Bewegung längs CB rascher ist als längs CA.
Salv. Und gleichwohl sollt imd müfst Ihr es begreifen. Sagt mir doch: findet bei diesen Bewegungen nicht eine fortwährende Beschleunigung statt?
Sagr. Ja; aber eine gröfsere ßeschleimigung in der senkrechten als in der schiefen Richtung.
Salv. Ist mm aber jene Beschleunigung in der senkrechten Richtung so grofs im Vergleich zu der in schräger Richtung stattfindenden, dafs, an welcher Stelle auch immer auf den beiden Linien gleiche tücke angenommen werden, die Bewegung längs des senkrechten Stücks rascher sein muTs als längs des schiefen?
Sagr. nein. Ich kann vielmehr auf der schrägen Linie eine Strecke annehmen, auf welcher die Geschwindigkeit sehr viel gröfser ist als auf einer anderen ebenso grofsen Strecke der senkrechten Linie. Ich brauche nur die Strecke auf der senkrechten Linie in der Nähe des Endpunktes C, die Strecke auf der schiefen Linie hingegen recht Aveit davon entfernt anzunehmen.
Salv. Die Behauptung also, die Bewegung längs der Senkrechten sei schneller als längs der schiefen Linie, erweist sich nicht als allgemein richtig, wie Ihr seht. Sie gilt nur bei Bewegungen, die vom Anfangspimkte, also von der Ruhelage, ihren Ausgang nehmen. Ohne diese Klausel wäre die Behauptung dermafsen falsch, dafs ihr Gegenteil ebenso gut wahr sein könnte, nämlich dafs die Bewegmig auf der schiefen Ebene schneller ist, als in senkrechter Richtung: denn man kann auf der schiefen Linie eine Strecke annehmen, die in kürzerer Zeit durchlaufen wird, als eine ebenso grofse Strecke auf der Senkrechten. Da also die Bewegung auf der schiefen Ebene an einigen Stellen schneller, an anderen weniger schnell ist als auf der Senkrechten, so wird an gewissen Stellen der schiefen Ebene die Zeit der Bewegimg des Körpers zu der Zeit der Bewegung des Körpers an gewissen Stellen der Senkrechten ein gröfseres Verhältnis haben als die entsprechenden zurückgelegten Wege; an anderen Stellen hingegen wird das Verhältnis der Zeiten kleiner sein als das der zugehörigen Wege. Es mögen z. B. von der Ruhelage, also vom Pmikte C aus zwei bewegliche Körper sich in Bewegung setzen, der eine längs der Senkrechten CB, der andere längs der schiefen Linie CA. Li der Zeit, wo der eine Körper die ganze Strecke CB zurückgelegt hat, wird der andere das kleinere Stück CT zurückgelegt haben. Die Dauer der Bewegung auf CT Avird also zur Dauer der BeAvegimg auf CB — weil diese beiden Zeiten gleich sind — ein gröfseres .....

Einschlägige Literatur

I. Kant empfahl für die Didaktik der Ethik die „dialogische Lehrart“. Sie besteht nach seiner Beschreibung darin, dass der Lehrer das, was er seine Jünger lehren will, ihnen abfrägt, wobei er sich an die Vernunft der Schüler wendet. Das kann nach Kants Auffassung nur dialogisch geschehen, indem Lehrer und Schüler einander wechselseitig fragen und antworten. Der Lehrer leitet durch Fragen den Gedankengang des Schülers, indem er die Anlage zu gewissen Begriffen in demselben durch vorgelegte Fälle blos entwickelt (er ist die Hebamme seiner Gedanken). Der Schüler hilft seinerseits durch seine Gegenfragen dem Lehrer, die Fragetechnik zu verbessern. (I. Kant: Die Metaphysik der Sitten. In: Kant’s gesammelte Schriften, Band 6, Berlin 1907, S. 478).

R. Barthes wendet sich im Rahmen seiner Kritik am Logozentrismus auch gegen die sokratische Mäeutik; er sieht in der Vorgehensweise des Sokrates das Bestreben, „den anderen zur äussersten Schande zu treiben: sich zu widersprechen“.

Todesco: Argumentation im Hypertext


 
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