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Co-Evolution

Als Beobachtersystem nehme ich nicht nur keine Um-Welt wahr, ich teile der Um-welt auch nichts mit. Ich handle nicht in bezug auf "da draussen" und beeinfluse auch keine anderen Systeme, weil sich alle Operationen eines Systems auf den Eigenzustand des Systems beziehen. Mein Atmen - um ein Beispiel aus der biologischen Metahper zu verwenden - führt an meiner Systemgrenze zu einem Prozess, in welchem Sauerstoff in Kohlendioxyd umgewandelt wird. Diesem Prozess schenke ich keine Aufmerksamkeit, weil ich kein Kohlendioxyd brauche. Für mein Prozessieren brauche ich Sauerstoff. Natürlich muss ich anfallende Abfallprodukte irgendwie loswerden. Dazu können auch Operationen nötig sein, meinen Kohlendioxydgehalt reguliere ich ebenfalls durch Atmen (Anmerkung 1).

Einen speziellen Fall der strukturelle Koppelung bezeichne ich als Co-Evolution. In meinem Milieu gibt es Systeme, die für deren Entwicklung auf bestimmte Verhältnisse im Milieu angewiesen sind, sie brauchen Kohlendioxyd, so wie ich Sauerstoff brauche. Das heisst, wenn ich systemintern funktioniere, schaffe ich - ohne diesen Zweck zu verfolgen - Voraussetzungen für andere Systeme. Von Co-Evolution spreche ich, weil mein Funktionieren weder am Milieu noch an andern Systemen im Milieu orientiert ist. Ich operiere einfach so, wie es für mich strukturdetermiert "kybernetisch sinnvoll" ist.

Als Beobachtersystem kann ich mich fragen, wie ich durch mein Verhalten zu Sauerstoff komme. Das Milieu und die strukturelle Koppelung sind mögliche Erklärungen dafür. Diese Erklärungen projiziere ich in meine Um-Welt, wo ich sie als deutender Beobachter im konsensuellen Bereich wahrnehmen kann. Die aufgeklärte Evolutionstheorie beschreibt diesen Mechanismus, in welchem sich die evolutionierenden Einheiten nicht der Umwelt anpassen, sondern angepasst sind. Ich kann in einem sauerstoffhaltigen Milieu leben, weil das mit meinem Operieren verträglich ist, weil ich eben angepasst bin, aber ich kann mich nicht an ein sauerstofffreies Milieu anpassen, wenn das in meiner Struktur nicht vorgesehen ist.

Die Einführung dieser Beobachterauffassung in die Systemtheorie und die damit verbunden unterschiedenen Perspektiven - die ich für H. Maturanas wichtigsten Beitrag halte (Anmerkung 2) - bezeichnet H. Maturana als Lösung des epistemologischen Problems Solipsimus versus Repräsentationismus. Die epistemologische Gefahr erscheint im konsensuellen Bereich als wirkliche Gefahr. Als Beobachtersystem steuern Piloten ihre Instrumente. Dass dabei das Flugzeuge in seinem Milieu etwas sinnvolles macht, entspringt der Koppelung der strukturellen Zustände der Instrumente mit Zuständen des Flugzeuges im Milieu, die im Falle von eigentlichen Flugzeugen von den Konstrukteuren natürlich sehr bewusst eingerichtet sind. Die Piloten dürfen sich aber nicht darum kümmern, sie dürfen die Perspektiven nicht vermischen. Sie müssen lernen und immer wieder trainieren, nach den Instrumenten zu fliegen. Wenn sie nämlich in kritischen Situationen nicht mehr auf die Instrumente schauen, sondern wissen wollen, wie es ausserhalb ihres Flugzeuges ist, und aus dem Fenster schauen, stürzen sie in der Regel ab. Sie stürzen nicht ab, weil sie "hinausschauen", sondern sie schauen hinaus, weil sie abstürze, wenn sie die Perspektiven vermischen. Und das ist nicht nur bei Piloten so: Wenn alles gut läuft, interessiert mich die Um-Welt nicht - dieser Zustand wir oft als Flow bezeichnet. Nur wenn Probleme auftreten, richte ich meine Aufmerksamkeit auf Um-Welt. Wenn ich beispielsweise auf einer Strasse gehe, schauen ich nicht auf die Strasse. Wenn ich aber plötzlich stolpere, also meine normale Bewegung gestört ist, suche ich sofort nach einen Grund in der Um-Welt, sei es ein Stein oder ein Loch im Belag der Strasse. Wenn ich aber auch meinen Sinn(esorgan)en nicht mehr traue und wisse will, was jenseits meiner Sinne - in der sogenannten Realität - der Fall ist, laufe ich grosse Gefahr wahnsinnig - oder wenigstens von Heilsverkündern angelogen zu werden. Im Normalfall spielt es keine Rolle, ob ich auf mich oder auf meine Um-Welt reagiere. Im Alltag machen ich diese Unterscheidung ja auch nicht: ich essen, bis ich wahrnehme, dass ich satt bin, nicht bis ich die nötige Menge an Nährstoffen zu mir genommen habe. Und ich gehe auf eine Fata Morgana zu, weil ich sie sehe, nicht weil dort etwas ist.


Anweisungen:

Suche weitere Beispiele für Co-Evolutionen, also dafür, dass andere etwas von Deinem Verhalten profitieren, ohne dass das in Deinem Verhalten beabsichtigt ist.

    

Natürlich weiss ich nichts vom göttlichen Plan, in welchem geplant ist, was mir beliebig erscheint. Vielleicht hat Gott die Welt bewusst so eingerichtet, dass sich Menschen und Pflanzen so ergänzen, wie sie es tun. Ich werde später, im Zusammenhang mit dem Gesellschaftskonzept von N. Luhmann darauf zurückkommen darauf zurückkommen. Hier soll nur die Perspektive geübt werden!


 

Beispiel:
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Metakommunikation

Die Co-Evolution ist natürlich auch eine biologische Metapher, die auf der Metaphorik der Evolution aufsetzt. Die Evolution ist ein Grundpfeiler des Glaubens"system" Wissenschaft. Zusammen mit dem heliozentrischen Weltbild und dem Freudschen Unbewussten trägt dieser Pfeiler die Ent-rückung des Beobachters. Der Mensch erscheint in dieser evolutionstheoretischen Sicht als Zufallsprodukt auf einem extrem peripheren Ort im All, der durch sein Unbewusstes gesteuert wird. Ein Nichts im Nirgendwo, das nichts (dafür) kann (etwas ausführlicher).


 
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