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   Dialog   
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Rolf Todesco

Ueber Dialog


it's different

"Dialog" ist eine Buchstabenkette und - wenn man will - ein Wort, das für etwas steht oder etwas bedeutet. Wenn mich nicht näher interessiert, was Dialog bedeutet, dann bedeutet für mich "Dialog", was das Wort ganz allgemein für jedermann bedeutet. Ich verwende dann das Wort so praktisch, wie ich die Wörter Tomaten oder Erdbeeren auf dem Markt verwende, wenn ich Tomaten oder Erdbeeren kaufen will. Und wenn es mir gleichgültig ist, verstehen alle, was ich mit "Dialog" meine.

Hier ist es mir nicht gleichgültig, ich meine etwas anderes.


Die Idee

Dialog nenne ich einen in der Schwebe gehaltenen, sprachlichen Kommunikationsprozess, in welchem die Vielfalt von Sichtweisen dazu benutzt wird, den Kommunikationsprozess in Gang zu halten und die Anzahl der Sichtweisen zu erhöhen. Im Dialog - den ich hier meine - ist Kommunikation nicht ein Mittel, sondern Zweck.

Wer Kommunikation als Mittel versteht, versucht den Kommunikationsprozess zu beenden, weil er den Zweck, für den er Kommunikation verwendet, erreichen will. Man diskutiert beispielsweise, bis man die Lösung gefunden hat, das heisst bis in dem Sinne ein Monolog entstanden ist, als alle Beteiligten - erzwungener- oder überzeugtermassen - dasselbe sagen.

"Monolog" und "Dialog" sagt in diesem Sinne nichts über die Anzahl der beteiligten Personen, sondern etwas über die (Anzahl der) Sichtweisen. Im Dialog geht es darum, die Anzahl der Sichtweisen zu vergrössern, im Monolog darum, die richtige Sichtweise zu finden und die andern davon zu überzeugen. Im Monolog interessieren sich die Teilnehmenden dafür, wie die Welt wirklich ist - und wie sie deshalb gesehen werden muss. Im Dialog interessieren sich die Teilnehmenden dafür, wie sie die Dinge oder ihre Um-Welt sehen - und wie sie sie auch benennen könnten, weil andere es so tun. Die je andern sind die Quellen der Vielfalt.

Im Dialog mache ich keine Mitteilungen; ich sende nicht, ich drücke mich aus. Was ich im Dialog sage, gebe ich in den Dialog, in die Mitte. Fragen, die ich mir stelle, stelle ich als mögliche Fragen in den Raum. Ich frage niemanden, ich ziehe niemanden zur Verantwortung. Ich frage mich. Im Dialog höre ich, wie ich meine Fragen auch stellen könnte.

Im Dialog gebe ich keine Antworten, ich werde nicht wie im Verhör oder in der Prüfung zur Verantwortung gezogen. Ich sage, was mir einfällt, was mir gefällt. Ich sage, was mir gefällt. Was andere sagen braucht keine Zustimmung von mir. Ich frage mich, ob ich das auch sagen würde, oder unter welchen Umständen ich das auch sagen würde. Im Dialog lehne ich auch keine Aussagen ab. Auch Aussagen, mit denen ich Mühe habe, die ich nicht so verstehen kann, dass ich sie auch machen würde, halte ich sie in der Schwebe. Ich warte, bis sie mir neu erscheinen.

Wenn ich mich dabei finde, dass ich angesichts Aussagen - mental oder wirklich - den Kopf nicke oder schüttle, dann suche ich nach den Gründen, die ich dafür habe. So schaffen mir Aussagen Einsicht in meine Wertungen und Glaubenssätze.


Der Prozess

Den Ur-Dialog führe ich mit dem Du, das Buber als Gott eigentlicher Religionen bezeichnet. Alles Wirkliche ist Begegnung im Sinne einer Kommunikation, die sich ergibt, wenn ich wahrnehme, dass andere mich wahrnehmen, und ich dadurch genötigt bin, mein Handeln in Rücksicht auf den andern zu wählen.

Die Begegnung, den Dialog kann ich praktizieren. Das Praktizieren kann ich bewusst gestalten, um mir der Praxis bewusst zu werden. Ich kann Dialoge veranstalten, in welchen ich wichtige Aspekte des Dialoges üben kann. Dabei erlebe ich, dass die Uebung zum Dialog wird und dass der Dialog nach der Veranstaltung nicht aufhört.

Ich verstehe die Dialogveranstaltung in einem quasi-etymologichen Sinn (dia logos) als Spiel mit Regeln, die Gegenstand des Spieles sind. Im Dialog verwende ich meine Sprache zur Moderation des Dialoges.

Dialoge haben keinen Anfang. Aber Veranstaltungen haben einen Ort und eine Zeit. Und Veranstaltungen müssen in diesem organisatorischen Sinne erläutert werden.


Die Veranstaltung / Moderation

Wir sitzen am Anfang in einem Kreis. Ein Veranstalter deklariert als Veranstalter, was die Organisation betrifft. Ein Veranstalter deklariert als Moderator, was die Regeln in der Veranstaltung sind, solange diese noch nicht im Dialog aufgehoben sind.

Die Moderation wir im Dialog aufgehoben. Alle Beteiligten achten aufeinander.


Das Sprachspiel

Dialoge starten ohne Gesprächsgegenstand, weil die Wahl des Gegenstandes bereits zur Kommunikation gehört. Ein möglicher Anfang ist die Reflexion des Anfanges: Wer hat zuerst was gesagt? Was habe ich zuerst gesagt?

Ich spreche in die Mitte. Ich kommentiere die Aussagen nicht, ich spreche die eigenen Gedanken aus. Argumentationen und Erklärungen deklariere ich als solche. Ich sage beispielsweise, die oder jenes Phänomen erkläre ich mir so oder so. Jemand anderer hat vielleicht eine andere Erklärung. Ich mache keine kritischen Vergleiche mit den Erklärungen. Je mehr Erklärungen, umso besser. So ich mache mir meine Erklärungen bewusst.

Niemand weiss, wie es wirklich ist. Im Dialog gibt es kein Wahrheit. Tatsachen sind Sachen, die im Dialog stattfinden. Es geht es darum, dass jedem bewusst wird, was er weiss und dass andere etwas anderes wissen.


Kommentar zum Dialog als Dialogbeitrag

Der Dialog werde ich mir bewusst als Natur. Natur heisst für mich absichtslose Vielfalt und Co-Evolution. Kultur verstehe ich als Negation der Natur. Kultur ist monologische Monokultur, Evolution mittels Selektion. Kultur hat Absicht und Ziel.

Kultur ist das spezifisch menschliche; Produktion oder Konstruktion.

Der Dialog passiert in einem operationell geschlossenen System. Er bezieht sich auf sich selbst, nicht auf etwas ausserhalb des Dialoges. Im Dialog dient Feedback nicht den andern, sondern im systemischen Sinn der Regelung (des Eigenzustandes) des Dialoges. Feedback(ward) ist ein Naturprinzip, Feedfor(ward) ist ein Kulturprinzip.