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Luhmann, Niklas (1995): Soziologische Aufklärung 6. Die Soziologie und der Mensch. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.

Volltext (Passwort)

Inhalt: enthält
Vorwort 7
1. Probleme mit operativer Schließung 12
2. Die operative Geschlossenheit psychischer und sozialer Systeme 25
3. Wie ist Bewußtsein an Kommunikation beteiligt? 37
4. Die Autopoiesis des Bewußtseins 55
5. Was ist Kommunikation? 113
6. Die gesellschaftliche Differenzierung und das Individuum . . . 125
7. Die Form „Person" 142
8. Die Tücke des Subjekts und die Frage nach dem Menschen .. 155
9. Intersubjektivität oder Kommunikation: Unterschiedliche Ausgangspunkte soziologischer Theoriebildung 169
10. Wahrnehmung und Kommunikation sexueller Interessen 189
11. Das Kind als Medium der Erziehung 204
12. Das Paradox der Menschenrechte und drei Formen seiner Entfaltung 229
13. Inklusion und Exklusion 237
14. Die Soziologie und der Mensch 265
Drucknachweise 275

Zitate

[ ] "Kommunikationssysteme hören mithin auf, wenn ihre Operationen nicht fortgesetzt werden." (S. 41)<(p>

"Interpenetration bezeichnet weder ein umfassendes System der Koordination noch einen operativ ablaufenden Tauschprozess (was voraussetzen würde, dass man in dieser Hinsicht von Inputs und Outputs sprechen könnte). Theoriekonsistent kann Interpenetration nur heißen: dass im jeweiligen Bezugssystem die Einheit und Komplexität (im Unterschied zu: spezifischen Zuständen und Operationen) des jeweils anderen eine Funktion erhält. Die Art und Weise, in der das geschieht, ist natürlich nur an den jeweils systemeigenen Strukturen und Operationen aufzuweisen; anders könnte sie nicht vorkommen. Sie nimmt also in Bewußtseinssystemen andere Formen an als in kommunikativen Systemen. Bewußtseinssysteme werden durch Interpenetration mit sozialen Systemen sozialisiert" (in "Wie ist Bewußtsein an Kommunikation beteiligt?": 50f)

"Es [das Bewusstsein] operiert gleichsam mit dem Rücken zur Zukunft, nicht proflexiv, sondern reflexiv. Es bewegt sich gegen die Zeit in die Vergangenheit, sieht sich selbst dabei ständig von hinten und an der Stelle, wo es schon gewesen ist; (.)" (S. 63 im Aufsatz: "Die Autopoiesis des Bewusstseins")

"In Geltendmachen eines Anspruchs orientiert es [das Individuum] sich an einer Differenz zwischen dem, was momentan besteht, und dem, was sein soll; und es kann sich dann mit seinem Anspruch identifizieren" (135 in "Die gesellschaftliche Differenzierung und das Individuum")

"In der Form des Anspruchs wird die System/Umwelt-Differenz für das System selbst zugänglich, erfahrbar, auswertbar..." (ebd.) "Insofern wird Individualität selbst nur als Anspruch existent, nur als Anspruch kommunizierbar" (136)

[ ]

"Unter 'Interpenetration' soll verstanden sein, daß ein autopietisches System die komplexen Leistungen der Autopoiesis eines anderen Systems voraussetzen und wie ein Teil des eigenen Systems behandeln kann." (in: "Die Form Person": 146).

Theorietechnisch ist ein Begriff nur zu gebrauchen, wenn er sichtbar macht, was er ausschließt. [...] Wir setzen dem, in lockerem Anschluss an Spencer Brown 10, den Begriff der Form entgegen. (11)

Dieser Formbegriff gehört in den Kontext einer operationalen Systemtheorie, die davon ausgeht, daß in der System - theorie (ebenso wie in der Mathematik, der Logik, den cognitive sciences, den Forschungsbereichen der Linguistik, des artificial intelligence usw.) die Letztelemente Operationen sind, die jeweils an einem bestimmten Zeitpunkte (und nie vorher und nie nachher) sich ereignen. Der Begriff der Form bezeichnet dann das Postulat, daß Operationen, soweit sie Beobachtungen sind, immer die eine Seite einer Unterscheidung bezeichnen, aktualisieren, als Ausgangspunkt für weitere Operationen markieren - und nicht die andere Seite, die im Moment gleichsam leer mitgeführt wird. (12)

Operationen sind, um die Terminologie von Spencer Brown zu benutzen, wenn sie Beobachtungen sind, unterscheidende Bezeichnungen. Sie bezeichnen die eine Seite einer Unterscheidung unter der Voraussetzimg, daß es eine andere gibt. Die theoriebildende Provokation des Formbegriffs (im Unterschied zum Variablenbegriff) beruht darauf, daß er postuliert, daß durch das Zustandekommen einer Operation immer etwas ausgeschlossen wird - zunächst rein faktisch, sodann aber für einen Beobachter, der über die Fähigkeit des Unterscheidens verfügt, logisch notwendig. Die Einheit der Operation wird dadurch also nicht in Frage gestellt, aber gleichsam durch einen Schattenbegriff ergänzt, der festhält, daß es auch noch anderes gibt - sei es Zugängliches, sei es Unzugängliches. „We take", so leitet Spencer Brown (13) seine Untersuchungen ein, „as given the idea of distinction and the idea of indication, and that we cannot make an indication w ithout draw ing a distinction. W e take, therefore, the form of distinction for the form."

11 Das hat methodologische, aber auch theoretische Konsequenzen. Sowohl „Variable" als auch „Form" sind empirisch gemeint. Aber während Variablenkonstruktionen gegen den Rest der Welt hermeneutisch abgedichtet sind, enthält der Formbegriff immer eine andere Seite als Hinweis auf das Unerklärbare. Zu Bedenken gegen die Variablenempirie siehe auch Klaus A. Ziegert,

12 Anzumerken ist, daß die auf dem Operationsbegriff aufbauende Theoriebildung vorherrschend einen anderen Weg zu bevorzugen scheint, nämlich die Bildung zeitabstrakter Modelle (Kalküle, Programme), die perationsverläufe ordnen, welche dann im einzelnen undurchsichtig bleiben können. Nicht zuletzt im Hinblick darauf verdient Interesse, daß Spencer Brown seine Rekonstruktion des Kalküls der Booleschen Arithm etik und Algebra als „Laws of Form " vornimmt. S.240

"Die Verlagerung der Aufmerksamkeit und der kommunikativen Relevanz von Person auf Körper bedeutet nicht, dass Sozialität ausfällt; sie nimmt nur andere Formen an. Die für Kommunikation wichtige Unterscheidung von Information und Mitteilung wird auf ein extrem reduziertes Informationsinteresse zurückgeschnitten. Wahrnehmung und vor allem Schnelligkeit gewinnt an Bedeutung. Der Ja/Nein-Code der Sprache, der für Annehmen und Ablehnen von Sinnvorschlägen ausgebildet ist, tritt zurück und statt dessen zählt, wie beim Fußball, das nur über geschulte Wahrnehmung erreichbare Tempo der Einstellung auf Ereignisse. [> Fußnote Nr. 60):] Das verbreitete Interesse an Fußball (oder auch an Tennis, Eishockey oder an anderen Schnelligkeitssports) könnte unter diesem Gesichtspunkt geradezu als eine Art 'preadaptive advance' aufgefasst werden: als Bewunderung eines Könnens, das im Moment von den meisten von uns noch gar nicht aktuell gefordert wird." (263. in: Inklusion und Exklusion. S. 237-264)


"Die modeme Literatur scheint wenig Neigung zu verspüren, einen besonderen Begriff der Person beizubehalten oder auch nur, mit einer alten Tradition, Person und Mensch zu unterscheiden. Daß Menschen Subjekte, Subjekte Individuen und Individuen Personen sind (aber was heißt: "sind"?), gilt als selbstverständlich. Vermutlich hat diese Begriffsverschmelzung damit zu tun, daß in der modemen Welt Individuen durch Selbstbeobachtung definiert sind und Selbstbeobachtung präzise als Beobachtung des eigenen Beobachtens, also als Beobachtung zweiter Ordnung verstanden werden muß. Dann geben die ontologischen, animalischen oder, was Person betrifft, juristischen Unterscheidungen der alten Welt in der Tat wenig Sinn. Im Sprachgebrauch des Deutschen Idealismus und der Romantik müßten sie als "brutal", also tierbezogen verurteilt werden.
Statt dessen besetzen andere Unterscheidungen das Problem. Vor allem unterscheidet man heute das Individuum von seiner ihm angenehmen oder lästigen, jedenfalls zugemuteten "sozialen Identität", das I vom me oder das für sich selbst nur fragmentarisch und situativ gegebene Ich vom aufgerundeten Normalich, das sozialen Erwartungen zu genügen hat, die sich speziell darauf richten, daß es mit sich selbst identisch zu bleiben hat. Diese Doppelich-Version führt zu Problemen bei der Abgrenzung psychischer und sozialer Systeme. " (aus:"Die Form Person", in: Soziale Welt 42 (1991), S. 166 und Luhmann, N. (2005) Soziologische Aufklärung, Band 6, S. 137)