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Leontjew, Alexei N.: Zu einer psychologischen Konzeption der sinnlichen Erkenntnis. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1977

Volltext (lokal, PW)

Auszug zur Phänographie:
Die Untersuchung der Wahrnehmung beginnt der Autor mit dem Versuch, einen Kreis von Erscheinungen herauszugliedern und zu beschreiben, die zur Wahrnehmung in Beziehung stehen. Er bezeichnet eine solche Beschreibung von Erscheinungen, die Gegenstand der Untersuchungen sind, als Phänographie — ein Terminus, der in der sowjetischen Literatur keine Verwendung findet. Darunter wird eine beschreibende Interpretation der menschlichen Lebensaktivität verstanden: Das ist Phänomenologie, die aber keinesfalls zurückzuführen ist in den Rang einer Grundmethode wie bei HUSSERL oder SCHELER. Der Autor orientiert keineswegs nur auf die einseitige Betrachtung der Widerspiegelung in der Wahrnehmung. Grundlage der Analyse der sinnlichen Erscheinungen ist die Vorstellung von der Gegenständlichkeit der Wahrnehmung und die Auffassung der Wahrnehmung als Tätigkeit. Die phänographische Beschreibung der Wahrnehmung erfaßt einen bestimmenden Aspekt, nämlich die Wahrnehmung als „Beobachtungstätigkeit", indem sie in Beziehung mit der menschlichen Praxis betrachtet wird. Wahrnehmung ist bewußte - 7 -
Widerspiegelung stofflich-sinnlich vorhandener Umwelt und keine illusionäre und gar unvorstellbare oder symbolisierende. Dieses Merkmal unterscheidet die Wahrnehmungsprozesse von den eigentlichen Denkprozessen.
Die phänographische Analyse, wie sie von HOLZKAMP vorgenommen wird, markiert eine sehr wesentliche Tendenz in der Aufdeckung der lebendigen sozialen Funktion der Wahrnehmung, die nicht in vitro, sondern in ihrer realen Breite und in ihrem ganzen Reichtum genommen wird. Im Resultat verschieben sich die Akzente der Forschung auf den gegenständlichen Inhalt der Wahrnehmung, ihre Bedeutung. Hierbei ergeben sich einige Verluste in der Analyse der prozessualen Seite der Wahrnehmung, z. B. hinsichtlich der Rolle von motorischen Gliedern.
Anscheinend besteht die Absicht des Autors darin, in die materialistische Auffassung zur Wahrnehmung nicht nur Untersuchungsergebnisse, die Abstraktionen der Form, der Größe, der Farbe oder der Entfernung der Objekte beinhalten, einzubeziehen, sondern die Untersuchung der Wahrnehmung der Objekte in ihrer Ganzheit, in der sie existieren, in jener realen vielfältigen Welt, in der wir leben, vorzunehmen. Die Phänographie dient dafür als erster vorbereitender Schritt. Diese Haltung vertritt der Autor auch in dem Abschnitt, der dem naturhistorischen Werden der Wahrnehmung gewidmet ist.

Lieber Jürgen herzlichen Dank für den Text(link). Ich kenne diese Stellen nicht, sie würden mich aber sehr interessieren. Die Gegenstandsbedeutung hat sehr wohl etwas subjektivistisches und etwas objektivistisches in Bezug auf Bedeutung. A. Leontjew hat kein Beobachter-Konzept und kann deshalb deuten und konstruieren nicht auseinander halten. Die Gegenstandsbedeutung ist objektiv (im Objekt) und passt nicht recht zur Dreigliedrigkeit, die A. Leontjew nahelegt. Ein Hammer ist ein Hammer, nicht weil er gesellschaftlich als Hammer gesehen wird) und der Hersteller des Hammer ist ein Subjekt.
„Interpersonale Wahrnehmung ist demnach von allem Anfang an keine bloße soziale Beziehung zwischen zwei Menschen, sondern impliziert ein allgemeines gesellschaftliches Verhältnis, da sie vermittelt ist über die Gegenstandsbedeutungen von Produkten gesellschaftlicher Arbeit" (S. 142).
A. Leontjew schreibt:
Der Autor entwickelt die These von der Notwendigkeit einer Unterscheidung zwischen sprachlichen (symbolischen) Bedeutungen und „sachlichen Gegenstandsbedeutungen". Diese Notwendigkeit ergibt sich daraus, daß die Gegenstände selbst in ihrer Stofflichkeit sinnlich entdeckt werden und dabei auch ihre Bedeutung erhalten, d. h., daß ihre gesellschaftliche Verwendung in Handlungen, in der Praxis realisiert wird und sich nicht nur in verbalen Erklärungen manifestiert.
Er verpasst damit, dass Gegenstandsbedeutung auf hergestellte Gegenstände bezogen ist, obwohl er das Beispiel eines Löffels verwendet.

Und etwas ganz anderes:
Das eigentliche Problem, das A. Leontjew in seiner Buchbesprechung zeigt (statt behandelt), besteht in seiner Vorstellung, wonach in der Sowjetunion klassenkritische Argumente nicht mehr gebraucht werden, weil es dort keine Klassen mehr gebe. Der Text ist vor allem unter diesem Gesichtspunkt sehr interessant. A. Leontjew findet gut, dass K. Holzkamp, obwohl er im Westen lebt, ein Marxist ist, auch wenn er noch nicht alles richtig zuordnen könne.
Herzlich Rolf