Zusammenfassung / Linearisierung

Die Kollaboration an einem gemeinsamen Hypertext ist eine bestimmte Weise der Kommunikation, die ich Hyperkommunikation nenne. In der Hyperkommunikation wird ein gemeinsamer Hypertext konstruiert, an welchem jeder der Beteiligten die Veränderungen vornimmt, die die von ihm gelesenen Hypertext-Texte für ihn selbst sinnvoll machen.

Die Prinzipien der Hyperkommunikation gelten in jedem Dialog, in welchem es den Beteiligten nicht um die Mitteilung ihrer Erkenntnisse, sondern um ihr eigenes Wissen, beziehungsweise um die Reflexion des eigenen Wissen im je andern geht. Die Hyperkommunikation ist eine gegenstandsorientierte Kommunikationspraxis, die durch das Text-Artefakt vermittelt ist und mithin ein externes Gedächtnis hinterlässt. Dadurch wird das Nach-Denken über Kommunikation nicht nur introspektiv auf sich selbst zurückgeworfen, sondern kann sich auf explizites praktisches Verhalten der Rekonstruktion beziehen. Die Hyperkommunikation zeigt exemplarisch, was Kommunikation ist.

Kollaboration am Hypertext ist kommunikativ im Sinne von gemeinschaftlich, weil ein gemeinsames Produkt ohne Arbeitsteilung hergestellt wird: jeder tut alles und alle tun das gleiche. Der Hypertext ist Produkt eines kollektiven Autors, der sich durch die Hyperkommunikation konstituiert.

Die Kollaboration am Hypertext ist kommunikativ im Sinne des sich angleichen wie es kommunizierende Gefässe "tun". Der kollektive Autor verhält sich wie ein einschwingenden Systems, das auf Perturbationen reagiert, die es durch seine Kompensationen selbst erzeugt. Kommunikation zwischen Menschen findet solange statt, wie sie gegenseitig auf ihre kommunikativen Verhaltensweisen reagieren. Die Hyperkommunikation bricht ab, wenn relativer Gleichstand erreicht ist, das heisst, wenn die Texte nichts mehr bewirken oder die Unterschiede der Konstruktionen keine Unterschiede mehr machen.

Die Hyperkommunizierenden haben zwei Texter-Modi: sie sind Hyper-Leser, wenn sie Hypertextelemente benützen, also (Hypertext)-Texte zusammenfügen, und Hyper-Schreiber, wenn sie die Textelemente produzieren. Als Hyperleser ist der Hypertexter Produzent des Textes, den er liest, er ist also so etwas wie Leserautor oder Schrift-Um-Steller, da er während des Lesens durch die Wahl der je nächsten Hypertextteile seinen eigenen, dissipativen Text generiert. Es geht hierbei nicht darum, dass der Hyperleser eine je eigene Interpretation des Textes macht, sondern darum, dass er den physisch-materiellen Text, den er liest, aus den Textteilen des Hypervokabulars selbst zusammenstellt. Jede durch einen Hypertexter im Lesermodus produzierte Sequenz von Textteilen ist natürlich - wie jeder Text - wieder eine grammatikgenerierte sequentielle Menge von Zeichen(ketten).

Wenn der Kommunikationsprozess mit Sender-Empfänger-Modellen modelliert wird, also unter dem Gesichtspunkt, dass ein Sender einem Empfänger eine Nachricht oder eine Mitteilung schickt, erzeugt Hypertext eine Art Paradoxie:
Der Hyperautor produziert zwar Texte, nämlich Hypertext-Textbausteine, er macht aber mit seinen Texten keine Mitteilungen, sondern ein Hypervokabulars für Hyperleser. Der Hyperleser produziert zwar (Hypertext)-Texte, aber er macht natürlich auch keine Mitteilungen - es sei denn eine Mitteilung an sich selbst -, denn er liest ja seinen eigenen Text.

In der Hyperkommunikation werden keine Mitteilung oder Informationen übermittelt. Die Hyperkommunikation setzt deshalb auch keine gemeinsamen Sinnwelten voraus, die Idee des sich gegenseitigen Verstehens ist in der Hyperkommunikation aufgehoben. Hyperkommunikation "erzeugt" einen eigenständigen Handlungszusammenhang, in welchem die Beteiligten den Konstruktions-Prozess begreifen und mithin etwas von sich selbst "verstehen". In diesem Sinne ist die Hyperkommunikation radikal konstruktivistische Praxis, in welcher man nicht wissen kann oder wissen muss, was andere wie wissen.

Hyperkommunikation ist keine Massenmedien-Veranstaltung. Da wird keine Offenbarung ausgestrahlt oder verschickt, sondern Text zur Verfügung gestellt. Die Kollaboration ist ein Prozess, in welchem die Beteiligten gemeinsam erforschen, welche Texte in ihrer gemeinsamen Praxis für alle Beteiligten viabel sind. Zwar ist unerheblich, was bestimmte Texte für andere bedeuten, erheblich ist aber natürlich für jeden der Beteiligten, welche seiner Formulierungen auf Zustimmung stossen und welche nicht.

Hyperkommunikation ist ein evolutionärer Prozess, der sich in der Entwicklung des Hypertextes niederschlägt. Wie im neuronalen Netz verstärken sich die Verbindungen, die sich bewähren, während die andern zunehmend an Gewicht verlieren. Lokale Korrekturen können sich evolutionär durchsetzen, indem sie oft und mit oft verlinkten Textelementen verlinkt werden, während andere mit der Zeit im Nichtgelesenen untergehen. Die strukturelle Koppelung zwischen den Hyperkommunizierenden lässt sich als Co-Evolution im gemeinsamen Milieu des Hypertextessehen.

Fortsetzung folgt