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Der Argument Verlag GmbH, traditionell Haus linker Wissenschaft und Wissenschaftskritik, wurde im Winter 1959 von dem Philosophen Wolfgang Fritz Haug und der Soziologin Frigga Haug zunächst mit der Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften Das Argument gegründet. Aus der Anti-Atombewegung hervorgegangen, stiegen während der Studentenbewegung Ansehen und Auflage sprunghaft an. Man begann mit der Herausgabe von Büchern. Den Schwerpunkt der eingeführten wissenschaftlichen Reihen "Argument Sonderbände" (AS) und "Argument Classics" (AC) bildet bis heute die Diskussion linker Theorie mit Publikationen zu (Argument im Netz).

Anmerkungen zu einzelnen Beiträgen


Argument 236 ( (387f, 2000): Wolf F. Haug: Materialismus

W. Haug bezeichnet den Historischen Materialismus als Philosophie der Praxis und unterscheidet einen "anschaulichen Materialismus" von einem Materialsimus wie ihn Marx in den Feuerbach-Thesen vorgeschlagen hat (den Haug bei Gramsci (und bei Brecht) wiederfindet). Bezüglich der traditionellen Unterscheidung schreibt Haug: "Er (Gramsci) hat wohl gespürt, dass die materialistische Entscheidung der Grundfrage der Philosophie eben eine Entscheidung ist, also eo ipso ein Bewusstsein oder Subjekt in eine im Doppelsinn entscheidende Position rückt. Sèves 'ferme affirmation' des Primatesder Materie ist in der Tat bei aller Entschlossenheit und Festigkeit ein subjektiver Akt. Das nichtprimäre anerkennt den Primat; der Primat dieses Akts liegt bei der Instanz, die ihn sich abspricht. Sie tut es, aber sie weiss es nicht. Dies ist der Dezionismus der ontologischen Widerspiegelungstheorie. Ihr Bekenntnis zum philosophischen Materialismus ist also von der ironischen Dialektik heimgesucht, unwillentlich eine subjektivistische und idealistische Note zu tragen. .... Marx, der in der ersten Feurbachthese das Innenwelt-Aussenwelt-Schema des anschaulichen Materialismus verwirft und verläst und sogar den Idealismus bei aller Kritik bevorzugt, weil dieser das Subjekt wenigsten tätig denkt, wenn auch nur mental und nicht materiell. ... Brecht: wir können letztlich nur erkennen, was wir verändern können.

Rezension

R. Todesco:
Materialismus

Die Unterscheidung Materialismus/Idealismus (Subjekt) führt in eine seltsame Diskussion, wenn sie als grundsätzlich angesetzt wird. K. Marx hat in den Feuerbachthesen, dem Materiaismus deshalb nicht auf die Wirklichkeit, sondern auf die Tätigkeit bezogen:

Der Hauptmangel alles bisherigen Materialismus - den Feuerbachschen mit eingerechnet - ist, daß der Gegenstand, die Wirklichkeit, Sinnlichkeit, nur unter der Form des Objekts oder der Anschauung gefaßt wird; nicht aber als menschliche sinnliche Tätigkeit, Praxis, nicht subjektiv. Daher geschah es, daß die tätige Seite, im Gegensatz zum Materialismus, vom Idealismus entwickelt wurde - aber nur abstrakt, da der Idealismus natürlich die wirkliche, sinnliche Tätigkeit als solche nicht kennt. Feuerbach will sinnliche, von den Gedankenobjekten wirklich unterschiedene Objekte; aber er faßt die menschliche Tätigkeit selbst nicht als gegenständliche Tätigkeit. Er betrachtet daher im "Wesen des Christenthums" nur das theoretische Verhalten als das echt menschliche, während die Praxis nur in ihrer schmutzig-jüdischen Erscheinungsform gefaßt und fixiert wird. Er begreift daher nicht die Bedeutung der "revolutionären", der praktisch-kritischen Tätigkeit.

Allerdings lässt K. Marx in den Feuerbachthesen noch offen, wie dieser Materialismus zu denken wäre, und die später Philosophie fällt angesichts dieser Problematik immer wieder auf Wirklichkeitsfragen zurück. K. Marx hat mit seinen Kapital Stellung bezogen, aber wohl nicht explizit genug, so dass W. Haug gegen die klassischen Materialismusauffassung eine ebenfalls klassische Interpretation leistet, in welcher gerade nicht gesagt wird, wie Matereialismus zu denken wäre.

Als "Materialismus" bezeichne ich eine Auffassung, nach welcher die konstruktive Tätigkeit (die im Konstruktivismus gemeint ist), zwei Unterscheidungen verwendet: Form ud Material. Wenn ich ein Artefakt herstelle, muss ich Material formen. Material ist in diesem Sinne aber nicht physikalisch gedachte Materie, die vorhanden ist, sondern etwas, was sich durch die herstellende Formgebung konstituiert. Wenn ich ein Schwert oder eine Sichel schmiede, forme ich etwas, was ich als Materiel bezeichne. Material in diesem Sinn kommt wie Form ausschliesslich in der herstellenden Tätigkeit, also in der Konstruktion vor.

Die im "Materialismus" gemeinte Bestimmung des Bewusstseins bezieht sich auf die konstruktivistische Erklärung. Jede Erklärung beschreibt eine Konstruktion, die ich als System bezeichne, und jede Konstruktion ist materiell. Als Kognition bezeichne ich den Träger der formalen Abstraktion, die sich als Logik zeigt. In dieser Abstraktion, die Wissenschaft begründet, wird die Form verselbständigt oder idealisiert. Als sogenannte Schaltalgebra wird die Logik wieder auf Artefakte projiziert.

Im primitiven Materialimus wird Material als Materie hypostasiert, also als Form der sinnlichen Anschauung aufgefasst, die K. Marx in der Feuerbachthese kritisiert. W. Haug schliesst an diese primitive Form des Materialismus an, indem er mit Verweise auf die Feuerbachthese genau diese verwirft. Der Konstruktivismus bietet eine konstruktive Deutung von Materialismus. Allerdingswar und ist das den Erfindern des Konstruktivismus nicht bewusst. E. von Glasersfeld etwa beklagt, dass K. Marx ein Materialist gewesen sei. Ich beklage, dass er K. Marx nicht vialbel gelesen hat.


 
Argument 249 (2003): Wolf F. Haug: Herrschaft ohne Hegemonie

Anlass des Aufsatzes ist der Angriff der US-Armee auf den Irak. W. Haug argumentiert anhand seines Hegemonie-Konzepts und der Kurzformel: Die USA ist der Aufgabe, die Welt zu führen, überdrüssig geworden, jetzt wollen sie die Welt regieren (14). Die Unterscheidung zwischen führen und regieren hat er von Gramsci. Führen versteht er als hegemoniales Konzept, Regieren als Hegemonialismus. Führen wird in dieser Gegenüberstellung als praktischeres Verhalten postuliert als Regieren.


 
Argument 272 (2007): Georg Quaas: Für ein kohärentes Kapital-Verständnis. Ein Kommentar zu Haugs Einführung ins "Kapital"

G. Quaas rezensiert das Buch Neue Vorlesungen zur Einführung ins ' Kapital' von W. Haug in einer mathmatischen Perspektive. Er konstatiert, dass W. Haug davon ausgeht, dass dialektische Widersprüche widerspruchsfrei darstellbar sein müssen, was er als Formalisierbarkeit interpretiert und erläutert.

Rezension der Rezension
Eine Rezension (von lateinisch recensio: Musterung) oder auch Besprechung ist die schriftlich niedergelegte Form eines Diskussionsbeitrages über einen bestimmten Gegenstand eines abgegrenzten Themenfeldes. Ein solcher Gegenstand der Betrachtung wird in der Regel stets von mehreren Rezensionen bedacht, die nicht selten einander widersprechende oder sogar völlig gegensätzliche Auffassungen vertreten können.

R. Todesco:
Sollte man das Kapital von K. Marx als logische Wissenschaft begreifen?

Wolf F. Haug hat 1974 eine Einführung ins "Kapital" geschrieben und 2006 eine Fortsetzung, die G. Quaas als Anlass nimmt, sich mit der Theorieauffassung von W. Haug zu beschäftigen. G. Quass macht das von einem mathematischen Standpunkt aus. Er schreibt eine substantiell zustimmende Rezension zu Haug's Kapitalverständnis und begründet seine Zustimmung mit einer immerhin relativen Mathematisierbarkeit der Haugschen Auffassung der Werttheorie von Marx. G. Quaas liest W. Haugs Marx-Interpretation so, dass es für ihn oft keine Rolle spielt, ob er auf W. Haug oder auf K. Marx verweist. Er formalisiert den Tauschwert in gemeinter Uebereinstimmung mit Haug und Marx und ist dann - statisch denkend - genötigt, den Preis vom Wert zu entkoppeln, resp. für den Preis ein Marktverhältnis mit Angebot und Nachfrage zu unterstellen, so dass der formal korrekt berechnete Tauschwert als okultes Wesen erscheint, das ewig hinter dem Preis lauert, aber nie zu Tage tritt. Diese Problematik macht ihn nicht stutzig, weil er bei K. Marx und W. Haug auch keine bessere Sicht dazu finden kann. Er frägt gaz unbeschwert, wie man denn den Markt je ersetzen könnte und weiss schon, dass die sozialistische Planwirtschaft keine Antwort ist. Würde es um eine Formalisierung gehen, könnte man ja wenigstens meinen, dass der Preis dafür sorgt, dass Angebot und Nachfrage dort einpendeln, wo der Wert der Ware dem Preis entspricht, aber G. Quaas schöpft die formalen Möglichkeiten nicht aus, er verzichtet auf die in der Kybernetik gebotene Möglichkeit der dynamische Oszilation zwischen Wert und Preis in der Zeit. Ihm ist nur wichtig, dass er den Tauschwert als Durchschnittsgrösse der verausgabten Arbeitszeit objektiv beschreiben kann und dass es sich für Arbeiter nicht lohnen kann, wenn sie faul sind, als ob die Faulheit der Arbeiter ein Problem überhaupt und nicht ein Kapitalistenproblem wäre. G. Quaas denkt quasi ökonomisch, behandelt aber gerade nicht den Preis, sondern nur den Wert, für welchen sich nicht einmal die von ihm nebenbei kritisierten monetaristischen Marxisten sonderlich interessieren, geschweige denn die eigentlichen Oekonomen, die Verwaltungsratvergütungen beziehen.

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Die gut gemeinte Rezension von G. Quaas macht ein generelles Problem der Haugschen Kapitalinterpretation deutlich. G. Quaas liest darin einen werttheoretischen Ansatz, der den Tausch als Ausgangspunkt nimmt. Er konstatiert, dass W. Haug davon ausgeht, dass dialektische Widersprüche widerspruchsfrei darstellbar sein müssen, was er als Formalisierbarkeit interpretiert. Widerspruchsfreiheit und Formalisierung sind zwei grundlegende Aspekte der Wissenschaft. Und W. Haug, der anders als K. Marx Professor ist, liest das Kapital im Selbstverständnis selbstverständlich als Wissenschaft. Nun ist auch in der Wissenschaft nicht ganz klar, was Wissenschaft ist, aber logische Wissenschaften sind wenigstens diesseits der beweistheoretischen Unvollvollständigkeit und jenseits der quantenmechanischen Komplemetarität widerspruchsfrei. Und die gemeinte Widerspruchsfreiheit bezieht sich zuerst darauf, dass Wissenschaft objektiv und beobachterunabhängige Wahrheit schafft, der alle Folge leisten müssen. Letzter Vertreter dieser Auffassung war G. Hegel

Man kann K. Marx - gerade mit den Vorlesungen von W. Haug - auch ganz anders lesen. Nämlich so, dass keine Formalisierungen und ökonomische Berechnungen angezeigt sind. K. Marx kritisiert in einer solchen Leseweise gerade das ökonomsche Denken, das er mit seiner Wert-Preis-Differenz darstellt. In dieser Leseweise geht es gerade nicht darum, dass gleiche Werte getauscht werden und auch nicht darum, dass im Preis nicht der Wert zum Ausdruck kommt. Es geht vielmehr darum, dass solch ökonomistische Vorstellungen von Wert und Preis in der von K. Marx aufgezeigten Perspektive als kapitalistische Ideologie erscheinen, die eine unsichtbare Hand unterstellen, die Preis und Wert irgendwie vermittel soll. K. Marx dekonstruiert die Wertkategorie, indem er sie auf die Ware anwendet, die das Kapital konstituiert, also auf die Arbeitskraft. Es geht im Kapitalprozess nicht darum, das Gold und Seide in Geld ausgedrückt und zu Durchschnittspreisen getauscht wird. Tauschen und Geld interessiert die Kapitalisten nicht mehr als jeden Marktfahrer. Die apitalisten interssieren sich für Mehrwert. Mehrwert ist aber , wo sie die Ware Arbeitskraft konstruiert, und nach eben diesen Wertvorstellungen behandelt. Unter dieser Wertvorstellung erscheint die Ware Arbeitskraft als Ware, die nach Gestehungswert - also gerecht wie etwa F. Lasalle mit dem gerechten Lohn argumentierte - getauscht werden kann. Ja, die Kapitalisten können das, aber jenseits derer Perspektiven geht das eben gerade nicht. K. Marx zeigt, wie Mehrwert als paradoxe Lösung eingesetzt werden muss: Man kann ökonomistisch rechnen, indem man den kapitalistischen Trick "Mehrwert" in die Formel einsetzt. Der Tausch ist dann Wert gegen äquivalenten Wert, wobei eine der Werte halt Mehrwert abwirft, so wie gewöhnliches Geld Zinsen abwirft, wenn ich es auf dem Sparbuch anlege. Diese Oekonomie kann in der Tat formal korrekt und widerspruchsfrei durchrechnen. Aber aus unserer marxistischen Sicht gibt es kein auch nur im entferntesten plausibles Tauschverhältnis, das als Arbeitskraft bezeichnet werden könnte. Mit Arbeitskraft rechnen Kapitalisten. Kapitalisten sind die, die Arbeitskraft kaufen oder nach G. Quaas eintauschen. Die Expliation der vermeintlichen Ware Arbeitskraft zeigt gerade eine Formalisierung, die wir formal richtig finden, aber der wir widersprechen, weil es sich um einen kapitalistischen Formalismus handelt.

G. Quaas argumentiert als Wissenschafter. Und er versteht auch W. Haug und K. Marx als Wissenschafter. Natürlich kann man die Kritik der politischen Oekomonie als ökonomie-interner Streit begreifen. Man könnte aber auch sehen, dass K. Marx die Wissenschaft Oekonomie verworfen hat.

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G. Ouaas deckt in seiner Reszension der Kapitalvorlesungen von W. Haug eine Untentschiedenheit auf, die das Verhältnis von Wissenschaft und Dialektik in diesen Vorlesungen betrifft. Während G. Hegel die Dialektik als Logik schlechthin begriff, kann man K. Marx sozusagen auf die Füsse gestellt begreifen, so dass er von einer Logik der Dialektik spricht. In der Marxschen Dialektik geht es in diesem Sinne darum, dass sich Vertreter verschiedener Klassen widersprechen. Während G. Hegel eine logische Wissenschaft meint, meint K. Marx selbstreferentiell eine Praxis, was er mit seinen Feuerbachthesen programmatisch festgehalten hat: Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern. Es geht also nicht um eine logisch widerspruchsfreie Darstellung, sondern um materielle Interessen. Wenn man K. Marx aber wissenschaftsgläubig liest, muss man wohl ein etwas praktisches Wissenschaftsverständnis entwickeln, was ja K. Popper mehr als hinrichend monierte. Man kann - und G. Quaas liest W. Haug und K. Marx so - die Werttheorie als eine wissenschaftliche Behandlung sozialer Verhältnisse interpretieren. Man kann aber auch - so lese ich durch W. Haugs Einführung das Kapital - die Werttheorie als analytischen Klassenstandpunkt begreifen, der keiner Wissenschaft irgendwas schuldet. Die Logik der Dialektik besteht dann darin, dass sich im Widerspruch verschiedene Interessen begegnen, die verschiedene Sachverhalte beobachten. Die Logik und die Wissenschaft sind so konstruiert, dass sie keine Standpunkte zulassen. Ich werde das anhand der Quaasschen Wertetausch auffassung dskutieren. Die marxsche Dialektik dagegen repräsentiert den Widerspruch von Klassen, der im Lohnverhältnis aufgehoben ist und dort neu problematisiert werden muss.

Um etwas vorzugreifen: G. Quaas entblösst sich mit der Frage, wie denn die planmässige Gestaltung der gesellschaftlichen Produktion aussehen könnte. Er negiert die Antwort, die W. Haug vorgeschlagen hat: "das Bewusstgemachte soll bewusst gemacht werden", indem er fragt: "Und wie, bitte sehr? Wer oder was übernimmt die Funktion des Wertgesetzes, die Produktivkräfte den gesellschaftlichen Bedürfnissen zu assimilieren? Der Staat? Die Gesellschaft, von der Marx in den Grundrisssen sagt, sie sei eine spekulative Konstruktion?