Rolf Todesco

Fragmente eines Vortrag über S. Ceccato

Gast-Vortrag im Studiengang "Neue Lernkultur" der Fachstelle für Weiterbildung der Universität Zürich, 14.3.1997

Silvio Ceccato

E. von Glasersfeld war Mitarbeiter von S. Ceccato und hat in dieser Zeit den Radikalen Konstruktivsmus erfunden.

Wie Ihr von E. von Glasersfeld selbst gehört habt, stammt von ihm nicht die Erfindung, sondern nur die Ausarbeitung seiner Konzeption unter dem Namen "Radikaler Konstruktivismus"

Ich versuche einige Dinge über S. Ceccato zu erzählen, weil E. von Glasersfeld eben auch von ihm viel übernommen hat.

QUELLEN

E. von Glasersfeld gibt verschiedene Ursprungsorte an, einige aus der Philosophiegeschichte:
- die skeptischen Vorsorkatiker
- die byzantinischen Gottes-Nachweise
- die Empiristen
- Kant

In der Philosophie kann man zusammenlesen, was man will. Wenn nämlich ich in diesen alten Büchern lese, finde ich rein gar nichts von dem, was mir am Konstruktivismus wichtig ist. Darüber, dass ohnehin der Leser der Autor ist, habe ich letztes Mal gesprochen.

E. von Glasersfeld gibt eine weitere Quelle an: das ist die Epistemologie von Piaget. Auch bei Piaget muss man aber ziemlich schräg lesen, damit man dort Konstruktivismus findet. Die an unseren Hochschulen verbreiteten Leseweisen von J. Piaget finden nach wie vor alle das Gegenteil.

Aber immerhin lässt sich Piaget durch kybernetisches Denken halbwegs konsistent interpretieren, so dass man untestellen kann, Piaget habe mehr oder weniger bewusst systemtheoretisch gedacht.

Damit sind wir bei einer weiteren Quelle, des RK, bei der Systemtheorie. In meinen Augen ist das die relevante Quelle, weil mein Verständnis des Konstruktivismus eben ein kybernetisches Verständnis ist.

KYBERNETIK

Die Wörter "Systemtheorie" und "Kybernetik" werden synonym verwendet, d.h. es gibt ganz viele Abgrenzungsversuche, die sich gegenseitig aufheben. Ein wichtiger Unterschied war am Anfang zwischen der Systemlehre von Bertalanffy und der Kybernetik von Wiener. Betalanffy vertrat die Idee, dass das Systemische etwas mit dem Leben zu tun habe, während der Ingenieur Wiener zuerst Maschinen, vorab Kanonen unter systemischen Gesichtspunkten beschrieb. Das Gemeinsame war damals das Konzept des Feedbacks, das als Kriterium für Systeme galt.

Wie wir wissen, wird heute der Ausdruck "System" synonym zu "Ding" verwendet, also kriterienlos, für alles, wovon Menschen (ge)wichtig schwatzen wollen.

Ich verwende das Wort "System" nur altmodisch für Blackboxes, deren Verhalten ich mit Feedback erkläre.

SCUOLA OPERATIVA

S. Ceccato war Gründer eines Instituts für Kybernetik in Italien. Finanziert wurde er von der US-Besetzungsmacht, weil er glaubhaft machen konnte, dass mittels Kybernetik Uebersetzungs-Maschinen gebaut werden können.

Die imperialistischen US-Strategen, die die ganze Welt amerikanisiern wollten, konnten sich damals einfach noch nicht vorstellen, dass die Menschen weltweit gefügig würden, die US-Sprache zu lernen. Ohnehin wollten die Besetzer der Welt auch auf das Wissen der verschieden sprachigen Untertanen zugreifen können.

S. Ceccato selbst glaubte auch, dass maschinelle Uebersetzung machbar sei und zwar in der damals verbreiteten euphorischen Weise der KI-Forschung, die mittlerweile arg gelitten hat, während die mechanische Sprachübersetzung kontinuierlich Fortschritte macht.

Exlizites Forschungsprogramm von S. Ceccato war: Herauszufinden, wie Sprache funktioniert, und dann eine entsprechende Maschine zu bauen. Wir kennen verschiedene solche Ansätze, ein wichtiger war Chomskys generative Grammatik. Chomsky's Modell ist relativ erfolgreich in der Informatik, also bei den Programmiersprachen, während es in den Sprachwissenschaften kaum mehr zitiert wird.

Der Ansatz von S. Ceccato ist ein operationeller, sein Konzept heisst "mentale Operationen"

In der Sprachtheorie wird "operationell" in Bezug auf Semantiken verwendet. Die operationelle Semantik - etwa Witgenstein - sagt, dass die Bedeutung der Wörter in deren Gebrauch liegt.

Man muss demnach den "Gebrauch" untersuchen, wenn man die Wörter verstehen will. Dieser Ansatz ist in den Sprachwissenschaften auch nicht sehr erfolgreich geworden, weil er die Lexikographie, die Grundlage jeder Grammatik ist, unterläuft. Wenn die Bedeutung der Wörter erst im Gebrauch bestimmt wird, kann man die Bedeutung eben nicht in einem Buch festschreiben, so wie das unsere Schulmeister in Kollaboration mit Duden gerne hätten.

MENTALE OPERATIONEN

Was heisst "Gebrauch" von Wörtern? Wie benutzen wir Wörter? Was machen wir, wenn wir sprechen?

Die grundlegende konstruktivistische Idee ist, dass wir aktiv sind, also nicht re-aktiv auf eine vorgefertigte Welt reagieren (12). Diese unsere Aktivität benötigt drei Mechanismen:

Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Denken

DARSTELLUNGS-ZUSAMMENHANG: DIDAKTIK

Ich beziehe mich auf das Buch "Il Punto", in welchem die Mechanismen unter didaktischem Gesichtspunkt erläutert werden. Das Buch ist eine Art Protokoll von Schulstunden mit 10-jährigen Kindern, die in die neue Denkweise eingeführt werden.

Im Untertitel "Der unwahrscheinliche Lehrer" steckt eine Anlehnung an den "unwahrscheinlichen Doktor" von Serna, der nur in den schlimmsten Fällen zur Behandlung schreitet. Soviel zur Didaktik.

Dann nochmals zur Sprachwissenschaft: operationelle versus definitorische

Die definitorische Ansätze habe zwangsläufige Probleme:
1) Die Beschreibungen passen nicht zu den Beispielen Satzsubjekt (Wer tut was?) ist oft nicht tätig


2) Metaphern, negative Bestimmungen und Aufzählungen (etwa der Präpositionen)

Dazu ein (von mir übersetztes und verkürztes) Zitat (14):

"Ich konnte feststellen, welch grosse Freude das Zurücklegen des Weges bereitet, der von einem Wort zu den mentalen Operationen führt, die die Bedeutung des Wortes ausmachen. Die Freude, die wir haben, wenn wir merken, was wir ausführen, wenn wir ein Wort aussprechen oder verstehen. "Du hast immer wieder ein 'und' ausgesprochen und hast dies jeweils sehr gut getan. Aber was tat Dein Kopf dabei? Und was für Konsequenzen wird es haben, wenn - wie etwa im Chinesischen - unsere Konjunktion 'und' fehlt?

>> hier kommt eine wichtige Anmerkung zum "Punto" <<

KONSTRUKTIVISTISCHES GRUNDANLIEGEN

Es geht um das Bewusstmachen des eigenen Operierens als aktives Verhalten gegenüber der Passivität, die ein Verhalten haben muss, wenn es nur auf eine festgegebene Wirklichkeit reagiert.

Ich gebe Beispiele zur Verdeutlichung des operativen Denkens. Man habe - woher auch immer - die Vorstellungen (Unterscheidungen) "Sonne", "Erde" "erwärmen" und "abkühlen". Ausserdem habe man einige Korrelationen wie "und".

Man kann dann Sätze bilden wie:
Die Sonne erwärmt die Erde
Die Sonne kühlt die Erde ab
Die Erde kühlt die Sonne ab
usw.

Wer - konstruierend, konstituierend - denkt, hat jede Freiheit.

Danach kann man sich fragen, ob ...
... die Referenten der Sätze sich tatsächlich so verhalten: dann treibt man Physik.
... ob es schöne Sätze sind: Aesthetik
... ob es korrekte Sätze sind: Syntax
usw.

Die Dinge kann man aber alle erst fragen, nachdem man die Sätze, resp. die Konstruktionen bereits geleistet hat. Alle Wissenschaften sind in diesem Sinne sekundäre Beschäftigungen mit etwas, was man zuvor konstruiert hat.

Man kann nicht fragen, was die Funktion oder Funktionsweise eines Organs, etwa der Lunge ist, wenn man nicht zuvor die Lunge erfunden hat.

DIE WENDE

besteht darin anstatt zu sagen: "Dies IST das" oder zu fragen: "Was IST das?" zu fragen: "Was machst Du, damit Du dazu kommst es so zu sehen, so zu sagen, so zu verstehen ?

S. Ceccato fragt: Was machst Du mit oder in Deinem Kopf? weil er Denken, Aufmerksamkeit und Gedächtnis im Gerät "Kopf" ansiedelt. Die Frage "Was machst Du?" zielt aber generell auf OPERATIONEN.

OPERATIONEN

Operationen sind algorithmisch beschreibbare Prozesse, also Funktionsweisen von Maschinen.

Was tut man, wenn man denkt? Die Kinder: weil man ein Gehirn hat, weil man etwas will, weil man eine Idee hat

Davor: Was tut man, wenn man geht?

Die Kinder: weil man Beine hat.

Man muss den Beinen sagen, was sie tun sollen. Was tun die Beine? Eines stellt sich vor das andere...

Was tut man, wenn man sieht?

Beispiel: Was sehen wir? Ein Quadrat = Rhombus = Parallelogramm

Was muss man tun um die verschiedenen Sachen zu sehen? Man muss verschiedene Teile der Figur in Relationen setzen.

Dazu braucht man ein Organ (Mechanismus, den wir bauen wollen). Die Kamera, die diese Figur aufnimmt, macht keine Unterschiede zwischen Quadrat und Parallelogramm. Sie hat kein solches Organ

Die Kamera sieht nicht. Und der Spiegel auch nicht. In beiden Fällen müssen wir die Operationen machen, die zu "Quadrat" führen.

Und ein Text wird weder von der Kamera noch vom Spiegel gelesen.

Noch eine Beispiel: Halbkreis

Wie wird er gesehen, als Henkel, Schaufel oder Gabel? Welche Augenbewegungen machen wir? Wie würden wir tasten?

Wichtig ist für S. Ceccato dabei die Analyse des Tuns, deshalb beginnt er mit alltäglich-physchischen Gegenständen.

Das Instrument, womit diese Operationen gemacht werden, und der Grund, weshalb sie gemacht werden, interessiert S. Ceccato nicht.

In der Manier der formalen Beschreibung (Mathematik) ist nämlich klar, dass wenn man eine Operation identifiziert hat, die entsprechende Maschine gebaut werden kann (weil Operation eben genau Maschinenfunktion heisst)

Deshalb wird der Mechanismus einfach benannt: AUFMERKSAMKEIT

Wenn ich nun davon spreche, dass Eure Füsse auf den Boden und der Boden auf Eure Füsse rücken, dann auf-merkt Ihr etwas, was vorher nich gemerkt wurde. Es genügt offenbar nicht, wahrnehmungsfähige Organe zu haben, man braucht eine Aufmerksamkeit.

Ein weiteres Beispiel: Oval als Kettenglied oder als Fenster: Wir sehen die Umgebung verschieden, wir machen verschiedene Operationen.
>>Hier führen wir die Kategorien: Vordegrund/Hintergrund ein.
>>Kategorie bezeichnet die Entscheidung für eine von den möglichen Operationen.

Was machen wir verschieden?

Einmal behalten wir die Umgebung, zB als Mauer um das Fenster, das andere Mal lassen wir sie weg, zB. wenn wir nur das Kettenglied sehen.

MENTAL

Einen Anschluss an meinen letzten Vortrag:

Wenn wir sagen, wir "halten" und "lassen" etwas, dann ist das zunächst physisch nachvollziehbar. Ich kann die Kreide halten oder fallenlassen. Dabei mache ich etwas körperliches.

Wenn ich die Kreide an der Wandtafel anschaue, mache ich offenbar etwas anderes. Ich mache etwas in oder mit meinem Kopf/Hirn.

Da aber nicht das Hirn als Organ gemeint ist, das ja körperlich physisch ist, sagen wir "mental".

In einem Fall - beim physischen Tun - verändern wir etwas, im andern - beim mentalen Tun - verändern wir nichts.

Wenn wir also mit den Händen etwas abtasten oder erforschen, führen wir mentale Tätigkeiten aus, weil wir dann die Hände wie unser Hirn/Kopf verwenden.

Wenn wir Text produzieren, verhalten wir uns physisch, weil wir Materie verändern, wenn wir Text lesen verhalten wir uns mental, weil wir forschen.

Das Beobachten ist hier also etwas völlig anderes als das, was in der Naturwissenschaft beschrieben wird, wo Beobachten immer auch Verändern bedeuten soll (Heisenberg u.a.)

Die Naturwissenschafter verwechseln das mentale Beobachten mit den physischen Bedingungen, unter welchen sie Beobachten. Das hat schon Goethe eindrücklich kritisiert, als er sagt, man könne mit keine Instrument mehr sehen, als man mit den Augen sehen könne.


Literatur

Ich nenne hier einige Texte, in welchen Sie etwas mehr über die Grundlagen meiner Vorstellungen nachlesen können.