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Wiederpräsentation ist eine spezifische Deutung der Repräsentation. Ich verwende diese Schreibweise um Missverständnisse zu vermeiden.
E. von Glasersfeld verwendet die Bindestrich-Schreibweise Re-Präsentation. Er verwendet aber auch den Begriff anders als ich.
 

Als Wiederpräsentation bezeichne ich ...


 

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Wiederpräsentation
  erleben
  Erfahrung  
  Erinnerung  
  Gedächtnis  
 

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Repräsentation und Gedächtnis

In "The Bringing forth of Pathology", einem Artikel, den Maturana kürzlich zusammen mit Carmen Luz Mendez und Fernando Coddou verfasst hat, gibt es einen Abschnitt über Sprache und die verschiedenen Formen der Konversation. Zwei dieser Formen werden ausführlich beschrieben:

Die erste bezeichnen wir als Charakterisierungsgespräche, wenn sie nicht vereinbarte Erwartungen über die Eigenschaften der Teilnehmer mit sich bringen. Die zweite Form nennen wir Gespräche mit ungerechtfertigten Vorwürfen und Beschuldigungen, wenn sie Beschwerden über unerfüllte Erwartungen an das Verhalten der Teilnehmer beinhalten, die vorher nicht vereinbart wurden.7 (S.155)

Da Maturana an verschiedenen Stellen seiner Schriften sehr deutlich macht, dass er das Konzept, das üblicherweise mit dem Wort "Repräsentation" verbunden wird, für inakzeptabel hält, mag es zunächst überraschen, dass er in der hier zitierten Passage eine Diskriminierung von Gesprächen mit "Erwartungen" begründet. Nach meiner Analyse bedeutet eine Erwartung zu haben, sich etwas vorzustellen, das man noch nicht durch Unterscheidungen im gegenwärtigen Fluss der tatsächlichen Erfahrung isoliert hat. Der scheinbare Widerspruch löst sich jedoch auf, wenn man bedenkt, dass das englische Wort "representation" zur Bezeichnung mehrerer verschiedener Konzepte verwendet wird, von denen zwei im Deutschen mit den beiden Wörtern Darstellung und Vorstellung bezeichnet werden.8 Das erste kommt Englischsprechern immer dann in den Sinn, wenn es keinen ausdrücklichen Hinweis darauf gibt, dass ein anderes gemeint ist. Dieses Konzept steht dem Begriff "Bild" nahe und beinhaltet als solches die physische oder formale Nachbildung von etwas anderem, das als "Original" eingestuft wird. Das zweite Konzept steht dem Begriff "begriffliches Konstrukt" nahe, und das deutsche Wort dafür, Vorstellung, ist in den Philosophien von Kant und Schopenhauer von zentraler Bedeutung.

Maturanas Abneigung gegen das Wort "Repräsentation" rührt daher, dass er, wie Kant und Schopenhauer, begriffliche Bilder oder Replikationen einer objektiven, ontischen Realität im kognitiven Bereich der Organismen ausschließt. Im Gegensatz dazu sind Repräsentationen im Sinne Piagets Wiederholungen oder Rekonstruktionen von Elementen, die in früheren Erfahrungen unterschieden wurden. Wie Maturana im Rahmen der Diskussionen auf der ASC-Konferenz im Oktober 1988 erklärte, sind solche Repräsentationen auch im autopoietischen Modell möglich. Maturana sprach dort vom Wiedererleben einer Erfahrung, und das deckt sich aus meiner Sicht mit dem Konzept der Repräsentation als Vorstellung, ohne die es keine Reflexion geben kann. Aus diesem Blickwinkel wird also deutlich, dass auch im autopoietischen Organismus "Erwartungen" nichts anderes sind als Re-Präsentationen von Erfahrungen, die nun in Richtung des noch nicht Erlebten projiziert werden.

Diese Überlegung führt zu einer anderen Frage, die im Zusammenhang mit Maturanas Theorie oft unbeantwortet bleibt: die Frage nach dem Gedächtnis und dem Mechanismus, der es ermöglicht, sich zu erinnern. Wie Maturana wiederholt, liegt auch in diesem Zusammenhang alles, was man sagen kann, auf der Ebene der Beschreibungen, einer Ebene, die dadurch bestimmt ist, dass man bestimmte Unterscheidungen trifft und andere nicht. Maturana verwirft - wie auch Heinz von Foerster - die Vorstellung eines "Speichers", in dem Eindrücke, Erfahrungen, Handlungen, Beziehungen usw. abgelegt und bewahrt werden könnten. Dem stimme ich voll und ganz zu. Aus meiner Sicht ist es jedoch klar, dass der Beobachter, der etwas als Wiedererleben bezeichnet, einen Hinweis darauf haben muss, dass die Erfahrung, auf die er sich bezieht, mindestens schon einmal gemacht wurde; und diese Erkenntnis der Wiederholung erfordert einen Mechanismus, der die Rolle dessen spielt, was man im gewöhnlichen Englisch "to remember" nennt.

In einem autopoietischen Organismus verändert jede Störung, jede Erfahrung, jedes innere Ereignis die Struktur des Netzwerks, das den Organismus ausmacht. Diese Veränderungen sind natürlich nicht alle von der gleichen Art. Einige könnten die Bildung neuer Verbindungen und damit neuer Wege im Netzwerk sein; andere könnten das sein, was man als "Schmieren" oder Erleichterung eines bereits bestehenden Weges bezeichnen könnte. Der Beobachter, der von Wiederbelebung spricht, muss in der Lage sein, einen Weg, der zum ersten Mal erzeugt wird, von einem Weg zu unterscheiden, der bei einer früheren Gelegenheit verbunden wurde. Dies scheint notwendig zu sein, unabhängig davon, ob die Beschreibung die Vorgänge eines anderen Organismus oder den Beobachter selbst betrifft. Die Wiederholung einer Erfahrung kann aber nur dann festgestellt werden, wenn der Beobachter in der Lage ist, zumindest zeitweise aus dem Strom der Erfahrung herauszutreten, um die Benutzung eines bereits beschrittenen Weges von der Eröffnung eines neuen Weges zu unterscheiden. In meiner Terminologie bedeutet das, dass der Beobachter zur Reflexion fähig sein muss.

Maturana macht deutlich, dass in seinem Modell alles Handeln und Verhalten eines Organismus vollständig durch dessen Struktur und Organisation bestimmt ist und daher keiner Reflexion bedarf. Auf der Ebene der Beschreibungen jedoch, wo das, was beschrieben werden kann, durch nichts anderes als durch die Unterscheidungsoperationen des Beobachters hervorgebracht wird, kann man, soweit ich sehe, nicht ohne Reflexion auskommen. Meines Wissens sagt Maturana nichts zu diesem Punkt. Ich gehe aber davon aus, dass der Beobachter seine eigene Reflexionsfähigkeit einfach dadurch erzeugt, dass er sich als handelndes, beobachtendes und schließlich reflektierendes Subjekt in dem jeweiligen Erfahrungsbereich unterscheidet.


 

 
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