Hyper-Kommunikation:

Text jenseits von Mitteilungen

Hyper-Kommunikation heisst die Kollaboration verschiedener Menschen an einem gemeinsamen Hypertext. In dieser Kollaboration nimmt jeder der Beteiligten am gemeinsamen Text die Veränderungen vor, die das Text-Artefakt für ihn selbst "stimmig" machen. Sie verfahren dabei so wie ein bildender Künstler, etwa ein Bildhauer, mit der Ent-Wicklung seines Gegenstandes verfährt. Die Arbeit am Text erscheint unter dieser Perspektive als Arbeit an einer "Graphit"-Struktur unter ästhetischen Gesichtspunkten. Jede Veränderung des Textes kann auf den Veränderer oder auf die andern an der Kollaboration Beteiligten zurückwirken. Mit ihren Veränderungen am gemeinsamen Text perturbieren (4) sich die Hyper-Kommunizierenden gegenseitig, solange bis ein relativer Gleichstand erreicht ist und die Kommunikation abstirbt - weil das Kunstwerk ent-(ausge)-wickelt ist. Ein Hypertext ist wie ein Bild oder eine Skulptur nie fertig, aber der Produzent des Werkes ist irgendwann nicht mehr motiviert, das Werk noch weiter zu treiben. Dieses Nicht-mehr-Motiviertsein ist manchmal von der Emotion begleitet, dass das Werk perfekt sei, manchmal von der Emotion, dass daraus nichts mehr werden könne.

Der Hypertext einer Hyperkommunikation ist das Produkt eines kollektiven Produzenten. In der Hyperkommunikation hat der Text keine Mitteilungs-Funktion, das heisst, die Kommunikation liegt in seiner kollaborativen Produktion, nicht in einer nachgelagerten Rezeption. Darauf werde ich später zurückkommen. Zunächst will ich etwas zur Kommunikation sagen.

Der Ausdruck "Kommunikation" hat umgangssprachlich zwei relativ unmittelbare Konnotationen: einerseits die Kommune, etwa in der Form der kommunistischen Gemeinschaft, und andrerseits den Prozess, in welchem Signale übertragen werden.

Die Kollaboration am Hypertext ist kommunikativ im Sinne von gemeinschaftlich, weil ein gemeinsames Produkt ohne Arbeitsteilung hergestellt wird: jeder tut alles und alle tun das gleiche, sie bearbeiten den gemeinsamen Text. Die Hyperkommunikation konstituiert einen kollektiven Autoren als emergentes Phänomen, der etwas anderes ist, als die Summe der Beteiligten.

Die Kollaboration am Hypertext ist kommunikativ im Sinne des Sich-Angleichens, wie dies kommunizierende Gefässe "tun". Der kollektive Autor verhält sich wie ein einschwingendes System, das auf Perturbationen reagiert, die es durch seine Kompensationen von vorangegangenen Perturbationen selbst erzeugt. Kommunikation zwischen Menschen findet solange statt, wie sie gegenseitig auf ihre kommunikativen Verhaltensweisen reagieren. Die (Hyper)Kommunikation bricht ab, wenn relativer Gleichstand erreicht ist, das heisst, wenn die Texte nichts mehr bewirken oder die Unterschiede der Konstruktionen keine Unterschiede mehr im Verhalten machen.

In der Hyperkommunikation muss der gemeinsame Text in meinen Augen stimmen, er muss nicht für andere richtig sein. Die Hyperkommunikation setzt deshalb auch keine gemeinsamen Sinnwelten voraus, die Vorstellung des sich gegenseitigen Verstehens ist in der Hyperkommunikation aufgehoben. Die Arbeit am gemeinsamen Hypertext erzeugt einen Handlungszusammenhang, in welchem die Beteiligten den ästhetischen Entwicklungsprozess der Textstruktur begreifen, in den sie selbst involviert sind, in welchem sie mithin etwas von sich selbst "verstehen". In diesem Sinne ist die Hyperkommunikation radikal konstruktivistische Praxis, in welcher man nicht wissen kann oder wissen muss, was andere wie wissen (5). Im Radikalen Konstruktivismus wird die Unmöglichkeit von Mitteilungen durch das Postulat der operationellen Geschlossenheit aller Systeme ausgedrückt. Systeme wissen in dieser Notation nichts über die äussere Realität, sie reagieren konstruktiv auf ihre eigenen (Umwelt)Zustände, nicht auf Instruktionen aus der Umwelt.

Die Kooperation am gemeinsamen Hypertext kann sehr verschieden hoch agregiert verstanden werden. Wenn ich, wie wir das in unseren Lernveranstaltungen an der Fachstelle für Weiterbildung der Universität Zürich (6) tun, mit einem begrenzten TeilnehmerInnenkreis einen Hypertext produziere, dann können in diesem begrenzten Sinne alle alle Texte manipulieren. Wenn ich eine Homepage mit zwei oder drei Links auf andere Seiten ins Internet stelle, dann bin ich in einem sehr begrenzten Sinne Teilnehmer an einer Hyperkommunikation. Ueber diesen nicht ganz kleinen quantitativen Unterschied wird gerne hinweggesehen, wenn das Internet als solches als Kommunikationsmedium angepriesen wird.

Hyperkommunikation ist keine Massenmedien-Veranstaltung. Da wird keine redaktionell autorisierte Offenbarung ausgestrahlt oder verschickt, sondern materieller Text zur Verfügung gestellt. Die Hyperkommunikation ist ein Prozess, in welchem die Beteiligten gemeinsam erforschen, welche Texte in ihrer gemeinsamen Praxis für die Beteiligten viabel sind. Zwar ist unerheblich, was bestimmte Texte für andere bedeuten, erheblich ist aber natürlich für jeden der Beteiligten, welche seiner Formulierungen auf Zustimmung stossen und welche nicht. "Zustimmung" ist dabei keine Frage der Rezeption(sforschung), Zustimmung bedeutet hier, dem Text die eigene Stimme zu geben. Der Text wird angeeignet, indem er von Schrift-Um-Stellern zum je eignen Text umgeschrieben wird.

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