zurück ]      [ Stichworte ]      [ Die Hyper-Bibliothek ]      [ Systemtheorie ]         [ Meine Bücher ]         [ Meine Blogs ]

Luhmann, Niklas (1992): Die Wirtschaft der Gesellschaft. ISBN: 3-518-28752-4 Reihe: suhrkamp taschenbücher wissenschaft 1152

Selbst-Kritik !!:
"Eine Direktive gewinnen wir, wenn wir uns daran erinnern, daß das Einführen einer Unterscheidung - und dies auf jedem Niveau des Theorieaufbaus - das Einführen und Auflösen einer Paradoxie bewirkt. Wo bleibt die Paradoxie, und wie kann man sie wiederentdecken? Einen Hinweis zu dieser Frage gibt der Begriff eines 're-entry' bei Spencer Brown: Eine Unterscheidung markiert einen Bereich und wird dann in das durch sie Unterschiedene wiedereingeführt....
Die Direktive kann nun formuliert werden, Sie lautet: bevorzuge wiedereintrittsfähige Unterscheidungen." (WdG 379f.)

"Direktiven für richtiges 'Machen' sind wohl Ideologien überlassen, die auf Grund bestimmter fundamentaler (also für sie unauflösbarer) Annahmen darüber befinden, wie die Welt zu sein hat." (Peter Fuchs, am 06.01.2009 in der Luhmann-Liste)


Textstellen

"Viele wichtige Seiten dieses informationsbezogenen Begriffs von Preis können hier nur kurz gestreift werden. Festzuhalten ist vor allem, daß ein preisorientiertes System fast ohne Gedächtnis operieren kann (und muß). Die notwendigen Informationen über Bedarf und Angebotsmöglichkeiten werden durch Preise und Zahlungen selbst erzeugt. Eine weitere Herkunftsforschung ist weder nötig noch sinnvoll. Wer nicht zahlen und was nicht bezahlt werden kann, wird vergessen. Die Komplexität, die das System erreichen kann, wird also nicht durch Anforderungen an Memorierleistungen eingeschränkt. Die aggregierende und generalisierende Funktion von Gedächtnis bleibt freilich relevant; sie muß anderweitig erfüllt werden, und dies geschieht durch Aggregation von Daten in einem betrieblichen bzw. überbetrieblichen Rechnungswesen. Auf dieser Grundlage kann man dann nur noch ohne Gedächtnis, also über Algorithmen entscheiden". (19)

"Die Selbstbeschreibungen des Wirtschaftssystems bauen auf Informationen über Preise auf." (S. 33.)

Begründet wird dies mit den (mir noch nich ganz verständlichen) Zusammenhängen zwischen Preisen und den basalen temporären Elementen der Zahlungen als auch mit den systemspezifischen Instabilitäten. Wichtig ist hier vor allem der Bezug zwischen der Selbstbeschreibung und den Preisen. "Sie [die Preise, Anm.] repräsentieren also ein System, das nicht aus Substanzen, sondern nur aus Ereignissen besteht; und sie repräsentieren die darauf bezogenen Erwartungsstrukturen, die zwar über das Einzelereignis hinausgreifen, aber ihrerseits instabil, nämlich änderbar installiert sind." (33.)

In ihrer zentralen Stellung ist die wirtschaftliche Selbstbeschreibung durch Preise von anderen möglichen (Selbst-?)Beschreibungen wie dem von ihnen genannten homo oeconomicus zu unterscheiden:

"Daß es auch andere, mehr literarische Möglichkeiten gibt, Systeme der Wirtschaft zu beschreiben, steht außer Frage. Man kann sie als kapitalistisch oder als sozialistisch bezeichnen, man kann auf Industrie abstellen, kann vom homo oeconomicus oder von Rollenmerkmalen wie Gewinnstreben oder ähnlichem ausgehen. Dies blieben jedoch Beschreibungen von außen, die für die Kommunikationssysteme kaum an Bedeutung gewinnen können." (S. 34)

Wie ich auch erst jetzt gerade deutlich sehe, handelt es sich bei diesen Beschreibungen "von außen" eigentlich nicht um SELBSTbeschreibungen des Systems. Damit haben sie recht, wenn diese Beschreibungen "nicht über Zahlungsfähigkeit/Zahlungsunfähigkeit" disponieren. Eine Antwort auf die Frage, "wie die einzelnen Operationen Zahlung/Nicht-Zahlung so etwas wie Aussagen über die Wirtschaft mittransportieren" besteht demnach in der Selbstbeschreibung durch Preise, die (wie sich denken lässt) sehr wohl Zahlungsfähigkeit/Zahlungsunfähigkeit disponieren.

"Derjenige, der die Zahlungen erhält, wird entsprechend zahlungsfähig. Derjenige, der die Zahlung leistet, wird entsprechend zahlungsunfähig. Das ist eine triviale Feststellung, also ein guter, weil sicherer Ausgangspunkt für Theoriebildung." (S. 134)

"Beide Bewegungen (hier: Zahlungsfähigkeit, Zahlungsunfähigkeit) können nur uno acto in Betrieb gesetzt werden. Man kann aber auch sagen, daß der äußere Ring den inneren enthält..." (137).

"Rentabilität bzw. Profitabilität wird [...] als derjenige Faktor ausgezeichnet, der ein Kalkül als wirtschaftlich markiert; und die Ausgabendispositionen des Staates und der Kommunen ebenso wie der Konsum in Privathaushalten wird als nicht wirtschaftlich motiviert angesehen. Sie kommen deshalb nur in der Form von Kosten wirtschaftlich in Betracht. [...] Dem offiziellen Kreislauf (sich reproduzierender Zahlungsfähigkeit) wird, in der Theorie der Wirtschaft [...], der Primat zugesprochen. Man blickt in die Richtung, in der [...] das Geld fliesst.." (142f)

"So gibt es anscheinend einen Zusammenhang zwischen den technisch hochwirksamen Zweitcodierungen eines Kommunikationsmediums und der Auslösung von Doppelkreisläufen, und man muß dann für jedes Funktionssystem, das in diese Richtung evoluiert, nachsehen, wie diese Kreisläufe ermöglicht und auseinandergehalten werden." (143)

»Die moderne Gesellschaft ist auf eine Differenzierung von Politik und Wirtschaft, von Macht und Geld angewiesen; sie kann wirtschaftliche Probleme nicht einfach durch Zuteilung von Macht zum Zugriff auf knappe Güter lösen, ganz unabhängig davon, wie zentral oder dezentral solche Machtquanten verfügbar gemacht werden. Deshalb empfiehlt es sich, auch die Reflexionstheprien dieser beiden Systeme explizit zu trennen und eine politische Reflexion nicht schon deshalb für wirtschaftlich adäquat zu halten, weil sie sich auf die Wirtschaft bezieht.« ( 150)

»Niemand wird bestreiten, daß es Kapital und Arbeit ›gibt‹. Niemand wird bestreiten, daß die Haupterrungenschaft des ›Kapitalismus‹, daß auch Kapitalinvestitionen (und nicht nur Produktion, Tausch und Konsum) wirtschaftlich kalkuliert werden können, ebenso erfolgreich wie in ihren Auswirkungen problematisch ist. Niemand wird fortbestehende Verteilungsprobleme bestreiten. Niemand wird bestreiten, daß Arbeiter eine organisierte Vertretung ihrer Interessen benötigen. Nur die relative Prominenz dieses Problembereichs in der Beschreibung unseres Gesellschaftssystems steht zur Diskussion.« (171)

"Auch die Wirtschaft braucht ein Gedächtnis, das zwischen Vergessen und Erinnern diskrimminieren kann (hierzu Baecker 1987) und Vorrang hat auch hier das Vergessen. Gerade das Medium der Wirtschaft, das Geld, muß bei jeder Verwendung wieder frei gemacht werden für neue Imprägnierungen, neue quantitative Aggregationen, neue Zahlungsbedingungen, neue Verwendungsmotive. Für was gezahlt worden ist, zu welchen Preisen und zu welchen Bedingungen, spielt bei der nächsten Zahlung schon keine Rolle mehr. Erinnerungen daran mögen in privaten Köpfen hängen bleiben (Ich habe mein Haus verkauft, jetzt kann ich Urlaub machen), aber sie binden nicht die Verwendungsmöglichkeiten des eingegangenen Geldes; und dies schon deshalb nicht, weil die Bereitschaft Geldzahlungen anzunehmen, nicht von entsprechenden Kenntnissen abhängig gemacht werden kann. Die Wirtschaft benötigt ein Gedächtnis deshalb ausschließlich im Zusammenhang mit Kredit. ..." (321f)

"Eine Direktive gewinnen wir, wenn wir uns daran erinnern, daß das Einführen einer Unterscheidung - und dies auf jedem Niveau des Theorieaufbaus - das Einführen und Auflösen einer Paradoxie bewirkt. Wo bleibt die Paradoxie, und wie kann man sie wiederentdecken? Einen Hinweis zu dieser Frage gibt der Begriff eines 're-entry' bei Spencer Brown: Eine Unterscheidung markiert einen Bereich und wird dann in das durch sie Unterschiedene wiedereingeführt....
Die Direktive kann nun formuliert werden, Sie lautet: bevorzuge wiedereintrittsfähige Unterscheidungen." (379f.) [ ]