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Luhmann, Niklas (1986, 1990): Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen?. Westdeutscher Verlag, ISBN 3-531-11775-0, 3. A.

Volltext (mit Passwort)

Klappentext
Die Gesellschaft kann nur unter den sehr beschränkten Bedingungen ihrer eigenen Kommunikationsmöglichkeiten auf Umweltprobleme reagieren. Das gilt auch für Umweltprobleme, die sie selbst ausgelöst hat. Ökologische Kommunikation kann sich daher nur nach Maßgabe der wichtigsten Funktionssysteme wie Politik, Recht, Wirtschaft, Wissenschaft, Erziehung, Religion entwickeln - oder im Protest gegen diese Systeme. In beiden Fällen besteht die doppelte Gefahr von zuwenig und zuviel Resonanz.

Zitate

"Ein Beobachter zweiter Ordnung kann auch die Beschränkungen beobachten, die dem beobachteten System durch seine eigene Operationsweise auferlegt ist. Es kann erkennen, daß die Umwelt des beobachteten Systems zwar nicht durch Grenzen, wohl aber durch Beschränkungen konstituiert ist. Es kann die Horizonte des beobachteten Systems so beobachten, daß erkennbar wird, was sie ausschließen. Und es kann daraufhin die Wirkungsweise des beobachteten System/Umwelt-Verhältnisses in einer Art 'Kybernetik zweiter Ordnung' sich selbst vor Augen führen" (51f).

"Die Beobachtung eines Systems durch ein anderes System, wir nennen das im Anschluß an Humberto Maturana "Beobachtung zweiter Ordnung" [...]" (52f)

"Bei binärer Codierung muß der Leitwert des Codes (Wahrheit, Recht, Besitz etc.) darauf verzichten, zugleich als Kriterium der Selektion zu dienen. Das würde der formalen Äquivalenz von Position und Negation widersprechen ... Man kann Kriterien daher nicht in der allgemeinsten Abstraktionslage des Codes festlegen, sie dienen nicht der Einrichtung der Möglichkeit funktionsspezifischer Operationen, sondern sehr viel konkreter der Orientierung richtiger, brauchbarer Operationen. Der Code kann deshalb den Wechsel der Kriterien (und im Prinzip: aller Kriterien) überdauern, obwohl es schwer vorstellbar ist, daß alle zugleich ausgetauscht werden und der Code für einen Moment absoluten Neubeginns im Leeren gehalten werden könnte." (82f)

Die "Differenz von Code und Kriterien für richtige Operationen (oder von Codierung und Programmierung) ermöglicht eine Kombination von Geschlossenheit und Offenheit im selben System. In bezug auf seinen Code operiert das System als geschlossenes System, indem jede Wertung wie wahr/unwahr immer nur auf den jeweils entgegengesetzten Wert desselben Codes und nie auf andere, externe Werte verweist. Zugleich aber ermöglicht die Programmierung des Systems, externe Gegebenheiten in Betracht zu ziehen, das heißt die Bedingungen zu fixieren, unter denen der eine oder der andere Wert gesetzt wird. Je abstrakter und je technischer die Codierung, desto reicher die Vielfalt der (stets natürlich internen!) Operationen, mit denen das System geschlossen und offen zugleich operieren, also auf interne und externe Bedingungen reagieren kann. Man kann dies auch als Steigerung der Resonanzfähigkeit bezeichnen." (83).

"Es schwimmen tote Fischen im Rhein". [..] .. aber wir müsse natürlich sehen, aus welchen Gründen unsere Gesellschaft innerhalb eines Kommunikationssystems auf solche Sachverhalte Bezug nimmt [..] So bekommt man auch Zugang zu solchen Fragen wie, ob nun eigentlich nur die Presse darüber spricht, ob die nur ein Thema des Schulunterrichtesoder der Jugendgruppe ist, wie die Wirtschaft darauf reagiert, das heisst, wer von diesen drei Systemen über dieses Thema kommuniziert und mit welchen internen Folgen. Das ist das soziologisch interessante am Thema, nicht das Sterben der Fische" (S. 89f).

Luhmann sagt „Wenn der Rhein voller toter Fische wäre, aber niemand wäre dort, um darüber zu berichten, gäbe es die Umweltkatastrophe (im soziologischen Sinn) auch nicht.“ Ich bringe dies Zitat hier nur deswegen, weil es die soziologische Sichtweise radikalisiert, und es erscheint zunächst provokativ. Aber wenn Sie genauer hinsehen, ist es eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Nicht, wenn wir die vielen toten Fische nicht im Rhein, sondern in irgendeinem abgelegenen Amazonas-Nebenarm nicht wahrnehmen, und wenn die Medien hier darüber nicht berichten. Dann würde sich auch keiner den Kopf darüber zerbrechen, durch welche Handlungen das verursacht worden ist. Das ist aber insofern eine sehr wichtige Unterscheidung, weil hierin die Idee der Konstruktion steckt. Konstruktion heißt, dass in der Art und Weise, in der wir darüber sprechen, das Risiko konstruiert wird. Das hat mit Relativismus nichts zu tun, sondern das hat etwas damit zu tun, dass die Sichtweise, die Kommunikation, die Voraussetzung dafür ist, dass wir überhaupt mit Risiko umgehen in der Gesellschaft.

"Der Begriff Beobachtung ist auf dem Abstraktionsniveau des Begriffs der Autopoiesis definiert. Er bezeichnet die Einheit einer Operation, die eine Unterscheidung verwendet, um die eine oder die andere Seite dieser Unterscheidung zu bezeichnen. Die Art der Operation kann wiederum Leben, Bewußtsein oder Kommunikation sein." (266)

"Ein Paradox ergibt sich, wenn die Bedingungen der Möglichkeit einer Operation zugleich die Bedingungen der Unmöglichkeit dieser Operation sind. Da alle selbstreferentiellen Systeme, die über Möglichkeiten der Negation verfügen, Paradoxien erzeugen, die ihre eigenen Operationen blockieren (zum Beispiel sich selbst nur bestimmen können im Hinblick auf das, was sie nicht sind, obwohl sie selbst und nichts außerhalb ihrer dieses Nichtsein sind), müssen sie Möglichkeiten der Entparadoxierung vorsehen und zugleich die dazu nötigen Operationen invisibilisieren. Sie müssen zum Beispiel die rekursive Symmetrie ihrer Selbstreferenz zeitlich oder hierarchisch als Asymmetrie behandeln können..." (268)

"Der Programmbegriff bezieht sich auf den des Codes und bezeichnet in der Nachfolge eines alten Begriffsgebrauchs (kanon, kriterion, regula) diejenigen Bedingungen, unter denen der positive bzw. negative Wert eines bestimmten Codes auf Sachverhalte oder Ereignisse richtig zugeteilt werden kann. In sozialen Systemen wird dies als eine Frage der Entscheidung (deshalb auch Entscheidungsprogramme) zwischen wahr und unwahr, Recht und Unrecht usw. behandelt." (S.268)