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Durkheim, Émile: Über die Teilung der sozialen Arbeit. Dt. von Ludwig Schmidts. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1977. ISBN 3-518-28605-6

Über soziale Arbeitsteilung (1893)
In De la division du travail social (1893) entwirft Durkheim ein grundlegendes Modell von Gesellschaft entlang der folgenden Frage:
„Wie geht es zu, daß das Individuum, obgleich es immer autonomer wird, immer mehr von der Gesellschaft abhängt? Wie kann es zu gleicher Zeit persönlicher und solidarischer sein? Denn es ist unwiderleglich, daß diese beiden Bewegungen, wie gegensätzlich sie auch erscheinen, parallel verlaufen. Das ist das Problem, das wir uns gestellt haben. Uns schien, daß die Auflösung dieser scheinbaren Antinomie einer Veränderung der sozialen Solidarität geschuldet ist, die wir der immer stärkeren Arbeitsteilung verdanken.“ – Émile Durkheim[6]
Nach Durkheim unterscheiden sich Gesellschaftsstrukturen durch unterschiedliche Formen der Solidarität, wobei er in zweierlei Arten unterteilt:
- mechanische Solidarität: Diese Form kennzeichnet vor allem ältere, weniger gegliederte Gesellschaften und wird von diesen durch Tradition, Sitten und – damit verbunden – Sanktionen aufrechterhalten. Kennzeichen sind daher gemeinsame Anschauungen und Gefühle. So geartete Kollektive bezeichnet Durkheim als „segmentäre“ Gesellschaften. Das Rechtssystem in solchen Gesellschaften ist ein repressives; die Bestrafung erfolgt also aufgrund eines Verstoßes gegen das Kollektiv(-bewusstsein).
- organische Solidarität: Während in vormodernen Gesellschaften die Strukturen leicht durch mechanische Solidarität aufrechterhalten werden konnten, bedarf es in neuerer Zeit einer differenzierteren Form des Zusammenhalts. Diese neue Form ist nach Durkheim die sogenannte organische Solidarität. Sie ersetzt den (in Zeiten des Wettbewerbs und steigender Bevölkerungsdichte schwierig bis unmöglich gewordenen) mechanischen Zusammenhalt durch neue, kontraktuelle Strukturen (→ Arbeitsteilung), in denen der Einzelne in verschiedener Weise eingebunden ist. Dies bedeutet jedoch ausdrücklich nicht das komplette Verschwinden gemeinsamer Anschauungen; diese treten lediglich zunehmend in den Hintergrund.
Das Prinzip der „organischen Solidarität“ versteht Durkheim als Gegenposition zum Utilitarismus, namentlich desjenigen Herbert Spencers. So geartete moderne Kollektive bezeichnet Durkheim als „nicht-segmentäre“ Gesellschaften. Die Industriegesellschaft hat nach Durkheim eine differenzierte, hochentwickelte und komplexe Arbeitsteilung von solchen Ausmaßen, dass der Einzelne sie nicht mehr überblicken kann. Tatsächlich ist der Einzelne in dieser arbeitsteiligen Gesellschaft überaus abhängig, jedoch entwickelt er eine Ideologie, die genau das Gegenteil sagt – nämlich den Individualismus. Durkheim zeigte dieses Paradoxon der Industriegesellschaft erstmals auf. Andere, wenig oder nicht-industrialisierte Gesellschaften kennzeichnet eine viel einfachere und überschaubarere Arbeitsteilung.