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Hrsg. Rusch, Gebhard / Siegfried J. Schmidt: Piaget und der Radikale Konstruktivismus. Delfin 1994 Suhrkamp-Tb. Wissenschaft.

enthält:
Ernst von Glasersfeld: Piagets konstruktivistisches Modell: Wissen und Lernen

Piaget's Ziel: eine biologische Erklärung des Wissens (18). Piaget's Wort "conaissance" steht für Wissen, nicht für Erkenntnis! Wissen ist eine höhere Form der Anpassung, Kognition ein Instrument der Adaption. Hier werden viele Wörter kompliziert synonym verwendet: Ist Wissen Kognition und mithin ein Instrument. Die Funktion (Zweck?) des Wissens ist nicht Repräsentation, sondern die Konstruktion viabler begrifflicher Strukturen.

Assimilation und Akkommodation

Assimilation wird häufig als Einverleibung umschrieben, es geht aber bei Piaget nicht darum, etwas in den Organismus hineinzubringen. Assimilation ist "eine Form des Umgangs mit Neuem, die dieses Neue als ein Vorkommen von etwas Bekanntem behandelt" (28) Das Beispiel der Lochkarten-Maschine ist schlecht geeignet, weil eine Maschine ja nichts tut. Wir sortieren, nicht die Maschine.

Wenn jemand einen Apfel isst, wird nicht der Apfel als Objekt so angepasst, dass er in die Struktur des Essers passt, sondern bestimmte chemische Bestandteile werden von Esser "erkannt". Im biologischen Modell der Assimilation werden physikalische Elemente importiert, im Wissenszusammenhang dagegen nicht. Der Beobachter kann sagen, dass ein Organismus nur wahrnimmt, was in seine Strukturen passt, weil der Beobachter auch Dinge sieht, die der Organismus eben gerade nicht wahrnehmen kann. Während im biologischen Fall sich der Organismus anzupassen hat, wird hier die Wahrnehmung an den Organismus angepasst. "Angepasst" heisst hier aber nicht einer Realität angepasst sein, sondern ein Gleichgewicht (equilibrium) gefunden zu haben. Assimilation reduziert neue Erfahrungen immer auf die bereits bestehenden sensomotorischen oder begrifflichen Strukturen.

Die (bei Piaget implizite) Handlungsschema-Theorie: Weil Piaget an Adaption interessiert war, erweiterte er das S-R-Schema um "positives Resultat": Säugling mit Saugreflex - Reiz an seiner Wange - Überleben dank Nahrung. Dann musste Piaget nur die genetische Fixierung aufgeben und hatte ein Kognitionsmodell:
Erkennen einer Situation - assozierte Aktivität - Erwartung eines possitiven Resultats (wegen früherer Erfahrungen). Dieses Handlungsscheme muss unterlegt werden, wenn Assimilation und Akkommodation im Sinne von Piaget verstehen will. Erkennen ist immer Assimilation. Das Resultat der Aktivität wird an die Erwartungen assimiliert. Gelingt dies nicht, liegt eine Störung vor, die zur Akkommodation führt ( ==> Schema ) Assimilation und Akkommodation sind von nicht beobachtbaren Zuständen des kognitiv aktiven Subjektes abhängig. Assimilation ermöglicht Handeln in neuen Situationen. Assimilation ist aber auch beim Erkennen von Störungen vorhanden. Akkommodation ist von dieser sekundären Assimilation abhängig.

bild

Die Störungen kommen z.T. aus der physikalischen Welt (Objektpermanenz), aber zum grossen Teil von anderen Menschen. Damit ist bei Piaget der soziale Einfluss beschrieben, allerdings nicht mit "Wissen übermitteln", denn wie, mit welchem Mechanismus das funktionieren könnte, hat noch niemand beschrieben.

Äquilibration: Akkommodation stellt ein Gleichgewicht her. Im einfachen Fall ist der Sollwert konstant (Homöostase, Thermostat), im komplizierteren Fällen entspricht er dem Gleichgewicht eines Radfahrers.
Nächste Stufe: Jede Akkommodation kann inkompatible Konzepte zu anderen Akkommodationen erzeugen, so dass eine höhere Störung entsteht. Beispiel: Bestimmte physikalische Phänomene lassen sich mit Wellen erklären, andere mit Teilchen. Die Erklärungen passen dann nicht zusammen.
Akkommodationen, die soziale Störungen eliminieren, schaffen nicht nur ein Gleichgewicht im Subjekt, sondern auch eines im sozialen Bereich. EvG sagt Piaget hätte dies zu wenig explizit gemacht, er macht aber auch nicht weiter explizit, was man sich darunter vorstellen soll. Das soziale Subjekt ist doch wohl dialektisch.

Voraussetzungen, die die Handlungsschema-Theorie macht: Der kognitive Organismus besitzt
- die Fähigkeit wiederholbare Verbindungen im Flusse der Erfahrung herzustellen. Das impliziert:
- ein Gedächtnis, die Fähigkeit Erfahrungen als Erinnerungen zu re-präsentieren.
- die Fähigkeit zu Erfahrungen und Repräsentationen zu vergleichen
- Schliesslich eine Präferenz des Organismus für bestimmte Erfahrungen.

Lernen ist das Herstellen eines neuen Aquilibrium durch Akkommodation. Es ist instrumentell:
1. (utilitaristisch) auf der Stufe der senomotorischen Ebene: es hilft sensomotorische Ziele zu erreichen.
2. auf der begrifflichen Ebene (nicht unmittelbar utilitaristisch): es hilft Konzepte aufzubauen, die viable sind.
Mit Wissen ist hier das induktive Wissen gemeint. die Deduktion ist davon nicht betroffen. (Deduktive Folgerungen beziehen sich nur auf mentale Operationen, nicht auf die sensomotorische Ebene). Re-präsentation ermöglicht das Gedankenexperiment.

figurativ - operativ und Handeln - Operieren (Sinnliche Wahrnehmung und Denken bei Holzkamp)
figurativ heisst sinnlich, Handeln ist sinnlich und deshalb beobachtbar. Der Objektbegriff ist eine empirische Abstraktion.
Das Konzept der Objektpermanenz ist operativ (begrifflich), nicht von externen Signalen abhängig. Operationen sind nicht beobachtbar. (Kritik: viele Tiere zeigen in Experimenten beim Wiedererscheinen eines Objektes dasselbe Verhalten. Das zeigt jedoch nur, dass sie einen Objektbegriff haben, aber es beweist keine Objektkonstanz. Zur Objektkonstanz gehört der Glaube, dass das Objekt auch existiert, wenn es nicht wahrgenommen wird und 2. die Fähigkeit, das Objekt zu re-präsentieren, wenn es nicht im Erfahrungsraum steht Schluss: Unter Exhaustion verschiedener Ausrutscher kann man eine realistische Leseart Piagets verwerfen.