Intertextualität        zurück ]      [ Index ]      [ Literatur-Index ]      [ Die Hyper-Bibliothek ]     

Als Intertextualität bezeichne ich die Beobachtung, nach welcher kein Text ohne Bezug zur Gesamtheit der anderen Texte denkbar ist.

Geprägt wurde der Begriff von der Julia Kristeva (im Aufsatz Bakhtine, le mot, le dialogue et le roman (1967)), in dem sie Michail Bachtins Dialogizitäts-Modell auf den textuellen Status von Literatur im Ganzen übertrug. Bei Kristeva heißt es programmatisch:
„Jeder Text baut sich als Mosaik von Zitaten auf, jeder Text ist Absorption und Transformation eines anderen Textes. An die Stelle des Begriffs der Intersubjektivität tritt der Begriff der Intertextualität, und die poetische Sprache lässt sich zumindest als eine doppelte lesen.“

Jeder Text besteht aus einem Bündel von Zitaten, ist ein Kreuzungspunkt anderer Texte und gibt für deren „Permutation und Transformation“ unter dem Einfluss seiner ideologischen Voraussetzungen den Schauplatz ab. Ein Text ist somit nicht stabil und fest umrissen, sondern offen für Interpretationen, von denen keine Endgültigkeit beanspruchen kann. Bedeutung kann damit nicht mehr von einem Autor in einen Text hineingelegt werden, sondern wird erst von der Interpretation hervorgebracht, wobei der Interpret seinen eigenen Text natürlich genauso wenig kontrollieren kann wie der Verfasser des Ausgangstextes, so dass dieser Prozeß der Semiose prinzipiell unendlich, ein Standpunkt außerhalb des Textes unmöglich ist.

Der Text ist ein Gewebe von Zitaten aus unterschiedlichen Stätten der Kultur. […] Ein Text ist aus vielfältigen Schriften zusammengesetzt, die verschiedenen Kulturen entstammen und miteinander in Dialog treten, sich parodieren, einander in Frage stellen. (Roland Barthes, Der Tod des Autors, in: Texte zur Theorie der Autorschaft, hg. v. Fotis Jannidis u.a., Stuttgart 2000, S. 190 f.) In Über mich selbst schreibt R. Barthes: „Der Inter-Text ist nicht unbedingt ein Feld von Einflüssen; vielmehr eine Musik von Figuren, Metaphern, Wort-Gedanken; es ist der Signifikant als Sirene.“ [Über mich selbst, 1978, S. 158], in Am Nullpunkt der Literatur: „[D]ie Literatur wird zur Utopie der Sprache“.

Besonders einflußreich wurde Gérard Genettes Versuch, die Erscheinungsformen von "Transtextualität" - so nennt Genette die Intertextualität zu kategorisieren („Palimpsestes. La littérature au second degré“, 1982). Genette unterscheidet fünf verschiedene Formen intertextueller bzw. transtextueller Beziehungen:

  • die Intertextualität selbst, das heißt „die effektive Präsenz eines Textes in einem anderen“ in Form von Zitaten (ausdrücklich deklarierte Übernahmen), Plagiaten (nicht deklarierten Übernahmen von Zitaten) oder Anspielungen (Aussagen, zu deren vollständigem Verständnis die Kenntnis des vorhergehenden Textes notwendig ist).
  • die Paratextualität. Damit wird alles bezeichnet, was einen Text dezidiert einrahmt: Titel, Untertitel, Vorworte, Nachworte, Fußnoten usw., aber auch Gattungszuweisungen oder Prätexte wie Entwürfe und Skizzen zu Werken.
  • die Metatextualität, das heißt Kommentare, die wesentlich kritischer Natur sind und vor allem das Gebiet der Literaturkritik betreffen.
  • die Architextualität, die eng mit der Paratextualität verwandt ist. Allerdings handelt es sich hierbei um nicht dezidiert deklarierte Gattungszuweisungen. Das heißt, man weist einem Text (als Kritiker) die Bezeichnung einer Gattung zu. Auch dies lenkt die Rezeption in erheblichem Maße.
  • die Hypertextualität. Hierbei handelt es sich um eine Weise der Überlagerung von Texten, die nicht die des Kommentars ist. Hypertextualität heißt, dass der spätere Text ohne den ersten nicht denkbar ist, wie es bei James Joyce' Roman „Ulysses“ (1922) der Fall ist, der ohne Homers „Odyssee“-Epos niemals entstanden wäre.

    Hinweis:
    Eco zieht es vor, von Intertextualität zu sprechen, d. h. von der inneren Verflechtung und Verwobenheit aller literarischen Texte miteinander. Sehr plastisch wird dieser Gedanke an einer zentralen Stelle in Der Name der Rose ausgedrückt, wo der Erzähler Adson sagt:
    „Bisher hatte ich immer gedacht, die Bücher sprächen nur von den menschlichen oder göttlichen Dingen, die sich außerhalb der Bücher befinden. Nun ging mir plötzlich auf, daß die Bücher nicht selten von anderen Büchern sprechen, ja, daß es mitunter so ist, als sprächen sie miteinander. Und im Licht dieser neuen Erkenntnis erschien mir die Bibliothek noch unheimlicher. War sie womöglich der Ort eines langen und säkularen Gewispers, eines unhörbaren Dialogs zwischen Pergament und Pergament? Also etwas Lebendiges, ein Raum voller Kräfte, die durch keinen menschlichen Geist gezähmt werden können, ein Schatzhaus voller Geheimnisse, die aus zahllosen Hirnen entsprungen sind und weiterleben nach dem Tod ihrer Erzeuger? Oder diese fortdauern lassen in sich?“ ( am Ende des Kapitels Vierter Tag, Tertia)


     
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