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Rolf Todesco

Konstruktives Wissensmanagement im Hypertext

in: Knorr, Dagmar / Jakobs, Eva Maria (Hrsg.): Textproduktion. Hypertext, Text, Kontext. Frankfurt/M: Peter Lang, [Textproduktion und Medium; 4]. 1999


 

Abstrakt (deutsch/englisch)

In diesem Beitrag diskutiere ich Text als kollaboratives Produkt im Wissensmanagement. Dazu fasse ich Text als Artefakt und die Produktion von Text in elektronischer Umgebung als automatisiertes Handwerk auf, in welchem das Schreiben und die Herstellung des Textes durch den dazwischen geschobenen Computer auseinanderfallen. Die Link-Technologie ermöglicht das Verknüpfen verschiedener Textteile und mithin eine neue Art der Ko-Autorenschaft, in welcher Texte nicht zur Uebermittlung von Inhalten dienen, sondern zur Evaluation, welche Formulierungen in der gemeinsamen Textpraxis viabel sind. Hyperlinks werden dabei nicht als "go to" aufgefasst, sondern als Wissens-Funktion darüber, welche Formulierungen durch welche andere Formulierungen ersetzbar sind. Weil Wissen in der vorgestellten Auffassung radikal subjektiv ist, diskutiere ich schliesslich ein Konzept zur Textbedeutung, das einen Wissens-Hypertext intersubjektiv handhabbar macht.

In this contribution I am discussing text as a collaborative product in the field of knowledge management. I understand text as artefact, and the production of text in an electronic environment as automated manufacturing, in which the writing and the production of the "textartefact" are separeted by the inserted medium computer. The link technology allows one to connect different parts of text and therefore permits a new way of co-authorship, in which text is not used to transmit contents or meaning, but to evaluate which wording is viable in the common practice of different authors. Hyperlinks are not seen as "go to", but as functions of knowledge about which formulations are replaceable by which other expressions. I finally discuss a conception of text, in which a hypertext may have an intersubjective function, because here "meaning" is used in a radical subjective sense.


 

1. Einleitung: Text-Produktion

     Ich berichte in diesem Beitrag über den in unseren Weiterbildungsveranstaltungen (1) praktizierten Versuch, Text als kollaboratives Produkt im Wissensmanagement (knowledge sharing) zu begreifen. Ich erläutere zunächst, was ich unter Textproduktion in elektronischer Umgebung verstehe und diskutiere dann Werkzeug, Prozess und Anforderungen an die AutorInnen. (2)

     Ich frage mich also zunächst, was Text-Produktion heisst? Wir unterscheiden populärökonomisch drei Sektoren der Produktion: den primären, den sekundären und den tertiären Sektor; Bauern, Maschinenbauer und Banker. Geschrieben wird in allen drei Sektoren. Zu welchem Sektor gehörte wohl die Text-Produktion? In der primären Produktion ist die Natur der Produzent. Die dort Tätigen bauen Früchte der Natur ab, etwa Steinkohle oder Weizen. In der sekundären Produktion werden eigentliche Gegenstände, sogenannte Artefakte, etwa Konstruktionen wie der Eifelturm hergestellt. Was Banker und Shareholder im tertiären Sektor Produktives tun, weiss ich nicht genau. Unter dem Gesichtspunkt der Produktionssektoren gehört Text ganz offensichtlich zu den Artefakten. Wer Text produziert, baut materielle Gebilde und verhält sich wie etwa ein Maurer, der aus Backsteinen ein Haus herstellt.

     Natürlich ist ein Haus mehr als eine Menge von Backsteinen und ebenso ist ein Text mehr als eine Menge von beispielsweise Graphitkörnern. Monsieur Eifel wollte natürlich auch nicht nur ein Artefakt aus Metallprofilen, sondern einen schönen Turm produzieren (lassen). Das Wesentliche am Text ist also nicht das Material, sondern das strukturierte Gebilde. Aber wann immer wir Artefakte produzieren, sind diese materiell, und sie haben eine Bedeutung, die wir von deren Materialität nicht unabhängig diskutieren können, schon gar nicht, wenn uns gerade die Produktion am Herzen liegt. (3)

     Ich spreche im folgenden der Anschaulichkeit wegen exemplarisch von Graphitstrukturen, obwohl in elektronischen Umgebungen ganz andere Materialien und Formungsprozesse verwendet werden als beim Schreiben mit dem Bleistift. Exemplarisch sind die mittels Graphitkörner gebildeten Texte insofern, als ausnahmslos alle Texte aus bewusst geformter Materie bestehen, ob das nun verteilte Tintenpartikel, Lochkarten oder magnetisierte Eisenspäne auf einer Harddisk sind. Die Herstellung von Text ist eine konstruktive Tätigkeit, wo Konstruieren das bewusste Zusammenfügen von materiell gegebenen Elementen bedeutet. Bei der Textproduktion mit dem Bleistift fügen wir Graphitpartikel zu grösseren Einheiten zusammen, die wir Buchstaben nennen, und diese dann zu wiederum grösserer Einheiten wie Wörter, Sätze usw. Das ist so offensichtlich, dass es häufig nicht gesehen wird. Viele Textproduzenten wollen das nicht sehen, weil sie sich nicht als Handwerker, sondern als rein geistige Wesen auffassen (wollen). Nichtsdestotrotz, Texte sind (was immer sonst noch) Artefakte - und dass sie in elektronischen Umgebungen hergestellt werden, unterscheidet sie nicht von irgendwelchen Artefakten, die heutzutage produziert werden. Die Automatisierung der Produktion ist ein sehr generelles Phänomen. Monsieur Eifel würde heute seinen Turm zweifellos in der elektronischen Umgebung eines Computer- Aided-Design-Systems konstruieren. Computer werden bei weitem nicht nur zur Textproduktion verwendet. Unter diesem Gesichtspunkt ist das vorliegende Buch auch als Beitrag zur Arbeitssoziologie zu verstehen, die sich seit langem mit der Automatisierung von Konstruktionsarbeit und mit den damit verknüpften Anforderungsprofilen beschäftigt (z.B. Braverman 1980).

     Wenn ich sage, dass Texte Artefakte sind, muss ich oft hören, dass ich damit zwar etwas Wahres oder Triviales, aber nichts Wesentliches über Texte aussage; das Wesen des Textes sei immateriell. Schreibende seien ihrem Wesen nach nicht Konstrukteure von "Graphit"strukturen, sie seien der Kommunikation von Inhalten verpflichtet. Auf den (Hinter-)Sinn dieses Einwandes will ich im letzten Abschnitt zurückkommen. (4)


 

2 Die Funktion von Text

     Mit der weit verbreiteten und vor der Hyper-Zeit wenig hinterfragten Idee, dass Texte der Mitteilung von Inhalten dienen, wird man sagen, dass Text die Funktion hat, Sender und Empfänger orts- und zeitunabhängig zu machen, was mit beinhaltet, dass Text Gedächtnisfunktion hat, weil er prinzipiell über Zeit und Ort hinweg - konservativ - bleibt, wie er produziert wurde. Diese Funktionalität von Text ist zwar auch an dessen materielle Existenz gebunden, aber sie ist nicht aus der Materialität von Text hergeleitet, sondern aus der vermeintlichen Banalität, dass wir Inhalte kommunizieren - unter anderem eben auch mittels Text.


 

2.1 Die unmittelbare Funktion von Text

     Wozu bauen wir "Graphit"strukturen, die wir Text nennen?

     Text strukturiert Licht. Wir produzieren die "Graphit"strukturen, die wir Text nennen, um bestimmte Lichtwellen-Konfigurationen ins Auge des Lesers zu bringen, auch wenn wir damit viel weitergehende Absichten verbinden. (5) So weit wir unsere eigenen Leser sind, manipulieren wir mit den "Graphit"strukturen des Textes den Lichteinfall in unsere eigenen Augen. Unter dem Gesichtspunkt der kommunizierten Inhalte spielt es eine relativ untergeordnete Rolle, ob ich spreche oder schreibe. (6) Im Falle des Sprechens produziere ich die eigentlichen Signale (hier die Struktur der Schallwellen) unmittelbar mit meinem Körper, also ohne Werkzeuge, im Falle des Schreibens produziere ich dagegen Artefakte, mittels derer dann die Signale (hier die Struktur der Lichtwellen) produziert werden. In bezug auf die Lichtwellenstruktur ist die "Graphit"konstruktion ein materielles Werkzeug, das wir wie ein Vergrösserungsglas oder einen Spiegel verwenden, um Licht zu brechen. Wie andere Werkzeuge, wird auch das Werkzeug Text mit Werkzeugen, etwa mit einem Bleistift oder einem durch einen Computer gesteuerten Drukker produziert.


 

2.2 Die mittelbare Funktion von Text

     Mittels Text kann ich das Licht in meinen Augen, respektive das Muster auf meiner Retina reproduzierbar strukturieren. Derselbe Text bewirkt bei den Lesenden reproduzierbar dieselbe Nervenaktivität der entsprechenden Wahrnehmungssinne. Keineswegs aus rhetorischen Gründen frage ich als nächstes, was wir damit bezwecken, wenn wir unsere Augen oder eben Sehnerven mittels Text manipulieren. Eine mir zusagende Antwort gibt William Powers (1973) in seinem Buchtitel "Behavior: The Control of Perception". Wir verhalten uns - auch schreibend - so, dass wir bestimmte Wahrnehmungen machen (können). Wenn ich den Kopf in bestimmten Situationen zur Seite drehe, dann tue ich das, damit ich sehe, was dort ist. Wenn ich schreibe, dann dazu, dass ich das Geschriebene sehe (und dazu, dass es später von andern oder von mir wiedergesehen werden kann).

     Falls unsere Augen sehen, was in unserer Umwelt ist, macht es keinen Unterschied, ob wir auf unsere Augen oder auf die Umwelt reagieren. Physiologisch reagieren wir in beiden Fällen auf Ströme in unserem Nervensystem, die von unserer Retina beeinflusst sind. Bestimmte Zustände des Nervensystems scheinen uns oder unserem Gehirn als wiederholenswert, was uns unter anderem veranlasst, diese Zustände mittels Text-Artefakten reproduzierbar zu machen, und mithin Text zu produzieren. Wir erzeugen Buchstabenketten, die uns beim Lesen in Zustände zurückversetzen, die wir aus welchen Gründen auch immer gerne wiederholen. Zunächst erzeugen wir diese Zustände in uns selbst, wenn wir eigene Texte lesen; dann mit unfassbar viel Empathie auch in unseren Mitmenschen, wenn wir ihnen unsere Texte im Glauben vorlegen, sie würden die "Graphit"strukturen deuten wie wir.

     Die Zustände unseres Nervensystems, die hierbei - also bei der Manipulation unserer Augen mit Text - interessieren, nennen wir Bedeutungen oder Inhalte. Bestimmte Reizkonfigurationen auf der Retina, die von aussen gesehen durch einen entsprechenden Text erzeugt werden, bewirken unter gegebenen Umständen eine Bedeutung im wahrnehmenden Subjekt. (7) Wenn wir etwa eine "Graphit"konstruktion mit der Form "Elefant" anschauen, bringen wir uns selbst in einen für uns bedeutungsvollen Zustand, den wir mit "Elefant" oder mit "ich denke an einen Elefanten" bezeichnen. Was dieses "Elefant" für das jeweils wahrnehmende Subjekt bedeutet, ist für andere im strengen Sinne des Wortes unerheblich, nicht erhebbar, weil jedes Nachfragen wiederum nur weitere Zeichen hervorruft. (8) Es ist klar, dass solche Bedeutungen nicht übermittelt oder mitgeteilt werden können, da sie ausschliesslich Prozesszustände des jeweils die Bedeutung wahrnehmenden Subjektes (oder dessen Nervensystems) sind (von Foerster 1993, 196). Text kann nichts - also auch keine Inhalte - übertragen. (9) Text ist die Materialisierung von Bedeutungen im Nervensystem dessen, der den Text konstruiert, also materielles Produkt, mittels welcher der Textproduzent die Bedeutungen in seinem Nervensystem reproduzieren kann. Dem Text alleine ist überdies auch nicht anzusehen, was er in einem Leser bewirkt, weil die Wirkung eine Relation zwischen Text und Leser ist. Adäquater Umgang mit Text ist deshalb feedback-orientiert. Darauf werde ich später unter dem Gesichtspunkt der Kollaboration zurückkommen.


 

3 Hypertext

     Die Automatisierung der Text-Produktion beruht im wesentlichen auf der Abtrennung der Schreibtätigkeit vom eigentlichen Erzeugen des materiellen Textes. Beim Schreiben mit Bleistift oder Feder fällt dies noch zusammen, indem dort die "Graphit"struktur noch unmittelbar hergestellt wird. Bei der Textproduktion in elektronischen Umgebungen wird die "Graphit"struktur (und deren "elektronischen" Aequivalente) von einer durch ein Eingabegerät wie die Tastatur gesteuerten Maschine, also mittels eines elektronischen Werkzeuges erzeugt.

     Im zur Zeit verbreitesten Falle der Textproduktion, bei der Verwendung eines sogenannten Textverarbeitungsprogrammes, wird die Transistorenmenge im Arbeitsspeicher und oder die Oberfläche der Harddisk strukturiert. Diese materiellen Strukturen werden mittels weiterer Maschinenfunktionen auf Bildschirmen oder Druckern in andere wiederum materielle Strukturen umgewandelt. Es ist meines Erachtens sinnvoll, alle diese Strukturen Text zu nennen, weil sie das Kriterium erfüllen, durch eine Grammatik produzierte Mengen von Zeichenketten zu sein.

     Das Auseinanderfallen von Schreiben und Text ermöglicht viele Eingriffe wie nachträgliches Textverschieben, Kopieren usw., die wir von den Textverarbeitungssystemen kennen. Insbesondere erlaubt es auch das Einfügen von sogenannten Link-Programmen und mithin eben Hypertext. Hier schlägt die Qualität der Textproduktion um, indem die Linearität des Textes aufgehoben wird. Quasi an jeder Textstelle sind parallel verschiedene Fortsetzungen realisierbar. (10) Von Hypertext spreche ich, wenn die Unterscheidung zwischen Hypertext-Teilen, die ein Hyper-Autor schreibt, und Hypertext-Texten, die ein Hyper-Leserautor durch Anklicken von Links zusammenstellt, sinnvoll ist. Wir haben dann zwei Autoren: den Autor der Textelemente und den Autor des gelesenen Textes. Der Textteil-Autor stellt ein Hyper-Vokabular (Hyperkarten) zur Verfügung, so wie wir Wörter quasi immer schon zur Verfügung haben. Der Leserautor setzt Textelemente zusammen, so wie wir beim Sprechen uns zur Verfügung stehende Wörter zusammensetzen (Todesco 1998, 268). Es geht dabei nicht darum, dass Leser Texte je verschieden interpretieren, sondern darum, dass sie die Sequenz des materiellen Textes, die sie lesen, überhaupt erst aus physisch vorhandenen Elementen zusammenstellen. (11)

     Da die Hyper-Autoren nicht wissen können, was die Hyper-Leser in welcher Reihenfolge lesen, wird die Idee, Text könne der Uebermittlung von Inhalten dienen, zwangsläufig brüchig. Natürlich kann jeder freie Leser auch im linear geschriebenen Text lesen, wo er will. Beim Hypertext wird aber bereits beim Schreiben davon ausgegangen, dass der Leser seinen Text selbst zusammenstellt, was dem Schreibenden bewusst macht, dass es nicht um Mitteilungen im konventionellen Sinne gehen kann. Dass umgekehrt das Loslassen der konventionellen Vorstellungen (noch) nicht allen Hyper-Autoren leicht gelingt, zeigt sich unter anderem in der vieldiskutierten Floskel "lost in hyperspace", mit welcher Hyperautoren ihre Sorge darüber ausdrücken, dass sie nicht bestimmen können, was Hyperleser lesen (Todesco 1998, 271). Der Leser geht ihnen verloren, wenn sie ihn nicht "navigieren", das heisst, wie im programmiertem Unterricht auf bestimmte Hypertext-Text-Sequenzen festlegen können. Der Leser geht ihnen dann insofern im "space" verloren, als sie keine Möglichkeit mehr sehen, wie ihre Mitteilungen bei ihm ankommen sollen.


 

4 Konstruktives Wissensmanagement

     Ich wende mich nun dem Textproduktions-Prozess zu, wie wir ihn in unseren Lernveranstaltungen organisieren. (12) In diesen Veranstaltungen geht es nicht darum, dass Wissen irgendwie von einigen, die es haben, an andere, die es wollen, vermittelt, übertragen oder dass inhaltlich kommuniziert wird, sondern darum, dass das Wissen von den Veranstaltungsteilnehmern in kollaborativer Textproduktion erarbeitet und geteilt wird. Anstelle von Kursunterlagen, in welchen steht, was einer schon lehren kann und jeder andere noch lernen muss, schreiben die Kursteilnehmer an einem gemeinsamen Hypertext. Als Textproduktions-Werkzeug dient auf dieser Stufe die HTML-Browsertechnologie und ein FTP-Server im Internet, der allen Beteiligten die Möglichkeit bietet, jederzeit mitschreiben und mitlesen zu können. Am Anfang des Prozesses gibt es einige Vereinbarungen dazu, wer welche Textteile wie verlinken und wie verändern darf, im Laufe der Textproduktion werden diese Vereinbarungen selbst Gegenstand der Kooperation. Das in unseren Veranstaltungen interessierende Wissen zeigt sich darin, welche Texte durch welche ersetzbar sind. Wenn wir in einem Gespräch den andern nicht verstehen, also umgangssprachlich gesprochen nicht wissen, was der andere meint, arbeiten wir mit solchen Ersetzungen. Ein Wort wird "erklärt", indem man andere Wörter dafür angibt. Für Tisch kann man je nach Kontext sagen: ein Möbel; eine Platte mit Beinen; das, was wir gestern gekauft haben; table; desk; das da; usw. Immer wird eine Buchstabenkette durch eine andere ersetzt. Einen anderen Menschen verstehen heisst in diesem Sinne, wissen, welche Ersetzungen er in welchen Situationen machen oder zulassen würde. Was sich der je andere dabei denkt, ist - wie bereits diskutiert - unerheblich. Ich kann nicht wissen, was die andern wissen, ich kann nur in Erfahrung bringen, welche materiellen Texte und Text-Ersetzungen sie unabhängig von den Bedeutungen, die die Texte für mich haben, akzeptieren und welche nicht.


 

4.1 Lexikon

     Wissensmanagement (knowledge sharing) befasst sich in diesem Sinne damit, gemeinsames Wissen, also gemeinsame Text-Ersetzungen zu entwickeln. (13) Die einfachste Form von Textersetzungen ist das Lexikon, wo jedes Stichwort durch den das Stichwort erläuternden Text ersetzt wird. Diese enzyklopädische Vorstellung von Wissen steht seit den Griechen (Speusippos, um 408 v. Chr.) am Anfang jeder Wissenskultur. (14) Diderots und d'Alemberts "Encyclop‚die ou Dictionnaire raisonn‚ des sciences, des arts et des m‚tiers" (35 Bde., 1751-80) ist das Standardwerk der französischen Aufklärung, welche die moderne Wissenschaft einleitete. Ihrer Struktur nach sind Lexika vorweggenommene Hypertexte, in welchen die Stichwörter als Links auf die Erläuterungen zu verstehen sind, die ihrerseits Links enthalten. Umgekehrt lässt sich jeder Hypertext in dem Sinne als Lexikon auffassen, als die jeweiligen Ziele der Links einen Er-Satz für die Link-Begriffe darstellen. (15) In unserer gemeinsamen Textarbeit reproduzieren wir die Wissenschaftsgeschichte, indem wir am Anfang relativ spontan Begriffe zum Gegenstandsbereich zusammentragen. Intuitiv wissen alle, dass jeder Begriff ein arbiträrer Er-Satz für dessen Definitions-Satz ist (Todesco 1997, 111). Der Begriff "Tisch" ersetzt die Ausdrücke "Möbel", "Platte" usw. und umgekehrt. Begriff und Erläuterung ersetzen sich so, wie in der mathematischen Gleichung der Teil nach dem Gleichheitszeichen den Teil davor ersetzt und umgekehrt.

     Die Hypertexttechnologie unterstützt die Vielfalt der Ersetzungen, die in einer Text-Koproduktion vorgeschlagen werden. Einzelne Wörter werden von den verschiedenen Teilnehmer einer Lerngemeinschaft anfänglich natürlich ganz verschieden ersetzt, da zunächst kein gemeinsamer Kon-Text existiert. Da jeder Link über eingeschobene Listen auf beliebig viele Formulierungen zeigen kann, werden im Hypertext keine niemandem passende Formulierungskompromisse erzwungen. Durch den Kontext, der mit jedem einbezogenen Textstück für alle anderen Textstücke wächst, wird evolutionär entschieden, welche Formulierungen gemeinschaftsfähig sind.


 

4.2 Evolution

     Im Gegensatz zu linearen Texten braucht Hypertext keine vorgefassten Textordnungen, sondern kann aus relativ kleinen und geschlossenen Texteinheiten organisch wachsen. Lokale Korrekturen können sich - wenn sie tragen - im verknüpften Netz evolutionär durchsetzen. Ergänzungen können zu Seitensträngen auswachsen, ohne das Gesamtwerk zu gefährden. Sie können, wenn sie sich stark genug entwickelt haben - was ihnen eben nicht verwehrt wird -, aus dem Kontext herausgelöst werden und ein eigenes "Buch" bilden, das gleichwohl Verknüpfungen zum eigenen Ursprung behält.

     Unsere Hypertexte sind in dem Sinne autopoietische Systeme (16) als sie keinen allwissenden, zentralistischen Herausgeber haben, der wie Diderot entscheiden müsste, was ins Lexikon gehört und was nicht. Da die Textteile überdies von sehr verschiedenen Autoren stammen, ist das Wissen - ohne dass jemand dafür sorgt - in sehr verschiedener Ausführlichkeit und mit sehr verschiedenen Kontextbezügen vorhanden. Die grosse Redundanz - die in rüstungstechnischer Hinsicht eigentliches Motiv für das Internet war - gewährleistet auf der Textebene, dass bestimmte Argumentationen nicht den ganzen Text beherrschen, sondern in Konkurrenz zu alternativen Argumentationen stehen. Etwas verkürzt kann man sagen, dass die Hypertexte evolutionäre Systeme bilden, weil Textstellen, die sich bewähren, häufig konsultiert und verlinkt werden, während andere mit der Zeit im Nichtgelesenen untergehen. In diesem Sinne scheinen unsere Texte lernfähig oder adaptiv zu sein. Wie im neuronalen Netz des Nervensystems verstärken sich die Verbindungen, die sich bewähren, während die andern zunehmend an Gewicht verlieren. Selbstverständlich ist die Redeweise von einem evolutionär lernenden Hyperlexikon darwinistisch, denn Texte - auch Textmengen auf elektrischen Geräten - können natürlich nicht(s) lernen. Wer lernen kann, sind die Benutzer, hier genauer die Konstrukteure des Textes. Wir lernen mittels Text, und wir lernen unseren Umgang mit Text so zu organisieren, dass wir mittels Text effizienter lernen können.


 

5 Kollaboratives Lernen

     Ich wende mich nun den Anforderungen zu, die die vorgestellte Textproduktion mit sich bringt.

     Wie wir nach kurzen Versuchen wissen, ist das gemeinsame Formulieren von sequentiellen Texten eine kaum erlernbare Kunst. In konventioneller Ko-Autorenschaft formuliert meistens ein Autor, die Ko-Autoren müssen korrigierend mehr oder weniger zufrieden sein. Mit Hypertext haben wir ein Werkzeug, das sinnvolle Kollaboration zulässt, weil darin parallele Formulierungen möglich sind, wo man sich nicht an bereits vorhandene Formulierungen anschliessen will. In unserem Wissensmanagement gilt: Alle sind Ko-Autoren und formulieren selbst. Gerade die unterschiedlichen Formulierungen der Ko-Autoren können Anlass für das Lernen der Teilnehmenden sein, weil in ihnen häufig Vorschläge für mögliche Textersetzungen stecken.

     Die Gemeinsamkeit im kollaborativen Lernen besteht darin, dass der physische Text in wirklicher Kooperation hergestellt wird. Gemeinsames Produkt der Teilnehmer ist der Text, nicht dessen Inhalt oder dessen Bedeutung. (17) Die Kollaboration bezieht sich auf die Konstruktion des Textartefaktes, jenseits von Bedeutungen, die der Text für die einzelnen Autoren hat. Jeder Teilnehmer verändert den gemeinsamen Text natürlich so, dass er für ihn sinnvoll ist, also unter dem Gesichtspunkt der Bedeutung, die der Text für ihn hat. Lernen ist in diesem Zusammenhang ein sozialer Prozess, in welchem es darum geht, dass die am Prozess Beteiligten gemeinsam erforschen, welche Texte in ihrer gemeinsamen Praxis für alle Beteiligten viabel (18) sind. Zwar ist unerheblich, was bestimmte Texte für andere bedeuten, erheblich ist aber natürlich für jeden Autor, welche seiner Formulierungen auf Zustimmung stossen und welche nicht.

     Im kollaborativen Lernen ist niemand da, der für die anderen weiss, was richtig und wahr ist, und was zu lernen ist. Lernen muss ohnehin jeder selbst, in unserer Lernorganisation muss aber überdies jeder selbst entscheiden, ob und was er lernen will. (19) Das erscheint in unserer verschulten Gesellschaft, in welcher alle gewohnt sind, dass autoritäre Lehrpläne durch ihnen ausgelieferte Lehrer bestimmen, was gelernt wird, als grösste Anforderung. Holzkamp (1993, 387) nennt dagegen die vordergründig herrschende Idee, dass Lehrer und Lehrpläne bestimmen, was Lernende lernen, "Lehr-Lernkurzschluss", denn auch im konventionellsten Schulbetrieb kann Wissen nicht eingetrichtert werden.

     Die wirkliche Anforderung in unserer Textproduktion besteht darin, dass die am kollaborativen Lernprozess Beteiligten Verantwortung dafür übernehmen, was sie lernen, und dass sie keinerlei Gewähr (Wahrheit) ausser sich finden, der sie sich unterwerfen (sub-jection) können. Natürlich kann man in diesem Zusammenhang auch nicht an "richtigen" und "falschen" Interpretationen des Textes interessiert sein (Schmidt 1987, 68) oder daran, dass die am Lernprozess Beteiligten das gleiche lernen. Im Lernprozess geht es uns ausschliesslich darum, Kompatibilität, Konsistenz und Viabilität in kollektiven Formulierungen eines gemeinsamen Hyper-Textes zu erzeugen, in welchem die Beteiligten ihr eigenes Wissen mit den Beiträgen der andern verknüpfen, respektive verlinken.

     Die Viabilität des Textes ist formales Lernziel, aber natürlich lässt sie sich nicht objektivieren. Die Ko-Autoren befinden sich in einem Kommunikationsprozess, welchen sie solange aufrecht erhalten, wie sie daraus Nutzen ziehen. Dabei entscheidet jeder Teilnehmer selbst, wie viabel der gemeinsame Text in jedem Moment ist, und was er daran noch verändern müsste. Die Ko-Autoren arbeiten relativ unabhängig voneinander, sie sind aber natürlich abhängig vom bereits bestehenden Text, den sie für sich selbst semantisch stimmig halten und gleichzeitig nach Formulierungen suchen, die von den andern akzeptiert werden. Kybernetisch gesehen sind alle Formulierungen und Veränderungen von Formulierungen Kompensationen von negativem Feedback. Die beteiligten Autoren suchen eine gemeinsame Form, wie ein Thermostat quasi versucht, eine Raumtemperatur zu erreichen, die keine weiteren Feedback-Signale auslöst. Der Lernprozess der Beteiligten besteht in Akkomodationen, die durch Formulierungen der andern nötig werden.

     Da Veränderungen einer Textstelle durch die Verknüpfung der Texte meistens weitere Veränderungen - auch in Textstellen von Ko-Autoren - nach sich ziehen, versuchen wir in der offensten Form der Textproduktion, möglichst viele Textteile quasi zu entpersonalisieren, so dass alle Beteiligten alle nicht spezifisch gekennzeichneten Texte beliebig verändern dürfen. Vom einzelnen Mitschreibenden erwarten wir, dass er seine Beiträge auf seinem eigenen Computer verwaltet, so dass er auf Veränderungen, die ihm nicht passen, reagieren kann. Dies kann etwa durch eine öffentliche Diskussion auf einer dafür eingerichteten Seite oder in direktem E-mail-Verkehr geschehen. Wir verwenden ein Log-Buch, in welchem die Teilnehmer Aenderungen eintragen, so dass die Geschichte halbwegs übersichtlich bleibt.

     Die Erfahrung, dass andere den zunächst eigenen Text an verschiedensten Stellen fortlaufend ändern, ist heilsam und befruchtend. Anhand von Hypertext wird einem erst recht klar, was Teamarbeit beim Schreiben heisst. Die Formulierungen gehören schliesslich niemandem mehr, sie vergesellschaften die Autoren im wahrsten Sinne des Wortes. Auch darin liegt eine Anforderung, die in der herrschenden Copyright-Ethik nicht ohne weiteres erfüllbar ist. Auf dieser Stufe der Kollaboration zeigt sich die Bedeutung der hier referierten Textauffassung am deutlichsten: Der Schulmeister korrigiert Texte, die in seinen Augen (sic) objektiv falsch sind, weil er sie nicht versteht. Im herrschaftsfreieren Diskurs des Gegenlesens von Manuskripten trauen wir uns dagegen normalerweise nicht, den Text eines andern einfach umzustellen, weil wir - in dieser Rolle weniger arrogant als Schulmeister - nicht sicher sind, ob wir den Text, also seine Bedeutung "richtig" verstanden haben. In vorerst fremde Texte einzugreifen und diese sich so anzueignen, ist Menschen jenseits von Herrschaftsstrukturen nur möglich, wenn sie Text als Artefakt realisieren, das Bedeutung nur im lesenden Subjekt hat. Das Umformen des Textes betrifft dann nicht dessen Bedeutung, sondern ist das erwähnte Erforschen der Viabilität von Formulierungen.


 

6 Sprachspiel

     Die Textkonstruktion gerät zum gemeinsamen Sprachspiel, in welchem die Formen der "Graphit"strukturen wichtig sind. (20) Die Textelemente funktionieren wie Schachfiguren: jede Figur/jedes Textelement hat Gebrauchsregeln. Die Bewegungen der Figuren sind durch die Regeln definiert, es gibt zulässige und unzulässige Wortverwendungen. Die Spielregeln regeln das Spiel, sie sagen aber nichts aus über Dinge jenseits des Spieles.

     Unser Hyper-Sprachspiel ist regelgeleitetes Handeln. Wenn ein Spiel komplex genug ist, sind die Spielregeln immer unvollständig - wie hoch ist das Spielfeld im Tennis? -, das heisst, sie bedürfen immer einer Interpretation. Die Regeln unseres Sprachspieles sind aber überdies Gegenstand des Spieles. Es gibt nichts jenseits des Spieles, was entscheiden könnte, welche Regeln zulässig sind und welche nicht. Die Anwendung der Regeln ist die soziale Praxis der Teilnehmenden, die das Spiel reglementiert.

     Systemisch funktional im Sinne von Luhmann ist der sich dynamisch wandelnde Text das "Wissen" der Lerngemeinschaft, die sich genau durch diesen gemeinsamen Text als kollaboratives System konstituiert. Eigentliches Wissen ist an autonom handelnde Subjekte gebunden, nur Subjekte können wissen. Gemeinschaften solcher Subjekte, etwa unsere Lerngemeinschaften, sind nicht wissensfähig, sie haben materielles "Wissen" in Form von Text. Für die Gemeinschaft hat der Text Bedeutung, diese ist aber nur von der Gemeinschaft realisierbar, nicht von einem einzelnen Menschen.

     So wie der Leser eines Hypertext-Textes den gelesenen Text nicht interpretiert, sondern materiell konstruiert, so werden im Sprachspiel Regeln nicht interpretiert, sondern konstruiert. Nur im Herrschaftsdiskurs des Schulmeisters erscheint die Grammatik, also die Menge der Regeln eines Sprachspiels, festgelegt. Wo wir nicht unterworfen sind, machen wir Sätze, die uns gefallen. Und in der Kollaboration suchen wir Formulierungen, die allen Beteiligten gefallen.

     Wittgensteins operationale Semantik wird gemeinhin so gelesen, dass sich die Bedeutung der Wörter aus deren Gebrauch ergebe (von Glasersfeld 1996, 217f.). Wir verhandeln nicht die Bedeutung von Wörtern, wir lernen durch Akkommodation, welche Wörter wir - unabhängig von ihrer Bedeutung - wann mit Gewinn verwenden können. In unserem Sprachspiel - das mir mit Wittgensteins Auffassung kompatibel erscheint - geht es nicht um Bedeutungen von Wörtern, die von Schulmeistern ausgewiesen werden kann, sondern um das Zusammenfinden oder Kommunizieren mittels der gemeinsamen Produktion von Text.


 

7 Vergleich

     Ich will abschliessend noch einige Gedanken zur šbertragung von Bedeutungen mittels Text anführen, also zur eingangs erwähnten Vorstellung, dass wir mittels Text Inhalte kommunizieren.

     Auch ich weiss natürlich, dass man mit Text sehr wohl ganz spezifische Wirkungen erzielen kann. Andernfalls würde ich diesen Text gar nicht schreiben, sondern mich ausschliesslich mit Hypertexten beschäftigen. Anhand von Hypertexten wird aber bewusst, dass die Manipulationswirkung von Text nicht an Textinhalte gekoppelt ist, sondern an generell instruierende Verhaltensmuster, die wir auch im Textverhalten realisieren. Hunde etwa reagieren sehr spezifisch auf unsere sprachlichen Laute. Sie können verschiedene Strukturen in Schallwellen, also ob ihr Herrchen "fass!" oder "sitz!" sagt, genau unterscheiden. Sie verhalten sich immer öfter auch im Sinne ihres Herrn. Das heisst aber keineswegs, dass sie die Worte oder deren Inhalte wie ihr Herr verstehen, sondern lediglich, dass ihr Herr für seine Zwecke viable Formulierungen gefunden hat.

     Wenn wir uns durch Texte manipulieren lassen, "verstehen" wir zwar die Texte, die Manipulationswirkung stammt aber gleichwohl aus textexternen Verhältnissen, was bei Befehlen - auch wenn sie nicht an Hunde gerichtet sind - ganz offenkundig zu Tage tritt. Wenn ich den Befehl "Vorwärts Marsch" befolge, dann nicht, weil ich verstanden habe, das jemand von mir erwartet, dass ich vorwärts marschiere, sondern weil mir hündisch klar ist, was ich nach dieser Verlautbarung im gegebenen Kontext mit Vorteil tue. Wenn ich als Schüler im Aufsatz bestimmte Themen auf bestimmte Weise behandle, dann "verstehe" ich wohl, was ich schreibe, ich weiss aber auch jederzeit, dass nicht ich, sondern der Lehrer qua Benotung meine Feder führt.

     Um auf Texte in den Augen der andern sinnvoll zu reagieren, muss man nicht die Texte, sondern die Kontexte "verstehen". Kontext verstehen ist aber eine ganz andere Fähigkeit als Text verstehen, weil Text verstehen immer Text über etwas verstehen heisst, während Kontext nicht für anderes, sondern für sich selbst steht. So wird beispielsweise das Schimpansenmädchen Washoe, seit es in den Augen der Gardners sinnvoll mit Zeichen der Gebärdensprache ALS umgegangen ist (z.B. Zimmer 1988, 110ff.), häufig als Beleg dafür angeführt, dass höhere Tiere durchaus eine bestimmte Sprachfähigkeit besitzen. Ich kann nicht beurteilen, was Tiere können. Die Frage aber, ob Washoe unsere Sprache verstehen kann, ist sinnlos, weil wir auch von anderen Menschen nicht wissen (können), wie sie unsere Wörter verstehen. Dass Affen und Hunde in der Lage sind, unsere Zeichen zu unterscheiden, ist ausser Zweifel. Faszinierend ist, dass wir mit Erfolg vorhersagen können, wie sie auf bestimmte Zeichen reagieren. Das Faszinierende ist aber unsere Vorhersage, nicht dass Tiere tun, was sie tun. Und noch viel faszinierender ist natürlich, dass wir bei so komplexen und autonomen Wesen, wie wir selbst es sind, auch meistens ganz klare Erwartungen haben, wie sie auf unsere "Graphit"strukturen reagieren. Das Verhalten von Tieren, die nicht so hochgezüchtet sind wie Washoe, verstehen wir meistens, ohne dass wir eine von den Tieren verstandene Bedeutung bemühen müssen. Bedeutungen, die von andern in unserem Sinne verstanden werden (müssen), bringen wir erst ins Spiel, wenn wir unser grenzenloses Staunen darüber wegerklären müssen, was zwischen Menschen passiert, wenn sie - auch mittels Text - kommunizieren.

     Das traditionelle Textverständnis spiegelt wider, dass Texte hauptsächlich in instruierenden Verhältnissen verwendet werden, also an Orten, wo sich der Leser wie eine "triviale Maschine" verhält. (21) Das Postulat einer Bedeutung im Text degradiert den Leser darauf, dass er entweder versteht, was man verstehen muss, oder aber defekt ist.


 

Literatur

Duden (1984): Band 4: Die Grammatik. Mannheim: Bibliographisches Institut
Braverman, Harry (1980): Die Arbeit im modernen Produktionsprozess. Frankfurt: Campus
Holzkamp, Klaus (1993): Lernen. Eine subjektwissenschaftliche Grundlegung. Frankfurt/M.: Campus
Luhmann, Niklas (1995): Soziologische Aufklärung 6. Die Soziologie und der Mensch. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag Maturana, Humberto R. (1982): Erkennen: Die Organisation und Verkörperung von Wirklichkeit. Braunschweig: Vieweg
Ong, Walter J. (1987): Oralität und Literalität. Die Technologisierung des Wortes. Opladen: Westdeutscher Verlag
Powers, William T. (1973): Behavior: The Control of Perception. Chigago: Aldine
Probst, Gilbert/ Raub, Steffen/ Romhardt Kai (1997): Wissen managen. Zürich: NZZ
Rothkegel, Annely (1999): Produktionswerkzeuge und Anwendungsdesign. In diesem Band, x-x
Schmidt, Siegfried J. (1987): Der Radikale Konstruktivismus: Ein neues Paradigma im interdisziplinären Diskurs. In: Schmidt, Siegfried J.: Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus. Frankfurt/M.: Suhrkamp (stw 636), 11-88
Simon, Fritz B. (1995): Die Kunst, nicht zu lernen. In: Fischer, Hans Rudi (Hrsg): Die Wirklichkeit des Konstruktivismus. Heidelberg: Carl Auer, 353-366
Todesco, Rolf (1992): Technische Intelligenz oder Wie Ingenieure über Computer sprechen. Stuttgart: frommann-holzboog
Todesco, Rolf (1997): Die Definition als Textstruktur im Hyper-Sachbuch. In: Knorr, Dagmar/Jakobs, Eva-Maria (Hrsg.): Textproduktion in elektronischen Umgebungen. [Textproduktion und Medium; 2]. Frankfurt/M.: Lang, 109-120
Todesco, Rolf (1998): Effiziente Informationseinheiten im Hypertext. In: Storrer, Angelika / Harriehausen, Bettina (Hrsg.): Hypermedia für Lexikon und Grammatik. Tübingen: Narr, 265-275
von Foerster, Heinz (1993): Wissen und Gewissen. Frankfurt/M.: Suhrkamp (stw 876)
von Glasersfeld, Ernst (1987): Wissen, Sprache und Wirklichkeit. Braunschweig: Vieweg
von Glasersfeld, Ernst (1996): Radikaler Konstruktivismus: Ideen, Ergebnisse, Probleme. Frankfurt/M.: Suhrkamp
Quine, Willard V. (1980): Wort und Gegenstand. Stuttgart: Reclam
Zimmer, Dieter E. (1988): So kommt der Mensch zur Sprache. Zürich: Haffmans


 

Anmerkungen

1 Fachstelle für Weiterbildung der Universität Zürich (http://www.unizh.ch/weiterbildung) zurück

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3 Vgl. dazu auch die feine Analyse der begrifflichen Rekursion bezüglich Werkzeug und Produkt in der Textproduktion von Annely Rothkegel (1999). zurück

4 "Dieser wohlvertraute Schreibtisch hier zeigt, dass er da ist, indem er (...) das Licht so ablenkt, dass es in meine Augen fällt. Wie weit derartige physikalische Dinge auch immer entfernt sein mögen - sie bieten sich uns im allgemeinen nur mittels der Wirkungen dar, die sie an der Oberfläche unserer Sinnesorgane auslösen helfen." (Quine 1980, 17). Während Tische nicht primär dazu gebaut werden, dass sie gesehen werden, produzieren wir Texte vornehmlich zu diesem Zweck. zurück

5 Im Sinne eines Hypertextes ist dieser Verweis ein Link, der die Lesenden einlädt, den letzten Abschnitt zuerst zu lesen. zurück

6 Zu den Unterschieden zwischen Sprechen und Schreiben und wie sie auf der Ebene von Hypertext allenfalls aufgehoben sind, vgl. Walter Ong (1987), der auch von der Materialität des Zeichens spricht. zurück

7 Längere Graphitstrukturen wie "Elefant im Porzellanladen" bestimmen unseren Zustand einfach etwas komplexer als es "Elefant" und "Porzellanladen" unverbunden tun. Ernst von Glasersfeld (1987, 77) nennt es in Anlehnung an C. F. Hockett ein notwendiges Kriterium für Sprache, dass die Kombination von Zeichenketten in uns bedeutungsmässig Zustände erzeugt, die über die Bedeutungen hinausgehen, in welche uns die einzelnen Zeichenketten versetzen. zurück

8 Die Probleme, die man sich einhandelt, wenn man Bedeutungen oder Inhalt im Text statt im Subjekt lokalisiert, sind im Grammatik-Duden (1984, 502ff.) unter dem Titel "Der Inhalt des Wortes (...)" in einer nicht endenwollenden Liste zusammengefasst. zurück

9 Wenn wir jemandem einen Brief schicken, überträgt der Postbote den materiellen Text (die "Graphit"konstruktion), der beim lesenden Empfänger des Textes das Auge irritiert (Todesco 1992, 119). zurück

10 Im Alltag wird oft das Vorhandensein von Links als Kriterium für Hypertext betrachtet, wodurch etwa Beiträge in Online-Zeitungen zu Hypertexten werden, obwohl sie mit den Beiträgen in den eigentlichen Zeitungen übereinstimmen und keineswegs vorsehen, dass der Leserautor sich seine eigenen Texte zusammenstellt. zurück

11 Literarisch wurde die Hyper-Form, die wir natürlich vom Lexikon kennen, in verschiedenen Hinsichten vorweggenommen. Joyce hat das Problem des sequentiellen Textes dadurch thematisiert, dass er ganze Abschnitte in verschiedenen Varianten wiederholte. Okopenko zeigt mit seinem Lexikon-Roman, dass die elektronische Umgebung auch in den Leser zurückprojiziert werden kann. zurück

12 Fachstelle für Weiterbildung der Universität Zürich (http://www.unizh.ch/weiterbildung) zurück

13 Da Wissen hier als etwas verstanden wird, was sich in Text-Ersetzungen zeigt, gelten Wissenskulturen naheliegenderweise an Text gebunden. Aber natürlich lässt sich auch jedes wissensorientierte Gespräch als Vereinbarung darüber auffassen, welche Texte durch welche ersetzbar wären. zurück

14 Wo Wissen inhaltlich verstanden wird, wird dem Wissensmanagement natürlich eine andere Funktion und Funktionsweise zugeschrieben. Für Probst (1997) etwa geht es beim Wissensmanagement darum, das inhaltliche Wissen, das in den Menschen einer Organisation vorhanden ist, zu identifizieren und der Organisation nutzbar zu machen. zurück

15 Dies gilt insbesondere auch in bezug auf Navigationsbutton. Wenn ich in einem Hypertext einen "vorwärts"-Button anklicke, erhalte ich eine neue Darstellung auf meinem Bildschirm, die mit dem "vorwärts"-Button in einem Er-Setzungs-Verhältnis steht, auch wenn ich den neuen Inhalt als Fort-Setzung des vorangehenden Inhalts deute. zurück

16 Autopoiese ist ein zentraler Begriff in der neueren Systemtheorie und bedeutet sinngemäss "sich selbst aufbauend". Lebewesen produzieren die Baustoffe, aus welchen sie bestehen (Maturana 1982), gesellschaftliche Einheiten produzieren die Strukturen, die sie ausmachen (N. Luhmann 1995). zurück

17 "Zwei Menschen könnten unter allen möglichen Reizeinflüssen auf ihre Sinne in all ihren Dispositionen zu verbalem Verhalten genau übereinstimmen, und dennoch könnten die jeweiligen Bedeutungen oder Ideen, die durch ihre identisch ausgelösten und identisch lautenden Žusserungen ausgedrückt würden, in einem weiten Bereich von Fällen radikal auseinandergehen." (Quine 1980, 59f.). zurück

18 Viabilität ist ein zentrales Konzept im Radikalen Konstruktivismus von Ernst von Glasersfeld. Viabel ist, was bis zum gegebenen Zeitpunkt nicht zurückgewiesen oder widerlegt wird. Aus der Viabilität eines Verhaltens oder eines Textes folgt keinerlei Richtigkeit oder Wahrheit (von Glasersfeld 1987, 137ff.) zurück

19 Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt (F. Schiller). zurück

20 Fritz B. Simon (1995) hat unter dem sinnigen Titel "Die Kunst, nicht zu lernen" sehr anschaulich dargelegt, weshalb wir Lernen wann vermeiden sollten. zurück

21 "Eine triviale Maschine ist durch eine eindeutige Beziehung zwischen ihrem 'Input' (Stimulus, Ursache) und ihrem 'Output' (Reaktion, Wirkung) charakterisiert. Diese invariante Beziehung ist 'die Maschine'. Da diese Beziehung ein für allemal festgelegt ist, handelt es sich hier um ein deterministisches System; und da ein einmal beobachteter Output für einen bestimmten Input für den gleichen Input zu späterer Zeit ebenfalls gleich sein wird, handelt es sich dabei auch um ein vorhersagbares System" (von Foerster 1993, 206f.). zurück