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Rolf Todesco
Als Kybernetik bezeichne ich eine Lehre, die während des sogenannten 2. Weltkrieges im Rahmen des Manhatten-Projektes entwickelt wurde. Im Manhatten-Projekt erarbeitete die technische Intelligenz im Auftrag der US-Regierung Rüstungstechnik bis hin zur Atombombe und entsprechende Technologie. Ein wichtiger Aspekt war die Regelung, die als zirkulär-kausale Rückkoppelungsmechanik begriffen wurde. Das grundlegende Buch zur Theorie hat N. Wiener 1943 geschrieben. Da es kriegstechnisch relevant war, wurde es - wie viele andere Bücher aus diesem Lager, etwa die vermeintliche Informationstheorie von C. Shannon - erst 1948 veröffentlicht. N. Wiener nannte die Lehre in Anlehnung an Maxwells Governor Kybernetik.
Kybernetik als Lehre beschreibt die Funktionsweise von Automaten - damit ist allerdings noch nicht gesagt, wozu die Kybernetik dient.
Was ist Kybernetik?
Kybernetik in der Lehre
In der Ausbildung der Ingenieure ist Kybernetik unter verschiendenen Namen wie Regelungstechnik oder Automatik ein wichtiges Fach. Wer Automaten herstellt, braucht kybernetisches Wissen. Es ist für Ingenieure Berufswissen, nicht Allgemeinbildung.
In der eigentlichen Schule - wozu Hochschulen, die Ausbildungen anbieten, natürlich nicht gehören - geht es um Bildung, nicht um Ausbildung. Eine diesbezüglich unsägliche Diskussion behandelt die Frage, ob Informatik ein Schulfach werden sollte oder ob Informatik im Gegensatz zu Mathematik und Grammatik lediglich brauchbare Fähigkeiten erzeuge und damit das humanistische Bildungsideal, wonach nichts Brauchbares gelernt werden sollte, gefährde.
Als Ausbildung bezeichne ich die Entwicklung der Fähigkeit, etwas zu machen, während Bildung die Fähigkeit entwichkelt, etwas theoretisch reflektiert abzubilden. Natürlich ist das Abbilden immer auch ein Herstellen von Text oder Zeichnungen und umgekehrt kann jeder Gegenstand auch als Abbild seiner selbst aufgefasst werden. Gleichwohl unterscheide ich einen Konstruktionsplan von einer hergestellten Maschine und in diesem Sinne das Abbilden als Wissen und das Herstellen als Können.
Schreiben und Rechnen gelten zwar als brauchbare Fähigkeit, sie werden aber in der Schule nicht als berufsspezifische Fähigkeiten gesehen, sondern vielmehr als Voraussetzung für Bildung schlechthin. Nebenbei, wenn ich erwachsene Menschen frage, was sie in der Schule gelernt haben, fällt den meisten nur Schreiben und Rechnen als nachhaltig ein.
Kybernetik als Technik
Als Technik bezeichne ich in Artefakten konservierte Verfahren, die mich effizient machen. Ich unterscheide Werkzeuge, Maschinen und Automaten. Kybernetik beschreibt Automaten, die immer auch Maschinen und Werkzeuge sind. Die praktische Entwicklung der Automaten-Technik brachte anfänglich vor allem Computer mit programmierbaren Prozessoren hervor. Das Programmieren wurde zu einer eigenen Disziplin, die als Informatik oder als Comuputerwissenschaft bezeichnet wurde, wodurch der Name Kybernetik weitgehend verschwunden ist.
In der Schulfachdiskussion wird Informatik kaum als Maschinen-Technik wahrgenommen, zumal auch die Informatiker sich lieber als Mathematiker denn als Ingenieure sehen. Dem entsprechend ist sehr viel mehr von Algorithmen als von Automaten und sehr oft von digitalen Medien die Rede. Die Schulfachdiskussionen widerspiegeln einen politischen Diskurs, in welchem Technik verdrängt wird. Prozessoren sind aber als materielle Artefakte der Inbegriff des Gegenstandes der Kybernetik.
Was ist Technik?
Kybernetik als Wissenschaft
Kybernetik wurde als Wissenschaft konzipiert, obwohl ihr Ursprung im Engineering liegt. Der Legende nach ging es am Anfang um Flugzeugabwehrgeschütze. N. Wiener schreibt in seinem Buch "Die Versuchung" aber, wie ein Mathematiker wesentliche Prinzipien der kybernetischen Kontrolle entwickelt hat, die in der Technik ebenso wie in der Natur zu finden waren. N. Wiener hat mit Naturwissenschaftlern und Ingenieuren zusammengearbeitet und sein Werk als Kontrolle im Tier und in der Maschine genannt. W. Ashby, der die wichtigste Einführung in die Kybernetik geschrieben hat, erläutert die Prinzipien an einem spukenden Haus, um deutlich zu machen, dass es weder um Tiere noch um Maschinen geht, sondern um eine allgemeine Theorie.
Kybernetik als Systemtheorie
Kybernetik wird auch Wissenschaft der Systeme oder als Systemtheorie bezeichnet. Der Ausdruck System wird in der Kybernetik (wohl) verwendet, weil er als umgangssprachlicher Begriff für komplizierte Dinge weniger verfänglich scheint als Mechanismus. In der Zeit, in welcher Kybernetik verbreitet wurde, gab es bereits soziologische Systemtheorien und die biologische Systemlehre von L. von Bertalanffy, die mit der Kybernetik beide nichts zu tun hatten. System wird in den einzelnen Disziplinen - wenn überhaupt - sehr verschieden definiert.
In der Kybernetik war zunächst von "zirkulären Feedbackmechanismen" die Rede. Als Mechanismus bezeichne ich einen Automaten, wenn ich dessen Funktionsweise hervorheben will. Wichtiger als die Ausdrücke ist, Kybernetik als eine Theorie darüber zu sehen , wie geregelte Mechanismen adäquat beobachtet und beschrieben werden. Kybernetik fragt nicht, was dieses Ding ist, sondern wie es funktioniert. Im naiven Verständnis der ersten Kybernetiker wurde das Ding noch benannt: Tier, Maschine, spukendes Haus - oder abstrakt eben System. Gemeint aber war immer eine Blackbox mit einem Regelungsmechanismus, quasi egal, was das Ding sein möge.
Was ist ein System?
Kybernetik als Theorie
Als Kybernetik schon niemanden mehr interessierte, weil zu viel Unfug mit dem Wort verbunden wurde, hatte sie eine Renaissance, die durch H. von Foerster als Kybernetik 2. Ordnung eingeleitet wurde
Ich unterscheide Theorie und Theorien im Sinne von Objekt und Instanz. Theorien befassen sich normalerweise nicht mit Theorie, sondern mit der Plausibilisierung von Erklärungen. Als Theorie bezeichne ich eine explizite Reflexion der Kategorien, die ich beim Beobachten von Sachverhalten verwende. Wenn ich mir etwas erkläre, betrachte ich es als Phänomen. Das Phänomen erkläre ich, indem ich einen Mechanismus beschreibe, mit welchem ich das Phänomen erzeugen kann. Wenn ich den Mechanismus nicht herstellen, sondern als Erklärung verwende, bezeichne ich ihn als System.
Ich gebe ein Beispiel. Wäre ich im alten Griechenland vor dem Tempel von Heron von Alexandria gestanden, hätte ich fragen können, weshalb sich wohl dessen Türen wie von Götterhand geführt oder automatisch öffnen, wenn der Priester vor dem Tempel das Feuer anzündet. Ich hätte das Phänomen damit erklären können, dass die Götter dem Priester dienen, etwa indem sie die Tür durch einen Windstoss oder durch magische Kräfte öffnen. Eine andere Erklärung wäre gewesen, dass der Priester ein Zauberer wäre oder mich hypnotisiert habe. Oder dass Sklaven des Priesters versteckt hinter den Tempeltüren sitzen. In all diesen Erklärungen beschreibe ich einen Mechanismus, aber natürlich keinen Automaten, den ich herstellen könnte. Heron hat das Phänomen mit einem unterirdischen Mechanismus erklärt.
In meinen Erklärungen beschreibe ich - kybernetische - Systeme.
In meiner Theorie - über mich - beschreibe ich, dass ich mir Erklärungen mache und wie ich diese Erklärungen konstruiere. Ich habe meine Theorie etwas ausführlicher als Systemtheorie 2. Ordnung beschrieben.
Die Arbeitsgruppe
Zur Arbeitsgruppe stelle ich mir einen Dialog vor, in welchem die Kybernetik im Zentrum steht. Mensch-Maschine-Kommunikation lese ich als Verweis auf die Kybernetik. Wir könnten darüber sprechen, wie wir diese Ausdrücke verwenden. Wir könnten auch darüber sprechen, warum Kybernetik so rasch wieder verschwunden ist, also darüber, warum sie nicht unterrichtet wird oder in den Massenmedien im Unterschied zur Worthülse Digitalisierung nicht erscheint.
Erfahrungsberichte der Teilnehmenden
Rolf Todesco
Zuerst: meine MMK-Erfahrung schlechthin. Wenn ich mich mit ein paar Menschen zu einem Dialog zusammensetze, erkenne ich wie verschieden wir sprechen. Ich will dafür keine Erklärungen suchen sondern beobachten, wie wir damit umgehen. Unser Thema schien mir - wie meistens - recht zufällig und bereits die Moderationspapiere zeigten sehr verschiedenen Perspektiven, die durch die Positionspapiere nochmals sehr erweitert wurden. Von einem gemeinsamen Thema konnten wir also nicht ausgehen, obwohl die AG einen Titel hatte. Das erlebe ich an jeder MMK genau so.
Dann: Eine gemeinsame begriffliche Bestimmung zur Kybernetik war uns nicht möglich, alle Versuche scheiterten an Verhaftungen in vermeintlichen Anwendungen. Wir haben ziemlich lange über die thermostatengeregelte Heizung gesprochen, aber daraus folgte jeweils nichts für Gegenstände, die uns mehr interesierten: Le(h)r(n)maschine, Scrub-Verfahren, Softwareorganisation, Theorie des Erklärens.
Schliesslich: Was wir mit Pädagogik bezeichnen, haben wir stillschweigend vorausgesetzt,und einfach über Schulkinder und Schule gesprochen, wobei uns bewusst war, wie wenig wir darüber wissen. Ein vorläufiges Resultat sehe ich darin, dass wir - wenigstens vordergründig gemeinsam - mein(t)en, dass das Modellieren als Kulturtätigkeit in der Schule nicht nur nicht gepflegt, sondern sogar verdrängt wird.
Ich werde zunächst ein paar Aspekte unserer Kybernetik-Diskussion erläutern und nachher auf unsere pädagogischen Perspektiven eingehen:
Kybernetik
Anhand unserer pädagogischen Überlegungen erkannte ich (quasi rückwirkend), dass wir mit Kybernetik vor allem eine Art Modellieren "gemeint" haben. In der Diskussion war oft von Regelkreisschemata die Rede, oder differenzierter von Schemta und von Regelkreisen. Ein grosses Problem hatten wir mit der Unterscheidung Modell und Modellabbildung. Gunter beharrte - bis hin in seine nicht abgesprochene Präsentation unserer AG-Resultate - darauf, dass Kybernetik ein Darstellungsschema sei, dass er überdies leicht durch andere Darstellungen ersetzen könne. In der Präsentation der Resultate bewirkte das Reaktionen wie, Kybernetik sei auch nur eine Sprache. Diesbezüglich sind unsere Ansichten aber meilenweit auseinandergegangen. Für mich ist Kybernetik Technik, also etwas völlig anderes als Sprache oder Schemata.
Hintergrund solcher Interpretationsvariationen scheint mir, dass in der Technik generell, aber in der Informatik ganz speziell jenseits begrifflicher Kategorien gesprochen wird, weil ja immer ein Referenzobjekt, also ein konkrete Maschine entscheidet, was wie zu verstehen ist. Auch bekannte Kybernetiker bezeichnen die Kybernetik - geschwätzig - als Wissenschaft, ohne zu sagen, was sie damit als Wissenschaft bezeichnen. Sie würden wohl in diesem begriffslosen Sinn auch Technik, Informatik und Mathematik als Wissenschaft von irgendetwas bezeichnen.
Eine unserer Ausgangsthesen war, dass Kybernetik als Fachbezeichnung weitgehend verschwunden ist, einerseits weil sie so allgemein verwendet wurde, dass ihr spezifischer Charakter verloren ging und andrerseits, weil die technischen Aspekte durch das Wort Informatik - eine ebenso beliebige Wortschöpfung wie Kybernetik - bezeichnet wurde. Informatik und Kybernetik wurden historisch als mathematische Disziplinen begriffen, sie sind aber ihrem Wesen nach Engineering, also herstellende, gestaltende Disziplinen, was mit Mathematik rein gar nichts zu tun hat - ausser dass natürlich wie überall auch etwas gerechnet wird. Dass wir überhaupt noch über Kybernetik nachdenken, beruht darauf, dass die Mode des Radikalen Konstruktivismus durch die Bezeichnung Kybernetik 2. Ordnung das Wort und bestimmte Aspekte der Lehre wieder populär gemacht haben. Wir sind darauf nicht näher eingegangen.
Wir haben aber über quasi verwandte Gebiete kurz gesprochen: Systemdynamics (Club of Rome) und systemisches Denken. Beides sind Inversionen der Kybernetik, auf die wir auch näher eingegangen sind, die aber unter Pädagogik nochmals kurz ins Gespräch kamen.
Ein wenig Konsens - schien mir (!)- hatten wir darin, dass die Kybernetik Mechanismen mit Rückkoppelungen konstruiert oder RE-konstruiert. Es ist uns meines Erachtens nicht gelungen, uns auch über Rückkoppelung einig zuwerden, dagegen haben wie anhand der Ablaufschemata, die die Programmierung beherschen, den Unterschied zwischen linearen Prozessen mit einem Ziel und kybernetischen Prozessen, die kreisförmig sind, unterschieden. [Einschub von mir für mich: H. Arendt verwendet diese Unterscheidung für Kultur (Herstellen) und Natur (Arbeiten)].
Das Herstellen und das Herstellen von Modellen bestimmt die Vorstellung des toolmaling animals, also des gestaltenden Menschen. Damit haben wir die Kybernetik zugunsten der Pädagogik quasi abgeschlossen.
Pädagogik
Ausgangspunkt der Überlegungen war die Hypothese, wonach alle Schulfächer durch Kybernetik ersetzt werden könnten/sollten, weil so das Herstellen und Modellieren der Welt als ganzheitliches Bildungsziel gesetzt würde, welchem sich alle spezielle Fähigkeiten unterstellen.
In der aktuell herrschenden Schule, die Menschen in die herrschende arbeitsteilige Gesellschaft eingliedert, werden fratalisierte Fächer gemäss einem Lehrplan unterrichtet. Nur wenige Menschen können als Erwachsene sagen, was an brauchbaren Fähigkeiten sie in ihrer ganzen Schulzeit gelernt haben. Oft wird schreiben genannt, aber in jüngerer Zeit - etwa seit Kybernetik verschwunden ist - können sehr viele Kinder beim Schuleintritt bereits schreiben. In der Schule soll dann das Lernen gelernt werden, oder das sich Anpassen. Die von Kindern mitgebrachte Freude am spielerischen Konstruieren wird nicht gepflegt, sondern durch Büffeln von fertigem Formelwissen verdrängt.
Wir haben darüber gewerweist, was auf welcher Altersstufe wie unterrichtet werden könnte, wozu uns aber jede Erfahrung fehlte. Nur eines war uns klar, Differentialrechnung und Latein, deutsche Grammatik und Physik braucht praktisch kein Mensch. Solche Inhalte dienen der gezielten Selektion. Die Schule hat ganz am Rande nichtzählende Fächer wie Zeichnen, Handwerken, Kochen, deren Gestaltungspotential aber durch deren Bedeutungslosigkeit in der Schule aufgehoben wird.
Neuerdings gibt es Ansätze wie etwa MINT, in welchen Technik neben den herkömmlichen Fraktalfächer im Lehrplan wenigstens erwähnt wird. In der Schulpraxis ist dann aber meistens vom Informatikkompetenz die Rede, die darin besteht die Programme von B. Gates auf einen Handy nutzen zu können. Als Höhepunkt im Technikunterricht sehen wir Lego Mindstorms. Anhand solcher Spielzeuge, die bereits auf Volksschulstufe benutzt werden können, kann/könnte Kybernetik veranschaulicht werden.
Zu Systemdynamics und systemischem Denken gibt es in der Managementausbildung sehr vereinfachte Ansätze. Ein typisches Spiel unter vielen Varianten dazu ist Ecopolicy von F. Vester und Gedankenspiele von D. Dörner. In diesen Fällen wird mit Modellen gespielt, es werden keine Modelle entwickelt.
Resultat und Ausblick
Kybernetik und die damit verbundene Modellierung haben bisher in der allgemeinen Schulbildung vollständig gefehlt. Es gibt deshalb nicht nur keine entsprechend entwickelte Kompetenzen, sondern auch kein Bewusstsein für den Sinn des Modellierens. Die Lehrpersonen müssten zuerst selbst lernen, bevor sie unterrichten könnten, was schlecht organisierbar scheint. Kybernetik würder den Bildungskanon revolutionär umkrempeln und damit auch neue Perspektiven auf die Gesellschaft und deren Gestaltungsräume mit sich bringen.
Anlässlich der Präsentation der Arbeitsgruppenresultate im Plenum entwickelte sich die Idee, in einer weiteren AG an der nächsten MMK sich mit dem Lernen des Modellierens nochmals eingehender zu befassen. In der AG Lernen mit Baukästen sollen die Fragen des Lernens anhand konstruierender Tätigkeiten vertieft werden.