dialog im aktsaal

  Metaphysik brut  

  Der argentinische Aphoristiker Antonio Porchia  

 

Der Italo-Argentinier Antonio Porchia ist 1886 in Neapel geboren und 1969 in Buenos Aires gestorben. In drei Schüben – 1948, 1956 und 1967 – hat er in vorgerücktem Alter unter dem gleich bleibenden Titel «Voces» (Stimmen) Aphorismen veröffentlicht, deren Verschlüsselungskunst und Tiefgang überraschen.

schwer, für die Stimmenvielfalt eine Mitte zu orten:

«Wenn ich sterbe, werde ich mich nicht sterben sehen, zum ersten Mal», so der bittere Selbstbeobachter Porchia.

«Ich kann die Blumen anschauen, aber nicht, wenn niemand sie anschaut», so denkt einer, der die Schöpfung liebt.

Vorliebe für das Paradoxe:

«Wenn mich das Oberflächliche ermüdet, ermüdet es mich so sehr, dass ich einen Abgrund zum Ausruhen brauche.»

Das Transzendentale als Sphäre der Sehnsucht:

«Seit langem erbitte ich nichts vom Himmel, und meine Arme sind noch nicht gesunken.»

Anwandlungen mystischer Einheitssuche:

«In Begleitung zu sein, ist nicht mit jemandem zu sein, sondern in jemandem zu sein.»

Sprachlogik hin zum Absurden:

«Und wenn sich nichts gleich wiederholt, dann sind alle Dinge letzte Dinge.»

schroffe Affirmation:

«Jedes Spielzeug hat ein Recht darauf, kaputtzugehen.»

Nächstenliebe:

«Ich werde dir helfen zu kommen, wenn du kommst, und nicht zu kommen, wenn du nicht kommst.»

sprachverliebte Glossen:

«Alle Dinge sprechen Namen aus.»

Humor:

«Manchmal dauert das Sterben so lange, dass ich mich unsterblich fühle.»

Lob der Einmaligkeit:

«Der Mensch ist eins, der Fluss ist eins, der Stern ist eins. Eins, eins, eins. Es gibt eine Unendlichkeit der Eins. Und es gibt keine Zwei!»

keine Moral & Bosheit:

«Niemals kann man nicht verletzen. Aber man kann weniger verletzen, indem man da verletzt, wo man weniger verletzt.»

Sprach- und Gedankenspiele:

«Wer von Feuer zu Feuer geht, stirbt an Kälte.»

mit der Dankbarkeit schwer tun:

«Vom Guten und vom Schlimmen, das mir angetan wurde, schmerzt mich das Gute; das Schlimme schmerzt mich nicht.»

die Streber nicht vergessen:

«Steigen, steigen, und man betrachtet, am Gipfel angelangt, einen Abgrund.»

etwas für die Neidhammel:

«Die Welt verzeiht deine Unzulänglichkeiten, nicht deine Fähigkeiten.»

Antonio Porchia: Voces/Stimmen (132 S., Fr. 28.80). Voces abandonadas / Verlassene Stimmen (136 S., Fr. 27.30). Beides herausgegeben und aus dem argentinischen Spanisch übersetzt von Juana und Tobias Burghardt. Tropen-Verlag, Köln 1999 und 2002.