dialog im aktsaal


Diskussion des Dialog-Setting (2007)

Wir diskutieren unser Dialog-Setting in e-mails, die ich hierherkopiere.


Lieber Dialogkreis

ich habe gestern für-wahr-genommen, dass es einen grossen Unterschied macht, ob ich die "Wirklichkeit" verändern oder transformieren will, oder ob ich eine schöne neue Welt konstruieren will, die nicht durch die blöde Wirklichkeit belastet ist.

In meinem Denken - das kann man, wenn man will, als Radikalen Konstruktivismus bezeichnen - kommt DIE Wirklichkeit nicht vor. Ich sage also nicht, dass es sie gibt oder nicht gibt, sondern ich sage gar nichts dazu. Ich spreche über MEINE Konstruktion, also darüber, was ich DIA LOGOS erkennen und so erzeugen kann. Ich habe gestern im Dialog wieder gespürt, dass das sehr anspruchsvoll ist und mir nur schlecht gelingt, ich habe aber auch wahrgenommen, dass es mir sehr schwer fällt, zu erkennen, was die andern Dialogpartner für Ziele verfolgen, also ob sie beispielsweise auch einer einer guten Konstruktion interessiert sind, oder ob sie beispielsweise lieber gute Werkzeuge für die wirkliche Welt dort draussen hätten. Ich kann aber nicht wissen, was die andern wollen, deshalb macht es mir auch keinen Sinn mir diese Frage zu stellen.

In der Dialogveranstaltung sehe ich eine Auflösung dieses Problems: Das sind die Regeln. Ich erkenne sehr leicht, ob wir uns (ich und die andern) an dei Regel halten oder nicht. Ich wünsche mir deshalb eine Diskussion der Regeln und dass wir uns in der Dialogveranstaltung möglichst an die von uns gewählten Regeln halten. Ich schlage also vor, dass wir an unseren Dialogabenden mit der Differenz zwischen Dialog und Dialogveranstaltung bewusster umgehen, das heisst, dass wir uns an die Regeln halten UND uns künftig daraufhin gegenseitig kontrollieren. Das ist sicher eine schwierige Sache, aber mich interessiert sehr, was dabei zustande kommt.

Natürlich kann ich auch nicht wissen, wie andere eine bestimmte Regel interpretieren. Ic kann nur sehen, ob sie sich in meiner Interpretation an die Regeln halten. Aber indem ich das anmahne, wird mir vielleicht auch klarer, wie man die Regeln interpretieren kann.

Ich schlage vor, dass wir die Regeln hier DISKUTEREN. Wir machen ein paar Regeln, und alle Teilnehmer können dann für sich entscheiden, welche Regeln sie einhalten wollen. Sie müssen das aber explizit sagen, so dass die andern das beobachten und unterstützen können. Vielleicht gelingt es uns, die Diskussion hier via "mail an alle" zu führen, dann müssen wir an den Dialogabenden nicht diskutieren, welche Regeln sinnvoll sind.

Mit Eurer Erlaubnis stelle ich die mails auf unsere Homepage, ich hänge sie einfach wie in einem Blog hinten an, wenn Ihr nicht schreibt, dass Ihr das nicht wollt.

Die erste Regel: ich-Formulierungen

Interpretation: Ich sage in jedem Satz "ich", ich sage nicht "man" und nicht "wir". Grenzfall: Ich sage beispielsweise "MAN kann das so oder so sehen, ICH sehe es so." Das MAN steht dann nicht für jedermann, sondern für das Gegenteil, nämlich dafür, dass es verschiedene Sichtweisen gibt. Ich würde aber an dieser Stelle besser sagen, dass ich verschiedenen Sichtweisen erkennen kann, obwohl ich eine bestimmte gewählt habe.

Zweite Regel: Keine Fragen an andere Personen richten.

Interpretation: Ich kann erzählen, dass ich mich frage, ob dieses oder jenes, aber das ist keine Frage an andere.

Das sind meines Erachtens zwei ziemlich primitive Grundregeln, auch wenn ich sie nicht immer einhalten kann. Es scheint mir einfach, dass wir uns gegeseitig sagen, wenn diese Regeln verletzt werden. Wer eine Regel verletzt hat, sagt denselben Satz einfach nochmals und hält sich dabei an die Regel.

Beide Regeln haben grosse Grauzonen, die können wir hier erläutern, falls Ihr überhaupt an Regeln interessiert seid. Vielleicht zieht Ihr den Dialog der Dialogveranstaltung vor. Dann brauchts natürlich keine Regeln, aber ich glaube auch keine Veranstaltung. Ich bin gespannt, was Ihr für Vorstellungen macht.

Herzlich
Rolf


liebe dialogisierende

ich war - wie ihr wisst - im winterhalbjahr nicht dabei und kann erst ab mai wieder in der runde mitwirken. als zur zeit aussenstehende, mitlesende oder einfach zaungästin scheint mir jedoch, dass die worte - der DIA LOGOS mehr verwirrung stiftet als klärung. ? auch ich glaube, mein denken resp. meine worte können DIE wirklichkeit nicht fassen. wäre es dann nicht besser, einfach zu schweigen? (aber dafür müsste dann keine dialogrunde mehr besucht werden...)

und was soll ich aus diesem blickwinkel von (monologischen?) aussagen halten, die von gaaaanz hellen köpfen und herzen geäussert wurden, zb paulus: "die ganze schöpfung wartet auf dein (auf unser) licht" (was für mich seit jahren eine art lebens-leitfaden darstellt). oder jesus: "dein ganzer körper wird mit licht erfüllt sein". oder ein zeitgenosse wie eckhart tolle, der sagt, dass transformation d u r c h den körper statt findet, nicht von ihm weg. an anderer stelle in seinem buch 'jetzt' erläutert er weiter (jetzt folgt ein längeres zitat):

"du bist so lange von deinem SEIN abgeschnitten, wie dein verstand all deine aufmerksamkeit bekommt. wenn das geschieht - und für die meisten menschen ist das ununterbrochen so - bist du nicht in deinem körper. der verstand absorbiert all dein bewusstsein und verwandelt es in denkmaterial. du kannst nicht aufhören zu denken. zwanghaftes denken ist zu einer kollektiven krankheit geworden. dein gesamtes selbstverständnis wird vom verstand abgeleitet. deine identität, nicht länger im sein verwurzelt, wird zu einer verletzlichen und ständig bedürftigen geistigen konstruktion, welche angst als vorherrschende unterschwellige emotion erschafft. das eine, das wirklich etwas bedeutet, fehlt dann in deinem leben: bewusstsein über dein tieferes selbst, über deine unsichtbare und unzerstörbare wirklichkeit (da haben wir sie wieder, DIE sog. wirklichkeit, anm. gerda)."

alle drei aussagen sind wahr für mich.

manchmal frage ich mich (ganz dialogisch): ist d a s vielleicht die crux mit dem dialog nach david bohm, der ja ein grosser intellektueller war: zu sehr aufs wort fokussiert verwickeln wir uns immer wieder in unserem denken resp. in unseren wort- und weltkonstruktionen. und dann bringen die dialog-grundregeln den äusseren wort- resp. den inneren gedankenfluss, -strom, -ansturm tatsächlich ab und zu ins stocken. in so einem 'stau' dann wie angenagelt in der runde und auf dem stuhl hocken bleiben zu müssen, machts ja auch nicht gerade einfacher. - vielleicht sollten wir dann, statt immer wieder an den regeln herum zu basteln, dialogisch mit einander tanzen oder sonst etwas 'bauchiges' machen.... wäre vielleicht ganz lustig... oder - nun etwas ernsthafter und um nochmals auf eckhart tolle zurück zu kommen - unser bewusstsein (bewusstes sein) immer wieder vom verstand weg ins körperinnere führen, zum atem, zur inneren pulsierenden energie, zur inneren leibgestalt, zum gewahrsein, was da ist. (das ist gar nicht so esoterisch, wie es auf anhieb klingen mag.) da gehen uns vielleicht ganz neue 'lichter' auf. kein DIA LOGOS ohne DIA CORPOS....?

excüsi, falls mein beitrag nicht bei allen auf verständnis stossen mag. er ist wohl auch ausdruck dafür, dass ich - wie ihr? - ein bisschen ratlos bin, wie wir den dialog resp. uns selbst und somit 'die wirklichkeit' verändern können.

herzliche grüsse und auf wiedersehen im mai
gerda tobler


Liebe Dialogisierende

ich will wil hier mit der Differenz zwischen Dialog und Diskussion denken und im Sinne meiner Dialogregeln Verletzungen anmahmen, was ich im Dialog ja nicht mache. Ich frage mich und Dich, wozu die Qualifizierung "helle Köpfe" dient? Was wird über Paulus oder Jesus damit gesagt? Und wenn ich den Satz "dein ganzer körper wird mit licht erfüllt sein" beobachte, frage ich mich, ob er einfach in eine ich-Form gebracht werden könnte? Ich probiere: "MEIN ganzer körper wird mit licht erfüllt sein" (oder "die ganze schöpfung wartet auf MEIN licht"). Ich habe dabei ein mulmiges Gefühl. Ich würde die Sätze nicht ohne weiteres sagen. Das zeigt mir, dass ich durch die ich-Form die Aussagen für mich klären muss, ich muss sie mir bewusst machen, ich muss mir überlegen, was ich damit sagen will. Wenn ich den Satz "du bist so lange von deinem SEIN abgeschnitten, wie dein verstand all deine aufmerksamkeit bekommt" beobachte, fällt es mir zunächst ganz leicht, die ich-Form zu wählen: "ICH bin so lange von meinem SEIN abgeschnitten, wie mein verstand all meine aufmerksamkeit bekommt". Was gewinne ich also, wenn ich an dieser Stelle Du anstatt ich sage? Ich kann aber ganz leicht erkennen, was ich dabei verliere. Ich verliere den Respekt vor dem Du. Das erkenne ich daran, dass ich diesen Satz im Gebet, wo ich mit Du zu Gott spreche, nicht sagen würde.

Und eine zweite Regel will ich anmahnen: Wozu dient es, zu sagen, dass ein Satz von Jesus oder von E. Tolle gesagt wurde?

Und eine Erfahrung, die ich im letzten Dialog, den ich ziemlich lange als ziemlich harzig erlebte, wiedererkannte: Sobald wir die Dialogregeln aufgeben, entsteht augenblicklich ein munteres Gespräch, obwohl dieselben Leute in demselben Raum auf denselben Stühlen versammelt sind. Ich will aber nicht muntere GEspräche, sondern einen munteren Dialog. Mein Vorschlag lautet diesmal wieder im Sinne eines Experiments - , die Regeln künftig explizit zu halten, indem Verletzungen gemahnt werden. Ich gebe mit dieser mail ein Beispiel dafür, wie ich mir diese Mahnungen vorstelle. Ich frage nach dem Gewinn, den ich habe, wenn ich eine Regel verletze. Und in der Dialog-Veranstaltung, schlage ich vor, den Dialog jeweils zu unterbrechen, und Alter Ego zu fragen, worin der Nutzen liegen könnte. Liebe Gerda, ich frage also Dich - obwohl ich weiss, dass ich im Dialog keine Antwort zu erwarten habe. Ich frage in der Diaskussion.

Schliesslich überlege ich mir auch den wunderbaren Vorschlag DIA CORPOS. Ich finde den Vorschlag wie jenen, der DIA FACTUS genannt wurde, sehr erstrebenswert, weiss allerdings noch nicht so recht wie wir das anstellen werden. Mein Karate-do jedenfalls habe ich immer als reine Form praktiziert, die von strengen Regeln angeleitet ist. Ich wäre sehr froh, wenn wir tanzen oder atmen oder einen anderen "körperlichen" Weg einbeziehen könnten.

Herzliche Grüsse
Rolf


hallo Dialogkreis, hat kurz Raum gewechselt. und Form?

Man könnte die Regeln auch umdrehen.
Regel 1 nur noch Du sagen.
Regel 2 nur noch Fragen stellen.
Das wär ev mal ein Experiment wert. Da würdest du ev herausfinden was die anderen für Ziele verfolgen.

aber ich sage: Regeln sind gut wenn sie begründet sind. (vorallem den neuen Teilnehmern die die Wirkung der Ichbotschaft nicht wissen.)

Bei Regel :ich und Regel: keine Fragen würd ich noch die Dritte Regel :nur 3sätze pro Person pro Sprecheinheit anfügen. dann muss man sich auch genau üerlegen welch wertvolle Sätze man aussprechen möchte.

Sonnengruss Daniela Nellie Stojsic alias SU-LI


Lieber Dialogkreis

ich spreche (meine Regel) sehr gerne so, dass ich sage:
MAN könnte dieses oder jenes ...
ICH aber sehe es so ...

Da mir die Regeln zunächst formal dazu dienen, dass ich mir mein Sprechen bewusst halte, weil ic immer auch noch an die Regeln denke, spielt es für mich keine Rolle, welche Regeln wir wählen. Wir können jedes Experiment machen.

Ich finde auch, dass WIR die Regeln am Anfang erläutern sollten, wenn wir uns während des Dialoges gegenseitig an die Regeln erinnern wollen.

Und das ist mein 4. Satz: Auch die Regel mit 3 Sätzen finde ich ein Experiment wert. Da ich nicht genau weiss, was Sätze sind, würde ich die Regel vielleicht lieber so formulieren: Jede Sprecheinheit nur zu einer Sache. Aber auch das ist für mich ziemlich schwierig. Bei D. Bohm lautet die Regel: Sag es so kurz wie möglich.

Herzlich
Rolf


lieber rolf
vielen dank für deine nützliche weil nutzen-orientierte differenzierung! ich verstand sie zwar nicht im ersten anlauf, sondern hatte eher das gefühl, wieder mal im dialogischen sinne alles 'verkehrt' gemacht zu haben. allerdings möchte ich hier doch noch beifügen, dass ich bei den gemachten licht-zitaten - im gegensatz zu dir, lieber rolf - kein mulmiges gefühl habe. 'licht' ist für mich eine (yogische und mystische) metapher für (höheres) bewusstsein und erkenntnis. ich habe ausserdem grosses vertrauen in jene menschen, die diese und ähnliche worte in die welt gesetzt haben. gottvertrauen sozusagen. im zweiten anlauf dämmerte mir folgendes: ist der dialog letztlich vor allem eine weitere übungsform des gebets? soll ich alle mir wichtig scheinenden aussagen darauf hin überprüfen, ob ich sie so und nicht anders auch gott sagen würde? oder zum göttlichen DU in dir, in mir? zu ende gedacht ist der dialog vielleicht eine art geistiges glasperlenspiel unter göttern? das fände ich allerdings sehr aufregend!! wenn auch ziemlich anspruchsvoll. da müsste nun meines erachtents wirklich und unbedingt noch ab und zu ein tanzender, lachender narr (auch unser alter ego) dazukommen, sonst verschlägts mir vor lauter respekt und ehrfurcht ... und dann noch die regeln!... glatt den atem.
deinen vorschlag zu jeweiliger dialog-unterbrechung und anmahnung bei regelbrüchen finde ich aber dennoch sinnvoll weil lehrreich. es gibt noch viel zu üben... mit spielerischem ernst, hoffentlich.
herzliche grüsse
gerda


Liebe Gerda, Lieber Dialogkreis

mein mulmiges Gefühl bezieht sich nicht auf das Licht, sondern auf den Unterschied, ob ich sage: "die ganze schöpfung wartet auf DEIN licht" oder "die ganze schöpfung wartet auf MEIN licht". Es ist die Formulierung.

Meine Regel lautet: Im Dialog spreche ich wie im Gebet. Ich weiss, dass ich diese Regel ganz selten einhalte, sie ist mein Ziel, meine Vision und Verheissung. Und sie macht mich oft sprachlos. Dann stelle ich die Regel zurück und halte mich an einfachere Regeln, damit ich wieder sprechen kann (und am anschliessenden Stammtisch habe ich gar keine Regeln, da kann ich beliebig drauflosschwatzen).

Und als 3. Satz: Ich unterscheide üben und ausüben. Gebete und Dialoge kann ich nicht anders üben als ausüben.

Herzliche Grüsse
Rolf


Liebe Dialog Freunde

ich weile in der Tosana und konnte am letzten Dialog-Abend nicht teilnehmen. In Gedanken bin ich aber oft im Dialog, im Experiment, mir selbst meine Wahr-Nehmung der Welt zu in Worten darzustellen. Das geht recht gut, bei der Arbeit im Garten und im Olivenhain. Mir fällt dabei auf, dass ich oft Mühe habe, meinen eigenen Standpunkt zu erkennen. Es flimmern unterschiedlichste Referenzen durcheinander. Frühere, noh halbwegs gültige Konstruktionen, und Konstruktionen, die noch nicht richtig ausgegoren sind.

Es ist einfach, einem 'Credo' zu folgen, und ausformulierte Wahrheiten zu übernehmen. Mich interessiert das auch, aber nur als Rohstoff, zur Erarbeitung meiner eigenen Konstruktionen. Darum ist mir die Dialog-Gruppe so wichtig, ich will mit Euch daran arbeiten, meine eigene Welt immer mutiger selber zu konstruieren, und dabei die Welt-Bilder anderer akzeptieren zu können; sei es als allfällige EDrweiterungen meiner Konstruktionen, sei es als Bestärkung dass ich mich von anderen unterscheide, unterscheiden will, unterscheiden darf!!

Mir hilft dabei die Regel, dass ich mich daran halte, meine Aussagen einzig und allein in der Ich-Form zu machen. Ich finde es auch gut, nicht Einzelne zu fragen (dadurch können sie zu Autoritäten werden) sondern meine offenen Fragen in die Runde zu stellen. Wenn Menschen beten, stellen sie oft Fragen an Gott, vielleicht haben solche Fragen in die Runde eine ähnliche Funktion, sie sind gestellt, und wenn ich die Heerz und Ohren offen halte, kommt eine Antwort früher oder später.

Ich finde gut, dass wir die Regel-Frage jetzt per e-mail besprechen und ich freue mich auf weitere Experimente mit Euch

herzlich
Verena


Liebe Dialoggemeinde

Da ich mich mit Fragen des Dialogs und des Konstruktivismus nur beschäftigen kann, wenn ich sämtliche lebenspraktischen Probleme im Griff zu haben glaube, kam ich erst heute dazu, die interessanten Mails zu lesen, die im Anschluss an die letzte Dialogrunde ausgetauscht wurden.

"Naturgemäss" brachten mich viele Beiträge auf viele Ideen, von denen ich zwei kurz erläutern möchte. Vorher möchte ich jedoch einen Gemeinplatz wiederholen, der mir bei unserem Dialog zentral erscheint, nämlich dass jeder Teilnehmer persönliche, von jedem anderen Teilnehmer abweichende, Zielsetzungen in den Kreis einbringt. Ich nehme meistens daran teil, weil ich mir neue Erkenntnisse erhoffe - und meine Erfahrung zeigt mir, dass der Dialog mir zu vielen neuen Erkenntisse verholfen hat. Ich glaube jedoch nicht mehr, dass der Grund dafür in unserem Setting oder in den Regeln von Bohm liegt. Ich glaube, ich profitierte so lange davon, weil es sich bei unsere Dialogrunde um eine fasizinierend unstrukturierte, unambitiöse, unaufgeregte, altehrwürdige Institution handelt.

Doch nun zu den aufgeworfenen Fragen, die ich kurz streifen möchte. Erstens finde ich es nützlich, mit EINFACHEN Regeln, die alle verstehen, zu experimentieren und Regelverstösse - wie in jedem Spiel - anzumahnen. Ich würde mich allerdings auf ein, zwei Regeln beschränken und "die Latte möglichst tief hängen". Zusätzlich würde ich vielleicht von Zeit zu Zeit ein "time out" einschieben, während dem die Teilnehmer den bisherigen Verlauf in Alltagssprache reflektieren können.

Zweitens schlage ich vor, dass wir uns von der Vorannahme verabschieden, dass die meisten Teilnehmer wissen, was Radikaler Konstruktivismus sei, bzw. dass die meisten glauben, dass es sich dabei um ein plausibles Erkenntnismodell handle. Auf dass man mich nicht missversteht: ich möchte nicht, dass wir dem Radikalen Konstruktivismus abschwören - ich möchte einfach, dass wir ihn im Dialog wie irgend ein anderes Glaubenssystem behandeln und erkunden.

Herzliche Grüsse
Heiner


Lieber Heiner

ich weiss nicht recht, was Du mit "Radikaler Konstruktivismus" in diesem Kontext meinst. In meiner Verständnis hat unser Dialog mit dem Konstruktivismus nichts zu tun. Natürlich kan MAN Verwandtschaften sehen (das mache ich auch), aber das ist ganz unnötig für den Dialog. Schreib doch bitte nochmals, wenn Du eine enger Verdingen siehst, die ich bisher übersehen habe.

Die Idee mit dem "time out" (im Eishockey eine Spielregel) finde ich bedenkenswert. Wir könnten gerne damit experimentieren. Ich weiss von vielen anderen Dialog-Veranstaltungen, dass das dort zum Settig gehört - allerdings normalerweise als Nachspann, also nicht dazwischen. Aber auch damit können wir spielen.

Ich glaube, wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir die Latte tief hängen, aber wir könnten stattdessen akzeptieren, dass einzelne Teilnehmer ihre Latte tiefer hängen, indem wir es den einzelnen überlassen, an welche Regeln sie sich halten wollen. Damit man Regelverletzungen anmahnen kann, müssen die Regeln explizit sein. Dann können ja auch alle sagen, welche Regeln sie verwenden wolen und welche nicht. Oder scheint Euch das zu kompliziert?

Herzlich
Rolf


Lieber Rolf

Für mich gibt es zwischen Konstruktivismus und Dialog einen biografischen Zusammenhang. Ich machte mit beiden Konzepten gleichzeitig durch dich Bekanntschaft. Beim Wiederblättern im Buch von Bohm habe ich auch heute noch den Eindruck, dass es stark auf einem Aussenwelt-Skeptizismus fusst, den ich auch als Konstruktivismus bezeichnen könnte. Wichtiger für mich ist jedoch, dass deine Beiträge im Dialog aus meiner Sicht meistens konstruktivistisch inspiriert sind. Und so frage ich micht oft, inwieweit normale Menschen, die sich auf die Verlässlichkeit ihrer pragmatsichen Weltorientierung verlassen, dir folgen können.

Noch ein Wort zu den Sprachregeln. Mir gefällt deine Ansicht, dass es unerheblich ist, was für Sprachregeln wir uns setzen. Entscheidend ist einzig, dass sie uns helfen, uns in eine (Selbst)-Beobachterpostion zu begeben. Die Regeln Ich-Botschaften und Frageverbot haben den Vorteil, dass sie relativ einfach zu überprüfen sind. Zweitens habe ich gelernt, dass es nicht möglich ist, Annahmen zu klären oder "Probleme zu lösen", wenn man sie einhält. Also ganz im Sinne von Bohm. Ausserhalb dieses Kontexts kann ich mit Sprachregeln und Sprachverboten wenig anfangen. Ihre ErfinderInnen leiden meiner Meinung nach alle unter einem mangelnden Sprach-Skeptizismus.

Herzliche Grüsse
Heiner


Lieber Heiner, Lieber Dialogkreis

einen biographische Zusammenhang zwischen Konstruktivismus und Dialog gibt es bei mir auch. Ich habe beides an der Fachstelle für Weiterbildung - wo wir uns ja kennenlernten - für mich erschlossen. Und in meiner Person gehören die beiden Sachen sehr eng zusammen, weil ich eine entsprechende Perspektive auf beides verwende. Ich erlebe aner beispielsweise im Autopoietischen Kreis, dass Konstruktivismus und Dialog keineswegs zusammengehören, weil dort der Dialog schon ein paar Mal versucht wurde, aber immer scheiterte.

Deine Frage finde ich sehr interessant. Ich verallgemeinere sie etwas: Inwieweit sind normale Menschen, die sich auf die Verlässlichkeit ihrer pragmatsichen Weltorientierung verlassen, fähig einen Dialog zu führen?

Dabei merke ich, dass ich Deine Formulierungen mit (un)gesundem Menschenverstand lese: Was sind normale Menschen? Und inwiefern verlassen sie sich auf eine pragmatische Weltorientierung? Ich interpretiere hier diese Bezeichnungen als umgangssprachliche Abgrenzungen zum Konstruktivismus, und lese natürlich dass ich "nicht ganz" normal - oder auf eine etwas spezielle Weise normal bin. Im Dialog aber geht es mir genau darum zu erforschen, auf welche Weise ich gerne normal wäre, denn ich kann "normal" auch als ganz übles Schimpfwort verstehen - etwa wenn ich sage, "normal"erweise werden keine Dialoge gehalten.

Ich finde auch Deine andere Formulierung sehr interessant, nach welcher "es nicht möglich ist, Annahmen zu klären oder 'Probleme zu lösen', wenn man sie (die erwähnten Regeln) einhält. Also ganz im Sinne von Bohm."

Das betrifft einen anderen zentralen Punkt des Dialoges, an welchem wir uns hin und wieder die Zähne ausbeissen: In der Dialogveranstaltung müssen wir uns ja nr mit Probemen befassen, die wir dort für uns machen. Das Containment, der geschütze Dialograum ist ja genau so eingerichtet, dass wir dort frei von Problemen dialogisieren können. Ueber die Vorstellung, dass es noch ein "ausserhalb" gebe, haben wir im letzten Dialog lange nachgedacht. Konstruktivistisch gesehen oder wie ich es anschaue, gibt es das nicht - oder eben nur, wenn ich will.

Ich freue mich auf unseren nächsten Dialog, vielleicht können wir das dann noch etwas vertiefen. Aber sehr gerne können wir auch in dieser Diskussion noch weiter darauf eingehen.

Herzlich
Rolf


Lieber Rolf

Ich finde, dass sich einige der Fragen, die du in deiner letzten Mail aufwirfst sehr gut als "Dialogthemen" eignen. Insofern freue ich mich speziell.auf unser Treffen vom 12. April.

Ich habe mir nämlich in letzter Zeit einen privaten Konstruktivismus zusammengebastelt. Gemäss diesem bin ich auf Gedeih und Verderb permanent auf eine Aussenwelt bezogen. Ich kann mich von dieser gegebenen Wirklichkeit nicht abkoppeln. Ich kann sie nur mehr oder weniger "angemessen" wahrnehmen und mich mehr oder weniger "erfolgreich" darin bewegen. Aber auch mein Wahrnehmungs- und Handlungsspielraum ist offenbar viel kleiner als deiner.

Herzliche Grüsse
Heiner


Liebe Dialogfreunde

der letzte Dialog hat mich beeindruckt, ich sehe jetzt einiges durch eine neu gerichtete Brille und will deshalb auch neu über das Setting nachdenken.

Vorschlag zur Diskussion:

Wir schaffen alle Dialog-Regeln ab. Wir eröffnen den Dialog mit einer Runde, in welcher - natürlich nur, wer das will - sagen kann, worin er gerne unterstützend beobachtet wird.

Ich werde beispielsweise sagen, dass ich nur ich-Formulierungen verwenden will, weil ich so besser gewährleisten kann, dass ich über mich, meine Empfindungen und Gefühle spreche. Ich werde weiter sagen, das ich keine Fragen an andere Dialogteilnehmer richten will, usw. MAN kann darin leicht die Dialogregeln, die wir bisher hatten erkennen. Das kann MAN, aber das ist mir unwichtig. Ich will damit ausdrücken, wie ich gerne sprechen würde, wohin ich mich gerne entwickeln würde.

2. Vorschlag (ist eigentlich schon ein Nach-schlag):

Wir haben eine neues Verfahren eingeführt, das wir als Experiment noch etwas ausloten wollen: Alle kriegen wie Schiedsrichter "gelbe Karten", mit welchen sie anzeigen können, dass sie einen Reflektionsbedarf entdecken (früher hätte ich gesagt, wenn sie eine Regelverletzung feststellen).

Die Time-out-Idee haben wir vorerst auf dieses Kartenzeigen reduziert, weil sich niemand für ein entwickelteres Time-out stark gemacht hat, wofür mehrere Gründe genannt wurden.

Einen Zusammenhang will ich hervorheben: MAN könnte das Time-out als eine Reflexions-, Meta-, Prozessbeschreibungs- usw Runde am Schluss des Dialoges anhängen (Das praktizieren beispwielsweise die Hartkemeyers in ihren Dialogen) Dass hätte laut Heiner vor allem oder nur dann Sinn, wenn man vor dem Dialog eine Erwartung formuliert, die man nachher überprüfen kann.

3. und eine Erfahrung:

Heiner hat wieder einmal (hat er schon einmal nicht?) explizit nach dem Zweck des Dialoges gefragt. Ein benennbares Ziel wäre seiner Meinung nach wichtig, wenn man am Schluss etwas reflektieren wollte. Doris erzählte, dass sie von ihren Kindern manchmal gefragt werde/wurde: Chasch emal cho? Dann erkenne sie, dass sie gebraucht werde. Und das Kind hat vermutlich schon vorher erkannt, dass es diesen Wunsch ohne weiters - ohne jeden Grund - äussern darf. Im Dialog würde ich gerne wie ein solches Kind werden. Darin erkenne ich einen Zweck des Praktizierens in der Dialogveranstaltung.

Herzlich
Rolf


Liebe Dialoggemeinde

Ich möchte einige Überlegungen zur Zweckfrage des Dialogs beitragen. In Rolfs Augen scheine ich ja eine Art Spezialist auf diesem Gebiet zu sein. Falls das zutrifft, hat es möglicherweise damit zu tun, dass ich im Leben schon oft Probleme lösen konnte, nachdem ich meinen Frageschalter von der Position "Wie" auf die Position "Wozu" umgelegt hatte.

Ich bin fast sicher, dass diese Methode auch bei unserem Dialog zu interessanten Erkenntnisse führen könnte. Rolfs Zielformulierung: "Im Dialog würde ich gerne wieder ein solches Kind werden", ist eine Illustration von dem, was ich meine.

In den vielen Jahren, während denen ich an der Dialogrunde teilnehme, hatte ich nicht immer die gleichen Erwartungen. Lange hoffte ich, in einer Runde von netten und gescheiten Leuten Dinge, die mich umtrieben, zur Diskussion zu stellen und auf diese Weise neue Erkenntnisse zu gewinnen. Das Besondere am Dialog erblickte ich im Umstand, dass sich die Teilnehmer in einem geschützten Raum äussern können, ohne befürchten zu müssen, unterbrochen, ausgelacht oder angegriffen zu werden. Heute glaube ich nicht mehr, dass unser Dialogsettung für diese Art von Zielsetzung besonders gut geeignet ist.

Meine heutigen Zielsetzungen kann ich am besten anhand von Beispielen aus der Literatur erläutern.

a) Proust soll irgendwo geschrieben haben, dass das Lesen uns zu Produktion und Entzifferung des "livre intérieur", das wir alle in uns tragen, animieren müsse. Meine heutige Teilnahme am Dialog hat viel mit dieser Zielsetzung zu tun.

b) Flaubert grosses Ziel soll gewesen sein, ein Buch über nichts zu schreiben. In letzter Zeit habe ich nicht selten den Eindruck, dass wir uns im Dialog auf dieses Ziel zubewegen.

Naturgemäss bin ich nicht in der Lage, vorherzusagen, was für Auswirkungen es haben würde, wenn jeder seine Zielsetzungen für die Teilnahme am Dialog erläutern würde. Aber ich bin fast sicher, dass wir auf diesem Weg interessante - und vielleicht sogar nützliche - Ideen für die Gestaltung unserer Treffen gewinnen könnten.

Herzliche Grüsse
Heiner


Lieber Heiner, Lieber Dialogkreis

Deine Fremdreferenzen sind schön. Ich nehme sie zusammen als das "livre interieur" als "Nichts".

In der Dialog-Veranstaltung versteckt sich eine Falle, die im Dialog nur in sehr kritischen Momenten sichtbar wird. Ich meine die Nützlichkeitsfalle: Wozu ist der Dialog gut?

Im Dialog würde ich diese Frage stellen, wenn ich keinen Sinn mehr darin sehen könnte, den Dialog weiterzuführen. Jede Sinnfrage, die ich auf das beziehe, was ich gerade mache, ist Zeichen von höchster Not. In der Dialog-Veranstaltung kann ich eine Distanz zum Dialog nehmen, wenn ich den Dialog dort als Uebung begreife. Dann kann ich mich fragen, wozu die Sache, die ich gerade übe gut ist. Wir landen immer wieder bei solchen Fragen. Was nützt der Dialog "draussen" in der Wirklichkeit? Vielleicht bist Du ein Spezialist bezüglich dieser Frage, aber sie taucht auch auf, wenn Du nicht dabei bist. Diese mail-Diskussion nahm ihren Anfang ja auch genau an dieser Frage. Die Frage ist seltsam verstrickt. Ich kenne niemanden, der den Dialog (jetzt im alleralltäglichsten Sinne) nicht gut, sinnvoll und nützlich findet. Die Frage muss also an einen andern Ort ziehlen, ich vermute, sie ziehlt auf ein Verfahren, auf eine Veranstaltung oder auf eine Methode, nicht auf den Dialog.

Die Formulierungen, die Du Dir bei berühmten Männern borgst, umschiffen die Falle sehr elegant, weil sie mich fragen liessen: Wozu ein Buch über nichts (wie mich) gut wäre? Das gefällt mir gut.

Herzlich
Rolf


Lieber Dialogkreis

vielleicht habt Ihr das auch (schon mehrmals) gelesen: Bundesrat Merz wiederholt zuhanden der EU im Falle der Steuerngeschichte regelmässig DIALOG JA, Verhandlung nein

Das heisst er ist FUER den Dialog und unterscheidet den Dialog nicht von Monolog oder von Diskussion, sondern von Verhandlung. Ich finde das eine ganz interessante Unterscheidung, der wir auch einmal etwas nach--denken könnten.

Ich erkenne darin auch einen spezifischen Praxisbezug: ein Dialog kann sinnvoll sein, wo niemand mehr verhandeln will.

Herzliche Grüsse
Rolf


Liebe Dialogrunde

Die Idee, unseren Dialog mit Verhandlungspraxis zu vergleichen, bringt mich auf unzählige oder mindestens mehrere Dutzend Gedanken.

Zuerst erinnert es mich daran, dass bei Verhandlungen in der Wirtschaft und in der Politik häufig ein "Leitfaden" angewandt wird, der stark von bohmschen Grundannahmen und Zielsetzungen inspiriert ist. Das Ding nennt sich HARVARD VERHANDLUNGSKONZEPT. Heute ist es wahrscheinlich als Taschenbuch erhältlich. Ich bin sicher, dass es eine echte Inspirationsquelle für eine Dialogrunde sein könnte.

Herzliche Grüsse (aus dem Süden)
Heiner


Liebe Konstruktivismus-Anhänger

Leider kann ich ferienhalber nicht am nächsten Dialog teilnehmen. Letzte Woche bin ich jedoch auf etwas gestossen, das mich in vergangenen Dialogen oft beschäftigte. Es hat damit zu tun, dass ich Ideen oder Theorien oft am besten verstehe, wenn ich Kritiken darüber lese oder Angriffe darauf verfolge. Dieses "Werkzeug" fehlt mir beim Dialog bei meinem "Erkenntnisstil".

Nun habe ich kürzlich zwei unerhört anregende Angriffe auf den Konstuktivismus gelesen. Da ich vermute, dass einige von euch das Büchlein BULLSHIT, aus dem sie stammen, ebenfalls mit Gewinn (und Genuss) lesen werden, möchte ich ein kleines "Versucherli" daraus zitieren:

"Die gegenwärtige Verbreitung von Bullshit hat ihre tieferen Ursachen auch in diversen Formen eines Skeptizismus, der uns die Möglichkeit eines zuverlässigen Zugangs zur objektiven Realität abspricht und behauptet, wir könnten letztlich gar nicht erkennen, wie die Dinge wirklich sind. Diese "antirealistischen" Doktrinen untergraben unser Vertauen in den Wert unvoreingenommener Bemühungen um die Klärung der Frage, was wahr und was falsch ist, und sogar unser Vertrauen in das Konzept einer objektiven Forschung. Eine Reaktion auf diesen Vertrauensverlust besteht in der Abkehr von jeder Form der Disziplin, die für die Verfolgung eines Ideals der "Richtigkeit" erforderlich ist, und der Hinwendung zu einer Disziplin, wie sie die Verfolgung eines alternaitven Ideals erfordert, nämlich eines Ideals der "Aufrichtigkeit". Statt sich in erster Linie um die richtige Darstellung der gemeinsamen Welt zu bemühen, wendet der einzelne sich dem Versuch zu, eine aufrichtige Darstellung seiner selbst zu geben. In der Überzeugung, die Realität besitze keine innerste Natur, die als wahre Natur der Dinge zu erkennen er hoffen dürfe, bemüht er sich um Wahrhaftigkeit im Hinblick auf seine eigene Natur. Es ist, als meinte er, da das Bemühen um Tatsachentreue sich als sinnlos erwiesen habe, müsse er nun versuchen, sich selbst treu zu sein.

Es ist jedoch eine groteske Vorstellung, wir selbst seien fest umrissene und klar bestimmte Wesen, die sich richtig oder falsch beschreiben könnten, während es sich als unsinnig erwiesen habe, irgendwelchen anderen Dingen klare Bestimmungen zuweisen zu wollen. Als bewusste Wesen existieren wir nur in der Reaktion auf andere Dinge und können uns daher unmöglich selbst erkennen, ohne diese anderen Dinge zu erkennen. Ausserdem stützt nichts in der Theorie und erst recht nichts in der Erfahrung die abstruse These, ein Mensch vermöge am ehesten noch die Wahrheit über sich selbst zu erkennen. Die Tatsachen und Aussagen über uns selbst sind keineswegs besonders solide und resistent gege eine Auflösung durch skeptisches Denken. In Wirklichkeit sind wir Menschen schwer zu packende Wesen. Unsere Natur ist notorisch instabiler und weniger eingewurzelt als die Natur anderer Dinge. Und angesichts dieser Tatsache ist Aufrichtigkeit selbst Bullshit."

Tut mir leid. Das "Amuse bouche" ist doch nahrhafter geworden, als ich dachte. Und erst jetzt merke ich, dass diese Harry G. Frankfurt ein regelrechter Konstruktivismushasser sein muss.

Herzliche Grüsse vom Guadiana
Heiner


Liebe Freunde

ich staune, in welch haftender Nutz- und Ziel Welt ich lebe! Ich konsumiere Güter, Wissen, Emotionen; immer mehr desselben Ich geniesse es, ist es einmal pro Monat für kurze Zeit alles was scheinbar wahr und verbindlich ist, in der Schwebe zu halten, wie Seifenblasen und am trägen Tanz meiner und Euern Seifenblasen teilzuhaben. Ich liebe diese Relation der Wirklichkeiten, weil daraus Momente entstehen, welche meiner Seele gut tun. Ich relativiere meine Kopf-Wirklichkeiten und falle in ein Vertrauen, das etwas mit dem Singen des Liedes 'Gott ist die Liebe' zu tun hat.; ich schwinge in einem Gefühl, dass Leben mehr mit Vertrauen und Liebe, als mit Besitz und Wissen zu tun haben muss. Im letzten Dialog wurde ich - einmal mehr - bestärkt in der Erkenntnis, dass ich nicht mehr nur Wissen aufhäufen will, dass es genügt, da zu sein, wenn jemand sagt, 'chum emal' und dass ich froh bin, auch ab und zu mal 'chum emal' sagen zu können.

Letzte Woche war ich mit einem Jungen Mann zusammen, welcher sich auf die Gymi-Prüfung vorbereitet. Er sagte zu mir :"dieses Lernen scheint mir so sinnlos, ich habe in meiner Schulzeit schon zwei Revisionen der Rechtschreibung erlebt....." So ergeht es mir mit viel von dem, was ich gelernt und als gültig anerkannt habe. Es ist veraltet und nutzlos geworden. Ich lerne Neues, wie ich esse und trinke, weil ich meine, es zu brauchen, um überleben zu können. Aber ich brauche auch Momente des 'kleinen Glücks' wen Seifenblasen tanzen.

Herzlich
Verena

PS ich schreibe aus der Toscana, Weiss noch nicht ob ich am Do dabei sein werde.


Lieber Heiner

ich erkenne im Dialog keine Theorie, sondern eine Praxis. Und durch die Praxis des Dialoges hat der Radikale Konstruktivismus für mich eine ganz andere Form gewonnen. Ich neige nun dazu von meinem Konstruktivismus zu sprechen, dass wir nicht darüber streiten müssen, wie DER Konstruktivismus ist oder was er WIRKLICH sagt und meint. In meinem Konstruktivismus und im Dialog mache ich keine Aussagen darüber, ob es eine Relität gibt und auch nicht darüber, ob diese erkennbar ist oder nicht. Ich mache überhaupt keine Aussagen über die Realität. Ich finde Gespräche sind viel einfacher und angenehmer, wenn die Realität darin nicht vorkommt. Dasselbe gilt für eine Reihe von Wörtern, die ich mit der Realität verbinde, vorab für die Wahrheit. Ich spreche nicht über die Wahrheit, weil meine Erfahrungen mit diesem Wort durchwegs schlecht sind. Ich kann keinen Bedarf für Wahrheit erkennen. Ich unterscheide deshalb nicht eine Wahrheit über die Welt und eine Wahrheit über mich.

Ich lese den Text, den Du uns geschickt hast, aller darin gegebenen Fremdreferenzen ungeachtet, als einen Text von Dir, weil ich ihn von Dir bekommen habe. In diesem Text scheinen für mich Missverständnisse auf, die wir im Dialog produktiv machen können. Als Missverständnis bezeichne ich - dia logos - dass Du Worte verwendest, die ich so nicht verwende. Wir können uns gemeinsam fragen: weshalb. Welche Annahmen, welches Vorwissen, welche Glaubensätze führen uns dazu, verschieden zu reden und dazu, so zu reden, wie wir reden.

Ich frage mich, wo ich stehen (ver-stehen) müsste, um sagen zu können: "In Wirklichkeit sind wir Menschen schwer zu packende Wesen. Unsere Natur ist notorisch instabiler und weniger eingewurzelt als die Natur anderer Dinge."

Will ich Wesen packen? Nein ich will es nicht. Ich sage nicht, ich mache es nicht, nur ich will es nicht, es sind Unfälle und Momente jenseits der Aufmerksamkeit, wenn ich Wesen packe. Will ich erkennen, wie die Dinge wirklich sind? Nein ich will es nicht. Ich sage nicht, ich mache es nicht, nur ich will es nicht, es sind Unfälle und Momente jenseits der Aufmerksamkeit, wenn ich Wesen packe.

Herzlich
Rolf


Lieber Rolf

Ich habe auf einmal das Gefühl, dass ich mit meinem Zitat ein weites Feld aufgetan habe, welches in unseren Dialogrunden möglicherweise noch einigen Gesprächsstoff liefern könnte. Mediumgemäss will ichmich hier so kurz wie möglich fassen und daher einzig Deine Aussage: "Ich kann keinen Bedarf an Wahrheit erkennen", herausgreifen.

Ich "oute" mich freimütig als permanenten Wahrheitssucher. Sucher, wohlverstanden, nicht Besitzer. Ich bin nicht einmal sicher, ob ich ein eher geschickter oder ungeschickter Wahrheitsfinder bin. Ich frage mich, was ich glauben müsste, um meinen Wahrheitssuchtrieb unterdrücken zu wollen. Im Moment vermute ich, dass ich verrückt würde oder meine Rechnungen nicht mehr bezahlen könnte, wenn ich es versuchte und es mir gelänge.

Der Realitätscheck ist wahrscheinlich der erste Impuls, mit dem ich auf sprachliche Äusserungen reagiere. Das fängt schon jeden Morgen bei meiner ein-bis zweistündigen Zeitlungslektüre an. Dabei stosse ich selbst in der NZZ jedes Mal auf Unwahrheiten oder Täuschungs- versuche oder ... Nicht nur in der Werbung. Und so geht es den ganzen Tag weiter bis zu den Abendnachrichten der Idée suisse. Dazwischen höre ich, wie mir Leute Geschichten erzählen und ich ihnen Geschichten erzähle und andere Leute sich gegenseitig Geschichten erzählen. Ich glaube, dass der wichtigste Unterschied zwischen Mensch und Tier darin besteht, dass der Mensch Geschichten erzählt. Wo käme ich da hin ohne permanenten Realitätscheck?

Ich wünsche euch nächste Woche einen lebhaften Dialog.

Herzliche Grüsse
Heiner


Lieber Heiner

vielleicht kann man die Wahrheit suchen, ohne über sie zu sprechen. Im Dialog hat es mich noch nie gestört, wenn jemand die Wahrheit sucht. Mich stört nicht einmal, wenn jemand die Wahrheit schon hat. Mich stört, wenn jemand über die Wahrheit - dia logos - spricht. Mit "ich sehe keinen Bedarf für Wahrheit" meinte ich, dass ich im Dialog keinen Bedarf erkennen kann, die Wahrheit zu hören.

Geschichten zeichnen sich in meinem Verständnis gerade dadurch aus, dass ich mich nicht frage, ob sie wahr sind oder nicht. Es gibt das Genre "Wahre Geschichten" und in vielen Filmen steht im Voroder Nachspann, dass jede Aehnlickeit mit der Wirklichkeit ganz zufällig wäre. Das finde ich elegante Formen, mit der Wahrheit umzugehen. Und die universitäre Disziplin, die bei uns Geschichte heisst, spielt ja augenfällig mit der Differenz zwischen Geschichte und Geschichten, in welcher Geschichten als Geschichte erzählt werden.

Herzliche Grüsse
Rolf


Lieber Rolf

Beim Lesen Deiner Zeilen habe ich das Gefühl, dass wir uns hier möglicherweise mit Sprach- oder Übersetzungsproblemen beschäftigen. Du schreibst, dass es Dir egal ist, wie sich jemand zur Faktizität oder Realität oder Wahrheit stellt, entscheidend sei, dass er im Dialog nicht darüber spreche.

Ich bemühe mich die meiste Zeit in meinem wachen Zustand darum, Faktizität und Wahrheit und Lüge und Bullshit zu identifizieren. Ich bin mir bewusst, dass ich dabei viele Kompromisse eingehe und laufend scheitere, aber ich kann mir nicht vorstellen, wie ich (über)- leben könnten, wenn ich meine diesbezüglichen Bemühungen einstellen würde.

Was Geschichten anbelangt, weiss ich inzwischen, dass es viele Formen des Zuhörens und Interpretierens gibt. Trotzdem glaube ich, dass die meisten Leute im täglichen Umgang mit Mitmenschen ähnliche Strategien anwenden. Nehmen wir den Fall eines bedauernswerten Menschen, der erzählt, wie er von einem Ausserirdischen entführt und sexuell belästigt wurde. Ich behaupte, dass fast nur profesionelle Zuhörer diese Geschichte im Sinne des Erzählers würdigen können. Ich wäre dazu nicht in der Lage, auch wenn ich weiss, dass in Amerika jedes Jahr Hunderttausende dieses Schicksal erleiden und dass sich inzwischen eine ganze Betreuungsindustrie um diese Entführungsopfer kümmert.

Ich bin nach wie vor der Meinung, dass ich nächster Zeit viel profitieren werde, wenn auch anderen Dialogteilnehmern die Wahrheitsfrage keine Ruhe lässt.

Herzliche Grüsse
Heiner