Zur Geschichte des Computers

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Diskussionsbeitrag zur AG3_MMK_2014


Die Geschichte des "Computers"

Vorbemerkung

Welche Geschichte des "Computers" ich schreibe, ist von der gewählten Perspektive auf den gewählten Gegenstand abhängig. Keine Sache erzählt ihre Geschichte selbst. Der Computer sagt nicht, was er ist und unter welchen Gesichtspunkten er zu betrachten wäre. Ich sage, indem ich seine Geschichte entwickle, was ich als Computer bezeichne und wie ich diese Tat-Sache (getätigte Sache, am Anfang war die Tat) sehe.

Der Computer als Kind seiner Geschichte

Gemeinhin ist klar, was ein Computer ist. Mein PC, mit welchem ich gerade diesen Text schreibe, ist im Commonsens sicher ein Computer. Und es gibt noch einige Geräte, bei welchen ich nicht überlegen muss, ob sie Computer sind oder nicht. Es gibt aber auch etliche Geräte, die je nach Definition noch Computer sind oder eben nicht. Wenn ich eine Geschichte des Computers überhaupt schreibe, ist nicht sehr entscheiden, welche Geräte noch Computer sind, entscheidender ist, wie ich den Computer überhaupt begreife.

Wenn ich den Computer beispielsweise als "Rechner" sehe, weil er eben so genannt wird, schreibe ich seine Geschichte ganz anders als wenn ich nicht ans Rechnen denke. Die meisten Computergeschichten, die ich kenne, fangen mit der Mathematik von antiken Völkern an und erwähnen unter anderem Leibniz, der das Dualsystem erfunden habe. Ein in diesem Sinne ganz typischer Abriss einer Computergeschichte steht in der Wikipedia.

Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen mit Computern käme mir nie in den Sinne, den Computer als Rechner zu sehen, obwohl ich das Wort "Computer" leicht durch das Wort "Rechner" (üb)ersetzen kann. Mir scheinen beide Wörter so arbiträr wie jedes eigentliche Symbol. Ich benutze meinen Computer praktisch nie als Rechner, auch wenn ich natürlich sehe, dass ich in meiner Buchhaltungsapplikation mit dem Computer Zahlen addiere. Ich benutze meinen PC für sehr verschiedene Sachen. Aus der Buchhaltungsmaschine wird praktisch per Knopfdruck eine Textbearbeitungsmaschine, ein Internettelefon oder eine Spielkonsole. Die verschiedenen Funktionen sind in dem Sinne "soft", als ich sehr einfach von einer zur andern wechseln kann, weshalb ich den Computer als Software begreife, die eine Hardware ist, aber eben funktional nicht so festgelegt wie einfachere Maschinen oder Geräte. Der Ausdruck "Software" wird umgangssprachlich diffus für "Computerprogramme" verwendet, gemeint ist aber wohl recht unbewusst, dass das, was dann Hardware genannt wird, für sich alleine zu nichts zu gebrauchen ist. Die Hersteller der umgangssprachlich sogenannten Hardware produzieren eigentliche Halbfabrikate. Eigenartig ist, dass Halbfabrikatehersteller grosse Industrien aufbauten, während die Produzenten von verwendbaren Werkzeugen sehr lange Zeit industriell praktisch unerheblich geblieben sind. Ich komme darauf zurück.

Die Funktion des Computers

Als Maschine hat der Computer immer eine konkrete Funktion. Ich kann ihn beispielsweise als Rechner benutzen, wenn entsprechende Programme aktiv sind. Als Computer bezeichne ich in diesem Sinne eine Art Kollektivsingular, in welchem alle konkreten Computer in einem singulären Ausdruck bezeichnet sind, während ich mit dem Ausdruck Software die einfache Veränderung der Funktion hervorhebe.

Die einfache Veränderung der Funktion des Computers beruht darauf, dass alle Funktionen, die ein Computer erfüllen kann, seiner eigentlichen Funktion unterliegen, die darin besteht, dass ich mit dem Computer bedingte Symbolkörper erzeugen kann. Sein Zweck besteht darin, bestimmte symbolische Anzeigen zu generieren, die abhängig von gewählten Programmen, Daten und Eingaben sind. Ich verwende den Computer - was ich praktisch nie mache - beispielsweise als Rechner, indem ich ein entsprechendes Programm aufrufe, und "2 + 3" eingebe und dann "2 + 3 = 5" angezeigt bekommen will. Die "5" sehe ich als durch die Eingaben, respektive durch den Zustand des Computers bedingtes Symbol.

Damit ich bedingte Symbolkörper generieren erzeugen kann, muss ich Symbolkörper überhaupt erzeugen können. Was immer Symbole auch noch sind, sie sind Artefakte, die in dem Sinne "geschrieben" werden müssen, als die Herstellung von Symbolkörpern - von verschiedenen anderen Fällen wie etwa Zeichnen - abgesehen als "Schreiben" bezeichnet wird. Schreiben kann ich beispielsweise mit einem Bleistift, aber auch der Bleistift ist nicht vom Himmel gefallen und ohne Papier wär er nicht viel wert. Hinter dem Bleistift ist viel Technologie und die Erfahrung, dass und wie Graphit so zu Papier gebracht werden kann, dass ich Zeichen sehen kann.

Umgangssprachlich werden die Symbolkörper am Bildschirm oft nicht als Artefakte begriffen, weil es sich um dissipative Strukturen handelt. Die "5", die ich am Bildschirm sehe, erlischt, wenn ich die Stromzufuhr unterbreche. Die einmal gedruckte "5" auf dem Papier dagegen ist konservativ, sie bleibt relativ lange erhalten. Bei moderneren Computern schreibe ich die "5" auch in den Speicher oder auf die Harddisk, was noch andere Formen der materiellen Form der Symbolkörpern entspricht. Aber unabhängig von der jeweiligen Form sind Symbolkörper immer materielle Gegenstände. Im klassischen Fall der Lochkarte etwa, ist die "5" eine Karte aus Karton mit Löchern, die die "5" repräsentieren.

Mit einer Schreibmaschine produziere ich die Zeichenkörper quasi indirekter als mit dem Bleistift. Ich mache sozusagen eine Eingabe auf einer Tastatur und produziere damit ein Ausgabe, die zur Eingabe in einem unmittelbaren, oder unbedingten Verhältnis steht. Beim Computer geht es um das bedingte Herstellen von Symbolkörpern, was viele Menschen schlicht vergessen lässt, dass es immer um das Herstellen von materiellen Symbolkörpern geht. Ob diese Symbolkörper gedruckt, gelocht oder am Bildschirm erscheinen, ist so einerlei wie deren Codierung. Und ebenso belanglos für das Resultat und den Zweck des Computers ist, ob die Konstruktion "analog" oder "digital" oder "dual" oder "dezimal" ist. Nur der Konstrukteur des Computers muss sich für eine bestimmte Technik entscheiden. K. Zuse hat seinen ersten Computer, den Z1 mit dem Motor eines Staubsaugers angetrieben.

Unter funktionalem Gesichtspunkt erscheint mir der Computer als Blackbox, in welcher Eingaben mit einer bedingten Ausgabe verbunden werden. Bei der Eingabe unterscheide ich die Wahl eines Programmes und die Daten, die durch diese Wahl mitbestimmt sind. Ich wähle beispielsweise ein Textbearbeitungsprogramm und schreibe dann einen Brief. Die Wahl einer Funktion gehört zur "soften" Herstellung der konkreten Maschine, ist also eine Verwendung der Differenz, die ich als Computer bezeichne. In Bezug auf Anwendungen unterscheide ich bei den Eingaben den Aufruf eines Programms und das "Eingeben" eines Programmes. Programme sind physische Teile des Computers, die bei seiner Herstellung so eingegeben werden, wie beispielsweise Öl in einen Motor eingegeben wird, weil er ohne Öl nicht funktioniert.

Mit dem Ausdruck "Blackbox" verweise ich darauf, dass die bedingte Verknüpfung von Ein- und Ausgaben in Form von Erklärungen rekonstruiert werden kann. Als Erklärung verstehe ich die Beschreibung des Mechanismus, mit dem dieser Zusammenhang zwischen Ein- und Ausgabe hergestellt werden kann. Im Falle von Computern ist die Erklärung die Beschreibung seiner Funktionsweise. Sie ist in dem Sinne trivial, als der Computer konstruiert werden. Ich kann ihn also re-konstruieren und dem entsprechend seinen Mechanismus beschreiben.

Die Re-Konstruktion wiederholt die Konstruktion. Die Konstruktion erscheint als Lösung einer Aufgabenstellung. Die Geschichte des Computers stelle ich im Nachhinein so dar, dass dessen Erfindung und Entwicklung die Lösung der Probleme darstellt, die ich aktuell mit Computer löse. Geschichte schreibe ich dabei rückblickend, also mit Kategorien, die ich am Ende der Entwicklung gewonnen habe und die am Anfang der Entwicklung noch nicht so zur Verfügungen gestanden haben. In der Evolutionsgeschichte ist der Mensch der Schlüssel zum Verständnis des Affen und dessen Vorstufen. Wenn ich den Menschen schon kenne, kann ich sehen, wohin sich der Affe entwickelt hat. Aber wenn ich erst Würmer und Käfer kenne, kann ich nicht vorhersehen, was daraus noch werden wird. In diesem Sinne ist der Computer ein Kind seiner eigenen Geschichte, die niemand oder nur ein "Seher" voraussehen konnte. Dazu gibt es die vielen, scheinbar komischen Zitate, in welchen die Zukunft der Computer ganz falsch eingeschätzt wurde. Der Chef der IBM meinte, dass die ganze Welt etwa fünf Computer brauchen werde - er hatte dabei vermutlich nicht den Computer im Kopf, den ich heute kenne.

Von heute aus gesehen rekonstruiere ich die Entwicklung der Funktionsweise jener Geräte, die ich heute als Computer bezeichne. Rechnen spielt dabei praktisch keine Rolle und "Geistiges", wie etwa ein Verstehen von Symbolen, spielt gar keine Rolle. Es geht ausschliesslich um die Produktion von Artefakten, die ich als Anwender des Computers als Symbole deuten kann. Mit dem Computer erzeuge ich nur Muster.

Der Computer als programmierbare Steuerung

Technisch-konstruktiv sehe ich den Computer als ein Gerät mit einer programmierbaren Steuerung. Gesteuert wird ein "Ausgabe"gerät. Ich habe zwei Ausgabegeräte auf meinen Bürotisch stehen, einen Bildschirm und einen Drucker. Mit diesen beiden Geräten produziere ich sehr verschiedenartige Symbolkörper. Aber in Bezug auf das von mir beobachtete Prinzip der Steuerung sind die beiden Geräte praktisch gleich. Umgangssprachlich wird der Bildschirm oft als Teil des Computers gesehen, der Drucker dagegen eher nicht. Aber funktional gesehen spielt es natürlich keine Rolle, in welcher Form und wo die Symbole erzeugt werden.

In der Geschichte der Computer gibt es anfänglich sehr einfache Ausgaben. Die Zuse 1 beispielsweise - die einer meiner Lieblingscomputer ist, weil er sehr anschaulich arbeitet - zeigt die Resultate in Form von verschieden positionierten Metall-Zeigern, die durch den Mechanismus, ähnlich wie Uhrzeiger in die jeweilige Position geschoben werden. Der Anwender kann in den Anzeigen Daten oder Informationen sehen, so wie ich auf der Uhr sehen kann, wie spät es ist, oder ob ich noch rechtzeitig zu einer Verabredung komme, ohne dass das für die Uhr die geringste Rolle spielt. Maschinen machen, was sie machen, weil sie so konstruiert sind.


Maschine und Steuerung

Programmierbare Maschinen sind eine Teilmenge der Maschinen. Deshalb erben die Instanzen der programmierbaren Maschinen die Eigenschaften der Maschinen. Als Maschinen bezeichne ich Werkzeuge, die angetrieben werden, wobei sie Energieträger entladen. Werkzeuge und mithin Maschinen haben eine Gegenstandsbedeutung, die ich als den Zweck erkenne, für den sie hergestellt werden.

Als Maschinen bezeichne ich Artefakte aus geformten Material. Natürlich kann man das Wort "Maschine" auch beliebig anders verwenden, beispielsweise so, wie es Mathematiker wie A. Turing tun. Dann spricht man aber eben von etwas ganz anderem, in meiner Sprache spricht A. Turing von formalen Beschreibungen von Maschinen. Die Landkarte ist nicht das Territorium.

Das Wort Maschine wird volksdümmlich auch für den werkzeugantreibenden Teil der Maschine verwendet und auch das recht undifferenziert. So erscheint der Motor eines Autos als Maschine oder etwa die " lack&Decker, die sich mit wenigen Handgriffen von einer Bohrmaschine in eine Schleifmaschine verändern lässt. Eine Bohrmaschine ist die "Black&Decker" nur, wenn ein Bohrwerkzeug eingespannt ist. Andernfalls kann ich mit ihr nicht bohren - in der Umgangssprache wird aber oft genau davon abgesehen. C. Babbage, einer der Väter des Computers, meinte dagegen, dass die Vereinigung aller einfachen Instrumente, die durch einen einzigen Motor in Bewegung gesetzt werden, eine Maschine bilden.

Eigentliche Maschinen sind programmierbar, wenn sie eine entsprechende Vorrichtung enthalten, die ich als Steuerung bezeichne. Der Webstuhl von Jacquard ist ein Standardbeispiel. Als Webstuhl ist er für das Weben gemacht, das ist sein Zweck. Seine Steuerung erlaubt es verschiedene Muster zu weben, indem verschiedene Lochkarten eingelegt werden. Das ist der Zweck der Steuerung. Die gewobenen Muster sind nicht nur von den Lochkarten abhängig, sondern auch von den verwendeten Fäden und deren Farben. Letzteres ist aber auch bei Handwebern der Fall. Hier geht es um die in der Maschine konstruierte Steuerung.

Die Webstühle von J.Jacquard (1805) reagierten auf in Karton gestanzte Lochmuster, das heisst, die Weber konnten voraus steuern, was die Webstühle weben sollten. Der Steuermechanismus des Webstuhles war nicht veränderbar, er war festgelegt. Man konnte nur die Lochkarten verändern.

Die für Computer entscheidende Konstruktion, die den Webautomaten noch ganz abging, besteht darin, dass die Steuerung gesteuert werden kann und zwar insbesondere durch Resultate von vorausgegangener Steuerung. Die Lochkarten der Webstühle enthielten lediglich Angaben darüber, wie der gewobene Stoff aussehen soll, aber keinerlei Angaben, die den Steuerungsmechanismus veränderten. Die Lochkarten erlaubten oder verhinderten durch entsprechende Lochung, dass der jeweilige Kettfaden des Webgutes mustergemäss gehoben wurde. Auch die Volkszählungsmaschine von H. Hollerith, die die Lochkarten und die spätere IBM berühmt machte, war auf eine vorgegebene Verwendung festgelegt. In beiden Fällen verändert sich die Maschine durch nachgeführte Beschreibungen, aber programmiert im engeren Sinne werden beide Maschinen nicht. Es wird nur die Maschine gesteuert, aber nicht die Steuerung.

Steuerung der Steuerung

Die Unterscheidung zwischen Daten und Programmen verlangt eine Lochkartenmaschine, wie sie von G.Tauscheck 1930 vorgestellt wurde. Mit der "Programm-Lochkarte", welche zunächst als Stecktafel auftrat, konnte G. Tauschek die Maschine so verändern, dass sie die "Daten-Lochkarten" auf verschiedene Arten verarbeiten konnte, während Jacquards und Holleriths Maschinen ihre Daten nur in einer Weise verarbeiteten. Wesentlich ist, dass die Programme, die bestimmten, wie die Daten-Lochkarten verarbeitet wurden, selbst auch auf einer Art "Lochkarten" gespeichert waren. Durch die Einführung dieser zweiten Art von Lochkarten wurde die Steuerung einerseits explizit von den Daten getrennt und andrerseits praktisch gezeigt, dass Programme wie Daten gespeichert werden. Durch mehrfache Verschachtelung werden durch Steuer-Lochkarten bedingte Anweisungen, respektive unbedingte Anweisungen, die nur bedingt ausgeführt werden, möglich.

Ich beschreibe das hier etwas ausführlich, um zu zeigen, dass es sich um eine Maschinenkonstruktion und nicht um etwas Mathematisches oder Rechnerisches handelt. Das A. Turing darin seine mathematisch-formale Turing-Maschine erkennt und dass K. Zuse bei seinem Meccano von Schalt"algebra" gesprochen hat, ändert nichts an der Sache.

Der Anfang der Geschichte ...

Die Computergeschichten, die ich bislang kenne, fangen nicht an dem Anfang an, dass sie die Verwendung und mithin den Zweck des Computers als Ausgangspunkt nehmen, sondern einfach voraussetzen und unterstellen, der Computer sei eine irgendwie moderne Rechenmaschine. Dieser naive volksdümmliche Auffassung entspricht natürlich, dass Rechenmaschinen - ganz unabhängig davon, ob sie programmierbare Automaten sind oder nicht - genau den Sinn haben, etwas anzuzeigen.

Man könnte den Computer vielleicht als gar nicht intendiertes Nebenprodukt einer Entwicklung von Rechenmaschinen auffassen. Dann würde ich den Anfang des Computers dort sehen, wo er zum ersten Mal nicht mehr als Rechenmaschine aufgefasst wurde, während er davor nur eine Rechenmaschine war. Und in einer Inversion dieser Logik würde ich dann die Entwicklung der Rechenmaschinen als Spezialfall einer generelleren Entwicklung des Computers beschreiben.

Eine Geschichte der programmierbaren Automaten

Fortsetzung folg