Thesen von Hartmut Sörgel
zur Uebersicht AG3: Die Kraft der Sprache
Hartmut Sörgel
Thesen im ersten Teil kurz
im zweiten lang
1. Thesen kurz 1.1. Was ist Poesie Sprache spiegelt uns und unsere Sicht auf die Welt virtuell und poetisch, denn wir sehen sie, als würden sie unsere Sinne erfinden. Die Spiegelneuronen tragen uns in das, was wir wahrnehmen. Und wir erfinden Metaphern, es teilnehmend zu beschreiben. Poesie entsteht.
1.2. Drei Stufen sprachlicher Techniken Zuerst war Sprache nur mündlich, dann entstand aus Bildern die Schrift, und jetzt erleben wir die dritte Stufe, ihre Digitalisierung. Grundlage bleibt immer die mündliche Technik, die nächsten Stufen eröffnen aber neue Möglichkeiten.
1.3. Poesie ins Netz Die digitale Poesie fängt gerade an und ist wie der Computer noch ein kleines Kind, das Gehen lernt. Doch in aller Welt stellen sowohl Einzelpersonen als auch Organisationen poetische Texte ins Netz. Soviel, dass man nur einen winzigen Bruchteil davon mitbekommen kann, Und es wird täglich mehr. 1.4. Poesie im unendlichen Augenblick Schrift verewigt den Augenblick. Das Netz, als vergäße es Raum und Zeit, macht ihn weltweit
Das Netz ist immer und überall gleichzeitig Was wird aus Origo und Deixis? Bleiben Zeit und Raum und das Egozentrum (Origo) wie früher?
1.5. Neue Spielwiesen entstehen im Netz für Verbindung und Austausch zwischen verschiedenen Gebieten, zum Beispiel Technik, Wissenschaft und Kunst Aber auch der Kriminalität
1.6. Zukunft
Ich schreibe ein Gedicht Der Bildschirm spuckt mir Reime ins Gesicht Danach erkennt mich selbst mein Spiegel nicht Er sieht mich als vernetzte Wörter dicht an dicht und ist nur noch auf schönen Reim erpicht
2. Thesen lang 2.1. Was ist Poesie
Ursprung der Sprache war der Austausch
der Gefühle, Stimmungen, Gedanken... das Mitschwingen mit dem und den Anderen mit Liebsten, Verwandten, Kindern, Freunden, Feinden, Fremden... das Mit- und Gegeneinander, das Gegenüber Die Spiegelneuronen lassen uns mitempfinden was andere tun und teilnehmen an den Handlungen der Gemeinschaft ja sogar der ganzen Umwelt ein Zusammenspiel der Sinne Gestik, Mimik, Bewegungen, Duft, Geschmack Der Klang der Stimme, Betonungen der Wörter, der Satzmelodie oder Prosodie (von gr. pros odi = zum Gesang) Die Wörter springen auf die Zunge, in den Augenblicken des Gesprächs Und auch die Dinge um uns betrachten wir als gehörten sie dazu und zwar so, als stünden wir immer im Mittelpunkt von Raum und Zeit (Karl Bühler nannte diesen Mittelpunkt des Sprechers ´Origo´) oder versetzen uns in andere oder anderes so dass der Mittelpunkt dorthin wandert. Dadurch wird die Welt um uns die Umgebung gut und schlecht, lieb und tröstend, gefährlich und... als lebte sie Wetter, Wolkenlandschaften Farben, Elementarteilchen, Zahlen, das Universum... Wir beschreiben und erklären sie mit menschlichen Begriffen und Metaphern Zum Beispiel blüht am Fuße des Berges Augentrost und bittersüßer Nachtschatten Tränende Herzen sah ich gestern und tauchte in die “...Landschaft der Stringtheorie, geformt durch Berge und Täler, Mulden und Rinnen.” (Aus: Dieter Lüst: Ist die Stringtheorie noch eine Wissenschaft? in Spektrum der Wissenschaft, 05/09, S.37)
Wir sehen und sprechen poetisch. Seht mich doch an:
Ein Witz Ein Gedicht mein Gesicht im Licht Ein Blitz Grün und blau kräht der Pfau aus meinem Kopf der bunte Tropf und lacht Donner kracht
Ein solcher Text lässt viele Landschaften entstehen. So wie das Spiel der Strings, der Saiten, vielleicht 101000 verschiedene Welten erzeugt, (falls die Theorie stimmt) mehr als das All Atome enthält, oder sogar unendlich viele Universen Ähnlich werden Laute Wörter und diese unendlich viele Texte. Und jeder eine Welt für sich. Noam Chomsky sagt: ´Von jetzt ab werde ich unter einer Sprache eine (endliche oder unendliche) Menge von Sätzen verstehen, jeder endlich in seiner Länge und konstruiert aus einer endlichen Menge von Elementen.´
2.2. Drei Stufen sprachlicher Techniken Die Sprache sprach zuerst mündlich, dann lernte sie aus Bildern das lautlose Sprechen, die Schrift, und probierte ihre Möglichkeiten. Bücher speichern Texte und Sprachen und können immer wieder mündlich werden. Auch das Bild lebt weiter in der Schrift, in Schriftarten, in Kalligrafie und visueller Poesie. Und jetzt nutzt sie den Computer und seine digitalen Fähigkeiten. Was ist das? Textautomaten? Die zum Beispiel daraus Tex tau tomaten machen.
Und noch viel mehr?
Anagrammprogramme bietet das Internet an Also künstliche Kunst- Texte? Es gibt aber auch interaktive Seiten, Hypertexte, literarische Salons...
2.3. Poesie ins Netz
Zwei Seiten eine deutsche und eine in spanisch als Beispiel:
http://www.poetasdelmundo.com
http://www.lyrikline.org/index.php?id=51&L=0
Und auch meine Texte zur letzten MMK in Gelsenkirchen
und noch mehr stehen im Netz
http://www.informatik.uni-hamburg.de/bib/soergel/Texte/Ursprung.html
Gefangen im Netz Ich kann die Augen nicht schließen Sie schauen und beobachten Sie sehen Poesie
Ihre Energie verführt
Gestern morgen flog ein Eisvogel über den See Der Irrgarten versank Eisvogel? Hier? über dem See? Im Text! Ich bin der Text
ich füttere sie tag und nacht die unersättliche und nachher, ja kuckuck weg ist sie
zum kuckuck! nochmal!
2.4. Poesie im unendlichen Augenblick
weltweit und immer abruf- oder auch hörbar in vielen Sprachen Mehr als man lesen kann Kurze Texte besser lesbar auf dem Bildschirm als lange Durcheinander gut und schlecht Leser entscheiden selbst was sie lesen Unterschied zu lebendigem Gegenüber Gestik und Mimik fehlen, aber die Schrift wird lebendig. Sie bewegt sich, zerfällt in Buchstaben, färbt sich, Und auch die Prosodie kommt zu Wort durch hörbare Texte. Seiten anderer Kulturen immer präsent
2.5. Neue Spielwiesen Wissenschaft und Dichtung Künstler werden immer öfter zu wissenschaftlichen Tagungen eingeladen, denn sie und ihre Arbeiten regen neue Gedanken an. Werden Wissenschaftler, oder alle Menschen Dichter, Maler, Komponisten...? Tragen sie ihre Entdeckungen als visuelle und Laut- Poesie vor? Im Netz ist jeder unabhängig von Verlagen und kann selber Seiten gestalten Es gibt Blogs, Foren und literarische Salons leben wieder auf Teilnahme meist kostenlos Die Kraft der Sprache lebt auch im zeitverzögerten ´Gespräch´ Wenn ich Gedichte einstelle und kommentiere oder meine Stimme ins Netz stelle und vielleicht nach Tagen ein Echo mich erreicht Das Netz ist immer und überall gleichzeitig Was wird aus Origo und Deixis? Bleiben Zeit und Raum und das Egozentrum (Origo) wie früher? Computerpoesie und digitale Literatur Hyper- bzw. Netztext im World Wide Web. werden täglich mehr Sie können sich bewegen leuchten im Licht der Pixel sind oft interaktiv und multimedial Von irgendwo auf der Erde kann sie irgendwer lesen und vielleicht weiterschreiben Sie fragen und antworten Sie sind flüchtig und gleichzeitig überall Sie tanzen verändern sich zerbrechen, versetzen sich in Sätze oder werden Bilder
Aber auch die Kriminalität
Gefangen im Netz rausgefischt, geklaut
Der Text entsteht und verlöscht schreibt sich neu und wird Gestalt Er spaltet sich in einen virtuellen Programmcode/Matrix und einen Bildschirmtext im Augenblick den die Maschine schreibt (poiesis) Sie wird zum Instrument des Dichters
(Poesie – aus griechisch poiesis –Machen Verfertigen Dichten zum Verb -poiein- machen verfertigen dichten)
2.6. Zukunft Wird der Bildschirm ein Buch? Hauchdünn aber viele Seiten lesbar? Oder die Dichter treten (als Avatar wie in Second Life) selber aus dem Monitor und sprechen? Unendliche Welten der Poeten im Quantencomputer?
Und mit verschiedenen Techniken Umwandeln der Sinneseindrücke in Bilder, Musik, Texte... Und ich bin, war, werde, würde,
war geworden, könnte geworden sein Baumblätter, Buchstaben, Ameisen... Sie tanzen und ändern ihre Gestalt zu Wörtern Wolken ziehen Ein Augenblick Elefanten Täler, Berge, Flüsse Dämonen vieler Sprachen und zerreißen und verfliegen in Sätzen zu Sätzen im Tiefschlaf zu anderen Planeten
Meinen Freund Omar Chayyam der vor tausend Jahren lebte und gern Wein trank treffe ich manchmal hier in einer Kneipe und auch im Netz. Wir stoßen an und unterhalten uns vergnügt: Ich frage: Was machst du mit Computern
Er antwortet:
Ich schreibe ein Gedicht Der Bildschirm spuckt mir Reime ins Gesicht Danach erkennt mich selbst mein Spiegel nicht Er sieht mich als vernetzte Wörter dicht an dicht und ist nur noch auf schönen Reim erpicht
Computer erfinden rechnen und verdrehen Ihnen wachsen manchmal Zehen Hast du diesen Gnufrosch auch gesehen? ´Forschung´ bisschen anders nur vernähen
Den Computer will ich ordentlich erziehen sonst wird er aus unsrer Obhut fliehen und berauscht nur schlimmen Unsinn machen Er mutiert und wird zum bösen Drachen
Als er das sagte, fragte ich: hast du Angst vor diesen Maschinen?
Vor den Maschinen fürchte ich mich nicht Manche Menschen haben kein Gesicht Sie verstehen selten ein Gedicht und hören nur wenns Geld und Macht verspricht