Rolf Todesco

Aktives Lesen

eine Veranstaltung an der Volkshochschule des Kantons Zürich

Vorschlag und Grobkonzept

Bücher, die man eher zur inneren Sammlung als zur Zerstreuung liest, also hauptsächlich Sachbücher, werden häufig nicht fertig gelesen, und selbst wenn man sie ganz gelesen hat, kann man oft nicht sagen, was man gelesen hat. Solche Bücher setzen manchmal zu viel Wissen voraus, oder sie sind zu ausführlich oder ... Lesen stellt Ansprüche. Nicht nur Lesen an sich kann man lernen und üben, es gibt auch lernbare Methoden dafür, wie man komplexe, schwierige Texte sinnvoll verarbeitet - man kann sie aktiv lesen.

Beim aktiven Lesen formuliert man Fragen, für die man im Buch Antworten findet. Dabei wird einem der eigene Wissensstand und dessen Veränderung während des Lesens bewusst. Beim aktiven Lesen lernt man nicht nur, man merkt auch, dass man lernt.

In unserem Kurs lernen und üben wir exemplarisch eine bestimmte Form des aktiven Lesens anhand von Texten aus dem Bereich "Mensch - Computer - Intelligenz". Die Teilnehmer üben die kritische Gegen- überstellung von eigenen Konzepten, die bezüglich des Lesens Vor- Wissen bilden, und den gelesenen Texten.


 


1. Sitzung 15. 5.91


 


Das Veranstaltungs-Ziel

Bücher, die man eher zur inneren Sammlung als zur Zerstreuung liest, also hauptsächlich Sachbücher, werden häufig nicht fertig gelesen, und selbst wenn man sie ganz gelesen hat, kann man oft nicht sagen, was man gelesen hat. Solche Bücher setzen manchmal zu viel Wissen voraus, oder sie sind zu ausführlich oder ... Lesen stellt Ansprüche. Nicht nur Lesen an sich kann man lernen und üben, es gibt auch lernbare Methoden dafür, wie man komplexe, schwierige Texte sinnvoll verarbeitet - man kann sie aktiv lesen.

Beim aktiven Lesen formuliert man (wie im Interview und im Experiment) Fragen, für die man im Buch Antworten findet. Dabei wird einem der eigene Wissensstand und dessen Veränderung während des Lesens bewusst. Beim aktiven Lesen lernt man nicht nur, man merkt auch, dass man lernt.


Die Veranstaltung

Die Veranstaltung ist nicht als Einweg-Kommunikation geplant, also nicht als Vorlesung, sondern eher als Gruppenarbeit. Wir beschäftigen uns nicht vor allem mit einer Theorie des Lesens, sondern mit dem Lesen selbst. Aber natürlich werden wir unsere Sitzungen auch nicht lesend verbringen, sondern hauptsächlich unsere Art des Lesens diskutieren. Wir lesen Texte aus dem Bereich "Mensch - Computer - Intelligenz". Die thematische Einschränkung auf "Künstliche Intelligenz" bezweckt vor allem, dass wir Diskussionsbeispiele aus einem gemeinsamen Bereich verwenden.

Aktiv Lesen kann man natürlich in jedem Gebiet. Wir üben anhand eines exemplarischen Gegenstandes.

Exemplarisches Lernen - das will ich nicht verschweigen - ist immer auch mit einem bestimmten Problem behaftet, nämlich mit dem Uebertragungsproblem. Der gewählte Gegenstand ist meistens das beste Exemplar für die vorgeschlagene Methode. (Eventuell werden wir auch hier eine Uebertragung versuchen). Exkurs: Vorstellung Wer bin ich? Wer sind Sie? (Kurzvorstellung mit Motiv)


Aktives Lesen

Ich will Ihnen das aktive Lesen nicht vorgängig als trockene Methode unabhängig vom Thema vorstellen. Das verbietet das exemplarische Lernen. Wir wollen über konkrete Lese-Erfahrungen sprechen.

Ich habe ein bekanntes Buch mitgebracht, das sich für unsere Veranstaltung in vielen Hinsichten sehr gut eignet:

"Gödel, Escher, Bach" von D. Hofstadter

Was steht wohl in diesem Buch? Worüber handelt das Buch "GEB"? Was denkt man, wenn man noch nicht im Buch gelesen hat, wenn man es beispielsweise im Schaufenster einer Buchhandlung sieht? Was glaubten Sie vor dem Lesen? (Beispiele:)

- "Ich hatte keine Meinung" - "Ich glaubte, das Buch behandle soziale Probleme, weil es in der Soziologie vorgeschlagen wurde." - "Ich erwartet eine universelle Theorie, welche Musik, bildende Kunst und Mathematik unter einen Hut bringt" - "Ich erwartete eine mathematische Legitimation oder Begründung des bürgerlichen Wissens, dass Bach's Musik wirklich gut ist"

Man hat vor jedem Lesen eine Hypothese darüber, was man lesen wird: Vom Hörensagen, vom Titel, vom ...

Erstes Lesen

Als 'erstes Lesen' bezeichnen wir alles, was das Wissen über das Buch vergrössert, also das Lesen des Inhaltsverzeichnisses oder des Literaturnachweises, das Durchstöbern des Buches, manchmal auch schon das Lesen des Untertitels.

"Riitseili"-Bild: Wenn man einmal schwingt, geht es leicht, aber am Anfang sehen die Bewegungen etwas komisch aus, weil man noch nicht sieht, wozu sie gut sind. Wir werden auch noch Schwingen. Ein solches Buch liest man nicht - wie ein Krimi, nachdem man erkannt hat, dass es ein Krimi ist! - sequentiell durch. Man be- ginnt sofort damit, Thesen zum Buch zu prüfen, indem man im Buch entsprechende Stellen sucht. Man sollte sich für's erste Durchstöbern eines solchen Buches höchstens 3 Stunden Zeit nehmen. Was glauben Sie jetzt, nach dem ersten Lesen? Weil wir hier nicht Lesen, richtet sich die Frage an jemanden von Ihnen, der das Buch schon gelesen hat. Wenn Sie das Buch schon gelesen haben, sollten Sie sich aber zurück erinnern, was der erste Eindruck war! (Beispiele:) - "Immer noch dasselbe" - "Das Buch behandelt das menschliche Denken" =========================== Zitate aus dem Buch: "Das zentrale Anliegen des Buches ist ..." (d.h. "ich glaube nicht, ich weiss es, weil ich gelesen habe") Man ersetzt die Hypothesen beim Lesen laufend durch bessere Hypothesen! Aktives Lesen als Lernen Lernen bedeutet zu lernen, dass die vorgängige These nicht, resp. nur unter bestimmten Bedingungen richtig ist. Wer mit seiner These (vollständig) recht hatte, hat Pech, weil er nichts dazuge- lernt hat. Lernen setzt Hypothesen voraus, Hypothesen prüfen ist allgemei- ner der wissenschaftliche Prozess überhaupt. Ohne Hypothese kann man nicht lesen, d.h. man kann nichts lernen beim Lesen. Einstiegs-Verfahren Wenn man ein Buch wirklich lesen will, hat man immer einige Fragen oder Erwartungen zum Gegenstand des Buches. Diese Fragen sind aber häufig so diffus oder kompliziert, dass man sie nicht ohne weiteres formulieren kann. Wir benützen die Tatsache, dass man, wenn man überhaupt etwas verstehen will, mindestens die Sprache des Buches verstehen muss. Die Sprache des Buches verstehen, heisst verstehen, was der Autor mit seinen Begriffen meint. Einstiegs-Verfahren: wir betrachten einige wichtige Begriffe. Welche Begriffe für das Buch wichtig sind, weiss man natürlich nicht im Voraus. Wenn man aber eine Frage hat,, weiss man welche Begriffe in der eigenen Frage wichtig sind. Da wir hier (im Kurs) überdies kaum damit rechnen können, dass wir alle dieselbe Fragestellung mitbringen, ersetzen wir unsere Frage gleich zu Beginn durch Fragen nach Begriffen, von welchen wir - hypthetisch - erwarten, dass sie im Buch wichtig sind. Dieses Ersetzungsverfahren funktioniert natürlich immer, wenn man keine eigenen Fragen ausformulieren will (unausformulierte Fragen hat man immer!), es ist aber wirklich nur eine Ersatz-Lösung. Wir versuchen zu definieren, was der jeweilige Autor, in unserem Falle D. Hofstadter mit bestimmten (zentralen) Begriffen eigentlich meinen müsste - er müsste doch die Begriffe gleich verwenden wie wir! Vorschläge (Diese Vorschläge sind nicht durch das Buch, sondern durch das Thema, das wir im Buch erwarten, bestimmt): - Intelligenz, künstliche - Bedeutung - System - Seltsame Schleifen, Rekursion ==================================================================== 2. Sitzung 22. 5.91 ******************** Zusammenfassung Das Veranstaltungs-Ziel: - Komplexen Bücher sinnvoll verwenden können. - Eine Methoden dafür, wie man komplexe Texte verarbeitet. - Den eigenen Lernprozess wahrnehmen. Die Veranstaltung - Gruppenarbeit. - Exemplarisches Lernen mit Texten aus dem Bereich "Mensch - Computer - Intelligenz", zB anhand von GEB Das Verfahren im Allgemeinen - Man hat vor jedem Lesen eine Hypothese darüber, was man lesen wird: Vom Hörensagen, vom Titel, vom ... Als Erstes Lesen bezeichnen wir alles, was das Wissen über das Buch vergrössert. Am Anfang sind die Lesedurchgänge etwas selt sam: "Riitseili"-Bild: - Man ersetzt die Hypothesen beim Lesen laufend durch bessere Hypothesen! Aktives Lesen als Lernen - Lesen als Lern-Experiment. Wer mit seiner Hypothese vollständig recht hatte, hat Pech, weil er nichts dazugelernt hat. Einstiegs-Verfahren (nochmals ausführlich:) Wenn man ein Buch wirklich lesen will, hat man immer einige Fragen oder Erwartungen zum Gegenstand des Buches. Diese Fragen sind aber häufig so diffus oder kompliziert, dass man sie nicht ohne weiteres formulieren kann. Wir benützen die Tatsache, dass man, wenn man überhaupt etwas verstehen will, mindestens die Sprache des Buches verstehen muss. Die Sprache des Buches verstehen, heisst verstehen, was der Autor mit seinen Begriffen meint. Einstiegs-Verfahren: wir betrachten einige wichtige Begriffe. Welche Begriffe für das Buch wichtig sind, weiss man natürlich nicht im Voraus. Wenn man aber eine Frage hat, weiss man welche Begriffe in der eigenen Frage wichtig sind. ============== Da wir hier (im Kurs) überdies kaum damit rechnen können, dass wir alle dieselbe Fragestellung mitbringen, ersetzen wir unsere Frage gleich zu Beginn durch Fragen nach Begriffen, von welchen wir - hypthetisch - erwarten, dass sie im Buch wichtig sind. Dieses Ersetzungsverfahren funktioniert natürlich immer, wenn man keine eigenen Fragen ausformulieren will (unausformulierte Fragen hat man immer!), es ist aber wirklich nur eine Ersatz-Lösung. Wir versuchen zu definieren, was der jeweilige Autor, in unserem Falle D. Hofstadter mit bestimmten (zentralen) Begriffen eigentlich meinen müsste - er müsste doch die Begriffe gleich verwenden wie wir! Bevor wir uns dem Begriff "Intelligenz" zuwenden, möchte ich noch einige Nachträge machen oder wiederholen: Zu Ihrer Motivation an diesem Kurs teilzunehemen (zT wiederholt) - Wichtige Bücher: Was wichtig ist, steht nicht nur in einem bestimmten, son- dern in vielen Büchern. Wirklich wichtig ist aber, was wir selbst wissen. - Schnell lesen, effizient Lesen: "Schnell lesen" ist - als Methode - das Gegenteil von dem, was wir hier üben wollen. Aber: Wenn man, was man schnell gelesen hat, nicht in die eigene Sprache umsetzen kann, nützt schnell lesen auch nicht sehr viel. Unser Gedächtnis funktioniert assoziativ, das heisst, wir können neue Wissensteile viel besser behalten, wenn wir sie mit bereits vorhandenem Wissen verknüpfen können. Das bedeutet umgekehrt, dass wir umso effizienter Lesen, je bewusster oder aussprechbarer uns unser eigenes Wissen zur Verfügung steht. Sie werden durch aktives Lesen effizienter, obwohl wir uns nicht um die Geschwindigkeit kümmern. - Strukturierung, Gedächtnis, Motivation Beim aktiven Lesen wird der Text vom Leser strukturiert, da man das Wissen des Buches nicht einfach sequentiell übernimmt. Man ordnet das Wissen in der eigenen Gedanken-Struktur ein, die normalerweise nicht mit jener des Buchautors übereinstimmt. Man kann sich deshalb das neue Wissen viel leichter merken und muss sein Gedächtnis nicht jedesmal umorganisieren. Die Lernschritte stehen immer in Bezug zum bisherigen Wis- sen. Das heisst, sie sind erkennbar und motivierend. - Zaubermittel à la Nürnberger Trichter. Aktives Lesen beruht nicht auf irgendwelchen Tricks, auch nicht auf motivationspsychologischen. Ich kann Ihnen keine Tricks geben, weil ich (leider) auch keine kenne. Wenn Sie gut zuhörten, wissen Sie, dass ich Ihnen (fast) nur viel Arbeit und eine Arbeits-Methode versprochen habe. ===================== Diskussion Was heisst Intelligenz? (höchsten 10 Min) Vorlesung: Die Diskussionsbeiträge sind wie Textstellen in Büchern. Wir verwenden also sinnigerweise hier dasselbe Verfahren, wie wenn wir aktiv Lesen. Prüf-Verfahren: Was prüfe ich, wenn ich Ihre Vorschläge (oder diejenigen eines Buches) höre? 1. Sprachliche Struktur: - Geben sie Beispiele? Beschreiben sie Funktionen? Machen sie Ausgrenzungen? - Wie sind die Definitionen grammatikalisch aufgebaut? Welche Wortarten verwenden sie? Weshalb prüfe ich die sprachliche Struktur eines Textes, also beispielsweise die Struktur Ihres Vorschlages, wenn ich wissen will, ob Ihre Meinung mit meiner übereinstimmt? Wenn die Sätze der Form nach übereinstimmen, kann ich schneller feststellen, ob sie auch denselben Inhalt haben. Vor allem aber erwarte ich (auch das ist eine Hypothese!), dass Begriffe in einer ganz bestimmten sprachlichen Form erläutert werden. Definitionen Wir kommunizieren mit Definitionen. Die Frage "Was heisst .." verlangt eine Definition. Definitionen sind Beschreibungen. Wie gehen wir vor, wenn wir etwas definieren wollen? Wir suchen Beispiele, Verallgemeinern mit Oberbegriffen und prüfen mit weiteren (Gegen)beispielen). Mit Definitionen suchen wir nicht die Wahrheit, sondern gemein- same, explizite Umschreibungen für von uns verwendete Begriffe. Unsere Definitionen gelten für unsere Diskussion (hier aber ver- bindlich!) bis wir sie jeweils ersetzen. Das Definieren, also das Ersetzen von Wörtern durch Sätze ist rekursiv. Wir führen die Defi- nitionen so weit (Abbruchkriterium), wie es uns für unsere Verstän- digung nötig erscheint. =================== * * * Unsere bisherigen Formulierungen sind keine Definitionen im engeren Sinne. Ich stelle Ihnen kurz zwei bekannte Begriffserläute- rungen vor: - Tessler: "Künstliche Intelligenz ist alles, was noch nicht pro- grammiert wurde" (S. 640). Sobald eine bestimmte Stufe der Fähigkeit, mit der Sprache umzugehen, mechanisiert ist, ist klar, dass es sich dabei nicht um Intelligenz handelt (S. 644). - Turing: Wenn man eine Maschine durch gezieltes Fragen über eine Telex-Leitung nicht von einem menschlichen Ge- sprächspartner unterscheiden kann, ist die Maschine intelligent. Die Turing-Definition ist sehr bekannt, sie bezieht sich eigent- lich auf Maschinen und nur indirekt auf Menschen. Sie sagt überdies gar nicht, was Intelligenz ist, sondern nur, wie man sie feststel- len kann. (Ausserdem wird Intelligenz so nur relativ zu einer zwei- ten Intelligenz verstanden). Im Moment aber geht es für uns darum, zu sehen, wie verschieden argumentiert wird, um zu sagen, was Intelligenz überhaupt ist. Vorausschau: Die Turing-Definition impliziert unter anderem auch, dass sich Intelligenz sprachlich zeigt. Dazu gibt es die Geschichte von "Eliza", dem sprechenden Computer von J. Weizenbaum. ==================================================================== 3. Sitzung 29. 5.91 ******************** Zusammenfassung Begriffe als Einstiegs-Verfahren Die Fragen, die man zu einem Buch hat, sind häufig diffus unaus- sprechbar. Deshalb steigen wir ersatzweise mit der Frage ein, was der Autor mit seinen wichtigsten Begriffen meint oder eigentlich meinen müsste - er müsste doch die Begriffe gleich verwenden wie wir! Wir versuchen es mit dem Begriff "Intelligenz". Wir haben einige vorläufige Formulierungen gefunden: aus Wörter- büchern, aus dem eigenen Vorwissen, welches teilweise auch aus Sachbüchern stammt. Uebrigens kann man auch sehr viel lernen, wenn man irgend je- manden - beispielsweise ein Kind oder die Grossmutter - fragt, was er mit einem bestimmten Wort verbindet. Dazu muss man natürlich auch eine Erwartungen darüber haben - und ausformulieren -, was der Gefragte wohl weiss. Diese Diskussionsbeiträge sind - wie unsere - wie Textstellen in Büchern. Wir verwenden also sinnigerweise hier dasselbe Verfahren, wie wenn wir aktiv Lesen. Aktives Lesen als Untersuchung Prüf-Verfahren: Was prüfe ich, wenn ich Ihre Vorschläge (oder diejenigen eines Buches) höre? Sprachliche Geben sie Beispiele? Struktur: Beschreiben sie Funktionen? Machen sie Ausgrenzungen? Sprechen Sie über eine Eigenschaft über eine Sache oder über eine Tätigkeit? Wir diskutierten beispielsweise darüber, ob sich Intelligenz im Verhalten oder im Sprechen zeigt. Wenn man auf die Struktur des Gesagten achtet, achtet man also nicht vor allem darauf, was inhaltlich gesagt wird, son- dern darauf, wie argumentiert wird. Ich habe das letzte Mal dabei etwas vorgegriffen und über die Definition gesprochen. Wir kommen heute darauf zurück. "Meine" Beispiele von Turing und Tessler waren keine Defini- tionen im engeren Sinne, sondern - wie Ihre Beispiele - einfach sprachliche Erläuterungen mit einer bestimmten sprachlichen Struk- tur. Turing gibt keine Beispiele. Er beschreibt eine Spiel-Situa- ================= tion mit verschiedenen Räumen und Geräten. Bevor wir uns der Definition zuwenden, greife ich wieder etwas vor, auf etwas, das wir noch ausführlicher behandeln werden: Diskurs Im Diskurs sagt man das, was man sagen will, indem man etwas ganz anderes sagt. Man sagt beispielsweise zu jemandem: "Es ist sehr schönes Wetter heute", wenn man sagen will: "Ich möchte ein wenig plaudern mit Ihnen". Wir verstehen uns - normalerweise - auch, wenn wir wörtlich genommen ganz falsche Dinge sagen. Diskurse haben einen Sinn. Manchmal sind sie einfach vorsichtig freundlich, wie im obigen Beispiel. Man weiss genau, was man ei- gentlich sagen will, und man könnte es auch direkt sagen. Manchmal aber kann man das, was man eigentlich mitteilen will, gar nicht direkt ausdrücken, weil es aus welchen Gründen auch immer zu kom- pliziert ist. In der Psychoanalyse beispielsweise versucht der Analytiker aus dem, was der Kunde erzählt, zu verstehen, was ihn eigentlich beschäftigt. In unserem Zusammenhang geht es aber weder um Höflichkeit noch um psychische Probleme, sondern um ein wirklich kompliziertes, sachliches Phänomen, das wir als "Intelligenz" be- zeichnen. Da wir mit Begriffen arbeiten, betrachten wir einen speziellen, begriffsorientierten Aspekt des Diskurses: Metapher Wir sprechen häufig in Metaphern. Wenn ich zu jemandem sage, er sei ein Esel, versteht er mich, wenn er kein Esel ist. Das graue Tier ist die Basis der Metapher. Es lässt sich aber - gerade anhand der Esel-Metapher - leicht zeigen, dass es nicht leicht ist, festzustellen, was die Basis einer Metapher ist. Wenn man dazu etwa schaut, wie ein Wort mei- stens verwendet wird, wird man "Esel" im städtischen Kontext sicher als Bezeichnung für Menschen finden. Man müsste dann schliessen, dass das graue Tier nur deshalb Esel genannt wird, weil es gleich störrisch ist wie die als Esel bezeichneten Menschen. Denk-Vorschlag: Intelligenz ist eine Abstraktion über Automaten. Einstein ist so wenig intelligent, wie irgend ein anderer Mensch ein Esel ist, obwohl er Dinge kann, die Automaten (noch) nicht können (Satz von Tessler). Wenn man intelligent ist, versteht man, inwiefern Ein- stein intelligent ist. Bitte spielen Sie ein wenig mit dieser Idee, wir kommen später darauf zurück. * * * ===================== Definition Wenn wir etwas, das wir im Prinzip bereits kennen, genauer ver- einbart haben wollen, verlangen wir mit der Frage "Was heisst .." eine Definition. Definitionen sind begriffliche Beschreibungen. Mit Definitionen suchen wir nicht die Wahrheit, sondern gemein- same, explizite Umschreibungen für von uns verwendete Begriffe. Unsere Definitionen gelten für unsere Diskussion (hier aber ver- bindlich!), bis wir sie jeweils ersetzen. Das Definieren, also das Ersetzen von Wörtern durch Sätze ist rekursiv. Wir führen die Defi- nitionen so weit (Abbruchkriterium), wie es uns für unsere Verstän- digung nötig erscheint. Wie gehen wir vor, wenn wir etwas definieren wollen? Beispiel: Was sind Automaten? Sinnigerweise beginnen wir die Beantwortung der Frage mit Bei- spielen: "ein Kaffeeautomat, ein Billetautomat, ein Waschautomat". Dann beginnen wir die gemeinte Sache genauer oder eigentlich zu beschreiben, ohne dabei bereits auf die begriffliche Form zu ach- ten: "Automaten arbeiten selbständig ... ersetzen Arbeiter ... wie- derholen immer dieselbe Tätigkeit ..". Wenn man eine Beschreibung und einige Beispiel hat, sucht man den geeigneten Begriffsbaum, indem man die bereits geleisteten Formulierungen auf mögliche Ober- begriffe und Kriterien hin untersucht. Man nennt diesen Suchprozess "analysieren". Beim Analysieren nimmt man die vorhandenen Beschrei- bungen sehr wörtlich und prüft quasi die Wahl der Wörter. Hat man beispielsweise den Satz: "Automaten sind Maschinen, die selbständig arbeiten", prüft man mit der Frage, ob wirklich alle Automaten Ma- schinen sind, den implizit vorgeschlagenen Oberbegriff. Wenn man die Frage verneinen würde, müsste man auch den Beschreibungssatz zurückweisen und nach einer andern Beschreibung suchen. Wenn man die Frage aufgrund der Beispiele bejaht, muss man um nicht einen Synonym aufzusitzen, auch die Negation des begrifflichen Gegenteils prüfen. In unserem Beispiel muss also auch der Satz "Nicht alle Maschinen sind Automaten" wahr sein. Genau dann hat man einen mög- lichen Begriffsbaum gefunden, in welchem die Frage nach dem Krite- rium Sinn macht: "Welche Maschinen sind Automaten?". Maschinen Maschinen teilen sich in solche, die lebendig gesteuert und in solche, die Steuerungs- tot gesteuert werden. Die einen nen- form nen wir eigentliche Maschinen, die andern Automaten. Automaten eigentliche Maschinen Ausdruck und Bedeutung Dass wir Ausdrücke definieren können, kommt daher, dass wir unsere Welt im Prinzip nicht mit einzelnen Wörtern, sondern mit ====================== Sätzen abbilden. Wir sagen beispielsweise: "In meiner Wohnung hat es zwei Telefonanschlüsse". Solche Sätze bestehen aus impliziten Teilsätzen, die wir aus praktischen Gründen durch vereinbarte Er- sätze, durch Ersatz-wörter ersetzen. Das Wort "Telefonanschluss" ist ein solches Ersatzwort, es steht für eine aufwendige Beschrei- bung, die wir nicht jedesmal wiederholen wollen. Es ist eben be- quemer, wenn man innerhalb eines Satzes statt eines ganzen Teil- Satzes nur ein Wort sagen muss, wenn man also statt: "In meiner Wohnung hat es zwei .. { vierpolige Schwachstrom-Steckdosen, an welchen ich ein Gerät anschliessen kann, welches Mikrofon, Lautsprecher und Wählscheibe hat, und mit dem ich mit anderen Menschen, die auch so ein Gerät haben, sprechen kann. }" einfach sagen kann: "In meiner Wohnung hat es zwei { Telefonanschlüsse }" Ausdrücke ersetzen Beschreibungen, von den Dingen, über die wir sprechen wollen: < Sache > ==> < Satz > ==> < Er-satz > von der wir Beschreibung zB "Telefon" sprechen wollen der Sache Diese ursprüngliche Reihenfolge, die Namensgebung, beschäftigt uns selten. Der Erfinder des Telefons hat beispielsweise der Sache, die er erfunden hat, den Namen "Telefon" gegeben. Das Wort "Tele- fon" steht dabei für eine inhaltliche Beschreibung, für einen ganz bestimmten Satz, welcher selbst aus mehreren Sätzen bestehen kann. "Telefon": < Beschreibungs-Satz > Wörter sind lediglich Namen. Als Namen stehen nicht für Sachen, sondern für unsere "gedanklichen Abbildungen" von Sachen: Beschreibung Ausdruck Sache Diese "gedanklichen Abbildungen" sind Beschreibungen. Beschrei- bungen haben - das ist ein Teil unserer Diskussion - verschiedene Formen. Eine bestimmte Form, die wir jetzt betrachtet haben, ist die Definition. Wir besprechen die Definition - exemplarisch - so ausführlich, weil man beim Lesen darauf achten muss, welche Beschreibungsformen der Autor verwendet, also beispielsweise ob der Autor Definitionen gibt oder wenigstens (implizit) hat. ==================== Ob der Autor mit Beispielen argumentiert entdeckt man sehr leicht, ob er Definitionen verwendet, merkt man nur dann, wenn man ganz bewusst darauf achtet. 4. Sitzung 5. 6.91 ******************** Zusammenfassung Sprachliche Struktur Wir haben verschiedene Beschreibungsformen unterschieden, und dabei exemplarisch die Definition angeschaut. Wir definierten die Maschine. Wir führten dazu den Oberbegriff Werkzeug und das Kriterium "nicht vom Menschen angetrieben" ein. Definitionen bestehen aus einem Oberbegriff und einem Kriterium. Wir kommen heute nochmals darauf zurück. Sagen, was wir mit einem bestimmten Ausdruck meinen, können wir, weil Ausdrücke eigentlich nur "Er-Sätze" sind, also Beschreibung- "Sätze" ersetzen. Wir haben über kurz die Beliebigkeit der Ausdrük- ke diskutiert. Für uns ist dabei nicht wichtig, ob die Ausdrücke mit gutem Grund gewählt wurden, sondern dass wir die Gründe nicht kennen und deshalb vom Ausdruck nicht auf die Sache schliessen können. Nur weil etwas Maschine heisst ist es noch lange keine Maschine. "Erdbeeren" nachführen. Definitionen klären das Gespräch und unterstützen das Verstehen. Definitionen (die man akzeptiert hat) bleiben sehr gut im Gedächt- nis. Sie bilden gedankliche Verknüpfungspunkt, die das Lernen und das Lesen sehr erleichtern. Wir werden das heute an einer kleinen Uebung veranschaulichen. Was kann man überhaupt definieren? 1. Was definieren wir? Wir definieren nicht Wörter oder Begriffe, wir definieren Gegen- stände. Wenn wir umgangssprachlich nach einer Definition verlangen, scheint es auch uns häufig so, als ob man Begriffe definiere. Wir sagen beispielsweise: "Definieren Sie doch einmal, was Sie mit Automat meinen!" Zum Wort "Automat" haben wir - wie unser Gespräch gezeigt hat - sehr viele Assoziationen. Wir denken beispielsweise auch an ein automatisch geschaltetes Auto oder daran, dass wir selbst vieles automatisch tun, oder daran, dass die Türe im Durchzug automatisch schliesst usw. Natürlich gibt es keine Definition, die all unseren Assoziationen gerecht werden kann. Es ist deshalb ausserordentlich wichtig, dass man unterscheidet, ob man über Gegenstände oder über Wörter spricht. Normalerweise sprechen wir über Gegenstände - teilweise über sehr abstrakte Ge- ======================== genstände wie Liebe oder Intelligenz -, nicht über Wörter. Wenn man sich bewusst macht, worüber man spricht, kann man für das je aktu- elle Gespräch viele Assoziationen eines Ausdruckes löschen. Weil man dadurch weniger abgelenkt wird, konzentriert man sich viel leichter auf das Wesentliche der Sache und versteht auch beim Lesen viel schneller was gemeint ist. Die konzentrierten Begriffe brau- chen im Gedächtnis viel weniger Platz und können viel schneller wieder abgerufen werden. ==> effizientes Lesen 2. Welche Gegenstände kann man überhaupt definieren? Wir haben exemplarische Gegenstände definiert. Bei einer Maschi- ne wissen wir, dass sie ein Werkzeug ist, weil wir wissen, wozu sie gebaut wurde. Wir wissen, dass Maschinen irgendwie ausgezeichnete Werkzeuge sind, und dass sie sich durch den Antrieb von anderen Werkzeugen unterscheiden. Wir kennen den Sinn oder die Bedeutung der Maschine. Maschinen haben wie alle hergestellten Dinge eine Gegenstandsbedeutung. Wenn wir beispielsweise sagen, dass ein Mensch ein Säugetier ist, oder dass ein Vogel ein Wirbeltier ist, tun wir so, als ob wir wüssten, wozu ein Mensch oder ein Vogel existiert. Wir betrachten dann natürliche Dinge mit den Augen eines Ingenieures, also so, wie wenn sie konstruiert wären. Alle Dinge, die wir als konstruiert auffassen, haben eine Bedeutung, die wir auch Inhalt nennen. Für diese Dinge haben wir inhaltliche Begriffe, die man definieren kann. Dieses "so tun als ob" ermöglicht uns häufig über natürliche Dinge abstrakt richtig zu sprechen, es ermöglicht aber auch völlig inadäquate Beschreibungen. Wir werden später von diesen Gefahren sprechen. Im Moment betrachten wir den Vorteil, den wir daraus gewinnen, wenn wir uns dieses Analogie-Denkens bewusst sind: Diskurs und Metapher Begriffe, die schwer zu verstehen sind - dafür ist Esel kein gutes Beispiel -, lassen sich als Metaphern auffassen. Wenn wir solche Begriffe verstehen wollen, suchen wir die Basis der Meta- pher. Uebung: aktives Lesen Wir lesen einen Text zunächst ohne und dann mit einer Metaphern- Brille. Die Basis der Metapher finden wir - nicht nur bei unserem The- ma - sehr häufig in der wirklich hergestellten Welt. "Intelligenz" kann man durch "künstliche Intelligenz" verstehen. Vorschlag: ===================== Intelligenz ist eine Abstraktion über Automaten. Einstein ist so wenig intelligent, wie irgend ein anderer Mensch ein Esel ist, obwohl er Dinge kann, die Automaten (noch) nicht können (Satz von Tessler). Wenn man intelligent ist, versteht man, inwiefern Ein- stein intelligent ist. Was ist der Unterschied? Lern-Punkte - Man kann merken, dass der Autor ganz andere Begriffe verwendet - Dann kann man ihn verstehen, indem man seine Begriffe rekon- struiert - Dann kann man die Begriffe kombinieren oder - man merkt, dass die Ausdrücke doppelt besetzt sind, und dass der Autor andere Begriffe hat. (damit wird man umgehen wie mit dem Ausdruck "die Bank", man gibt dem Ausdruck einen Bedeutungsindex, dass klar ist welche Bank. Das entspricht eigentlich einem neuen Wort mit denselben Buchstaben. Hier ist die Beliebigkeit der Ausdrücke wieder wichtig. - man versteht den Autor nicht. Dann hat man aber nicht das Gefühl, etwas nicht verstanden zu haben, sondern weiss, was man nicht verstanden hat. Aus der letzten Variante ergibt sich ein Entscheidungsproblem. Man entscheidet - man tut es -, ob der Autor etwas Sinnvolles zu sagen hat, wofür einem die Sprache (Begriffe) fehlt, oder ob dem Autor selbst die Sprache und das Verständnis fehlt. Dann hat man ein typisches Problem für Aktives Lesen gefunden und kann damit eigentlich anfangen. Metapher-Basis als Einstieg Wenn wir einen Text das "erste Mal" lesen, also wenn wir noch keine vernünftigen Hypothesen haben, können wir bei wichtigen Be- griffen nach der Basis der Metapher suchen. ======================================================================== 5. Sitzung 12. 6.91 ******************** Es gibt einige Dinge, die im Zusammenhang mit aktivem Lesen sehr wichtig sind. Wenn ich sie zu häufig wiederhole und Sie langweile, müssen Sie ebenso unbedingt reklamieren, wie wenn ich etwas zu schnell erkläre. Zusammenfassung Generelles zum Aktiven Lesen - Man kann merken, dass der Autor ganz andere Begriffe verwendet - Dann kann man ihn verstehen, indem man seine Begriffe rekonstruiert - Dann kann man die Begriffe kombinieren oder - man merkt, dass die Ausdrücke doppelt besetzt sind, und dass der Autor andere Begriffe hat. - man versteht den Autor nicht. - Dann hat man aber nicht das Gefühl, etwas nicht verstanden zu haben, sondern weiss, was man nicht verstanden hat. Aus der letzten Variante ergibt sich ein Entscheidungsproblem. Man entscheidet - man tut es -, ob der Autor etwas Sinnvolles zu sagen hat, wofür einem die Sprache (Begriffe) fehlt, oder ob dem Autor selbst die Sprache und das Verständnis fehlt. Etymologie und Definitionen Beim dem Lesen, welches wir hier untersuchen, interessiert die Sprache nur als Mittel, eigentlich interessiert die Sache, über die man liest. In diesem Sinne sind Beschreibungssätze und ihre Ersatz- Wörter nur Zeiger, die auf die gemeinte Sache verweisen. Wenn wir ein Wort lesen, interessieren wir uns also nicht primär dafür, was das Wort alles bedeutet, sondern dafür, worauf es in unserem je- weils aktuellen Zusammenhang genau verweist. Dabei ist zunächst nicht wichtig, ob die Ausdrücke als solche - wie es die Etymologie unterstellt - mit gutem Grund gewählt wur- den, sondern dass wir die Gründe meistens nicht kennen und deshalb vom Ausdruck nicht auf die Sache schliessen können, wie etwa die "Erdbeeren" (Wissen Sie noch, was Erdbeeren sind?) zeigen. Wir werden heute diskutieren, inwiefern sich die Etymologie doch lohnen kann. Davor aber fassen wir die bisherige Diskussion noch etwas zusammen. Was sind Definitionen, was ist ihr Zweck? (Rekapitulation) Definitionen haben nicht den Sinn ein Wort festzulegen, sie haben den Sinn, Gegenstände begrifflich so zu klassifizieren, wie ==================== es für das Verständnis der jeweils aktuellen Diskussion nötig ist. Definitionen klären das Gespräch und unterstützen das Verstehen. Definitionen (die man akzeptiert hat) bleiben sehr gut im Gedächt- nis. Sie bilden gedankliche Verknüpfungspunkt, die das Lernen und das Lesen sehr erleichtern. Was kann man überhaupt definieren? Definieren im engeren Sinne kann man Gegenstände, die wie bei- spielsweise Maschinen eine Bedeutung haben. Hergestellten Dinge haben eine Gegenstandsbedeutung. Dinge, die wir als konstruiert auffassen, haben eine Bedeutung, die wir auch Inhalt nennen. Problem Wir sprechen teilweise über sehr abstrakte Gegenstände wie Liebe oder Intelligenz. Ich habe Sie gebeten zu einem Buch, das Sie in- teressiert, einen zentralen Begriff zu suchen. Wir können anhand Ihrer Begriffe prüfen, wie häufig definierbare Begriffe zentral sind. < Diskussion: Was haben Sie für Begriffe gefunden? > Strategie: Problem-Verschiebungen Den wichtigsten Aspekt der Problemverschiebung haben wir bereits etwas diskutiert. Sie besteht darin, schwierige Begriffe als Metaphern aufzufassen und deren Basis zu suchen. Wir haben bereits diskutiert, dass man Intelligenz auf die Ma- schine verschieben kann. Das macht genau dann einen Sinn, wenn da- durch das Definitionsproblem irgendwie kleiner wird. Das scheint hier gefühlsmässig der Fall zu sein. Intelligente Maschinen sind nicht so kompliziert wie intelligente Menschen. Aber haben wir mit dieser Verschiebung tatsächlich etwas gewon- nen? Können wir Intelligenz wirklich besser definieren, wenn wir an eine Maschine denken? Was wir sicher gewonnen haben, ist einen Intelligenz-Träger, über welchen wir effizienter sprechen können als über Menschen. Bei Maschinen können wir konstruktiv begründet angeben, nach welchen Kriterien wir sie einteilen. "Künstliche Intelligenz" als Beispiel für Problemverschiebung Wir schauen uns den Prozess der Verschiebung anhand der Frage, was Intelligenz bezüglich Maschinen bedeutet, etwas ausführlicher an: Wir unterstellen dazu, dass es zwei Sorten Maschinen gibt, in- telligente und andere. Die Frage ist, welche Maschinen intelligent sind. Wir wissen bereits von Turing, dass die Maschinen, die den Menschen in bestimmter Hinsicht imitieren können, intelligent sind. ================================================ In Turing's Formulierung steckt aber eben wieder der Mensch. Wir brauchen eine Beschreibung der intelligenten Maschine, die unabhän- gig vom Menschen ist. Einwände gegen die versuchte Problemverschiebung: Können wir uns überhaupt intelligente Maschinen vorstellen, die nicht das tun, was Menschen tun? Sind nicht alle Maschinen in einem bestimmten Sinne schlechtere oder bessere Ersatz-Menschen? Woher, wenn nicht vom Menschen, haben wir die Ideen dafür, was eine Ma- schine leisten soll? Diese Einwände führen alle zurück zum Menschen. Sie sind natür- lich wichtig, aber man muss sie während der Problemverschiebung stehen lassen. Wir prüfen sie erst, wenn wir die Problem-Lösung zurück verschieben - falls sie dann noch Sinn machen. Wenn sich die Problemverschiebung nämlich lohnt, verändert sie die Sicht der Dinge so, dass sich nachher andere Fragen stellen. Das ist gerade der Witz der Verschiebung (die übrigens von I. Laka- tos als Forschungsstrategie schlechthin betrachtet wurde). Intelligente Maschinen statt intelligente "Maschinen-Menschen" Unsere Fragestellung ist nicht, woher wir die Idee dafür haben, was eine Maschine leisten sollte, uns interessiert, was sie leisten sollte. Die Turing-Maschine muss die Antworten eines Menschen imitieren, um intelligent zu sein. Wir suchen eine Formulierung dieser, re- spektive einer ähnlichen Anforderung, in welcher die Maschine nicht mit einem Menschen verglichen wird. Was von dem, was die Turing- Maschine erfüllen muss, kann man explizit formulieren? Die Maschine muss eine vollständige Grammatik einer zwischen- menschlichen Sprache haben. Die Anforderung ist klar, obwohl wir diese Grammatik selbst keineswegs explizit zur Verfügung haben. Wir können diese Maschine (noch) nicht bauen, obwohl wir wissen, was sie leisten sollte. Genau solche Maschinen sind intelligent. Rückverschiebung als Metapher Was ist eine Metapher? Was ist die Basis? (Rekapitulation) Die Basis der Metapher finden wir - nicht nur bei unserem The- ma - sehr häufig in der wirklich hergestellten Welt. "Intelligenz" kann man als Metapher mit der Basis "künstliche Intelligenz" ver- stehen. Man muss dazu zeigen, welche Eigenschaften des eigentlichen Referenten des Ausdruckes mit der Metapher auf den uneigentlichen übertragen werden. Insbesondere fällt auf, dass die Metapher im Unterschied zur Basis häufig auch Abstufungen zulässt. Eine Maschine ist intelli- gent oder nicht, ein Mensch kann mehr oder weniger intelligent sein. Man kann auch ohne weiteres sagen: "Du bist ein ziemlicher Esel!" ============================================== Einwände als Lernchancen Wir betrachten nun auch noch die ursprünglichen Einwände gegen die Problemverschiebung. Einige entfallen sachlich, wenn man die Metaphernbasis akzeptiert. Andere sind interessant, weil sie ein bestimmtes Hintergrund-Wissen implizieren, das durch die neue Sichtweise zersetzt wird: An KI-Maschinen werden nicht nur "menschliche" Kriterien ge- stellt, häufig werden die KI-Maschinen selbst mit Menschen gleich- gesetzt, die sie scheinbar ersetzen. Eine in diesem Sinne typische KI-Maschine wäre eine Maschine, die die menschliche Sprache so "versteht", dass man Texte, die man geschrieben haben möchte, dik- tieren könnte. Diese Maschine ist kein Perpedum mobile oder sonst etwas Phantatisches, es ist eine Maschine, die ein Diktaphon, eine Schreibmaschine und die Tätigkeit einer Datatypistin ersetzt. Die Arbeit, für die diese Maschine eingesetzt wird, nämlich das Schrei- ben in Form des Diktierens, ändert sich im Wesentlichen nicht. Die Maschine ersetzt also keinen Menschen, sie will es auch nicht. KI- Produzenten bauen keine Maschinen, die den Menschen ersetzen. Die Maschine ersetzt die Tätigkeit einer Datatypistin, die ohne- hin nur auf einer "arbeitsteiligen Auslagerung", also darauf be- ruht, dass viele Schreiber zu faul sind, um selbst zu Schreiben. KI-Produzenten und Ingenieure sagen häufig selbst, dass sie "faule Menschen seien", die für jede Arbeit eine Maschine erfinden. Der ursprüngliche Einwand gegen unsere Intelligenz-Verschiebung, dass wir "die Ideen dafür, was eine Maschine leisten soll, vom Menschen haben", beruht auf einer verkehrten Ansicht über den Zweck der Maschinen insgesamt. Die um-gekehrte Ansicht erhällt man, wenn man die Einwände ernst nimmt. * * * Ausblick auf die Veranstaltung: Wir haben bisher die Definition als Arbeitsmittel kennengelernt, wir werden ein weiteres Konzept einführen: das System. Davor möchte ich die bisherige Diskussion an zwei weiteren Bei- spiele noch etwas vertiefen: 1. "Gesetz" um zu zeigen, wie andere Bedeutungen eines Wortes, ob sie nun ältere sind oder nicht, fruchtbar gemacht werden können ("Gegenwarts-Etymologie"), um Begriffe, die als Metapher mit dem Wesen des Menschen (Ethik und Moral) verbunden sind, durch Problem-Verschiebung auf eine Metapher-Basis mit definierbarer Bedeutung zurückgeführt werden können. 2. "Information" um zu zeigen, dass die Basis der Metapher häufig durch die Entwicklung des Wissens zu tage kommt, nachdem die Metapher als solche schon lange verwendet wird. ============================================== ===================================================================== 6. Sitzung 19. 6.91 ( 3 - stündig ) ******************** Zusammenfassung Problemstellung Definieren im engeren Sinne kann man Gegenstände, die eine Be- deutung haben. Schwierigkeiten haben wir aber viel mehr mit ab- strakten Gegenstände wie "Marketing", "Sein" oder "Intelligenz". Wir werden heute die Diskussion von Beispielen wieder aufnehmen, ich rekapituliere davor kurz etwas aus unserer Diskussion und eine mögliche Strategie: Umfassende Begriffe wie Marketing muss man Zerlegen. Dabei ist nicht wichtig, dass man sofort den wichtigsten Teilbegriff findet, man wählt einfach einen wichtigen. "Werbung" etwa ist - falls Wer- bung überhaupt ein Teil-Gebiet ist - immer noch ziemlich komplex. Deshalb wählt man auf einer noch tieferen Stufe einen zentralen Begriff, den man beispielsweise findet, indem man ganz alltäglich sagt, was Werbung ist. Wenn man etwa "Anpreisung eines verkaufbaren Produktes" wählt, kann man den Begriff "Produkt" festlegen und damit in den Text des Marketings zurückkehren und prüfen, ob er konsistent verwendet wird. Man wird dabei ein neues Verhältnis zum Text gewinnen. Natürlich gibt es bereits auf dieser Stufe verschiedene Möglich- keiten die Begriffe zu Zerlegenen. Mit dem Begriff "Sein" werden wir anders umgehen als mit dem Begriff "Marketing". "Sein" lässt sich nicht ohne weiteres Zerlegen, weil es schon elementar gedacht ist. Man muss über andere Assoziationen einsteigen. Man kann sich beispielsweise fragen, was wir mit dem Verb "sein" im Alltag aus- drücken, etwa in: "Der Tisch ist rot" usw. Wesentlich ist, dass man eigene Formulierungen zum Problemkreis macht. Genau dafür gibt es Strategien: Metaphern als Problem-Verschiebungen Viele Begriffe lassen sich mindestens in einer Hinsicht klären, wenn man sie auf einen ganz bestimmten Kontext bezieht. Unser bis- heriges Beispiel war "Intelligenz". Wir verschieben den AAusdruck in den Kontext der Maschinen. Das tun wir natürlich nicht beliebig, sondern weil das unter dem Stichwort "Künstliche Intelligenz" be- reits üblich ist. Wir untersuchen, was eine Maschine können muss, um intelligent zu sein. Das Problem bei der Problem-Verschiebung Man muss dabei vermeiden, dass sich der Kontext, den man ver- lassen will, nicht wieder einschleicht. In unserem Beispiel darf deshalb nicht mehr von Menschen die Rede sein: Statt "die Maschine muss sprechen wie ein Mensch" sagen wir "die Maschine muss die Grammatik der Sprache kennen". Was dabei (auch im inneren Selbstgespräch) an möglichen Einwän- den auftaucht, muss man im Moment der Problemverschiebung zurück- stellen und später eventuell als Ausdruck einer falschen Metaphern- Basis ernst nehmen. In unserem Beispiel konnte man lernen, dass die KI-Ingenieure nicht versuchen, den Menschen (somit sich selbst) zu ersetzen, son- dern entwickeltere Werkzeuge wie spracherkennende Schreibautomaten herzustellen. Diese Lernschritte sind emotional besonders schwie- rig, weil man häufig ganze Vorstellungswelten über Bord werfen muss: Maschinen ersetzen keine Menschen, sondern nur aus Faulheit ausgelagerte Tätigkeiten. Häufig kommt man in der Begriffsklärung nicht weiter, weil man die Konsequenzen des eingeschlagenen Weges zu rasch be-urteilt und damit den Weg meistens zu rasch ver-urteilt. Wenn man eine Idee verfolgen will, darf man sie nicht schon in den ersten Ansätzen mit vermeintlich sicherem Wissem torpedieren: Maschinen ersetzen schon Menschen, aber eben nur in einem bestimmten Sinne, so dass man in einem anderen Sinne eben auch sagen kann: Maschinen ersetzen keine Menschen. * * * "Zeitlose Quasi-Etymologie" Wir legen nicht zuletzt dazu wert darauf, dass die Ausdrücke willkürlich gewählt sind, dass man sich bei jedem Ausdruck immer auch fragen kann, inwiefern die anderen Bedeutungen, für die er auch steht, doch abhängig sind, von der Bedeutung, die einem gerade interessiert. Um zu zeigen, wie andere Bedeutungen eines Wortes - ob sie nun älter sind oder nicht - für die Problem-Verschiebung fruchtbar gemacht werden können, diskutieren wir nun einen Begriff, der als Beispiel auch zeigen soll, dass die Methode nicht an ein bestimmtes Thema gebunden ist: Gesetz (mit Verweis auf anwesende Juristen!) Wir wählen aber damit wieder einen Begriff, der als Metapher mit dem Wesen des Menschen (Ethik und Moral) verbunden ist, und durch Problem-Verschiebung auf eine Metapher-Basis mit definierbarer Be- deutung zurückgeführt kann. Was ist ein Gesetz? "Vorschriften", "Gebote und Verbote", "Gesetze müssen vom Staat erlassen sein", "Gesetze sind von der Mehrheit des Volkes getragen", usw. ============================================== Betrachten wir unsere Definitionsversuche anhand eines Beispie- les, also anhand eines bestimmten Gesetzes: Kennen Sie das Fall- gesetz? Verbietet das Fallgesetz den Steinen schneller zu fallen, als sie es tun, oder gebiete es ihnen zu fallen? "Naturgesetze sind etwas anderes als juristische Gesetze" Warum, wo doch beide Gesetze heissen? Wir interessieren uns für eine Definition des Gesetzes im Recht, wir suchen dazu aber bei den Naturgesetzen. Das ist eine typische Verschiebung. Natürlich weiss man am Anfang nicht, wohin die Verschiebung führt, sie ist ein Experiment. Für dieses Beispiel verspreche ich Ihnen, dass es sich lohnt, diese Verschiebung etwas zu verfolgen. Anmerkung: Wenn man mit dieser Methode beginnt, hat man natürlich noch keine Definitionen und leidet etwas darunter, dass man langsam vorwärts kommt. Mit der Zeit profi- tiert man aber doppelt. Ersten hat man bereits einige Definitionen; man vergisst sie nicht, weil man sie nicht einfach gelesen, sondern selbst erarbeitet hat. Und zweitens merkt man mit der Zeit auch immer besser, was sich lohnen könnte. Jetzt aber sind wir am Anfang, und weil es hier auch ums Prinzip geht, machen wir die Diskussion etwas aus- führlicher. Wir fragen hier beispielsweise nach dem Unterschied zwischen Natur- und juristischen Gesetzen: "Rechtsgesetze werden gemacht, Naturgesetze werden nur entdeckt, es gibt sie schon immer" Hat es das Fallgesetz schon vor Galilei gegeben? "Ja, die Steine sind schon früher gefallen." Ist das Fallgesetz "die fallenden Steine" oder eine Beschreibung davon, dass und wie die Steine fallen? Hier ist wichtig, dass man bewusst weiss, dass es Beschreibungen gibt: Gesetze als Beschreibungen Ein Gesetz ist eine Beschreibung. Gesetze verändern sich, auch wenn sich die Natur nicht verändert. Dass sich "rechtliche Gesetze verändern haben wir bereits gesagt, aber nicht nur "rechtliche" Gesetze verändern sich, alle Gesetze verändern sich, weil alle, auch die physikalischen Gesetze von den Menschen gemacht Beschrei- bungen sind. Beispiel: Warum fliesst das Wasser hier nicht aus? ================================================ Bis vor kurzer Zeit hat ein allgemein anerkanntes Naturgesetz gesagt, dass die Natur ein "Horro vacuii" habe, also einen Horror vor jedem Vacuum. Sie vermeide deshalb jede Entstehung eines Vacu- ums. Dieses Grundgesetz wurde sehr ausgiebig getestet und immer wieder bestätigt. Und weshalb soll dieses Gesetz nicht richtig sein? Mit welchem Experiment könnte man zeigen, dass die Natur keine Angst vor dem Vacuum hat? Nun, die Natur hat keine Angst vor dem Vacuum, und hatte dies wohl auch früher nicht. Das früher geltende Gesetz war zwar logisch und hielt den damaligen Experimenten stand, aber wir haben eine noch sinnvollere Beschreibung gefunden. Nur kurz: Es waren die Experimente mit der mindestens 10 m hohen Wassersäule, die zeigten, dass die Natur keine Angst hat. Wir kehren zurück zum juristischen Gesetz. Wir betrachten ein Strassenverkehrsgesetz: Wir haben haben ein Verkehrsgesetz, auf welches wir mit einem Signal (Weisse, runde Tafel mit rotem Rand und schwarzer Zahl) verweisen. Das Verkehrszeichen ist nicht das Gesetz, sondern ein Symbol, es verweist uns auf das Gesetz. Was bedeutet diese Tafel? Auf welches Gesetz verweist sie? "Höchstgeschwindigkeit", "Geschwindigkeitsbegren- zung" Was genau steht in diesem Gesetz? (Hier geht es wieder darum, zu verstehen, was genau gemeint ist!) "Dass man bestraft wird, wenn man schneller fährt" Gesetze beschreiben Ereignisse, die sich unter gegebenen Bedin- gungen ausschliesslich wiederholen. Aber sind Gesetze Beschreibun- gen, die immer richtig sind? Fahren Sie nie schneller? Oder werden Sie jeweils bestraft? "Nur wenn man erwischt wird" Aha, das Gesetz lautet also: Wenn man beim Ueberschreiten der Geschwindigkeit erwischt wird, dann ... So ist das Gesetz eine (fast) genaue Beschreibung, die den Namen "Gesetz" verdient. Kein Verbot, keine Vorschrift - sondern eine Beschreibung. Wenn das Gesetz, worauf die Tafel verweist, nur sagen würde, dass dort nie- mand scheller fährt, wäre es wohl ein schlechtes Gesetz. So aber stimmt es relativ gut. Ein Gesetz ist eine Beschreibung. Damit beginnen wir unseren Begriffsbaum: Beschreibung ============================================== Ein Gesetz ist eine Beschreibung, aber nicht alle Beschreibungen sind Gesetze. Wenn ich sage: "Dieser Raum hat rote Wände", ist das eine Beschreibung, aber kein Gesetz. Welche Beschreibungen sind Gesetze? Was muss wie beschrieben sein, dass wir von Gesetzen spre- chen? Gesetze haben einen "Wenn-dann"-Charakter, wenn dieser auch häufig, wie im Wort "Geschwindigkeitsbegrenzung", nicht direkt sichbar formuliert ist. Solche "Wenn-dann"-Sätze beziehen sich immer auf beliebige Menge von Beispielen, sind also Allsätze, nicht sogenannten Existenzsätze, in welchen nur eine bestimmte Existenz behauptet wird. In Allsätzen wird eine Aussage über alle Mitglieder der Klasse gemacht. Für "alle" gilt, "wenn ... dann ...". Gesetze sind Allsätze. Sind alle Allsätze Gesetze? Unsere Geschwindigkeitsbeschränkungen sind Allsätze. Sie bedeu- ten, dass alle Fahrzeuge eine angegebene Geschwindigkeit nicht überschreiten. Wie aber kann man das überhaupt wissen? Können Sie sehen, ob ein Auto mit 50 oder mit 70 km/h fährt? "Mit Radar", "Man kann auch ohne Radar messen, mit einer Uhr" Wie würden Sie den Satz "Alle Hexen fliegen auf Besen" prüfen? Gesetze müssen empirisch überprüfbar sein, aber - Sie ahnen es sicher - auch nicht alle überprüfbaren Sätze sind Gesetze. Um herauszufinden, welche überprüfbaren Allsätze Gesetze sind, fragen wir uns, wozu wir überhaupt Gesetze machen? "Ohne Gesetze könnten wir nicht leben", "Faust- recht", "Chaos" Wer von Ihnen könnte ohne Gesetze nicht leben? Wer von Ihnen würde sich anders verhalten als jetzt? Was glauben Sie würden die Steine tun, wenn wir kein Fallgesetz hätten? Würden sie deswegen manchmal nicht fallen? Stellen Sie sich einmal vor, über Nacht gingen - beispielsweise an einer unheimlichen Krankheit - alle Gesetze verloren. Was glau- ben Sie was geschehen würde? "Das Chaos würde ausbrechen", "Ein Diktator würde die Macht ergreifen" Würden wir uns das gefallen lassen? Würden wir nicht, wie wir es jetzt auch tun unsere "Rechte" verteidigen? Glauben Sie nicht, dass wir uns auch ohne Gesetze, die ja nur Beschreibungen sind, so verhalten, wie wir uns eben verhalten? Würde sich an den wirklichen Kräfteverhältnissen etwas ändern, wenn die Beschreibungen verloren gingen? Oder würde sich unser Leben wieder so einpendeln, wie es sich jetzt eingependelt hat? Nehmen wir einmal an, wir würden uns tatsächlich wieder so ver- halten, wie wir es jetzt tun, dann würden wir wohl auch wieder Gesetze machen, oder? Glauben Sie nicht, dass wir einfach schauen würden, wie die Menschen leben und das möglichst genau aufschrie- ben? Glauben Sie nicht, dass so auch unsere Gesetze entstanden sind und noch entstehen? Was würde in den neuen Gesetzen stehen? Aber wozu machen wir denn überhaupt Gesetze? Wozu machen wir Natur-Gesetze? Die Natur würde sich ja ganz sicher auch ohne unsere Gesetze so verhalten, wie sie sich verhält. Da es praktischer ist, nachzulesen, wie sich ein Sache verhält, als erst die Sache zu untersuchen, greifen wir zu Beschreibungen. Von vielen solcher Beschreibungen wollen wir wissen, ob sie wahr sind. Nun gibt es Sätze die sich leicht beweisen lassen, bei soge- nannten Existenzsätzen muss man einfach ein Beispiel geben. Bei Allsätzen, also bei Sätzen, in welchen nicht nur eine bestimmte Existenz behauptet wird, sondern eine Aussage über alle Mitglieder der Klasse gemacht wird, müsste man beweisen, dass es keine Aus- nahme gibt. Das ist in den hier interessierenden Fällen unmöglich. Man kann nur sehr viele Fälle testen und so allmählich sicher wer- den, dass ein gegebener Allsatz stimmt. Natur-Gesetze gibt es, weil wir Beweise auch dort wollen, wo sie gar nicht möglich sind. Gesetze sind Sätze, die wahr sind, bis jemand gezeigt hat, dass sie nicht wahr sind. Rückverschiebung Gesetze haben einen Nebeneffekt. Sie veranlassen uns zu einem bestimmten Verhalten. Wenn wir auf grund eines Gesetzes, das nur eine Beschreibung ist, wissen, welche Verhaltensweise sich lohnt, wählen wir diese Verhaltensweise. Bei juristische Gesetzen benützen wir diesen Nebeneffekt um unser Verhalten zu steueren. Nebenbei, die Gebote von Moses werden seit einiger Zeit nicht mehr mit "Du sollst .." übersetzt, sondern mit "Du wirst ..". Damit werden sie als prognostizierte Gesetze aufgefasst, die wahr werden, wenn die Menschen menschlicher geworden sind. Wir haben damit eine relativ ausführliche Definition, die in jedem Text, in welchem etwas über Gesetze gesagt wird, geprüft werden kann: Gesetze sind Beschreibungen. Beschrei- Beschreibungen bungen zerfallen in solche, die ein einzelnes Ereignis behaupten und sol- Aussagenbereich che, die über alle Ereignisse einer Klasse etwas sagen. Allsätze zerfallen Allsätze Existenzsätze in solche, die empirisch prüfbar (fal- sifizierbar!)sind und andere. Die prüf- Prüfbarkeit baren Sätze zerfallen in solche, die wir wirklich prüfen, weil wir daran empirisch interessiert sind, ob sie stimmen, und andere. Widerlegungsrelevanz hoch tief Gesetz Gesetze sind also für uns relevante, empirisch prüfbare, auf alle Mitglieder einer Klasse bezogene Beschreibungen. Natur-Gesetze ================================================ machen wir, damit jeder von uns von denselben Grundannahmen über die Wirklichkeit ausgeht, so dass auch jeder von uns sofort profi- tiert, wenn irgendwo diese Grundannahmen verbessert werden. Juri- stische Gesetze machen wir, weil Gesetze ein Nebeneffekt haben. Damit haben wir 1) eine begriffliche Definition eines Wortes, das in der Rechts- kunde wichtig ist. 2) nochmals diskutiert, was Definitionen sind. 3) die Metapher als Problemverschiebung verdeutlicht. und 4) nebenbei den Begriff der Beschreibung eingeführt. Wir werden später auf die Beschreibung zurückkommen. Ich hätte gerne die Begriffe "Information" und "Kommunikation" als weitere Beispiele diskutiert. Es ist eine Zeitfrage, die wir später ent- scheiden. Jetzt wenden wir uns nun wieder Ihren konkreten Buch-Bei- spielen zu: < Diskussion: Was haben Sie für Begriffe gefunden? > < Haben Sie geprüft, .. ob in Ihrem Buch Werbung zum Marketing oder Marketing zur Wer- bung gehört? was Werbung heisst? (Ob es nur Beispiele hat, oder auch eine Definition) was im Buch als Produkt bezeichnet wird? > < Wer zum Team gehört? > < Haben Sie brainstorming zum Sein gemacht? > < Wer hat weitere Beispiele? > * * * Wollen Sie, dass wir anhand von "Information" noch etwas Be- griffsarbeit üben, oder möchten Sie lieber konzeptionell, mit dem Systembegriff weiterfahren? * * * Was heisst Information? (eventuell überspringen) Selbstverständlich fassen wir auch Information als Metapher auf. Ich werde die Verschiebungsüberlegungen zu "Information" nicht mehr so ausführlich beschreiben, dafür aber einen grösseren Kontext mitbestimmen. Wir beginnen unsere Ueberlegungen gar nicht mit "In- formation", sondern mit Kommunikation Das entspricht einem Verfahren, das wir bereits mehrfach ange- ==============================================- wandt haben, beispielsweise bei Werbung und Marketing. Manchmal ist es sinnvoll die Umgebung eines Begriffes etwas zu klären. Mit der Zeit bekommt man ein Gespür dafür, was sich lohnt. Wenn man überdies für den Themenkreis, der einem interessiert bereits einige Definitionen hat, kann man diese häufig verwenden. Was heisst Kommunikation? Auch hier konzentrieren wir uns zunächst auf Maschinen. Kommunikationsmaschinen, also Maschinen, die wie beispielsweise Telexanlagen der Symbolübermittlung dienen, erscheinen in der All- tagssprache häufig gar nicht als Maschinen, weil der Benutzer zweckentsprechend nur eine Teilmaschine vor sich hat, während ein anderer Teil der Maschine bei einem andern Benutzer und die Ener- gieversorgung an einem dritten Ort steht. Unter dem Gesichtspunkt der einseitigen Kommunikation bezeichnen wir die "Ausgangs-" und die "Endstation" der Uebermittlung als Sender und Empfänger. Symbolübermittlung +========+ +========+ ¦ Sender ¦============¦ Empfänger ¦ +========+ +========+ Zwar übermitteln Menschen, wenn sie beispielsweise telefonieren, technisch tatsächlich Signale. Wer aber etwa die Auskunftsstelle anruft, um eine bestimmte Telefonnummer in Erfahrung zu bringen, will nicht Signale übermitteln, sondern eine bestimmte Auskunft; was dabei technisch abläuft ist ihm zurecht völlig gleichgültig. Technisch ist umgekehrt gleichgültig, was inhaltlich zur Rede steht, das Telefon funktioniert unabhängig davon. Der im Kommunika- tionsmaschinen-Modell beschriebene Empfänger wird durch die Nach- richten, also durch die übertragenen Signale, lediglich zum Reagie- ren veranlasst. Damit ein Empfänger auf Signale sinnvoll reagieren kann, müssen zwar einige Bedingungen erfüllt sein, aber verstehen muss der Empfänger gar nichts. Der maschinelle Empfänger reagiert, indem er sich der Nachricht entsprechend verhält. Ein Mensch, der irgend jemanden um eine Auskunft anruft, spricht natürlich nicht mit seinem Telefon, sondern mit einer Person am anderen Ende der Leitung. Gleichwohl empfängt unmittelbar nicht der Gesprächspartner, sondern das Mikrofon seines Telefonhörers, die von ihm ausgesandten Nachrichten. Für das Mikrofon ist die Bedeu- tung der Worte ziemlich uninteressant. Genau deshalb senden Tele- fon-Serviceleute, die eine Leitung prüfen, Nachrichten, die inhalt- lich völlig belanglose, eben bedeutungslos sind. Das Mikrofon em- pfängt Schallwellen als Signale, moduliert sie, indem es entspre- chende elektrische Impulse weitersendet. Unser Kommunikations-Mo- dell ist also keine Abbildung menschlicher Gesprächspartner, son- ==============================================- dern beschreibt Prozesse, wie sie in einem Telefon während eines Gespräches vorkommen. Das Mikrofon im Hörer des Anrufers, also der Sender der Telefonverbindung ist lokal, für die Schallwellen, die der sprechende Anrufer "aussendet" ein Empfänger; der Lautsprecher im Hörer des Angerufenen, der eigentliche Empfänger der Signale, die vom Mikrofon am anderen Ende der Leitung kommen, ist auch ein Sender, der Schallwellen aussendet. Der Lautsprecher demoduliert die elektrischen Impulse, ohne sie im geringsten zu verstehen, in die Sprache, die der menschliche Hörer versteht: ======================- Mensch Mikrofon ======- Lautsprecher Mensch ======================- Telefon Unser Kommunikations-Modell beschreibt nicht die Kommunikation, sondern Kommunikations-Mittel. N. Wiener untertitelte 1948 die erste Auflage seines Buches "Kybernetik", in welchen der Begriff "Kommunikation" wissenschaftlich relevant eingeführt wurde1, mit "Regelung und Kommunikation im Tier und in der Maschine". Bereits ein gutes Jahr veröffentlichte N. Wiener eine populärere Variante seines Werkes unter dem Titel "Die menschenwürdige Verwendung des Menschen"2 und schrieb im Vorwort nochmals explizit, dass die Theorie für tierische Mechanismen und Maschinen entworfen wurde, die eben gerade nicht das Wesen des Menschen, sondern nur "tieri- sche", respektive biologisch-maschinelle Aspekte des Menschen be- treffen (Wiener, 1952, S. 11)3. Problematische Verschiebung (nicht Problemverschiebung!) Wo das Kommunikationsmodell beispielsweise auf telefonierende Menschen projiziert wird, resultieren korrekterweise Aussagen wie: "Das Hirn sendet dem Sprechapparat Nerven-Signale, die vom Sprech- apparat in Schallwellen, die dann ihrerseits vom Mikrofon des Tele- fons in elektrische Signale verwandelt werden". W. Weaver, der mit C. Shannon zusammen die Grundlagen dieser Argumentation geschaffen hat, hat diese Problematik vollständig ausgedrückt als er merkte, dass nicht nur sein Telefonapparat ein Transmitter von Signalen ist, sondern auch sein Sprechapparat: "Im mündlichen Gespräch ist das Gehirn die Informationsquelle, der Stimm-Mechanismus, der die Schallwellen, die durch die Luft (Kanal) übermittelt werden, produ- ziert, ist der Transmitter. (..) Wenn ich mit Ihnen spreche, ist ================================================ mein Hirn die Informationsquelle, mein vokales System der Trans- mitter" (Shannon, 1948, S. 98/99). Dem entsprechend müsste ein telefonierender Mensch auf sich selbst bezogen sagen: "Nicht ich spreche mit meinem Gesprächspartner, sondern mein Hirn kommuniziert über diverse tierische und maschinelle Kommunikationsmittel mit dem Hirn meines Gesprächspartners". Denn vom "ich" zum Hirn führen ja bekanntlich keine - oder wenigstens keine bekannten - signallei- tende Verbindungen: "Ich" wird ersetzt durch "Signale sendendes Hirn" Derselben Einschränkung unterliegt natürlich auch die sogenannte "Mensch-Maschine-Kommunikation". Wer, um eine Rufnummer in Erfah- rung zu bringen, nicht die Auskunft anruft, sondern die Adressver- waltung in seinem Computer befragt, kommuniziert sowenig mit seinem Computer, wie sein Vorgänger mit dem Telefongerät gesprochen hat. Zwar ist wahr, dass sich hinter den heutigen Computern anders als hinter dem Telefon kein Mensch versteckt4, aber trotzdem weiss auch der Computer sowenig wie das Telefon, was die elektrischen Impulse, die ihn durchfliessen bedeuten. Wenn der Computer ver- meintlich antwortet, reagiert er in Wirklichkeit lediglich auf für ihn bedeutungslose Signale, die er in Form von elektrischen Impul- sen empfängt. Dass wir Menschen seinen Reaktionen Bedeutung beimes- sen, sie also interpretieren, ist ihm völlig gleichgültig. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint auch das Nachschlagen im Telefonbuch in neuem Lichte. Wenn jemand statt im Computer im Telefonbuch nach einer bestimmten Nummer sucht, kann er sich einbilden, er habe im Kopf ein Elektronengehirn, welches seine Hände im Buch blättern und seine Augen nach Symbolen suchen lässt, indem es entsprechende Signale durch seine Nerven sendet. Sein Kopf führt dann über das Nerventelefon einen Dialog mit dem Telefonbuch, in welchem das Telefonbuch mit der gewünschten Telefonnummer antwortet5. Die sinnvolle Problemverschiebung beruht auf adäquaten Modellen Ob die Modelle, die man im jeweiligen Wissen hat, adäquat sind, zeigt sich in der gelungenen Problemver- schiebung. Eine Problemverschiebung macht Sinn, wo sie Implikationen des Wissens bewusst macht. Unser Kommunikations-Modell beschreibt die Maschinen, ohne ihnen menschliche Züge zuzuordnen. Nicht nur Menschen, die etwa in Gesprächen mit Weizenbaum's Com- ==============================================- puter Eliza, die (für J. Weizenbaum) höchst bemerkenswerte Illusion entwickelten, die Maschine sei mit Verständnis begabt, unterliegen bezüglich Maschinen animalistischen Vorstellungen6. Viele Menschen (v)erachten sich als Kommunikationspartner von dialogfähigen Com- putern. Sie sprechen mit ihrem Computern, stellen ihm Fragen und erhalten Antworten, ohne sich bewusst zu sein, dass sie selbst die Fragen und Antworten - in einem begrifflich nicht verstehbaren Sinn - verstehen, der Computer aber nicht. Kommunikations-Mittel In der Sprache der Ingenieure steht Ausdruck "Kommunikation" für den maschinellen Prozess der Hilfsmittel, die von Menschen beim Kommunizieren verwendet werden. Das, was wir im Alltag etwas tauto- logisch als "zwischenmenschliche" Kommunikation bezeichnen, ent- zieht sich der Sprache der Ingenieure unabhängig davon, wie erfolg- reich kategoriale Projektionen der Kommunikationsmechanik in den tierischen Aspekt des Menschen sind. Das Wesen der zwischenmensch- lichen Kommunikation erscheint - negativ bestimmt -, als das, was wir mit den objektiven Kommunikationsmitteln tun. Ueber Kommunikationsmittel kann man sehr eindeutig sprechen. Information Unser eigentlicher Problem-Begriff ist hier nicht die Kommunika- tion, sondern die Information. Wir haben damit - das ist häufig sinnvoll - den eigentlichen Kontext unseres Problembegriffes etwas geklärt. Diesen Kontext zu betrachten ist etwas anderes als das Problemverschieben. Wir haben bei der Diskussion des Kontextes mit dem Begriff "Kommunikation" eine Problemverschiebung gemacht. Wir wenden uns das nächste Mal der Information zu: ======================================================================= 7. Sitzung 26. 6.91 ******************** Zusammenfassung Problem-Verschiebung Bei wesentlichen Begriffen kommt man häufig zu einem aussprech- baren Verständnis, wenn man sie in einen anderen Kontext stellt. (Nach wie vor gilt: es geht uns nicht um die Wahrheit oder um die richtige Definition, sondern um eigene Formulierungen, die - weil sie entsprechend prägnant sind - leicht als Massstab verwendet werden können.) Effizient wird das "Aktive Lesen", wenn man bereits einige Defi- nitionen entwickelt hat, die man jeweils - speziell im eigenen In- teressensgebiet - verwenden kann. Man fragt dann bei einem Buch nicht mahr nur intuitiv nach einem zentralen Begriff, sondern prüft, ob einer der eigenen Begriffe im Buch wichtig ist. Die eigene Begriffs-Welt konzentriert sich natürlich um die eigenen Intressensgebiete. Ich interessiere mich - was hier sichtbar wurde - hauptsäch- lich für bestimmte Aspekte der künstlichen Intelligenz. Auch wenn ich ein ganz anderes Buch lese, prüfe ich, ob es nicht etwas über mein Thema hergibt. Es gibt fast kein Buch, das nicht irgend etwas hergibt. Es ist dabei natürlich oft der Fall, dass ich mich mit einem Buch in einem ganz anderen Sinne auseinandersetze, als es in der Absicht des Autors des Buches lag. Das gehört zum "Aktiven Lesen". Die eigene Begriffs-Welt ist aber nicht nur durch das jeweilige Intressensgebiet bestimmt. Die Problemverschiebungen gehen mit der Zeit auch in eine bestimmte Richtung. Ich verschiebe alles möglichst so, dass menschliche Aspekte ausgeklammert werden. Typisch dafür war in unserer Veranstal- tung etwas der Begriff des Gesetzes, für welchen wir anhand der Natur-Gesetze eine Formulierung gefunden haben, die ohne Moral, Sittlichkeit und Normsetzung auskommt. Wichtig: Die Richtung der Problemverschiebung ist wie das jeweilige Inte- ressensgebiet individuell bestimmt, also vom "Aktiven Lesen" unab- hängig. Ich wiederhole nochmals die wichtigsten Aspekte unseres Gesetz- Begriffes: ================================================== Gesetze sind Beschreibungen (empirisch prüfbare Allsätze). Mit dieser Formulierung prüfe ich alle Textstellen, in welchen etwas von Normen oder von Sittlichkeit steht. Wir haben das "Gesetz als Vorschrift" anhand der von Lasalle vorgeschlagenen "Papierkrankheit", die alle Gesetze verschwinden lässt, diskutiert. Die Idee von Lasalle ist, dass sich jede Gesell- schaft gesetzmässig wieder dort einpendeln würde, wo sie vorher war. Dann muss man sich natürlich fragen, wozu es überhaupt Vor- schriften oder Gebote gibt. Diese Frage müsste man ganz speziell an Autoren richten, die mit Moral und Ethik argumentieren. Ausblick: Ein Prinzip des "Aktiven Lesens", das wir hier nicht behan- deln, besteht darin, zu untersuchen, wer wohl mit dem Autor und wer gegen den Autor denkt. Bücher, die nur Zustimmung oder nur Ablehnung finden, sind uninteressant. Der Begriff "Information" Unser letztes Begriffs-Beispiel war "Information". Wir haben uns einem Kontext-Begriff zugewendet: "Kommunikation" Kommunikation "verbindet" oder "vermittelt" in unserem Model einen Sender und einen Empfänger. Die Frage ist, was übermittelt wird: "Gespräche, Begriffe, Daten, Wissen, Signale, Inhalte ..." Die Begriffe stehen irgenwie für "Information". "Information" ist ein relativ altes Wort, das wir heute im Alltag immer noch ungefähr gleich verwenden wie vor 200 Jahren. Vor 50 JAhren haben Mathematiker und Ingenieure bestimmte techni- sche Prbleme bei der Datenübermittlung untersucht. Sie wollten "Noise" (Störungen, die die übermittelte NAchricht entstellen) aus- merzen. In der technischen Theorie, die sie (Shannon) entwickelt haben, wurde das Wort (Buchstabenkette!) "Information" verwendet. Zur Erinnerung: Eine bestimmte Sache wird in einem Satz beschrieben. Der Satz wird durch einen Er-Satz, ein beliebiges Wort, ersetzt. Weshalb wählte Shannon das Wort "Information"? Shannon hat für eine Sache das Wort "Information" gewählt. Wir wissen nicht, was er dabei dachte, aber wir haben jetzt eine eindeutige Formulierung für Information - von der man allerdings sofort merkt, dass sie mit dem alltäglichen Sprach- gebrauch nicht ganz übereinstimmt. Was heisst Informationim technischen Sinne? ============================================== Shannon definierte den Informations-Gehalt einer Nachricht: Jede Nachricht ist ein Zustand einer Quelle, die verschiedene Zustände haben kann. Der Informations-Gehalt ist ein logarithmi- sches Mass für die Unvorhersagbarkeit des Quellenzustandes (Binär: Wieviele JA/Nein-Fragen sind nötig?). Inf (Q) = -log2 p(Q) Wenn die Quelle vier Werte mit gleicher Wahrscheinlichkeit an- nimmt, ist ihr Informatinsgehalt -log2 von 1/4 oder log2 von 4 also 2. Die Mathematik von Shannon interessiert hier nicht, sondern die Tatsache, dass in der Theorie explizit nicht von Information, son- dern nur vom Informations-Gehalt die Rede ist. Shannon selbst kon- statierte aber, dass Information, wie er sie impliziert, keine Bedeutung hat. Das gängige Kommunikations-Model: Sender -- Transmitter -- Transmitter -- Empfänger ist deshalb für: Rechner -- Modem -- Modem -- Rechner voll-adäquat und für: Hirn -- Kehlkopf -- Ohr -- Hirn mindestens halb-adäquat. Für: Mensch -- Telefon -- Telefon -- Mensch ist es aber nicht adäquat, weil die Bedeutung unterschlagen wird. Menschen sprechen, Maschinen, auch die entwickelsten Automaten sprechen nicht, kein Werkzeug kann sprechen. Ausblick: Wir brechen hier die Diskussion des Begriffes aus Zeitgründen ab. Wir müssten die sogenannte Maschinen-"Sprache" untersuchen, die ich nur kurz (oder gar nicht) erwähnen will: ¦ ¦ ¦ ¦ ¦ ¦ ¦____________¦ ¦ ____ ¦ ¦____________¦ ¦ _ _ ¦ ¦____________¦ ¦ ____ ¦ ¦____________¦ +========+ +========+ Ein Wasserglas, das entsprechend bemalt ist, zeigt in Abhängig- keit davon, ob es gefüllt ist oder nicht verschiedene Zeichen. Das Glas merkt natürlich nicht einmal, dass es als Bildschirm funktio- niert, geschweige denn etwas davon, welche Informationen weiterge- geben wird. Das Glas ist nur voll oder leer. Ein Computer ist zwar viel komplizierter, aber auch ein Computer merkt nichts davon, dass wir seine elektrischen Zustände als Zahlen oder Buchstaben interpretieren. Sehr knapp zusammengefasst würden wir folgenden technischen Ansatz ausarbeiten: Information heisst die Energie, die auf sekundären Energiekrei- sen fliesst. Information existiert nur für einen Empfänger. Jeder Empfänger ist Energie-Empfänger. Konkrete Informationen heissen Signal. Ein Signal ist ein Symbol im "energetischen" Zustand. Sie werden entweder durch direkte Schaltermanipulation oder durch Symbole - implizit oder explizit - gesteuert. Wir sprechen von Modulation, wenn Symbole in Signale verwandelt werden. Symbole beruhen auf zwei energetisch unterscheidbaren Grundla- gen; geschriebene Zeichen enthalten keine potentielle Energie, an einen Bildschirm pojizierte Zeichen geben Energie ab. Geschriebene Buchstaben bestehen beispielsweise aus bestimmt angeordneten Gra- phitteilchen, was wir am Computerbildschirm als Symbole sehen, sind beispielsweise durch Elektronenstrahlen angeregte Leuchtstoffteile. Die letzteren sind sinnlich wahrnehmbar gemachte Signale, die er- steren steuern von ihnen unabhängig produzierte Energie. In der alltäglichen Informations-Metapher verwenden wir die Aus- drücke, die eigentlich Prozesse auf sekundären Energiekreisen be- schreiben, wenn wir sagen wollen, dass ein Mensch beispielsweise in TV-Nachrichten anderen Menschen etwas Bedeutungsvolles mitteilt. Im alltäglichen Verständnis ist dabei mit Empfänger, nicht der Bildschirm des TV-Gerätes und schon gar nicht dessen Energie-Quelle gemeint, sondern der jeweilige Fernsehzuschauer, der sich eines technischen Gerätes bedient. Die Metapher nun, die auch einen ge- druckten Text oder den gar dessen Träger, beispielsweise eine Zei- tung als Information bezeichnet, beruht darauf, dass wir eben die Worte der Nachrichten hören, respektive die Zeitung und die Buch- staben sehen, und nicht Schallwellen oder Licht-Energie, die unsere Sinnesorgane erreichen, wahrnehmen. Die Metapher, die noch weiter geht und den semantischen Inhalt einer Nachricht als Information bezeichnet7, beruht darauf, dass eigentliche Information jeweils eine "Handlung" auslöst, beispielsweise ein Magnetventil öffnet oder schliesst, wir uns aber nicht vorstellen wollen, unsere Hand- lungen seien die unmittelbare Folge von bedeutungslosen Symbolen und entsprechenden Signalen. * * * * * Zwischenbilanz Wir haben uns bisher mit Definitionen beschäftigt. Definitionen sind ein wichtiges Mittel beim "Aktiven Lesen", aber sie sind nur ein Mittel unter anderen. Wir haben so ausführlich über definier- bare Begriffe gesprochen, weil sie einfach und anschaulich sind. Wir wenden uns jetzt einem komplizierteren Konzept des "Aktiven Lesens" zu, den formalen Begriffen. Wir haben bisher über Begriffe "mit Bedeutung" gesprochen. Defi- nitionen beschreiben bedeutungsvolle Dinge. Wir können - und tun es tatsächlich auch - von der Bedeutung der Dinge jederzeit abstra- hieren. Im Tauschgeschäft beispielsweise betrachten wir ohne weite- res ein Pferd und ein Auto als Geleiches, in dem wir beide auf denselben Geldwert reduzieren. Beim (Ver)Kaufen setzen wir die verschiedensten Dinge einander gleich. Ding - Abstraktion Ich habe von "Dingen" gesprochen. Was ist ein Ding? "Alles ist ein Ding", "ein "Gegenstand", .. Ein Ding ist das, was zurückbleibt, wenn man von einem bedeu- tungsvollen Gegenstand die Bedeutung abstrahiert. Was heisst "die Bedeutung abstrahieren"? Was heisst abstrahie- ren? Abstrahieren heisst - ungefähr übersetzt - "weglassen" oder "abziehen". Wir vereinbaren die gemeinte Sache durch Zeigen: ¦ Wir machen eine Zeichnung von einem Gegenstand und betrachten die Zeichnung und den Gegenstand gleichzeitig. Die Differenz nennen wir Abstraktion oder Resultat der Abstraktion. Auf der Zeichnung erkennt man nur die Form des Gegenstandes, Farbe, Material usw. sind weggelassen. Form und Inhalt "Form" nennen wir genau das, was man zeichnen kann. Die Ergän- zung zur Form heisst in Analogie etwa zur Kuchen-Form "Inhalt". Der Kuchen ist auch noch "Kuchen", wenn er die Form der Back-Form nicht mehr hat. Das "Kuchen-Sein" kann von der Form unterschieden werden. Das Verhältnis zwischen Referent und Abbildung nennen wir Reprä- sentation. Wir unterscheiden pragmatisch zwei verschiedene Abbil- dungen. Auf einen gemeinten Referenten, beispielsweise auf eine Uhr, können wir uns zeichnend oder mit Wörtern beziehen. Zeichnen kann man allerdings nur eine jeweils bestimmte Uhr. Die Uhr kann man nicht zeichnen. Man kann sie sich auch nicht vor( sein geistiges Auge )stellen. Versuchen Sie sich das Tier vorzustellen! Sprachlich beziehen wir uns umgekehrt nicht auf die Form, son- dern auf den Inhalt oder anders gesagt, auf die Bedeutung. Wir verstehen sehr gut, was mit "Tier" oder "Kuchen" gemeint ist, auch wenn wir es nicht zeichnen können. Sprachlich abstrahieren wir, wenn wir uns auf den Inhalt beziehen, die Form. Sprachlich können wir aber auch vom Inhalt abstrahieren. Zeich- nungen zeigen den Inhalt nicht explizit, aber man sieht ihn zwangs- läufig mit. Die sprachliche Abbildung "Ding" bezeichnet eine Sache ohne Form und ohne Inhalt. Wir nennen solche Begriffe form-ale Begriffe, um anzudeuten, dass vom Inhalt abstrahiert wurde, dass also eine "Quasi-Form" dargestellt wird. ABB. 1======-+ ¦ ¦Problem ¦ ¦ Formale Begriffe sind als Beschreibungsmittel ¦sehr effizient. Sie verlangen aber, dass man die ¦Abstraktionen, die sie begründen, nachvollzieht, ¦weil man sonst die Adäquatheit ihrer Verwendung ¦nicht prüfen kann - wie wir bereits anhand der ============+Kommunikation diskutiert haben. Ding ist ein typischer formaler Begriff. Seine Effizienz liegt darin, dass man über Dinge sprechen kann, die man nicht richtig bezeichnen kann oder will. Ding hilft aber beim Begreifen der be- zeichneten Sache nichts, weil mit der Bezeichnung Ding praktisch nichts ausgesagt wird. Wir haben aber wichtigere formale Begriffe, die unser Denken sehr stark anleiten und die wir beim "Aktiven Lesen" unmittelbar verwenden können. Wir betrachten auch hier einen exemplarischen Begriff, der sich beim "Aktiven Lesen" bewährt, aber auch durch andere Konzepte er- gänzt werden kann. System Unsere übliche Frage lautet: Was ist ein System? ================================================ " Etwas wie ein Ding, aber irgendwie schon einge- schränkter..." Die bisherige Diskussion machte bereits deutlich, dass wir "Sy- stem" nicht definieren, sondern auf einem anderen Weg vereinbaren müssen. Am Anfang jeder Vereinbarung steht das Zeigen. Man kann nicht nur Dinge zeigen, man kann auch Verhältnisse, insbesondere kann man das Abbildungsverhältnis zeigen. Abbildungen sind zum einen objek- tiv, nämlich hergestellte Objekte, die wir subjektiv auch "als in unseren Köpfen" erleben. Ueber die Objekte können wir mit Defini- tionen und mit formalen Begriffen sprechen. Formale Begriffe werden über explizite Abstraktionen eingeführt, also indem man angibt, was man von einer zeigbaren Sachen ausser Acht lässt. Wenn wir Ding sagen, lassen wir alles weg, bis auf die Tatsache, dass der Gegenstand Eigenschaften hat. Bei "System" las- sen wir weniger weg als beim Ding. Wesentlich ist aber bereits der zeigbare Ausgangs-Gegenstand. Wir suchen Beispiele! "Oeko-System, ein Computer-Systen, ein soziales Sy- stem, etwa ein Schiff mit Kapitän, Steuermann und Ru- derer, .... ABB. 2====+ Was haben diese Systeme gemeinsam? Welches eignet ¦sich für unsere explizite Abstraktion? ¦Wir wählen wieder ein System ohn Menschen! ¦  ========================================================================= 8./9. Sitzung 10. 7.91 ( 3 - stündig ) *********************** (Die Sitzung vom 3. 7.91 wurde durch zwei 3-stündige Veranstaltun- gen ersetzt) Organisatorisches: Ich möchte im ersten Teil wie gewohnt weiterfah- ren und einen zweiten Teil für Feedback und Ausblicke benützen. Zusammenfassung Wir haben bisher die Definition als eine identifizierbare sprachliche Argumentations-Struktur behandelt. Die Definition ist nur eine Möglichkeit unter anderen. Wir be- trachten nun eine zweite sprachliche Konzeption, die wie die Defi- nition bewusst eingesetzt werden kann, sowohl vom Schreibenden wie vom Lesenden. Formale Begriffe - System Beim aktiven Lesen prüft man die Argumentationsweise, indem man auf bestimmte sprachliche Strukturen achtet. Das Explizitmachen von Systemen ist eine etwas aufwendigere Konzeption als die Definition, weil man sich dabei in einem Text nicht auf einen Begriff beziehen ann. Automaten als +ABB. 3-+ Ausgangs-Gegenstand ¦ ¦ ¦ ¦ Wir wählen als ¦ ¦ Ausgangs-Gegenstand +======+ einen Automaten. Automaten sind explizit gesteuerte Maschinen. Die explizite Steuerung ist ihr Wesens-Merkmal. Explizite Steuerung bedeutet, dass ein Energiekreis konstruiert wurde, auf welchem Energie verbraucht wird, die nicht dem Antrieb der Maschine dient. Wir nennen genau diese Energie "Information". Beispiel: Fliehkraftkupplung als doppelter Schalter (Die Kupplung unterbricht die prmäre Energie, der Fliehkraftmechanismus schaltet die Kupplung) Das wesentliche Element der Steuerung ist der "Schalter". Wir kennen den Schalter von vielen elektrischen Geräten, nichts zuletzt als Licht-Schalter. Mit diesen Schaltern wird quasi die primäre Energie gesteuert. Hier interessieren die Schalter, die von sekun- därer Energie durchflossen werden und auf primäre Schalter Einfluss haben. Das Auto mit der Fliehkraftkupplung "merkt" selbst, wenn die Kupplung geschlossen werden muss. Bekannt sind die Heizungssteue- ================================================== rungen mit Thermostaten, die auch "merken" wann geheizt werden muss und wann nicht. In einem Computer hat es sehr viele solche Schalter. Beim Compu- ter ist der Witz, dass die Schalter so hintereinander angeordnet sind, dass man mit einezelnen Schaltern andere bedienen kann. Man gewinnt dadurch viele Kombinationsmöglichkeiten. Abstraktion auf das System Vom Automaten abstrahieren wir alles, was ihn spezifisch macht. Wir lassen seine Bedeutung ausser Acht, also ob er beispielsweise eine Heizung oder eine Kupplung ist. Wir behalten nur die Tatsache zurück, dass er angetrieben (genauer Energieumwndlung) und mit abstrakten Schaltern gesteuert wird. Genau dann sehen wir das System. System unterscheiden sich nur durch die Anzahl ihrer Schalter und deren Verknüpfungen. Ein System ist eine strukturierte Entität (ein zusammengesetztes Ding), das primäre und sekundäre Energie verbraucht und sich - vom eigentlichen Verbraucher abgesehen - als eine Menge von Schaltern darstellen lässt. Projektion des Systems Das abstrakte Konzept hat +ABB. 4--+ für uns hohen Erklärungswert, ¦ ¦ deshalb projizieren wir das ¦ ¦ System. Dabei muss man die ¦ ¦ Schalter und die Energiekreise +======-+ benennen. Wo das nicht geleistet wird, kann man nur von einem "Ding" sprechen. Aktive Rekonstruktion des Systems Beim "Aktiven Lesen" versucht man das vom Text unterstellte System und dessen System-Elemente zu entdecken. Man gewinnt dabei einen Orientierungs-Rahmen für die einzelnen Argumente. Rückblendung: Wo "System" als expliziter Ausdruck verwendet wird, prüft man die begriffliche Korrektheit, wie wir sie für andere Begriffe diskutiert haben. Hier geht es nicht mehr um einen einzelnen Aus- druck, sondern um einen grösseren Textzusammen- hang. Wir haben eine Metapher-Basis durch Problem-Verschiebung gewon- nen, die wir jetzt zurückführen: Wir untersuchen nochmals unser Folien-Beispiel: Was sind in ==============================================- diesem Schiff die Schalter? Bereits das einfache Beispiel zeigt erhebliche Probleme, weil es Menschen enthält. Wir würden mit unse- rer Diskussion schliesslich wieder bei der Kommunikationsproblema- tik landen. Man versteht nicht, was mit System im konkreten Falle gemeint ist, wenn man diese Adäquatheits-Prüfung für die Metapher nicht leistet. Es geht nicht darum, dass man "System" nur für Macschinen verwenden kann, sondern um die Grenzen der Uebertragbarkeit, die wir beispielsweise zwischen "Hirn" und "Ich" lokalisiert haben. Wir betrachten Beispiel: Wie funktioniert ein Computer? Landläufige Erklärungen der Computer (die allerdings auch an technischen Hoschschulen verwendet werden) verwenden ein "grünes Männchen" oder einen "Dämonen" der unsichtbar im Computer sitzt und die Befehle interpretiert und ausführt. Dieses Männchen trägt auch die sprichwörtliche Dummheit der Computer, weil es nur genau das tut, was man ihm befiehlt. Diese Computer-Auffassung wird von vielen Organisatoren auf soziale Institutionen übertragen, die dann wie Computer organisiert und optimiert werden. Quasi-Problemverschiebung +ABB. 5======-+ ¦ ¦ In den Institutionen (in Verwaltungen und ¦ ¦ Produktionsbetrieben) findet man diese ¦ ¦ "Männchen" skandalöserweise tatsächlich zuhauf.¦ ¦ Es sind tayloristisch dummgehaltene Menschen, ¦ ¦ die im Sinn der Systemoptimierung mit einfachen¦ ¦ Befehlen manipuliert werden. ¦ ¦ ¦ ¦ Die vermeintliche Verschiebung vom Computer +============+ auf die Institution zeigt die wirkliche Verschiebung, die davor in umgekehrter Richtung geleistet wurde. "Aktives Lesen" benutzt die Problemverschiebung bewusst. Wir haben bereits diskutiert, dass die Pro- blemverschiebung häufig von aussen angeleitet ist, beispielsweise dadurch, dass dieselben Ausdrücke, etwa Gestz oder Information, in verschiedenen Zusammenhän- gen benützt werden. Wie Ausdrücke werden im Alltag auch identische ge- dankliche Konzepte in verschiedene Zusammenhänge ge- stellt, was man "Aktiven Lesen" zur bewussten Ver- schiebung verwenden kann. Im Computer gibt es nichts, was dem Männchen auch nur annähernd entsprechen würde. Die Projektion einer (sozialen!) Institution mit einfältigen Dienstboten auf eine Maschine ist unsinnig, nicht ad- ================================================ äquat. Modelle sind Vereinfachungen. Wenn wir von "Schalter" spre- chen und dabei +ABB. 7-+ an einen ¦ ¦ einfachen ¦ ¦ mechanischen ¦ ¦ Schalter ¦ ¦ denken, machen ¦ ¦ wir eine ¦ ¦ Vereinfachung, ¦ ¦ die in unserem ¦ ¦ Zusammenhang +======+ adäquat ist, obwohl viele technischen Entwicklungs-Probleme gerade der ausserordentlichen Komplexität der Schalter geschul- det sind. Das grüne Männchen ist keine Vereinfachung, es korrespon- diert zu nichts. Das entsprechende Modell ist falsch. Die Maschine hat nur Schalter, sie gibt deshalb umgekehrt auch kein vollständiges Modell für soziale Systeme! * * * Ausblick: Zwei Aspekte, den wir nicht mehr erarbeiten, sind die Systemgrenzen und der Systemzweck, die jeweils auch bestimmt werden müssten. Zum einen zeigt gerade die Systemtheorie wie sub- systemmässig unproblematische Funktionen das jeweilige Gesamtsystem erheblich stören können. Zum andern lassen sich die Systemfunktionen immer nur anhand des Systemzweckes beurteilen. Die System- Erhaltung ist - was oft missachtet wird - kein Zweck. Die Umweltdiskussion - um ein aktuelles Beispiel zu nennen - wird sehr häufig mit Systemargumenten ge- führt, ohne dass das vermeintlichen System explizit gemacht wird. Bei solchen Diskussionsbeiträgen lohnt sich das "Aktive Lesen" ausserordentlich. * * * Praxis-Test (Wiederholung der wesentlichen Punkte) Wie lässt sich dieses "System-Konzept" auf Ihre konkreten Lese- probleme anwenden? Wer sieht für sein Buch ein unmittelbare Anwen- dung? < Diskussion > Wir betrachten noch einen typischen Anwendungs-Fall: Wir kennen ============================================== Bücher die "Systematik" im Titel tragen. Was ist gemeint, wenn ein Planzenbestimmungsbuch "Systematik der Pflanzen" heisst? +ABB. 8======================================+ Mögliche Ausflucht: "Systematik" heisst dort eher Ordnung oder Struktur. Abwehr: "Aktives Lesen" beruht darauf, dass man die Ausdrücke ernst nimmt. Wenn man bei Lesen das Ge- fühl hat, der Autor verwende die Wörter zufällig, muss man sofort aufhören. Einwand: In einer Pflanzensystematik werden aber wirk- lich keine Energien und Schalter beschrieben. Abwehr: "Aktives Lesen" verlangt eine äuserst positive Haltung. Problemverschiebungen gelingen nur, wenn man fest davon ausgeht, dass sie möglich sind. Wenn man für ein Buch voraussichtlich 20 Stun- den aufwenden wird, lohnt es sich sicher vor dem Lesen zwei Stunden (schriftlich) zu Denken und zu Phantasieren. 1. Anwendung: Die Pflanzenbestimmung kann selbst als System aufgefasst werden, in welchem der Leser duch das Buch gesteuert wird. 2. Anwendung: Das Buch ist eine Abbildung einer Wirklichkeit. Vielleicht lässt sich diese Wirklichkeit als Sy- stem verstehen, das dann auch die Ordnung des Bu- ches begründet. Die Pflanzenwelt und die Entwicklungsgeschichte der Pflanzen können ohne weiteres unter einem energetisch Aspekt betrachtet werden. Vielleicht haben die Autoren der Pflanzensyste- matiken noch viel mehr Systeme gesehen. "Aktives Lesen" ist kreativ, es verlangt und fördert Phantasie. Geben Sie sich diese Chance! Mit dieser Aufforderung möchte ich überleiten zu einer kurzen Meta-Diskussion über unsere Veranstaltung: ================================================ Feedback Ich habe hier sehr viel von Ihnen gelernt. Das war meine Absicht und mein Motiv für diese Veranstaltung: Lernen, nicht lehren. Ich hoffte natürlich auf Synergien, das heisst darauf, dass Sie dabei auch lernen können. Ich bin gespannt auf Ihre Einschätzungen. Die Frage, die ich hier verfolgte, ist, wie man etwas, was man irgendwie weiss, ins Bewusstsein bringen oder aussprechbar machen kann. Ich glaube an das Gespräch. Im Dialog findet man Möglichkei- ten das zu sagen, was einem erst bewusst wird, wenn man es sagt. Man merkt dabei, was man eigentlich gewusst hat. Gespräche sind - wenn sie organisiert sind - effizienter als Lesen. Bücher sind ein Er-satz. Weil ein Buch nicht merkt, ob es verstanden wird, muss man beim Lesen selbst Kontrollen einbauen. Ich hoffe, dass Ihnen hier eignige Selbstkontrollen bewusster ge- worden sind. Ich habe am Anfang betont, dass ich Ihnen keine Tricks anbieten kann, sondern nur einen Gesprächsraum mit der Chance eigene Lese- Probleme und eigene Lösungsansätze bewusster zu erfahren. "Aktives Lesen" ist eine Möglichkeit unter vielen. Wesentlich ist, dass man sich beim Lesen beobachtet und den eigenen Lernerfolg kontrolliert. "Aktives Lesen" gibt dafür einige Rezepte. * * * Ich bitte Sie kurz zu sagen, was Ihre Erfahrungen in diesem Kurs waren. Am liebsten hätte ich, wenn Sie nach aller Kritik, einen ganz konkreten, positiven Lernerfolg nennen könnten. Ich bedanke mich nochmals ganz herzlich für Ihre Mitarbeit. Anmerkungen 1 Technisch eingeführt wurde der Begriff "Kommunikation" um 1729 (!) durch den Elektrizitätsforscher Stephen Gray, der seine stromleitenden nassen Hanfschnüre, über welche er elektrische Ladungen mehrere Meter weit transportieren konnte, "Kommunikationsschnüre" nannte. 2 Die deutsche Uebersetzung trägt den sinnigen Titel "Mensch und Menschmaschine" (Wiener, 1952). 3 Später, 1962 im Vorwort zur zweiten Auflage wurde der Mechanismus-Charakter des Kommunikationsmodell-Gegenstandes nochmals sehr extrem hervorgehoben: "Da nun der Begriff lernende Maschinen auf jene Maschinen anwendbar ist, die wir selbst gebaut haben, ist er auch auf die lebenden Maschinen anwendbar, die wir Tiere nennen, so das wir die Möglichkeit haben, die biologische Kybernetik in einem neuen Licht zu sehen" (Wiener, 1963, S. 19). 4 Wer den berühmten automatischen Schach-Türken, einen vermeintlichen Schach-Automaten nicht kennt, kann ihn beispielsweise im sehr schönen Automaten-Buch von H. Heckmann von aussen und von innen kennenlernen (Heckmann, 1982, S. 261). Es handelt sich um einen "Automaten", in dessen Gehäuse sich hinter viel Mechanik ein Mensch versteckt. 5 I. Prigogine spricht im Titel seines Buches vom "Dialog mit der Natur", in welchem die Natur seine experimentellen Fragen beantwortet (Prigogine, 1990). 6 J. Weizenbaum entdeckte mit Bestürzung wie seinem "Doctor Eliza" eindeutig menschliche Eigenschaften zugeschrieben wurden (Weizenbaum, 1977, S. 19). Aber er selbst spricht davon, dass man mit einem Computer sprechen kann. Dazu übernimmt er die von ihm kritisierte Interpretation, wonach "verstehen" für einen Prozess steht, den Computer mit Menschen teilen (Weizenbaum, 1977, S. 211f). 7 W. Weaver schreibt: "Das Wort 'Information' wird, in unserer Theorie, in einem spezifischen Sinn verwendet, der nicht mit der üblichen Verwendung des Wortes verwechselt werden darf. (..) Zwei Nachrichten, von welchen die eine wirklich bedeutungsvoll und die andere purer nonsense ist, können, was ihren Informationsgehalt betrifft, unter dem verwendeten Gesichtspunkt, exakt äquivalent sein. Es ist zweifellos diese Tatsache, die Shannon meint, wenn er sagt, dass 'der semantische Aspekt der Kommunikation für den technischen Aspekt irrelevant ist'" (Shannon, 1948, S. 99).