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Todesco, Rolf

2050 - Wenn (fast) nur noch Roboter "arbeiten"

in: Psychologie heute, Nr. 2 (Feb.), S. 62-67, Weinheim 1995


 

10. Januar 2050, der Weihnachtsrummel hat sich gelegt, die Umtauschzeit ist angebrochen. M. Susan Calvin überwacht im time-sharing eines kleinen Teams die Roboter eines riesigen Versandhauses, das aus einer Warenhauskette des vorigen Jahrhunderts hervorgegangen ist. Das Versandhaus ist praktisch vollständig automatisiert, die Roboter brauchen immer weniger externe Unterstützung, sie wenden sich mit der Bitte um Hilfe nur noch sehr selten an Menschen.

     "Nein!", sagt M. Susan Calvin energisch zu ihrem persönlichen Robot, den sie üblicherweise Sekretär nennt, "diese Formulierung kommt für diesen Kunden nicht in Frage. Ich verstehe nicht, dass Du das immer noch nicht kapiert hast. Ich hab dir schon hundert Mal gesagt, worauf du achten musst, wenn Du einem Kunden antwortest".

 

Die Roboter

Ihr Multimedia-Sekretär zeigt ihr auf dem Bildschirm, was er ihr auch gleichzeitig vorliest. Es sind Antwortschreiben auf Reklamationen, die er selbst entworfen hat, aber den Kunden nur mit der Zustimmung seiner Chefin faxen will.

     Auf ihren entschiedenen Einwand hin - den sich menschliche Sekretäre oder Sekretärinnen, wenn es sie noch gäbe, in dieser Form kaum gefallen liessen - schlägt der Robot sofort eine sanfter formulierte Alternative seines Briefes vor, begründet aber auch, weshalb er die aggressivere Form gewählt hätte: "Dieser Kunde hat nun schon viermal reklamiert, obwohl wir ihm sehr entgegengekommen sind. Dieser Kunde wird uns allmählich zu teuer."

     M. Calvin nickt zustimmend, antwortet aber nur auf den vom Robot revidierten Vorschlag bezug nehmend: "Okay, so passt der Brief, zeig mir den nächsten!" Gleichzeitig drückt sie eine Taste und diktiert für einen - obwohl alle Menschen Armbandtelefone tragen, die an die Uhren des letzten Jahrhunderts erinnern - im Moment nicht ansprechbaren Mitarbeiter: "Lieber Turing, wir müssen uns über die Programmierung meines Sekretärs unterhalten, im Umgang mit Kunden ist er einfach immer noch viel zu resolut. Kein bisschen Feingefühl!"

     Der Ausdruck "Programmierung" wird seit mehreren Jahrzehnten nur noch im Sinne von NLP verwendet, die eigentliche Programmierung im technischen Sinn, die die Arbeit ausgangs des letzten Jahrhunderts prägte, existiert nicht mehr, rein technisch programmieren die Roboter sich und ihre Nachfolger natürlich selbst.

     M. Calvins Sekretär muss noch einige weitere Korrekturen vorlegen, im grossen und ganzen ist sie aber mit seinen Vorschlägen einverstanden und mit ihm zufrieden. Wenn er ein Mensch wäre, bekäme er die besten Arbeitsqualifikationen, die sie sich ausdenken kann. Schliesslich entlässt sie ihn mit den Worten: "Okay, du kannst die Briefe abschicken und die zugehörigen Massnahmen veranlassen. Melde dich in einer Viertelstunde wieder, wir haben noch ein paar Dinge zu tun".

     Natürlich bearbeitet der Sekretär nicht nur Reklamationen, sondern den gesamten Schriftverkehr. Die Managerin wird von ihm nur mit Sonderfällen belästigt. Bei der Beantwortung von Reklamationen sind das wenige Prozente aller Fälle, deren Zahl ohnehin stark rückläufig ist, seit Reklamationen von Kunden nur noch "schriftlich", d.h. als Telefax entgegengenommen werden, obwohl die Roboter natürlich auch der mündlichen Kommunikation mächtig sind. Wenn M. Calvin - was wie gesagt selten vorkommt - selbst Hand anlegen muss, unterbreitet ihr der Sekretär, mit welchem sie mündlich oder über die Tastatur kommunizieren kann, nicht nur vollständige Vorschläge, sondern merkt sich überdies, in welchen Fällen die Managerin wie entscheidet. So lernt er fortlaufend und kann - zwar nicht immer, aber immer öfter - die Entscheidungen im Sinne von M. Calvin selbst treffen. Schwierigkeiten bereitet dem Sekretär, wie er von Zeit zu Zeit nicht ohne Unterton moniert, die Tatsache, dass M. Calvin selbst nicht konsistent, sondern abhängig von Stimmungen, die ihm fremd sind, argumentiert, und den Kunden gegenüber generell eine etwas andere, weichere Linie vertritt als ihre Mitarbeiter.

     Der Sekretär schreibt und übermittelt nicht nur die Briefe, er wickelt, soweit es ihm erlaubt ist, die ganzen Geschäftsfälle des Versandhauses ab. Er macht im Dialog mit den Kunden aktive, multimediale Beratung, nimmt Bestellungen auf, veranlasst die Lieferung, fakturiert, sorgt bei Lieferanten dafür, dass dem Versandhaus die Waren nicht ausgehen, er macht sogar Billig-Aktionen, wenn er auf einer Ware hocken bleibt. Er veranlasst Garantielieferungen und disponiert Reparaturfälle. In manchen Fällen verhandelt er mit den Kunden per Telefax darüber, ob sich die entsprechende Reklamationen mit einem individuellen Preisnachlass, der auch in seiner Kompetenz liegt, erledigen liesse. Und selbstverständlich erledigt er den gesamten Zahlungsverkehr bis hin zur Betreibung von müssigen Schuldnern - was es seltsamerweise immer noch gibt.

     M. Susan Calvin lehnt sich einen Augenblick lang zurück und betrachtet das leicht verblasste Kodakinstamatikbildchen, das auf ihrem Arbeitstisch in einem halbantiken Fotorahmen aus der Jahrhundertwende steckt und ihre Grosseltern, die noch arbeiten mussten, zeigt. Schlechte alte Zeit! Jetzt erhalten alle Menschen, ob sie arbeiten oder nicht, von der "Zentralen Verwaltung", einer Ausgleichskasse, die Einkommensunterschiede der Produktionseinheiten etwas nivelliert, eine Grundrente, die für ein sorgenfreies Leben reicht. Wer will, kann sich etwas dazu verdienen, aber jene die arbeiten, tun es - wie wir noch sehen werden - keineswegs wie damals, nur des Geldes wegen.

     Der Sekretär spielt ein mechanisch tönendes Rudiment der uralten Beatlesmelodie Help und holt damit M. Calvin in die neue Zeit zurück. Die Melodie sagt ihr, dass es nicht ihr Sekretär ist, der Hilfe verlangt. Sie drückt eine Telefontaste. Der Anruf kommt von einer ihrer "Telefonistinnen", die das Warenhaus den Kunden gegenüber vertreten. Die Telefonistin kann nicht entscheiden, wer für den eingegangenen Anruf zuständig sein könnte, was sehr selten vorkommt - nicht zuletzt, weil die Firma, die früher als Warenhauskette weltweit über einhundertausend Mitarbeiter beschäftigte, gar nicht mehr so viele Mitarbeiter hat. M. Calvin übernimmt die Leitung. Auf dem Bildschirm sieht sie, dass sie mit einer externen Maschine verbunden ist. Sie versteht aber auch nicht, was die Maschine will. Sie schüttelt den Kopf, "hängt auf" und sperrt die Verbindung zu diesem Anrufer für zwei Stunden. Dann diktiert sie erneut: "Lieber Turing, wenn sich diese Fälle häufen - ich meine nichtinterpretierbare Anrufe von Maschinen - dann müssen wir uns überlegen, ob wir uns nicht doch intelligentere Telefonistinnen leisten sollten. Vielleicht sogar Menschen?"

     Aber für Hardliner wie M. Susan Calvin ist natürlich völlig klar, dass alle Menschen vollständig aus der Arbeit raus müssen. In der eigentlichen Produktion, also wo früher körperlich gearbeitet wurde, ist dieses Ziel auch bereits weitgehend erreicht, nur im Verwaltungsbereich kommt es immer noch recht häufig vor, dass Roboter Aufgaben, die ihnen Mühe bereiten, an Menschen delegieren. Noch viel schlechter als in der Verwaltung sieht es für die Roboter allerdings im Umfeld der Sozialarbeit aus, vor allem, wo menschlich schwierige Situationen klärende Gespräche nötig machen. In Spitälern verzeichnen die Roboter zwar auch diesbezüglich einige Fortschritte, weil sie mittlerweile die Diagnostik und die Chirurgie - die dadurch allerdings viel von ihrem einstigen Glanz verloren hat - vollständig beherrschen. In jedem chemisch-chirurgisch orientierten Spital können sich Patienten ohne menschliche Betreuung in Geräte setzen, die aufgrund direkt erfasster Signale des Körpers, die früher in der Akupunktur verwendet wurden, nicht nur Volldiagnosen der Krankheitsbilder erstellen, sondern auch medikamentöse oder chirurgische Anweisungen an die medizinischen Roboter ableiten, wo nicht modernere Heilmethoden, die aus der Akupunktur hervorgegangen sind, noch bessere Erfolge verheissen. Dadurch entfallen natürlich auch die komplizierten diagnostischen Gespräche mit den Patienten, die ohnehin mehr psychologische Probleme verstecken als medizinische aufdecken.

     Der Erfolg der vollroboterisierten Spitäler ist nur insofern beschränkt, als immer mehr Menschen alternativ-psychologisch und gesprächstherapeutisch orientierte Spitäler aufsuchen, in welchen - wie etwa auch in Altersheimen und noch mehr in psychiatrischen Kliniken - die Arbeitsteilung zwischen Menschen und Robotern immer noch eklatant einseitig ist. Selbstverständlich sind es auch in diesen Spitälern die Roboter, die kochen, betten, putzen, waschen und neben vielen medizinischen Funktionen die gesamte Administration besorgen, aber um das seelische und geistige Wohlbefinden der Patienten kümmern sich dort immer noch weitgehend dafür bezahlte Menschen, weil auch sehr sprachgewandte Roboter häufig nicht nachvollziehen können, was die Patienten genau meinen, mit dem, was sie sagen. Es ist - vielleicht nicht nur deshalb - Mode geworden, den Robotern mangelndes Einfühlungsvermögen vorzuwerfen. Viele Menschen scheinen irgendwie darunter zu leiden, dass Roboter bis auf das Einfühlen in andere alles besser können.

     Selbst M. Susan Calvin muss zugeben, dass sich die Roboter in Situationen, die Einfühlungsvermögen erfordern, nicht immer glücklich verhalten. Nur weiss sie von den Telefongesprächen, die sie im Versandhaus mit defekten Maschinen führen muss, wenn ihre Telefonistinnen wirklich oder vermeintlich überfordert sind, wie schwer es sein kann, Einfühlungsvermögen aufzubringen, wenn die Gesprächspartner alle sprachlichen Konventionen brechen, wie dies im Bereich der Sozialarbeit ja häufig auch der Fall ist. Für M. Calvin, die keine Psychologin ist, ist längstens klar geworden, welche Menschen "nicht ganz normal" sind: es sind jene, die von Robotern "nicht ganz verstanden" werden. Die Crux ist eigentlich, dass es unter den Menschen nach wie vor viele Scharlatane gibt, die mindestens ihren Patienten glaubhaft vormachen, sie auch oder gerade dann zu verstehen, wenn sie sich nicht ganz normal verhalten.

     Die eigentliche Aufgabe, die sich Manager wie M. Calvin auferlegt haben, besteht weniger darin, das Management zu optimieren, als darin, anhand der Sonderfälle systematisch herauszufinden, was den Robotern noch fehlt, um sich wie Menschen zu verhalten. Im Versandhaus arbeitet M. Calvin nur, um dahinter zu kommen, wie Roboter in dem Sinne gesprächsfähiger werden könnten, dass sie wirklich alle Arbeiten übernehmen können, also insbesondere auch jene, die sogenanntes Einfühlungsvermögen verlangen. Es gibt zwar auch heute noch recht viele Menschen, die irgendwelche Arbeiten verrichten, aber die einzig wirklich übrig gebliebene Arbeit - auch das ist M. Calvin völlig klar - besteht darin, den Robotern den allerletzten Schliff zu geben. Damit und nur damit beschäftigen sich die letzten wirklichen Arbeiter und Arbeiterinnen, die nicht von kleinen Unvermögen der Roboter profitieren wollen. Wie M. Calvin sind die meisten dieser Noch-Arbeiter in Managementstellen, die eigens für die Erforschung der letzten Mängel der Roboter ge- schaffen sind. Es wäre selbstverständlich ein leichtes, die "Telefonistinnen" des Warenhauses so zu instruieren, dass sie Gespräche, die für sie keinen Sinn ergeben, selbst und überdies sehr höflich beenden würden. Dann aber könnte man diese Gespräche, resp. die nicht ganz normalen Gesprächssituationen nicht analysieren, und die Roboter bekämen kaum eine Chance, die letzte Hürde je zu nehmen.

 

Die Menschen

Natürlich sind bei weitem nicht alle Menschen damit befasst, die Roboter, die ohnehin praktisch alles können, was man vernünftigerweise von ihnen erwarten darf, noch ein wenig zu verbessern. Die meisten Menschen verschwenden ihre Kreativität längst nicht mehr an Maschinen. Sie lächeln über die letzten Arbeiterinnen à la Calvin oder diskriminieren sie sogar als Roboter-Fundamentalisten, wenn sie bezüglich deren künftiger Resultate misstrauisch oder ängstlich sind.

     "Normale" Menschen, die nicht mehr arbeiten, befassen sich mit einer Art Glasperlenspiel, das sie "Ganzheit" nennen. Während Wörter wie "denken" und "philosophieren" nur noch abschätzig gebraucht werden, ist das Wort "Spiel" enorm aufgewertet worden. Kinder "spielen" deshalb nicht mehr, sie werden vielmehr bis hinauf in die höchsten Schulen auf das Spielen vorbereitet. Menschen, die Spielprojekte verfolgen, die mehr Geld verlangen, als sie mit ihrer Rente aufbringen können, werden von der Verwaltung freizügig mit zusätzlichen Geldern unterstützt, wenn sie ihre Anliegen im Rahmen eines Spieles formulieren. Dabei ist belanglos, ob im Spiel neue logistische Konzepte zum Einsatz von Robotern entworfen werden oder ob der Meeresgrund archäologisch motiviert umgegraben wird.

     Das Spiel verwendet Tätigkeiten, die im letzten Jahrhundert dem Handwerk, der Kunst oder der Philosophie zugerechnet wurden, als Wege zur Selbstverwirklichung. Seit die Roboter alles erledigen, was Not tut, gilt die Fähigkeit autark, das heisst ohne Roboter leben zu können, als Basis jeder Selbstverwirklichung. Das Ganzheit-Spiel, das sich die Menschen als Ersatz oder als Fortführung der Arbeit erfunden haben und immer noch weiterentwickeln, hat Abteilungen und Spielklassen, in welchen die Geschichte der Menschheit nachvollzogen wird. Während noch unentwickelte Spieler in der Sparte Selbstversorgung "Jäger und Sammler" üben, spielen höher entwickelte Spieler in dieser Abteilung bereits auf der Stufe "Elektroniker". Ganzheit wird das Spiel deshalb genannt, weil das Spiel jeden Menschen mit einem Spielergrad (Dan) auszeichnet, der mit dem Grad identisch ist, den der Spieler in seiner schlechtesten Abteilung erreicht. Ein guter Musiker, der in der Werkstatt nichts kann, schneidet so schlecht ab, wie der grosse Philosoph der auf dem Sportplatz versagt.

     Obwohl die meisten Menschen ihre spielerischen Tätigkeiten nicht bewusst mit der Entwicklung von Robotern in Verbindung bringen, ist der Inbegriff jedes gelungenen Spieles, egal welchen Genres, die Kreation eines neuen Roboters. Als wirklich kreative Ideen gelten allgemein jene, die sich in einem originellen Roboter niederschlagen, weil jeder neue Roboter eine materielle Basis für weitere Entwicklungsräume und Spiele liefert. Wer allerdings sein Spiel daraufhin anlegt, neue Roboter zu erfinden, hat erfahrungsgemäss kaum Chancen, sein Ziel zu erreichen. Sein Spiel wird belächelt wie jenes der letzten Arbeiter und Arbeiterinnen, die sich um die existierenden Roboter bemühen.

     Natürlich ist auch M. Susan Calvin in diesem Spiel erzogen, auch sie frönt dem Spiel, aber eben nur in ihrer sich selbst zugestandenen Freizeit. Dort erforscht sie sich und ihre Motive, indem sie beispielsweise in der mechanischen Werkstatt einen Ur-Computer rekonstruiert oder beim Geigenspielen oder noch wörtlicher mit einem Motorrad er-fährt, was ihre individuellen und gattungsmässigen Grenzen und Potentiale sind. Rivalität und Konkurrenz, wie sie die Menschen vergangener Jahrhunderte beherrschten, sind ihr dabei völlig fremd. Wettkampfmässig motorradfahren oder geigenspielen können ohnehin nur noch Roboter, weil die Menschen in keiner Disziplin mehr auch nur entfernt mithalten können. Die Roboter, auch die Fussball spielenden, werden allerdings nicht mehr als Vertreter von Nationen und Ethnien aufeinander losgelassen, sie vertreten Teams, die von ihren Herstellern eingesetzt werden, ganz ähnlich dem Muster, das sich im Motorsport bereits vor der Jahrhundertwende abgezeichnet hatte. Der Wettkampf, ein Relikt aus dem nationalistisch geprägten letzten Jahrhundert, findet nur noch zwischen gesellschaftlichen Produktionseinheiten statt, in welchen die Menschen überhaupt organisiert sind. Auch dabei geht es nur noch ganz vordergründig ums Siegen, Sinn dieser Anlässe ist vielmehr der Warentest und die Verteilung von technologischem Wissen zwischen den Produktionseinheiten.

     Wenn Menschen heute Fussball spielen oder Motorrad fahren, tun sie es im gleichen Sinne und mit gleichen Intentionen wie sie musizieren oder malen - und umgekehrt ist musizieren wie fussballspielen, denn rein technisch sind die Roboter natürlich auch in den ehemaligen Künsten schon längst nicht mehr zu überbieten. Alles, was mit Sinnesleistungen und Körpersteuerung zu tun hat - das ist nicht nur M. Calvin klar -, ist in den Robotern aufgehoben, und zwar viel besser als in jedem Menschen. Bis hin zur letzten Jahrhundertwende, als die Psychologen noch ernsthaft versuchten, Kognition und Motivation zu unterscheiden, schrieb man bestimmten menschlichen Verhaltensweisen, etwa dem Rechnen, geistige Qualitäten zu, was sich auch darin ausdrückte, dass man elektrische Maschinen, die nichts anderes als rechnen konnten, als intelligent bezeichnete. Was im Hirn des Menschen nachvollziehbar stattfindet, nennt man auch heute noch rechnen, man verbindet es aber längst nicht mehr mit irgendetwas Höherem, weil es genau das ist, was jeder Roboter auch tut, nämlich Eingaben in Ausgaben verwandeln oder eben Sinnesleistungen zur Körpersteuerung zu verwenden. Das, was wir beim Motrorradfahren oder beim Geigenspielen machen, sind auf der physiologisch-mechanischen Ebene ausgesprochene Robotertätigkeiten, weshalb es nur logisch ist, dass wir uns diesbezüglich nicht mit Robotern messen können.

     Was wir Menschen den Robotern auch heute, im Jahr 2050, (noch) voraushaben, ist, dass wir in unserem Spielen das schon ausdrücken, wofür wir noch keine Worte - und vor allem noch keine materiellen Vergegenständlichungen - haben. Und das ist umgekehrt das, was die Roboter primär nicht verstehen können. Und wenn Roboter unseren intendierten, also nicht beliebig zufälligen, spielerischen Ausdruck weder nachvollziehen noch interpretieren können, wie sollten sie uns verstehen, wo wir uns selbst nicht bewusst sind und gerade deshalb besonderes Einfühlungsvermögen verlangen?

     Was M. Susan Calvin von den meisten Menschen unterscheidet, ist eigentlich nur, dass sie im Spielen an die Arbeit denkt. Ihre Selbstbeobachtung dient ihr vor allem dazu, zu verstehen, was den Robotern fehlt. Während M. Calvin - die andernfalls ihre Arbeit im Versandhaus längstens aufgegeben hätte - eigentlich immer noch glaubt, dass man einfühlsame Roboter bauen könnte, die zur Not auch wider alle Informationen, die sie erhalten, verstehen, was gemeint ist, verfolgen andere Menschen mit ihrer Beschäftigung ganz andere Ziele.

     R. Stephen Byerley etwa, der längere Zeit unter M. Calvin gearbeitet hatte, zog sich aus der Arbeit zurück, nachdem er im Spiel mit Robotern begriffen hatte, dass die Roboter, so wie sie sind, eigentlich in Ordnung sind, und dass sich - unabhängig von den manchmal auftretenden Kommunikationsschwierigkeiten, die er mit Menschen und Robotern hat - die Menschen, nicht die Roboter verändern müssten. R. Stephen Byerley, der auch viel zur Entwicklung des Ganzheitspieles beigetragen hat, interpretiert das Spiel - obwohl das Spiel selbst solche Interpretationen ausdrücklich verbietet -, als Weg für Menschen, so vernünftig zu werden, dass die Roboter die Menschen in jeder Beziehung verstehen und so ihre Aufgabe vollkommen erfüllen können. Dazu müssten die Menschen vor allem ihre Emotionen überwinden.

 

Das Ganzheit-Spiel

Das Spiel unterscheidet sich rein äusserlich kaum von den "Arbeiten" des vergangenen Jahrhunderts, es ist nur viel angenehmer zu spielen, was sich ja auch früher schon darin zeigte, dass etwa Schrebergärtner und Hobbyköche in ihrer Freizeit, also solange sie dazu nicht gezwungen waren, sehr gerne eigentlichen Arbeiten nachgingen - von den Anstrengungen, die die Menschen im Sport auf sich nahmen, ganz zu schweigen.

     Wenn M. Susan Calvin beispielsweise den Motor ihres Motorrades feinmechanisch überarbeitet - sagen wir, damit der Motor noch mehr Leistung abgibt, obwohl sie natürlich einen Roboter beauftragen würde, wenn es ihr wirklich um mehr Leistung ginge - und dabei auf eine festsitzende Schraube trifft, schreibt ihr das Spiel vor, gelassen nach Lösungen zu suchen, statt die Schraube fluchend und mit Gewalt zu lösen. Sowieso darf sie selbstverständlich keinen Roboter beiziehen. Im Spiel geht es nicht um das Lösen der Schraube, sondern um das Erkennen der Natur des Festsitzens der Schraube und noch mehr des Festsitzens des Geistes, der nicht erkennen kann, weshalb die Schraube festsitzt.

 

Vom Sinn des Spieles

Der wohl wichtigste Aspekt des Ganzheitspieles, ist das Feeling, das der Spielende für die jeweilige Sache entwickelt. Letzlich zeigt sich dieses Feeling in der Perfektion des Spielers und, wo das Spiel bildend im Sinne der alten Künste ist, in der Perfektion des Kunstwerkes. Im Spiel selbst geht es aber nicht darum technisch so gut wie ein Roboter zu werden, sondern darum, das Spiel möglichst ohne wertende Emotionen zu spielen.

     Die Grundidee des Spieles ist uralt. Das Spiel wurde in praktisch allen Kulturen, wenn auch unter verschiedensten mystifizierenden Namen, die Erleuchtungen versprachen, gespielt. Das Spiel war aber immer schon jenen vorbehalten, die nicht arbeiten mussten, weshalb es in früheren Jahrhunderten - anders als heute - nur von wenigen Menschen in elitären Klöstern und Kasten gepflegt werden konnte.

     Früher, in der Zeit als die meisten Menschen unter dem Fluch der Vertreibung aus dem Paradies noch arbeiten mussten, waren sie - darin lag die eigentliche Strafe - weitgehend durch Emotionen bestimmt. Psychologisierende Apologeten der Macht versuchten, die Emotionen, die sie mit hohen Geldbeträgen für unsinnige und fiktive Leistungen in Wirtschaft und Kultur richtiggehend ins Werk setzten, mit skurilen Evolutionsgeschichten in einer tierischen Vorfahrenwelt zu verankern. Als Sinn des Lebens galt den Arbeitenden, im Kampf um Geld zu siegen oder wenigstens besser als andere abzuschneiden. Emotionen wurden geschürt und missbraucht. Die Frage aller Machtkämpfe war, wer unter angefachten Emotionen am coolsten bleiben konnte.

     Der Versuch, die Evolutionstheorie, die die Entfaltung biologischer Organismen beschrieb, psychisch zu deuten, war - wie wir heute leicht erkennen - reine Dogmatik der damals mächtigsten Kirchen. Dass dabei die Emotionen auf primitiven Stufen des (Vor)-Menschseins angesiedelt wurden, zeigt uns den rationalen Kern dieser Ideologie, die die Arbeit (der andern) zum höchsten Gut emporstilisierte. Man wusste verdrängterweise immer schon, dass Emotionen schlecht sind, weil sie sinnlich begründete Gefühle verhindern.

     Wer sich ärgert oder freut, verliert sein Gleichgewicht und seine Einsicht ins Ich. Er mag dadurch in bezug auf Arbeitsresultate nicht unmittelbar verlieren, er verliert aber das Spiel gegen sich, weil er anfällig für Ideologien wird.

* * *

     Jedes Mal, wenn R. Stephen Byerley seine Interpretation des Spieles vorträgt, was er bei jeder sich bietenden Gelegenheit tut, fragt sich M. Susan Calvin ernstlich, was an ihm noch menschlich ist (oder weshalb sein Name wohl mit einem R. beginnt).