Psychologisches Institut der Universität Zürich
Psychologische Methodenlehre

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Rolf Todesco

Systemtheorie 2. Ordnung


Inhalt

Einleitung
Terminologisches Umfeld
Kybernetik und Allgemeine Systemtheorie
Autopoiese
Konstruktivismus
Objektkonstanz
Perspektive
Die 2. Ordnung
Subjektorientierte Wissenschaft
Lernveranstaltungen
Ivan Pawlow beobachtet seinen Hund
J. Konorski beobachtet I. Pawlow
Ich beobachte I. Pawlow
Lehrziel
Wissenschaft in der 2. Ordnung
Unterscheidungen
Beobachter beobachten
Meta-Kommunikation
Inhalt und Aufbau
 
Metatheorie
Konstruktive Systemtheorie
Systemtheorie 2. Ordnung
Systemtheorie
Theorie
Argumentation
Aussage
 
Systemtheorie 1. Ordnung
Definition und Begriff
Ein Phänomen
Erklärungen
Die konstruktive Erklärung
Blackbox
Das System
Die Konstruktion
Der Automat
Der Mechanismus
Exkurs: Gibt es Systeme?
 
Beobachter
Beobachter-Perspektiven
Der deutende Beobachter
Der konstruierende Beobachter
Beobachten als Für-Wahrnehmen
Handlungszusammenhang
Die Re-Präsentation
Sprachhandlungen
 
System in der 2. Ordnung
Beobachten als Phänomen
Um-Welt als Blackbox
Die operationelle Geschlossenheit


 
 
  Unsere grösste, umfassenste
  Erfindung ist die Um-Welt .
  Unsere nützlichste Erfindung ist
  die Objektivität der Umwelt.


Einleitung

Ich lade Sie ein, die Systemtheorie einmal in einer ganz bestimmten Hinsicht ernst zu nehmen, nämlich quasi in einer Anwendung auf sich selbst. Man kann die Systemtheorie als Hilfswissenschaft für andere Wissenschaften wie Psychologie begreifen, als Methode für etwas anderes oder als Weg zu einem Ziel. Ich betrachte die Systemtheorie auch als Methode, aber nicht als Methode für etwas, sondern als Weg überhaupt. Darüber möchte ich mich mit Ihnen unterhalten.

Als Systemtheorie 2. Ordnung bezeichne ich in Anlehnung an Heinz von Foerster's Cybernetics of Cybernetics - die er gelegentlich auch second order cybernetics nannte - eine selbstbezügliche Sicht auf die Systemtheorie 1. Ordnung, wie ich die "normale" Systemtheorie - quasi rückblickend - nenne. In der Systemtheorie 2. Ordnung sehe ich keine irgendwelche gegensätzliche Auffassung zur Systemtheorie, sondern lediglich eine Reflexion einer bestimmten Implikation der Systemtheorie: In der 2. Ordnung betrachte ich mich selbst als System, mit meiner Systemtheorie beschreibe ich also auch mich selbst.


Terminologisches Umfeld

Ich beginne mit ein paar historischen Anmerkungen zur Systemtheorie überhaupt, mit welchen ich den Kontext der hier diskutierten Systemtheorie etwas beleuchten will:


Kybernetik und Allgemeine Systemtheorie

Der Ausdruck "Systemtheorie" ist ein richtiges Allerweltswort, das für beliebige Zusammenhänge verwendet wird. Eine bestimmte Art Systemtheorie wurde während des 2. Weltkrieges im Umfeld von Norbert Wiener unter dem Begriff Kybernetik entwickelt. N. Wiener charakterisierte das technologisch orientierte Programm mit "Regelung und Kommunikation im Tier und in der Maschine". Dabei ging es im Wesentlichen um die Regelung in Feedback-Mechanismen oder darum, wie man dieses operative Verständnis technologisch - vorab in der Kriegsmaschinerie - nutzen konnte. Von dieser "Systemtheorie" ganz unabhängig existierte damals die "Systemlehre", die der Biologe Ludwig von Bertallanffy entwickelte. Die Systemlehre war als generelle Naturwissenschaft gedacht, die dem Phänomen "Leben" gerecht werden sollte. Durch die Uebersetzung ins Amerikanische wurde die "Allgemeine Systemlehre" zur "General Systemtheory", obwohl der Ausdruck "Lehre" jenseits dieses Kontextes kaum von jemandem mit "theory" übersetzt würde. Nachdem Talcot Parsons seinen soziologischen Funktionalismus auch als Systemtheorie bezeichnete, und Jay Forrester die System Dynamics bekannt gemacht hat, hat Anatol Rapoport vernünftigerweise vorgeschlagen von einer "Allgemeine Systemtheorie" zu sprechen, wenn bestimmte formale Beschreibungen verwendet werden, denn allgemein ist allenfalls die Mathematik. Gleichwohl gibt es jede Menge von mehr oder weniger bedarften Einführungen in die Systemtheorie (1).

Ich glaube nicht, dass man den Ausdruck "Systemtheorie" in irgendeinem Sinne "richtig" verwenden kann. Man kann sich nur bewusst machen, wie man den Ausdruck verwendet. Rene Hirsig bezeichnet die Systemtheorie als formale Hilfswissenschaft, die einen Modellierungsprozess beschreibt. Ich mag den Ausdruck Hilfswissenschaft nicht, ich verwende den Ausdruck "Systemtheorie" im Sinne der Kybernetik, wobei ich die Kybernetik ohne weiteres wie Rene Hirsig als "Modellierungswissenschaft" verstehen kann.

Die hier diskutierte Systemtheorie 2. Ordnung - natürlich gibt es auch diesbezüglich eine beliebige Variationen (2) - ist sozusagen wahlverwandt mit dem Radikalen Konstruktivismus von Ernst von Glasersfeld und mit der Autopoiesis von Humberto Maturana. Beide Autoren haben mit Heinz von Foerster zusammengearbeitet und die Systemtheorie auch epistemologisch interpretiert (3).


Autopoiese

Als "Autopoiese" bezeichnet Humberto Maturana seine Systemtheorie, die sich selbst produzierende - eben auto und poiesis - Maschinen beschreibt. Während L. von Bertalanffy seine systemische Lehre des Lebendigen erbittert gegen die Kybernetik der Automaten abgrenzte, spricht H. Maturana von lebendigen Maschinen, um auszudrücken, dass die Systemtheorie Operationen beschreibt, die in Lebewesen und in Maschinen realisiert sein können. Eigentliche Maschinen unterscheidet H. Maturana von "lebenden Maschinen" eben gerade dadurch, dass letztere sich selbst herstellen. Sie unterliegen dabei aber denselben systemtheoretischen Gesetzmässigkeit wie Maschinen.


Konstruktivismus

Konstruktivismus ist ein Ausdruck aus der Kunstwissenschaft, wo er ausdrücken sollte, dass Kunstwerke keine Abbildungen, sondern als Konstruktionen kreative Schöpfungen sind. René Magritte hat das mit seinem Surrealismus zum Ausdruck gebracht. Er produziert - wie Pygmalion - kein Bild einer Frau, sondern gleich die Frau.

Jean Piaget hat den Ausdruck "Konstruktivismus" in seiner epistemologischen "Kinderpsychologie" verallgemeinert und postuliert, dass das Denken generell keine Abbildungen mache, sondern schöpferisch konstruktiv die Realität überhaupt produziert. Etwas einfältig gesagt, geht es darum, ob wir die Welt entdecken oder erfinden.


Objektkonstanz

(Ich zeige einen Kugelschreiber) Sie sehen diesen Kugelschreiber. (Ich verdecke den Kugelschreiber mit einem Blatt Papier). Jetzt sehen Sie ihn nicht mehr. Wo ist er? (Jetzt nehme ich das Papier wieder weg). Jetzt sehen Sie wieder einen Kugelschreiber. Glauben Sie, dass das derselbe Kugelschreiber ist, den Sie vorher gesehen haben? Wirklich wissen, können Sie das natürlich nicht, aber es gibt gute Gründe dafür anzunehmen, dass derselbe Kugelschreiber hinter dem Papier immer da war. Die Frage ist nur, woher wir diese Gründe haben. J. Piaget nannte den Grund, den kleine Kinder gemäss seinen Untersuchungen noch nicht erkennen, eine vom Beobachter angenommene Objektkonstanz, und die damit verbundene Auffassung nannte er "La construction du réel". Es ist einfach sehr praktisch anzunehmen, dass der Kugelschreiber auch da ist, wenn wir ihn gerade nicht sehen.

     

Haben Sie einmal gesehen, wie der Zauberer David Cooperfield Elefanten und Eisenbahnzüge verschwinden lässt? Zauberer, die Objekte verschwinden lassen oder aus dem Hut hervorzaubern, spielen mit der Ambivalenz der Vorstellung der Objektonstanz. Es ist ja klar, dass ich den Kugelschreiber nicht wegzaubern könnte, wenn Sie nicht glauben würden, dass er ein konstant existierendes Objekt sei. Andererseits weiss ich, dass das nur ein Glaube ist, deshalb macht mir das Spiel der Zauberer so viel Spass.

Ernst von Glasersfeld hat den Konstruktivismus von J. Piaget radikal interpretiert und gezeigt, dass man überhaupt keine Realität voraussetzen muss, wenn man den Aufbau von Wissen im Sinne von J. Piaget untersucht. Den der Kugelschreiber, den wir jetzt gerade wieder sehen, ist uns auch nur durch Annahmen gegeben. Er ist - wenn ich ihn sehe, wie wenn ich weiss, dass er hinter dem Papier versteckt ist - Bestandteil meiner Erfahrung. Und ob meine Erfahrung ein von ihr unabhängige Realität abbildet oder nicht, kann ich nicht anders als durch eben meine Erfahrung überprüfen. J. Goethe sagte, dass er mit keinem Instrument mehr sehen könne, als das, was seine Augen zulassen. Und George Berkeley fragte sich, ob ein mitten im Wald umfallender Baum auch Geräusche macht, wenn niemand da ist, der sie hören kann?

E. von Glasersfeld nannte seine radikale Interpretation "Radikalen Konstruktivismus". Im Diskurs zum Radikalen Konstruktivismus wird oft darüber gestritten, ob es eine Wirklichkeit gebe. Ich finde das eine ganz sinnlose Frage. Ich werde sie in dieser Vorlesung durch einige andere Fragen, die meines Erachtens viel besser zum Radikalen Konstruktivismus passen, ersetzen.


Perspektive

Meine Beobachtungen sind perspektivisch.


Die 2. Ordnung

Den Ausdruck "2. Ordnung" verwende ich hier für eine bestimmte Art von Selbstbezüglichkeit, die ich etwa in C. Escher's Gallerie erkennen kann (4). Es geht gewissermassen um eine Selbstdarstellung, in welcher ich aber nicht mich beschreibe, sondern meine Um-Welt, respektive, wie ich meine Um-Welt für wahr nehme. Die Selbstdarstellung in der 2. Ordnung zeigt also nicht, wie ich von aussen gesehen - etwa im Spiegel - erscheine, sondern wie ich durch meine Wahrnehmung meine Um-Welt rekonstruiere.

In der 1. Ordnung beobachte ich - um im Ausdruck von C. Eschers Bild zu bleiben - Systeme quasi von aussen. Ich beobachte also beispielsweise eine Stadt am Meer mit Häusern und einer Gallerie. In der 2. Ordnung beobachte ich, dass ich eine Stadt beobachte. Und vor allem, was ich dabei an begrifflicher Konstruktion in Form von Unterscheidungen leiste.

In der 1. Ordnung erscheint mein Blick ungetrübt, ich sehe nicht, was ich nicht sehe. In der 2. Ordnung beobachte ich meine Unterscheidungen und sehe auch welche Seite der Unterscheidung ich weglasse. In der 2. Ordnung sehe ich - wie C. Escher im Zentrum seines Bildes - meinen blinden Fleck, den ich in der 1. Ordnung nicht sehen kann.

     


Subjektorientierte Wissenschaft

In der 2. Ordnung beobachte ich, wie ich meine Um-Welt rekonstruiere. Dabei geht es mir natürlich um Kontingente: Mich interessiert, wie ich meine Um-Welt auch sehen könnte und was es mir bringen würde, wenn ich sie anders sehen würde. Deshalb geht es mir logischerweise nicht darum zu beschreiben, was ich wahrnehme, sondern darum, wie ich mir mein Wahrnehmen vorstelle - oder wissenschaftlicher: wie ich mein Wahrnehmen theoretisch erkläre.

Gegenstand dieser Wissenschaft ist also das reflexive Begreifen der je eigenen Wahrnehmungstätigkeit. Natürlich kann ich in der 2. Ordnung nur über meine Wahrnehmung sprechen. Ich kann aber zur Diskussion stellen, wie ich über meine Wahrnehmung spreche. In der 2. Ordnung sprechen alle über sich selbst, aber wir sprechen darüber, inwiefern wir uns dabei theoretisch vergleichbar verhalten.

In dieser Vorlesung sage ich also nichts objektives und nichts über andere Menschen. Ich lade Sie ein, anhand meiner Ueberlegungen sich eigenen Ueberlegungen über Ihre Wahrnehmungstätigkeit zu machen. Ich zeige Ihnen, wie ich die Systemtheorie auf mich bezogen anwende. Sie können sich selbst dabei beobachten, wie sie mit der Systemtheorie umgehen. Ich zeige Ihnen eine Art theoretisch fundierte Methode. Ich weiss nicht, was Sie mit dieser Methode finden werden, weil Sie damit sich selbst beobachten, und ich annehme, dass wir als Subjekte verschieden sind - also in verschiedenen Welten leben. In der 2. Ordnung erkundet jeder von uns seine eigene Welt.

* * *


Lernveranstaltungen

Nachdem ich nun die Thematik etwas umrissen habe, will ich etwas über den Charakter der Veranstaltung sagen. Ich nenne diese Veranstaltung nicht Lehr-, sondern Lernveranstaltung, obwohl es nach Duden - worüber ich staune - gar keine Lernveranstaltungen gibt. Ich will Ihnen dazu zuerst eine Geschichte erzählen, deren Anfang in der Psychologie zum Grundlagenwissen gehört.


Ivan Pawlow beobachtet seinen Hund

I. Pawlow, der russische Physiologe, entwickelte die klassische Konditionionierung in einem bekannten Versuch mit einem Hund. Bei der klassischen Konditionierung werden zwei Reize so verknüpft, dass sie dieselbe Reaktion auslösen, weil der eine quasi als Symbol für den andern steht. I. Pawlow hat in seinem Experiment einem Hund Fleisch angeboten (unbedingter Reiz) und der Hund hat darauf mit Speichelfluss geantwortet (spezifische Reaktion). Während der Fütterung hat I. Pawlow dem Hund ein zweiten neutralen Reiz, also einen Reiz, der bisher keine spezifische Reaktion hervorrief, präsentiert. Er läutete mit einer Glocke. Nachdem er die beiden Reize, Futter und Gocke oft genug gemeinsam präsentiert hatte, funktiniert der ehemals neutrale Reiz alleine, das heisst der Hund begann auch ohne Fleischangebot zu speicheln, wenn er die Glocke hörte. I. Pawlow glaubte, dass der Hund die beiden Reize in einem Lernprozess assoziiert habe.

     


J. Konorski beobachtet I. Pawlow

J. Konorski machte folgenden Versuch: Er wiederholte alles genau nach den Anordnungen von I. Pawlov. Aber im entscheidenden Moment liess er seinen Assisten mit einer Glocke ohne Klöppel "läuten". Die Glocke blieb stumm, der Hund sekretierte trotzdem. Daraus schloss J. Konorski: Das Läuten der Glocke war ein Reiz für I. Pawlow, aber nicht für den Hund (von Foerster: Entdecken:86). Der Hund mag schon etwas gelernt haben, aber es war nicht das, was I. Pawlow meinte.

Klaus Holzkamp spricht von einem Lehr-Lern-Kurzschluss. Um diesem Kurzschluss zu entgehen, nenne ich unsere Veranstaltung Lern-Veranstaltung. Ich weiss zwar, was ich lehre, aber ich weiss noch nicht, was wir lernen. Der Pawlovsche Hund ist bei I. Pawlov ein "Symbol" für das konditionierte Lernen des Hundes und bei J. Konorski ein "Symbol" für das konditionierte Lernen des Experimentators oder Forschers.

Man kann sich natürlich auch fragen, was der Hund wohl über sein Lernen gesagt hätte. Und man kann sich fragen, was man selbst anhand dieser Geschichte lernen kann.


Ich beobachte I. Pawlow

I. Pawlow hat als Forscher einen Zusammenhang untersucht. Er hat eine Hypothese über die Konditionierung experimentell überprüft und verifiziert. Dann hat er einen wissenschaftlichen Bericht darüber geschrieben, in welchem er die Methode und die Befunde darstellte, so dass sie von der wissenschaftlichen Gemeinschaft nachvollzogen und überprüft werden können. Ich sehe darin einen typischen Fall von Wissenschaft (wie sie etwa von K. Popper beschrieben wird).


Lehrziel

I. Pawlow hat - wenn ich mit einer andern Unterscheidung hinschaue - einen Hund gelehrt (man kann auch sagen ausgebildet, unterrichtet, trainiert oder dressiert). I. Pawlow hatte dabei ein Lehrziel, der Hund musste eine Prüfung ablegen. Der Hund bestand die Prüfung, obwohl er eine falsche Aufgabe gelöst hatte (er hat ja nicht auf das Läuten der Glocke geachtet). I. Pawlow hat sein Lehr-Ziel erreicht. Für den Hund war das Lehrziel ohne Relevanz. Der Hund hat allenfalls gelernt, wie er zu seinen Belohnungen oder rasch wieder aus dem Experimentierkäfig rauskommt.

Lehrziehl und Pürfung sind äqivalent - und vom Lernen unabhängig. Ich hoffe, Sie verstehen, warum ich kein Lehrziel habe. Ueber unsere Lernziele möchte ich erst sprechen, nachdem wir den Ausdruck "Ziel" systemtheoretisch vereinbart haben. Aber wir können uns sinnigerweise in jedem Augenblick fragen, was wir gerne lernen würden und was wir bisher gelernt haben. Was sind Ihre Erwartungen?

Ich würde gerne mit Ihnen zusammen untersuchen, wie sich die Systemtheorie auf unser Selbstverständnis auswirkt. Zunächst natürlich vor allem auf unser akademisches Selbstverständnis, weil wir hier ja an der Uni sind. Wie wirkt sich die Systemtheorie auf unsere Forschung und auf unsere Darstellungen aus? Schärft sie unseren Blick? Ermöglicht sie verständliche Darstellungen? Hat Theorie überhaupt einen Einfluss auf unser Handeln, oder wozu ist sie andernfalls gut?

Ein Anliegen - und in gewisserweise ein Lehrziel - vieler Systemtheoretiker war und ist, eine einheitliche Forschungsperspektive und Forschungssprache für die gesamte Wissenschaft zu gewinnen. Die Systemtheorie könnte im Prinzip mit derselben Terminologie über alle Disziplinen hinweg verwendet werden. Mein Anliegen ist extrem viel bescheidener. Die Systemtheorie dient mir, mir meine Sprache und meine Forschungsperspektive bewusst zu machen. Ich glaube aufgrund von Erfahrungen, die ich verallgemeinert habe, dass ich besser mache, was ich bewusst mache. Und bewusst machen kann ich etwas, wenn ich darüber sprechen kann. Mir hilft die Systemtheorie über meine Forschung und über meine Darstellung zu sprechen. Vielleicht hilft Ihnen die Systemtheorie auch?


Wissenschaft in der 2. Ordnung

I. Pawlow beobachtete - unter strengen Regeln des Experimentes - seinen Hund. Er machte Hypothesen und überprüfte sie. Wir können das Experimet von I. Pawlow genau nachmachen und werden zum selben Resultat kommen. Es ist ein wesentliche Aspekt der Wissenschaft, dass Resultate reproduzierbar sind. Streng genommen hat J. Konorski nicht das Experiment von I. Pawlow wiederholt, sondern ein anderes Experiment gemacht, das - wenig erstaunlich - auch zu einem Resultat führte. Das Experiment von J. Konorski ist auch wiederholbar. Wir werden auch seine Resultate reproduzieren können.

Das Experiment von J. Konorski macht aber für sich genommen keinen richtigen Sinn. Von I. Pawlow lerne ich praktisch, wie ich Hunde unterrichten kann, und theoretisch, wie Hunde unter bestimmten Umständen lernen. Was lerne ich von J. Konorski?

Sinn macht das Experiment von J. Konorski nur als Kritik an I. Pawlow. Die Kritik beruht aber nicht darauf, dass er zeigt, dass das Experiment von I. Pawlow nicht wiederholbar ist (5) oder andere Resultate zeigt. Es ist also keine wissenschaftliche Kritik im Sinne von K. Popper. Die Kritik bezieht sich auf die Unterscheidungen, die I. Pawlow seinem Experiment zugrunde legte. Bei K. Popper heisst es explizit, dass die Wahl der Hypothesen wissenschaftlich gesehen beliebig ist. Hypothesen müssen nur falsifizierbar sein und natürlich eine praktische Relevanz haben, was bei I. Pawlow zweifelslos gegeben ist. Das Resultat von J. Konorski widerlegt das Resultat von I. Pawlow nicht, sondern zeigt einfach, dass es auch andere Tatsachen gibt - die auch ziemlich interessant sind.


Unterscheidungen

Was hat J. Konorski gemacht? Er hat eine Unterscheidung von I. Pawlow problematisiert, indem er den Klöppel aus der Glocke genommen hat. Bei seiner Beobachtung ging es nicht mehr um Läuten oder nicht Läuten. Und so kommt er zu einer anderen Erkenntnis als I. Pawlow, der eben zwischen läuten und nicht läuten unterschieden hat.

Die Erkenntnisse, die ich mache, sind von meinen Unterscheidungen abhängig. Also muss ich mich selbst beobachten, wenn ich etwas erkenne. Georg Spencer-Brown sagt: "Draw a distinction!", wenn Dir etwas nicht gefällt, mach eine andere Unterscheidung, was er re-entry nennt. J. Konorsky hat ein solches re-entry in die Forschungsfrage von I. Pawlow gemacht.


Beobachter beobachten

Beobachtungen 2. Ordnung sind Beobachtungen von Beobachtungen. "Beobachter beobachten" heisst ein zentraler methodischer Ansatz der Wissenschaften 2. Ordnung. Dabei geht es um die Beobachtung der Konsequenzen von Unterscheidungen, die einer Beobachtung zugrunde liegen. Es geht also darum, Tatsachen auf Unterscheidungen zu beziehen. Dabei spielt es natürlich - im Prinzip - keine Rolle, ob ich mich oder einen andern Beobachter beobachte, denn es geht ja um die Unterscheidungen. Ueber meine Unterscheidungen weiss ich aber - im Prinzip - besser Bescheid, als über jene von anderen Leuten. Wenn ich etwa eine Schiedsrichter, der in einem Fussballmatch die Spieler beobachtet, beobachte, kann ich oft sehr leicht erkennen, dass er beispielsweise "falsch" gepfiffen hat, aber ich kann nicht so leicht erkennen, inwiefern er damit auch richtig gepfiffen hat, weil er andere Unterscheidungen zugrunde legte.

In meiner alltäglichen Praxis beobachte ich sehr oft andere Menschen. Von Beobachtung 2. Ordnung spreche ich aber nur, wenn ich die Unterscheidungen, die ihren Verhalten zugrunde liegen, erkennen kann. Viele praktische Kommunikationsprobleme lassen sich durch Beobachtungen 2. Ordnung - wie etwa Paul Watzlawick gezeigt hat - analysieren. Wir werden später darauf zurück kommen.

Die Systemtheorie 2. Ordnung beruht darauf, dass ich mich dabei beobachte, wie ich System und Um-Welt unterscheide. Ich werde in dieser Vorlesung also erläutern, was ich als System begreife und ich ich mich selbst systemtheoretisch sehe. Ihre Aufgabe ist logischerweise das Beobachter beobachten. Sie beobachten, welche Unterscheidungen Sie selbst machen, und was es Ihnen bringt.

Das Beobachten, das hier gemeint ist, besteht nicht nur aus dem Schauen, sondern insbesondere auch aus dem Ausdrücken des Geschauten. Ich muss auch ausdrücken, was ich fürwahrnehme, damit ich - und im wissenschaftlichen Prozess insbesondere auch die Gemeinschaft - meine Beobachtungen wieder beobachten kann. Es geht aber beim hier gemeinten Beobachten hauptsächlich darum, dass ich mir bewusst mache, dass und was ich beobachte, und das leiste ich dadurch, dass ich es ausdrücke. H. Kleist sagte sogar, das die Gedanken erst im Ausdruck entstehen: "Wenn du etwas wissen willst und es durch Meditation nicht finden kannst, so rate ich dir, mit dem nächsten Bekannten darüber zu reden."

Ich werde also ausdrücken, was in meiner Sprache ein System ist, und was ich als Systemtheorie bezeichne.


Meta-Kommunikation

Ich stelle meine Vorstellungen vor. Ich erläutere, wie - mit welchen Unterscheidungen - ich was beobachte und zu welchen Konsequenzen mich das führt. Sie machen sich Ihre Vorstellungen bewusst. Wir können zusammen erforschen, welche Möglichkeit des Ausdruckes wir finden, und darüber nachdenken, wer welche Möglichkeit weshalb wählt.

Ich frage mich also, was in meiner Sprache ein System ist, und was auch denkbar wäre, weil andere Menschen das denken. Sie drücken aus, was für Sie ein System ist. So vergrössern wir die Anzahl der Möglichkeit und reflektieren die Konstruktion unserer Begriffe.

Ich habe im Internet (bei Yahoo) ein Forum eröffnet. So können wir unsere Gedanken und Fragen auch neben der Vorlesung austauschen. Ich bitte ich Sie, Ihre Vorstellungen und die darin verwendeten Unterscheidungen explizit zu machen. Wenn wir uns vor Augen halten, dass jeder über seine eigenen Vorstellungen spricht, brauchen wir auch nicht über richtig und falsch zu werweisen. Jeder nimmt, was ihm nützt - und auch darin mögen wir verschieden sein.

Ich lade Sie ein, über Ihre (Seminar-)Projekte zu sprechen. Ich selbst werde die Hyperkommunikation als Anwendung der Systemtheorie vorstellen und dabei auch über verschiedene Kommunikationstheorien sprechen.


Inhalt und Aufbau




        

Gegenstand dieser Lernveranstaltung ist die Wahrnehmung der Wahrnehmung und die Organisation der Um-Welt. G. Bateson hat in "Geist und Natur" postuliert, dass unser Geist (mind) als Produkt der Natur so beschaffen sei, dass er das generelle Muster (pattern), dem die Natur folge, selbstbezüglich wiedererkenne. Die Systemtheorie liefert dafür eine einfache kulturelle Explikation: ich kann Systeme wahrnehmen und ich kann mich selbst als System wahrnehmen.

Mittels der Systemtheorie erkläre ich mir, was Systeme sind und wie sie operieren. Insofern ich mich selbst als System wahrnehme, spreche ich mit der Systemtheorie auch über mich. In diesem Sinne ist der Kurs auch ein Selbstwahrnehmungskurs. Er beschreibt mich aber nicht von aussen, also nicht, wie ich aussehe oder was ich bin, er beschreibt das, was ich von innen heraus als meine Um-Welt wahrnehme. In diesem Sinne wird im Kurs die Welt beschrieben. Meine Um-Welt wi(e)derspiegelt mich.

Die Systemtheorie hat quasi verschiedene Objektivitätsebenen, eigentlich verschiedene Objektbereiche. Ich kann anhand der Systemtheorie verallgemeinern wie Maschinen funktionieren. Maschinen sind eigentliche Objekte, die ich im Prinzip (Gattungswissen) herstellen kann. Ueber Maschinen weiss ich in einem spezifischen Sinn Bescheid, ich kenne ihre Funktion und ihre Konstruktion. Dann kann ich anhand der Systemtheorie das Funktionieren als solches verallgemeinern, also das Funktionieren irgendwelcher Entitäten oder Gegenständen wie Lebewesen oder Institutionen beschreiben. Natürlich kenne ich die Funktion eines Lebewesens nicht, aber über die Funktionsweise kann ich trotzdem Aussagen machen. Dann kann ich darüber Aussagen machen, wie meine Wahrnehmung funktioniert und so darüber sprechen, wie Objekte überhaupt in meine Wahrnehmung kommen, respektive darüber wie ich erkennen kann. Da immer ich spreche, ist alles subjektiv. Wenn ich über Maschinen spreche, ist das, was ich sage, in dem Sinne objektiv, dass ich die Objekte herstellen kann.

Der Kursgegenstand ist zirkulär: Das System ist eine Leistung des Beobachters und der Beobachter ist ein System. In dieser Hinsicht kann es also weder einen plausiblen Anfang noch einen plausiblen Aufbau für den Kurs geben. In diesem Kurs erscheinen Systeme generell als Konstruktionen. Entwicklungslogisch gesehen geht es um die Rekonstruktion der Konstruktion oder konstruktivistischer formuliert, darum, wie ich meine Welt konstruiere. Soweit der Kurs ein Konstruktionskurs ist, beginnt er genetisch-logischerweise mit einfachen mechanischen Konstruktionen.

Konstruktion kann man als technologischen Ausdruck begreifen. Die technologisch entwickelsten Konstruktionen nenne ich Automaten. Kulturell sehe ich zwei verschiedenen Formen, in welchen ich über die Funktionsweise von Automaten sprechen kann: ich kann quasi als Ingenieur, respektive als konstruierender Beobachter oder als Mathematiker sprechen. Das heisst, ich kann konstruktiv oder formal sprechen, also die Mechanismen beschreiben oder mathematische Formeln verwenden. Dementsprechend beginnen verschiedene Darstellungen der Systemtheorie verschieden. Unter iner bestimmten Perspektive beginnen alle Darstellungen mit einer formalen Operation des Beobachters, die Unterscheidung genannt wird. G. Spencer-Brown sagte: "Draw a distinction!" (Anmerkung). Dieser Kurs ist konstruktiv, ich sage: "Entwerfe ein Prozessor-System!"

Ich werde also zuerst die Konstruktion des Systems erläutern. Aber davor sage ich natürlich, in welchen Situationen ich überhaupt Konstruktionen mache und wozu. Ich sage also zuerst, wie ich die Systemtheorie, die ich entwickle, quasi als Voraussetzung dieser Entwicklung verstehe. Schliesslich werde ich einige Implikationen des Radikalen Konstruktivismus auf die Systemtheorie zurückführen und pragmatisch deuten, was gleichzeitig eine Kritik von alternativen Ansätzen in der Systemtheorie beinhalten wird.

Ein vordergründiges oder oft genanntes Ziel der Systemtheorie ist eine universelle Terminologie. Im vorliegenden Fall geht es gerade nicht um solche universelle Bemühungen, sondern im Gegenteil vor allem darum, Sprache und deren Ausdrücke als perspektivisch und subjektiv zu verstehen. Ich will mir meine Sprache bewusst machen, ich strebe nicht danach, dass andere Menschen auch so sprechen. Mein Ziel ist eine "dialogische" Erkenntnis, in welcher ich meine eigene Sprache an Ausdrucksweisen von andern Menschen refklektiere: "Du machst mir bewusst, dass ich so spreche, weil Du anders sprichst". Im Radikalen Konstruktivismus lebt nicht nur jeder in einer eigenen Kultur, jeder spricht auch in einer eigene Sprache über seine Welt. Oder um mit J. Piaget zu sprechen: Konstruiere Deine eigene sprachliche Realität!


 


Metatheorie

Als Metatheorie bezeichne ich pragmatische Erläuterungen über eine Theorie. Im vorliegenden Fall erläutere ich, was ich als Konstruktive Systemtheorie bezeichne. Später werde ich diese pragmatischen Erläuterungen innerhalb der Theorie aufheben. Die theoretische Begründung kann ich aber - in einem zirkulären Sinn - erst geben, wenn ich die Theorie bereits entwickelt habe.

          


Vereinbarung: Konstruktive Systemtheorie

Die Konstruktive Systemtheorie ist eine Systemtheorie 2.Ordnung, in welcher Systeme als Konstruktionen aufgefasst werden.

Systemtheorie 2.Ordnung

Konstruktive Systemtheorie
                    


Natürlich gibt es Alternativen zur Konstruktive Systemtheorie. Ich werde einige davon - insbesondere die Luhmann'schen Versionen - später kritisieren.


Ich betrachte Konstruktive Systemtheorie als Eigenname, deshalb verwende ich die Redeweise: "Die Konstruktive Systemtheorie ist eine ..." Im generellen versuche ich diese "ist eine"-Redeweise zu vermeiden. Und ausserdem könnte es konstruktive Systemtheorien geben, die nicht so heissen und die nicht Teilmengen von Systemtheorien 2.Ordnung sind.

Und mit dem Ausdruck "Vereinbarung" meine ich nicht, dass Sie das auch so halten sollten. Ich verwende den Ausdruck technologisch und meine damit lediglich, dass ich die Wörter so brauchen werde.


Vereinbarung: Systemtheorie 2. Ordnung

Systemtheorien 2. Ordnung nenne ich Systemtheorien, in welchen der Beobachter, der die Systemtheorie äussert, als ein sich selbst beschreibendes "System" aufgefasst wird.

Systemtheorie

Systemtheorie 2.Ordnung

Konstruktive Systemtheorie
                    
 
Nicht jede Systemtheorie ist eine Systemtheorie 2. Ordnung und nicht jede Systemtheorie 2. Ordnung ist eine konstruktive Systemtheorie. Das drücke ich durch diese begriffliche Schema aus, das Definitionen repräsentiert.

Der Ausdruck "2. Ordnung" stammt in dieser Verwendung von Heinz von Foerster (zB. 1997:285f), der ihn synonym zu Cybernetics of Cybernetics verwendet. Gemeint ist die bewusste Selbstbezüglichkeit der Aussagen von Systemtheoretikern.

"Systemtheorie 2. Ordnung" betrachte ich nicht als Eigenname, deshalb verwende ich die vereinbarende Redeweise: "Systemtheorie 2. Ordnung nenne ich ...". Der Ausdruck "2. Ordnung" wird auch innerhalb der Systemtheorien in beliebigen Variationen verwendet. Hier soll er eine bestimmte selbstbezügliche Auffassung bezeichnen.


Vereinbarung: Systemtheorie

Systemtheorien nenne ich Theorien, in welchen Systeme als generalisierte Erklärungen verwendet werden. Systemtheorien beschreiben die Funktionsweise von Systemen und mithin auch, was als System in Frage kommt. Verschiedene Systemtheorien verwenden natürlich auch verschiedene System-Begriffe.

Theorien

Systemtheorie

Systemtheorie 2.Ordnung
Konstruktive Systemtheorie

 
Jede Systemtheorie ist ein Theorie,
aber nicht jede Theorie ist eine Systemtheorie!

Die Einordnung, die ich hier vorschlage, ist einerseits trivial, weil sie der Wortkomposition von System und Theorie entspricht. Sie hat aber begriffliche Konsequenzen, die nicht nur dem Alltagsverstand oft zu weit gehen.

In definitorischen Vereinbarung erläutere ich die Sache nicht, ich hebe nur Aspekte der logischen Einordnung hervor. Die Sache selbst muss schon irgendwie bekannt sein, damit die Einordnung nachvollzogen werden kann. Wer lediglich erfährt, ein Fisch sei ein Wirbeltier mit Schwimmblase, der kennt noch lange keinen Fisch (Holzkamp 1976:21). Die Einordnung gibt aber wesentliche Perspektiven auf die Sache. Wenn ich die Systemtheorie als spezielle Theorie begreife, mache ich auch Implikationen über die Funktion von Theorien insgesamt.


Theorie

Theorien nenne ich Argumentationen, in welchen eine Erklärung eines Phänomens auf ein anderes Phänomen übertragen wird. Eine Theorie erläutert beispielsweise inwiefern das Phänomen "Funke", das ich mittels einer elektrischen Batterie erzeuge, und das Phänomen "Blitz eines Gewitters" in dem Sinne "analog" sind, dass das konstruktive Prinzip der Batterie - eben theoretisch - auch den Blitz erklärt. Systemtheorien machen diese "Analogie", indem sie die Phänomene auf Systeme zurückführen.

Hier geht es nur darum "Theorie" begrifflich einzuordnen. Ein operatives Verständnis von Theorie werde ich später entwickeln, indem ich die Theoriebildung erläutere.

Argumentation

Theorie       (bestimmte Argumentationen sind Theorien)

Systemtheorie       (bestimmte Theorien sind Systemtheorien)
 

Damit ich eine Argumentation als Theorie auffasse, muss sie nicht nur ihren Gegenstand begreifbar machen, sie muss auch eine Vorstellung von Theorie enthalten, der sie selbstbezüglich entspricht. Eine Theorie muss quasi ausdrücken, inwiefern sie eine Theorie ist. Die hier genannten Kriterien sind hier natürlich tautologisch, weil die vorliegende Systemtheorie eine eigentliche Explikation dieser Kriterien darstellt. Es ist das Wesen der Systemtheorie eine Uebersetzung auf andere Phänomenbereiche zu leisten, weil der Systemtheoretiker immer Systeme wahrnnimmt, die analog zu andern Systemen sind.

   

Man kann sich etwa fragen, inwiefern die Evolutionstheorie - die gemeinhin C. Darwin zugeschrieben wird, obwohl er sie von A. Wallace abgeschrieben hat - eine Theorie ist, die den hier genannten Kriterien genügt. Es geht mir hierbei nicht um die Adäquatheit der Evolutionstheorie, sondern um der formalen Charakter, also darum, welche Phänomene anhand welcher Mechanismen erklärt werden.

Die Evolutionstheorie erklärt biologische Entwicklungen anhand von Zuchtmechanismen. Auf der naivsten Ebene betrachtet begünstigt die Natur die besten Tiere mit mehr Nachkommen, so wie der Tierzüchter seine besten Tiere zur Zucht verwendet. Der Mechanismus ist ein Züchter und die Natur wird mit dem Züchter analogisiert, wie der Blitz mit dem Funken einer Batterie.

Als Beobachter kann ich C. Darwin als jemanden sehen, der über die natürliche Entwicklung der Tierarten Aussagen macht. Ich kann auch sehen, inwiefern er über sich selbst spricht, wie also seine Theorie auch Aussagen über ihn macht. C. Darwin hat den Selektionsmechnismus, den A. Wallace entdeckt hatte, als seine eigene Entdeckung publiziert und bekannt gemacht. Er hat damit quasi bewiesen, dass der Sozialdrwinismus recht hat: C. Darwin war kraft seiner Aemter in der Royal Society viel "fitter" als der Hungerleider A. Wallace. Deshalb ist er berühmt geworden, obwohl A. Wallace die Entdeckung gemacht hatte.

Natürlich wird auch der Ausdruck "Theorie" von verschiednen Menschen beliebig verwendet. In der Autofahrschule wird von einer Theorieprüfung gesprochen, wo es darum geht einige Verkehrsregeln zu kennen. In einigen Wissenschafts"theorien", die selbst keine Hypothesenbündel sind, werden Hypothesenbündel als Theorien bezeichnet (etwa K. Popper). A. Einstein nannte ein Bündel von verifizierbaren Hypothesen, die auf der empirisch begründeten Annahme einer konstanten Lichtgeschwindigkeit beruhen, Relativitätstheorie. Er sagte aber so wenig wie die Fahrschulexperten etwas darüber aus, was eine Theorie ist und inwiefern die Relativitätstheorie eine Theorien ist. Im Alltag werden oft irgendwelche Argumentationen "Theorie" genannt. Theorie wird oft als "nur über etwas reden" einer Praxis gegenübergestellt, "wo auch etwas gemacht wird". In solchen Kontexten wird der Ausdruck "Theorie" oft abschätzig verwendet.


Argumentation

Argumentation nenne ich eine Aussage, die Feststellungen und Argumente enthält.

Beispiel:      

X = Y, weil Z
Feststellungen: X und Y existieren, zwischen ihnen besteht eine Relation
Argument: Z

Ich kann etwa sagen, dass ein Blitz ein Funke ist. Damit mache ich einerseits die Behauptung, dass Blitze und Funken existieren, und andrerseits die Behauptung, dass zwischen ihnen eine Verwandtschaftsrelation ("ist ein") besteht. Die Verwandtschaft kann ich mit Argumenten (typischerweise weil-Sätze) begründen, etwa damit, dass in beiden Fällen elektrische Spannung im Spiel ist.

Argumentationen kann man verwenden, um Menschen zu überzeugen. In der 2. Ordnung beobachte ich mich beim Argumentieren. Meine eigenen Argumentationen dienen mir als empirisches Material dafür, wie ich mit den Wörtern umgehe, und mithin mit welchen Unterscheidungen ich meine Um-Welt wahrnehme.


Aussage

Als Aussage bezeichne ich eine Menge von - geschriebenen oder gesprochenen - Worten, die ich einer generierenden Grammatik zuordnen kann. Jede Aussage stammt von einem Beobachter und ist das Produkt einer Sprachhandlung.

Was eine Aussage ist, habe ich mit dieser Formulerung nicht definiert, sondern als Wurzel eines Begriffsbaumes eingeführt. Die beiden Bestimmungen "ist ein Produkt (stammt von)" und "besteht aus" betrachte ich definitorisch als notwendig, aber nicht als hinreichend, weil ein Oberbegriff fehlt. Ich werde später zeigen, dass die Grammatik operativ bestimmend ist.

Alles, was hier über Aussage gesagt wird, wird im Begriffsbaum vererbt: Da die Konstruktive Systemtheorien in diesem Sinne eine Aussage ist, ist sie natürlich auch des Produkt einer Sprachhandlung eines Beobachters.


   

Aussage

Argumentation

Theorien

Systemtheorie

Systemtheorie 2.Ordnung

Konstruktive Systemtheorie

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Nachdem ich jetzt pragmatisch umschrieben habe, was ich Systemtheorie nenne, werde ich eine dementsprechende Systemtheorie entwickeln. Ich beginne mit einer Darstellung in der 1. Ordnung, die ich später in der 2. Ordnung reflektieren werde. In der ersten Ordnung spreche ich über Dinge, die Sie - wenn Sie beispielsweise die Vorlesung von Rene Hirsig oder eine andere halbwegs begriffliche Systemtheorie gehört haben - schon kennen, aber ich verwende natürlich eigene Formulierungen, die auf einer spezifischen Perspektive oder eben auf bestimmten Unterscheidungen beruhen, die ich explizit machen werde.


 


Systemtheorie 1. Ordnung

Ich sagte schon, dass Systemtheorie ein Allerweltswort sei, noch viel mehr gilt das für den Ausdruck "System", der ja nicht nur in Systemtheorien, sondern auch als Eigennamen für ganz viele Geräte und Anlagen verwendet wird. In den meisten Fällen wird der Ausdruck "System" als Fremdwort für Ding verwendet. Jedes Ding heisst nobel gesprochen System. Dazu passen viele landläufige Pseudo-Definitionen von System, etwa: "Ein System ist etwas, was eine Systemgrenze und eine Umwelt hat" oder etwas akademischer formuliert: "Als System bezeichnen wir eine willkürlich abgegrenzte Gesamtheit von Elementen, die zueinander, zum Ganzen und in der Regel auch zur Umwelt in Beziehung stehen" (Hirsig, Vorlesungsfolien). Oder ein System ist etwas, was mehr ist als die Summe seiner Teile. Solche Definitionen sind so allgemein, dass sie nichts - und damit natürlich auch nichts falsches - sagen. Man wird angesichts solcher "Definitionen" kein Ding finden, das nicht auch ein System ist.

Ein gewöhlicher Stuhl beispielsweise besteht aus vier Beinen, einer Sitzfläche und einer Lehne. Es handelt sich also um eine abgegrenzte Gesamtheit von Elementen, die in einer Beziehung stehen. Und natürlich ist ein Stuhl mehr, als die Holzstücke, aus welchen er besteht, und irgendwie wird er auch zu seiner Umwelt in Beziehung stehen und sei es nur, dass er auf dem Boden steht. Ueber Stühle wird in der Systemtheorie aber sehr selten gesprochen, ich glaube vor allem, weil sie kein modellierbares Verhalten zeigen. Und wenn etwas in allen Systemtheorien vorkommt, dann ist es eine Art von rekonstruierbarem Verhalten.

Wenn Systeme sich irgendwie verhalten können, muss in einer nur etwas eingrenzenden Definition etwas über dieses Verhalten stehen. So kann man etwa sagen: "Systeme erhalten sich selbst" oder "Systeme halten ein stabiles Gleichgewicht aufrecht". Akademischer kann man sagen: "Die Elemente des Systems stehen miteinander und mit den Elementen der Umwelt in Wirkungsbeziehungen, die in Form gerichteter Wirkungsgrössen, den sogenannten Variablen, zu beschreiben sind" (Hirsig, Vorlesungsfolien). Mit solchen - auch immer richtigen - "Definitionen" sind wenigstens Dinge wie Steine und Gegestände wie Stühle ausgeschlossen. Mit diesen etwas eingrenzenderen "Definitionen" unterteile ich die Welt in Dinge, die sich irgendwie verhalten und in Dinge, die sich nicht verhalten können. Ein Hammer macht nichts, eine Maschine dagegen schon. Dinge, die sich verhalten, bilden um eine Teilmenge der Dinge (6).

System-Definitionen mit Dingcharakter produzieren ein spezielles Problem: Man kann beispielsweise sagen, ein Kühlschrank oder ein Biotop sei ein System. Dann kann man darürber streiten, ob der Kühlschrank selbst oder nur eine spezielle Auffassung vom Kühlschrank, die Variablen enthält und die ich im Kopf habe, das System sei. Das ganze wird noch etwas komplizierter, wenn man von einem Modell von einem System spricht. Dann muss man auch noch entscheiden, ob das Modell auch nur im Kopf ist, oder ob es eine materielle Repräsentation des Systems im Kopf ist, usw. Mit solchen Fragen beschäftigen sich die Philosophen unter den Systemtheoretikern. Mindestens implizit sind solchen Fragen aber natürlich in jeder Definition angesprochen. Oder was stellen Sie sich vor, wenn Sie von einer "abgegrenzten Gesamtheit" hören?


Definition und Begriff

Natürlich werde ich - im Rahmen einer Systemtheorievorlesung - sagen, wie ich den Begriff "System" definiere. Davor will ich aber etwas über das Definieren von Begriffen selbst sagen.

Oberbegriff

Unterbegriff
durch ein Kriterium spezifiziert

Ich definiere Definitionen als Beschreibungen, die einen Oberbegriff und ein Kriterium einführen. Ich definiere beispielsweise Tiger als Katze (Oberbegriff) mit gesteiftem Fell (Kriterium). Das heisst, jeder Tiger ist eine Katze, aber nur die Katzen mit gestreiftem Fell sind Tiger. Ein selbstbezügliches Beispiel ist meine Definition von Definition: Definitionen sind Beschreibungen (Oberbegriff), die einen Oberbegriff und ein Kriterium einführen (Kriterium).

Mit Definitionen bestimme ich also, welche Gegenstände ich wie zusammenfasse. Katzen etwa kann ich zusammen mit zusammen Hühnern und Forellen als Tiere sehen oder zusammen mit Hunden und Tischen als Vierbeiner. Wenn ich Katzen als Raubtiere definiere, verwende ich bestimmte Unterscheidungen, die ich theorertisch begründen kann. Die Definition wird dadurch aber nicht richtig oder wahr, sondern lediglich kohärent und viabel. Sie dient mir beim Ordnen von Dingen, die ich auch anders ordnen könnte.

Als Begriffe bezeichne ich Ausdrücke, die als Er-Satz für Definitionen stehen. "Tiger" ist in diesem Sinne ein Ersatz für den Satz "Katze mit gestreiftem Fell".

Ich werde also meine Definition von System vorstellen. Meine Definitionen sind Ausdrücke meines Denkens. Sie repräsentieren meine Unterscheidungen, nicht Dinge an sich. Mit meinen Definitionen sage ich, wie ich die Dinge ordne. Ueberlegen Sie, wie Sie "System" definieren. Am besten schreiben Sie ihre Definitionen auch auf. Dann können wir später untersuchen, auf welchen Unterscheidungen sie beruhen. Ich mache für die Vorstellung der Definition, die ich verwende, einen kleinen Umweg:


Ein Phänomen

Etwa 100 Jahre nach Christi Geburt konnte man in Alexandria (oder wenigstens in einem Buch von Heron, der in Alexandria lebte) einen Tempel sehen, dessen Türen sich wie von Geisterhand geführt öffneten, wenn der Priester die Götter beschwörte und das Feuer vor dem Tempel anzündete. Ich glaube, die meisten Alexandrier hatten kein Problem damit, einige werden sich aber sicher gefragt haben, wie das funktioniert; sie suchten nach einer Erklärung und machten genau damit die sich öffnenden Türen zu einem Phänomen.

Als "Phänomen" bezeichne ich etwas, wofür ich als Beobachter eine Erklärung suche. Quasi-etymologisch steckt im Ausdruck Phänomen, dass es um eine Erscheinung von etwas anderem geht, und mithin, dass man gerne wüsste, was so erscheint.

Nun, wie lässt sich das Phänomen mit den Tempeltüren erklären?


Erklärungen

Nicht nur alte Griechen fragen nach Erklärungen. F. Nietze sagte: "Der Mensch erträgt fast jedes Was, solange er ein Warum hat." In gewisser Hinsicht lässt sich die ganze Wissenschaft als Suche nach Erklärungen verstehen.

In einer Erklärung zu unserem Tempel kann beispielsweise stehen, dass man die Götter durch ritualisiertes Anrufen beschwören muss: "Rufe abrakadabra und schau genau auf die Türe, die sich öffnen soll! Wenn Dich die Götter erhören, öffnen sie die Tür." Bei den Priestern funktioniert das, weil sie von den Göttern erhört werden. Diese Erklärung macht wie jede Erklärung einige Implikationen, etwa dass es Götter gibt. Wenn es Götter gibt, die den Priestern helfen, dann ist das eine mögliche Erklärung. Sonst nicht. Ob ich eine Erklärung akzeptiere, hängt von mir ab. Ich kann sogar Erklärungen akzeptieren, die bei mir nicht funktionieren, weil mir die Götter nicht helfen.

Eine weitere mögliche Erklärung dafür, dass sich die Tempeltüren öffnen, wäre etwa, dass versteckte Sklaven die Türen öffnen. Dabei würde man voraussetzen, dass es im Tempel Sklaven gibt, und dass man beschreiben kann, was sie tun und warum man sie nicht sehen kann. Da ich die Sklaven nicht sehen kann, hängt es auch bei dieser Erklärung von mir ab, ob ich sie akzeptiere (7).

Zu jedem Phänomen gibt es beliebig viele Erklärungen, wobei verschiedene Erklärungen das Phänomen quasi rückwirkend auch verschieden bestimmen. Das Phänomen mit der Tempeltüre könnte ich damit erklären, dass der Priester die Zuschauer hypnotisiert, so dass sie sich einbilden, dass sich die Türen öffnen. Da sich in diesem Fall die Türen gar nicht öffnen, braucht es natürlich auch keine Erklärung dafür, dass sie sich öffnen. Es braucht aber eine Erklärung dafür, weshalb ich Dinge sehe, die es nicht gibt. Und das würde eben durch Hypnose "erklärt", wobei aber natürlich auch das Phänomen ganz neu gesehen wird. Ich kann auch beschreiben, wie ich selbst funktionieren muss, um eine bestimmtes Phänomen überhaupt wahrzunehmen. Darüber werde ich später mehr schreiben.

Als eigentliche Erklärungen akzeptiere ich Beschreibungen von Verfahren, die ich zur Erzeugung derjenigen Phänomene verwenden kann, die ich erklären will. Um die Tempeltüren zu öffnen, kann ich unter anderen das Verfahren "Götterbeschwörung" oder das Verfahren "Skalven verstecken" verwenden. Weil Erklärungen Beschreibungen sind, kann ich mit einer Erklärung die Tempeltüre nicht öffnen, ich muss das in der Erklärung beschriebene Verfahren anwenden, damit sich die Türe öffnet. Kochrezepte sind typische Beschreibungen von Verfahren. Normalerweise werden sie nicht als Erklärungen verwendet, aber sie erklären, wie das beschriebene Essen zustande kommt. Ich esse nicht die Rezepte, sondern das Essen.

Im Alltag bin ich sehr oft mit impliziten Erklärungen zufrieden: Ich sehe etwa einen jungen Mann und eine ältere Dame zusammen im Tearoom sitzen und frage mich, inwiefern die zusammenpassen. Jemand sagt mir, dass das seine Grossmutter ist und ich sage "aha". Das Wort "Grossmutter" erscheint als quasi-Erklärung. Warum? Es gibt - im meinem Kopf zumindest - ein Regel, wonach junge Männer mit älteren Damen ins Cafe sitzen, dann und nur dann, wenn die ältere Dame ihre Grossmutter ist oder wenn sie extrem reich und verführbar ist. Wenn ich höre, dass die Dame die Grossmutter ist, kenne ich eine hinreichende Bedingung, unter welcher das Phänomen überhaupt auftreten kann. Es ist aber natürlich keineswegs so, dass ein junger Mann mit seiner Grossmutter ins Cafe gehen muss. Wenn ich wissen möchte, weshalb die beiden zusammen im Cafe sitzen, dann brauche ich eine wirkliche Erklärung. Eine mögliche Erklärung wäre etwa: Die Grossmutter hat Geburtstag und der junge Mann will ihr eine Freude machen und lädt sie zu Cafe und Kuchen ein. Dann finden die beiden einen genehmen Zeitpunkt und gehen ins Cafe. Und dann kann ich sie dort sehen, und mich fragen, wie das wohl gelaufen ist (8).


Die konstruktive Erklärung

Heron von Alexandria - der dafür von den Göttern naturgemäss mehr geliebt wurde als von den Tempelhütern - erklärt das Phänomen, dass sich die Tempeltüre öffnet, wenn davor ein Feuer entfacht wird, mit einer unterirdischen Maschine, in welchem eine durch das Feuer geheizte Dampfmaschine mit Seilen die Türen bewegen. Da die Normalsterblichen unter den alten Griechen weder allgemein mit Technik gesegnet waren, noch unter den Tempel schauen konnten, lag es an ihnen, ob sie diese Erklärung akzeptierten. Und ich muss auch abschätzen, ob die alten Griechen Tempeltüren wirklich so bewegen konnten.

Ich kann auch nicht unter den Tempel schauen, weil er mittlerweile nicht mehr existiert. Ich kann aber prüfen, ob der Mechanismus seine Funktion erfüllen würde, also ob ich mit diesem Mechanismus das Phänomen erzeugen könnte. Das ist die spezifische Qualität der konstruktiven Erklärung. Ich kann ausserdem anhand der Konstruktion weitere Aspekte des Phänomens ableiten und prüfen, ob diese neuen Aspekte beim zu erklärenden Phänomen auch vorhanden sind.

Konstruktive Erklärungen beschreiben eine Konstruktion, mit welcher ich das Phänomen erzeugen kann. Auch die konstruktive Erklärung ist eine Beschreibung, es handelt sich aber um eine Beschreibung, mit welcher ich einen Mechanismus abbilde, den ich anstelle der Beschreibung herstellen und zeigen könnte. Wenn ich in meiner Erklärung "Götter" verwende, kann ich allenfalls deren Wirkung, aber nicht sie selbst zeigen. Deshalb sind konstruktive Erklärungen für mich sozusagen intimer, näher bei mir.

Wenn ich eine Maschine herstelle, will ich normalerweise nicht etwas erklären, sondern einen praktischen Zweck erfüllen. Heron's Maschine soll beispielsweise die Türen eines Tempels automatisch öffnen, wenn das Feuer angezündet wird. Vielleicht liegt der Zweck der Maschine auch darin, den alten Griechen etwas vorzumachen. Diese Maschine soll sicher nicht etwas erklären, sondern allenfalls vielmehr etwas verklären.

Wenn ich erklären will, weshalb diese Türen aufgehen, muss ich die Maschine natürlich nicht herstellen, ich muss nur beschreiben, wie ich oder "man" diese Maschine konstruiert haben könnte. In einer Erklärung beschreibe ich die Maschine auch nicht so, dass man sie herstellen kann, sondern so, dass man ihre Funktionsweise konstruktiv und operativ nachvollziehen kann. Ich beschreibe also nicht alle Aspekte der Maschine, sondern vor allem die Funktionsweise und was für deren Verständnis nötig ist.


Die Blackbox

In der psychologischen Wissenschaftsgeschichte gibt es es den Ausdruck "Blackbox", mit welchem Behavioristen wie B. Skinner und I. Pawlow ausdrückten, dass sie sich nur mit beobachtbarem Verhalten befassen wollten. I. Pawlow zeigte, dass sein Hund Reize assozieren konnte, wie sein Hund das machte, war für I. Pawlow keine wissenschaftliche Frage. Die Ingenieure verwenden den Ausdruck "Blackbox" für klar definierte Funktionseinheiten. Sie wissen natürlich, was in der Blackbox ist, aber wenn die Blackbox funktioniert, interessierten sie sich nicht dafür.

Ich spreche von einer Blackbox, wenn ich ein Phänomen mit einem Mechanismus erkläre, ohne prüfen zu können, wie das Phänomen tatsächlich zustande kommt. Selbst die Griechen, die das Buch von Heron kannten, wussten deshalb natürlich noch nicht, weshalb sich die Türen eines bestimmten Tempels wirklich öffneten. Dazu hätten sie unter den Tempel sehen müssen. Blackbox nenne ich also den Platzhalter einer konstruktiven Erklärung. Meine Konstruktion ist eine Hypothese dafür, was in der Blackbox sein könnte.

Von einer Blackbox im engeren Sinne spreche ich, wenn ich dem Phänomen eine Funktion (x=(f)y) zuweisen kann, die ich experimentell bestimmen kann. Beim Tempel etwa kann ich das Feuer beliebig oft und zu verschiedenen Zeiten anzünden und schauen, ob sich die Türen jedesmal öffnen. Wenn ich unter dem Tempel die Maschine von Heron vermute, kann ich anstelle des Feuers etwa testen, ob sich die Türen auch mit einer andern Form von Wärme öffnen lassen. Ich könnte etwa heissen Dampf in die Feuerstelle pumpen, was die gleiche Wirkung wie das Feuer haben müsste. Wenn sich die Türen so nicht öffneten, wüsste ich, dass ein anderer Mechanismus als Heron's Maschine in der Blackbox sein muss. Würden sich die Türen dagegen auch unter Dampf öffnen, wäre das natürlich noch kein Beweis für das Vorhandensein genau dieser Maschine. Es wäre nur ein gescheiterter Versuch der Widerlegung. Das ist im Falsifikations-Prinzip von K. Popper ausgedrückt.

    

Natürlich müsste ich dazu mit dem Tempel experimentieren dürfen. Beim Tempel mag das vielleicht noch angehen, aber es gibt viele Phänomenträger, bei welchen ich entweder nicht experimentieren kann oder aus moralischen Gründen nicht darf. Ich kann aber natürlich mit meinem Mechanismus experimentieren und so das Phänomen simulieren. So kann ich auch genauer festlegen, was ich überhaupt als Phänomen betrachte.


Das System

Als System bezeichne ich einen Mechanismus genau dann, wenn ich ihn in einer Erklärung verwende. Als deutender Beobachter nehme ich in diesem terminologischen Sinne keine Systeme, sondern Phänomene wahr. Systeme sehe ich als erklärender Beobachter, also nachdem ich die Perspektive gewechselt habe, weil ich eine Erklärung suche oder mich für eine Funktionsweise interessiere.

Mit meinem System-Begriff vertrete ich zwei Positionen, von denen ich meine, dass sie im Prinzip sehr weit verbreitet sind, aber üblicherweise nicht so formuliert werden. Erstens sage ich, dass Systeme nur in Erklärungen vorkommen und zweitens sage ich, das Systeme Konstruktionen repräsentieren.

Diese Verortung des Ausdruckes ermöglicht mir eine begrifflich klare Definition von System. Ich kann so nämlich definieren, was ein Mechanismus ist und angeben, in welchen Fällen, ich den Mechanismus System nenne. Ich werde also im folgenden erläutern, was ich als System bezeichne, indem ich die Konstruktion des Mechanismus rekonstruiere. Ich will hier nur noch darauf hinweisen, dass A. Turing's universell gemeinter Algorithmus Turing-Maschine heisst und H. Maturana Lebewesen "autopoietiesche Maschinen nennt. Und last but not least heisst der Konstruktivismus und der Radikale Konstruktivismus - wenn auch weitgehend unbewusst - eben Konstruktivismus, was auch auf Konstruktionen verweist.


Die Konstruktion

Konstruktion nenne ich sowohl das Verfahren, in welchem Artefakte zu einem Artefakt höherer Ordnung zusammengefügt werden, als auch das Artefakt, das aus diesem Prozess hervorgegangen ist. Anschauliche Beispiele sind etwa Konstruktionen wie der Eifelturm, bei welchen elementare, nicht weiter zerlegbare Artefakte wie Stahlträgern und Schrauben zu einen übergeordneten Produkt zusammengefügt werden. Als deutender Beobachter nehme ich Konstruktionen immer in einem funktionalen Zusammenhang wahr, weil Konstruktionen einen Sinn haben. Die Funktion zeigt sich in der Verwendung der Konstruktion. Als konstruierender Beobachter nehme ich konstruktive Aspekte wahr. Ich nehme wahr, wie die Sache konstruiert ist. Und wenn die Konstruktion ein Verhalten zeigt, nehme ich dren Funktionsweise wahr. Viele Konstruktionen verstehe ich retrospektiv als eine Art Auslagerung von Handlungsbestandteilen. Der Webstuhl etwa repäsentiert Operationen, die ich ohne Webstuhl von Hand machen üsste.

Im Artefakt ist das Herstellen noch ganz allgemein gemeint. Wenn ich einen Hammer oder einen Faustkeil herstelle, antizipiere ich - wenn auch sehr sehr unvollständig - , was ich später mit diesen Werkzeugen machen kann und will. Dabei antizipiere ich Handlungen von mir, weil das Werkzeug selbst nicht operiert. Wenn ich dagegen entwickeltere Werkzeuge, also Maschinen und Automaten herstelle, antizipiere ich Operationen, die objektiv, also unabhängig von mir sind. Bei solchen Artefakten bekommt das Herstellen einen spezifischen Charakter, den ich mit dem Ausdruck Konstruieren eigentlich meine.

Was ich konstruiert habe, habe ich in einem ganz spezifischen Sinn verstanden. Ich kann die Sache etwa hinreichend darstellen, weil ich weiss, was man zur Konstruktion wissen muss. Insbesondere habe ich natürlich auch eine spezifische Vorstellung der Funktionsweise, da die Konstruktion auf diese ausgerichtet ist. F. Bacon sagte: Verstehen heisst herstellen. Ich sage viel weniger: Konstruieren heisst verstehen. Jedes Konstruieren impliziert ein Art von Verstehen, aber nicht jedes Verstehen zeigt sich als Konstruktion im engeren Sinn. Ich erkenne auch andere Arten von verstehen, so wie es auch nicht-konstruktive Erklärungen gibt. Im Ausdruck "Konstruktivismus" steckt die epistemologische Vorstellung, dass das Konstruieren ein operationales Verstehen ist.

           


Der Automat

Der umgangssprachliche Ausdruck "automatisch" steht quasi-etymologisch für "von selbst". Die vom Wetter unabhängig konstante Raumtemperatur in meiner Wohnung scheint sich von selbst einzustellen, wie sich Heron's Tempeltüren scheinbar von selbst öffnen. Dieses "von selbst", das ich durch fragen zum Phänomen machen kann, repräsentiert in der Technik eine Maschine oder im entwickelteren Fall einen Automaten.

Eigentliche Maschinen werden durch Energie angetrieben, die nicht wie bei Werkzeugen vom benutzenden Menschen stammt. Herons Tempeltüröffner ist eine typische Maschine, die mit  Feuer angetrieben  und  vom Priester gesteuert  wird. Der Priester bestimmt, wann die Dampfmaschine heizt und so die Türen öffnet.

    

Als eigentliche Automaten bezeichne ich Maschinen, die durch einen Regelungsmechanismus gesteuert werden. Die thermostatengeregelte Heizung ist ein typischer Automat, der auch mit "Feuer angetrieben" ( Heizung ) und mittels eines konstruierten Mechnanismus, eben dem  Thermostaten  gesteuert wird. Die Heizung "merkt" selbst, wann sie heizen muss.

Mit Automaten kann ich kann ich komplexere Phänomene konstruktiv erkären als mit Maschinen, weil in Automaten eben auch die Regelung konstruiert ist. Mit einer nicht geregelten Heizung, muss in der Erklärung einer konstanten Raumtemperatur ein Mensch vorkommen. Den Menschen habe ich aber natürlich im konstruktiven Sinn nicht verstanden. Was der die Temperatur regelnden Mensch in diesem Falle macht, kann ich rückwirkend quasi konstruktiv bestimmen, wenn ich eine geregelte Heizung kenne. Konstruktiv zeichnen sich Automaten durch  eigenständige Energiekreise , die nur der Regelung dienen.Mit Automaten kann ich "geregelte" Phänomene erklären, weil sie auf Bedingungen reagieren können.

Ich spreche in diesem Kurs über konkrete Automaten, weil ich so die relevanten Begriffe der Systemtheorie quasi anhand von Zeigedefinitionen einführen kann. Soweit Automaten operieren, kann ich quasi operativ sagen, wie ich meine Begriffe deute. Automaten sind anschauliche Exemplare oder Instanzen, so dass wenigstens prototypisch gegeben ist, was ich mit allgemeinen Begriffen bezeichne. Systemtheoretische und insbesondere auch mathematische Begriffe habe ich konstruktiv genau dann verstanden, wenn ich sie mit Mechanismen in Verbindung bringen kann. Automaten haben natürlich eine hinreichend komplizierte Funktionsweise, um alle relevanten Begriffe der Systemtheorie zu veranschaulichen, weil die Systemtheorie in Form der Kybernetik wenigstens ja im wesentlich anhand von Automaten entwickelt wurde.


Der Mechanismus

Den Ausdruck Mechanismus verwende ich, wenn ich die Funktionsweise einer Konstruktion hervorheben will, also genau dann, wenn ich ein Verfahren konstruktiv erläutern will. Jeder Mechanismus repräsentiert ein hinreichend definiertes Verfahren. Als Mechanismus betrachte ich tauto-logischerweise nur, wovon ich gegebenen Falles sagen kann, dass es nicht oder nicht richtig funktioniert. Von einem Hammer beispielsweise kann ich das in keinem Fall sagen, von einer thermostatengeregelten Heizung oder von einem Tempeltüröffnungsmaschine dagegen kann ich es gegebenfalles sagen, weil bei diesen Mechanismen vorgesehen ist, dass sie ihre Zustände zweckmässig ändern, also ein Verhalten zeigen, wenn sie ihre Funktion erfüllen.

In Erklärungen kommt die Funktion der Maschine nicht vor. Wenn ich erkläre, wie die Türen aufgehen, habe ich die Funktion der Maschine in der Beschreibung des Phänomens genannt.

Phänomen (Funktion): = Erklärung (Funktionsweise)

Ueber die Funktionsweise einer Maschine kann ich qualitativ und quantitativ sprechen. Ueber Heron's Tempeltüren habe ich bislang nur qualitativ gesprochen. Das heisst, ich habe erklärt, warum die Türen aufgehen, wenn das Feuer brennt, aber ich habe nichts darüber gesagt, wie lange es geht, bis sich die Türen bewegen, wie schnell sie sich bewegen und wie gross das Feuer mindestens sein muss, damit sie sich überhaupt bewegen. Diese quantitativen Aspekte sind objektiv von der Grösse der Türen und von der Effizienz der unterirdischen Maschine, also vom konkreten Mechanismus abhängig.

Qualitativ beschreibe ich ein effektives Verfahren (wie sich die Türen sicher öffnen), quantitativ beschreibe ich wie effizient das Verfahren unter gegebenen Bedingungen ist (wie schnell sich die Türen öffnen). Für beide Fälle gibt es verschiedene Darstellungen:

Man kann die Maschine (formgerecht) zeichnen, wie Heron das getan hat. Bei eigentlichen Maschinen ist die Funktionsweise durch die Zeichnung bestimmt. Die Effizienz der Maschine lässt sich abschätzen, aber in der Zeichnung ist sie natürlich nicht explizit dargestellt.

    

Man kann die Funktionsweise von Maschinen auch schematisch (nicht formgerecht, aber strukturgerecht) darstellen. Mit einem Schema zeige ich etwa, funktionale Einheiten und wie sie verknüpft sind. Im Schema sieht man weder die konkrete Form der Maschine, noch wie effizient sie arbeitet. Aber man kann topologische Zusammenhänge darstellen, die für die Funktionsweise von geregelten Maschinen wesentlich sind. Ich kann im Schema etwa darstellen, welche Signale in einer thermostatengeregelten Heizung wann und wo fliessen.

Im Schema muss ich die funktionale Einheiten natürlich beschriften, weil sie nur durch Kästchen repräsentiert sind. Und wenn ich schon beim Befriften bin, kann ich natürlich auch quatitative Aspekte einschreiben.

    

Schliesslich kann man die Maschine auch mit einem Computerprogramm simulieren, und so sichtbar machen, wie schnell sich etwa die Türen oder die Raumtemperaturen bewegen. Ein solches Programm kann man als rein quantitative Beschreibung der Maschine auffassen.

In der Systemtheorie wird normalerweise ein Regelkreisschema zur Darstellung verwendet - auch davon gibt es verschiedene Varianten. In qualitativen Schemata stehen funktionale Bennungen, in quantitativen Schemata stehen mathematische Formeln.

    

Jede Funktionsweise kann konstruktiv verschieden realisiert werden. Mit einer Zeichnung beschreibe ich eine konkrete Möglichkeit. Mit einem topolpgischen Schema beschreibe ich ein grössere Anzahl von Möglichkeiten und mit dem Regelkreis sage ich fast nichts mehr über die konkrete Konstruktion. Das Regelkreisschema focusiert nur noch die Operationen des Mechanismus.


Operation

Operationen bestehen ihrerseits aus Operationen oder sie sind elementar. Eine typische elementare Operation ist die Betätigung eines Schalters. Im Regelkreisschema erscheinen Operationen als funktionale Zusammenhänge x=(f)y, also als Kästchen, bei welchem y reingeht und x rauskommt. Ob ich eine Menge von Operationen als Operation oder als Verfahren bezeichne, hängt von meiner Beobachterperspektive ab. Operationen nehme ich als konstruierender Beobachter dort wahr, wo ich als deutender Beobachter Handlungen wahrnehme. Als Beobachter kann ich beispielsweise davon sprechen, dass jemand einen Brief schreibt, weil ich den Sinn- oder Bedeutungszusammenhang beschreibe, oder ich kann davon sprechen, dass er dabei Zeichen nach bestimmten Regeln angeordnet, weil ich sein Vorgehen beschreibe. Im ersten Fall spreche ich von Verfahren, im zweiten von Operation. Im Alltag verwende ich die Ausdrücke oft synonym, weil ich oft beide Aspekte meine, respektive sie nicht unterscheiden will.

Operationen sind so gesehen konstruktiv beschreibbare Aspekte von Handlungen. Der Thermostat "beschreibt" was ein Mensch im entsprechenden Fall macht. Operationen sind verfahrensneutral, das heisst, die gleiche Operation kann in verschiedenen Verfahren vorkommen. Buchstaben schreiben oder Schalter betätigen kann ich in verschiedensten Handlungszusammenhängen.

Operationen im eigentlichen Sinn kann man quasi an Maschinen delegieren, dass heisst ich kann Operationen immer konstruktiv verstehen. Operationen werden aber immer von einem Operator ausgeführt und dieser Operator ist konstruktiv gesehen immer ein Mechanismus. Wenn ich nur den Effekt der Operation betrachte, sehe ich einen Prozess (9).


Die Systemtheorie als Theorie

Die Kybernetik hat sich von Anfang an mit der "Kommunikation in Tier und Maschine" (Untertitel des ersten Kybernetik-Buches), also mit Artefakten und Organismen beschäftigt. In der Kybernetik werden also explizit auch Mechanismen beschrieben.

Ich kann natürlich nach der Funktionsweise von eigentlichen Mechanismen, also von Artefakten fragen. Ich kann mich etwa fragen, wie eine thermostatengereglte Heizung oder wie ein Computer funktioniert. In diesem Fall dient eine Maschine, die andere bereits konstruiert haben als Erklärung für das Phänomen, das diese Maschinen für mich noch darstellen. In solchen Fällen sehe ich, dass es sich um einen eigentlichen Mechanismus handelt, dessen Funktionsweise ich noch nicht verstanden habe.

Ich kann ebenso natürlich nach einer Erklärung von einem Phänomen fragen, von welchem ich nicht annehme, dass es durch ein Artefakt erzeugt wird. Ich kann mich etwa fragen, wie ich meine Köpertemperatur konstant in der Nähe von 37 Grad halte. Auch solche Fälle werde ich - wenn ich sie konstruktiv erkläre - anhand von Mechanismen erklären. Dabei muss ich zwei Dinge leisten. Ich erkläre zunächst die Funktionsweise des erklärenden Mechanismus und begründe dann theoretisch, inwiefern der Mechanismus die für das Phänomen wesentlichen Operationen repräsentiert. Ich erkläre also beispielsweise wie eine Heizung funktioniert und was die Heizung mit meinem Körper gemeinsam hat.

Mit Systemen erkläre ich also nicht nur die Funktionsweise von hergestellten Mechanismen wie etwa Heizungen, sondern alles, was ich als Ausdruck einer Funktionsweise sehen kann. Insbesondere kann ich auch Organismen und Organisationen quasi als Systeme auffassen, respektive deren Verhalten durch Systeme erklären.

    

Organismus als System

Die theoretische Kernaussage der Systemtheorie lautet, dass ich jedes Phänomen, das eine Funktionsweise repräsentiert, durch einen Mechanismus erzeugen und so erklären kann. Hinter jeder Funktionsweise steht ein Mechanismus. Die Systemtheorie generalisiert eine bestimmte Art des Erklärens und leistet so allgemein, was Theorien im speziellen leisten müssen. Im Beispiel, in welchem ich den Blitz anhand eines Funkens einer Batterie erklärte, brauche ich eine Argumentation, wieso das eine das andere erklärt. Wenn ich das Phänomen Blitz als Effekt eines Systems auffasse, braucuche ich keine weitere Argumentation mehr. Natürlich muss ich - wenigstens formal - zeigen, wie ich mir das System vorstelle. Darauf werde ich später zurückkommen.

In der 1. Ordnung sagt die Systemtheorie natürlich nur etwas über Funktionsweisen. Die Systemtheorie sagt nichts darüber, weshalb meine Körpertemperatur geregelt wird und auch nichts darüber, wie dies physisch realisiert ist. Die Systemtheorie plausibilisiert ein bestimmte Sicht auf bestimmte Phänomene. Wenn ich meinen Körper unter dem Aspekt der Temperaturregelung als System auffasse, suche ich natürlich nach ganz bestimmten Analogien. Das heisst, die Systemtheorie leitet meine Beobachtung, indem sie vorgibt, welche Funktionseinheiten ich suchen muss.

Wenn ich eine Thermostatenheizung erkläre, brauche ich zur Erklärung natürlich keine Theorie, weil ich ja den Mechanismus beschreibe, den ich erklären will. In diesem Fall hilft mir die Theorie, eine begrifflich plausible Beschreibung zu geben, weil sie auch in bezug auf Mechanismen vorgibt, wie diese funktional zu analysieren sind. Da Systeme und Mechanismen für mich in gewisser Hinsicht dasselbe sind, sehe ich in der Systemtheorie eine Technologie des Erklärens. Die Systemtheorie dient dabei quasi als qualitative Methode zur Darstellung von Zusammenhängen. Oft gibt bereits die qualitative Darstellung Hinweise auf die Effizienz. Das Beispiel von Heron etwa lässt sich durch Berechnungen (ent)plausibilisieren. Wenn ich weiss, wie schwer die Tempeltüren sind und wie hoch der Wirkungsgrad des Antriebes ist, kann ich berechnen, wie lange ein wie grosses Feuer brennen müsste, damit die Türen wirklich aufgehen. Noch ohne zu rechnen glaube ich zu sehen, dass ich dieser Tempel - wie etwa C. Babbage's Computer - nur auf dem Papier existierte, obwohl er im Prinzip realisierbar wäre.

Mit der Systemtheorie beschreibe ich Operationen von Mechanismen. So kann ich einerseits klären, was ich erklären will. Weil ich anhand der Mechanismen auch zeigen kann, was ich beschreibe, kann ich umgekehrt auch meine Sprache und meine Begriff "erklären". Die Systemtheorie dient mir in diesem Sinne auch als Pragmatik, mit welcher ich die Sprache erkläre, die ich in der Systemtheorie verwende.


Kleiner Exkurs: Gibt es überhaupt Systeme? Sind Systeme real?

"System" ist ein formaler Begriff. Ich meine zwar immer einen Mechanismus, wenn ich System sage, aber nur insofern, als er eine Funktionsweise repräsentiert. System ist ein Begriff, mit welchem ich nichts über die Bedeutung und die Form des jeweils gemeinten Referenten sage. Mit dem Begriff lasse ich offen, ob ich über eine Heizung, einen Organismus oder über eine Gesellschaft spreche. Wenn ich beispielsweise von einem Puddel sage, dass er ein Hund ist, mache ich auch eine Verallgemeinerung, aber mit Hund meine ich etwas Bestimmtes - es muss vier Beine haben und bellen. Mit System meine ich keinerlei Bedeutung, ich meine nur einen Bedeutungsträger. Der Begriff verweist nicht auf Inhalte, deshalb bezeichne ich ihn als formal.

Der Mechanismus ist eine konstruktive Verkörperung des Systems. Wenn ich den Regelkreis betrachte, kann ich beispielsweise von einer "Differenz" zwischen dem Istwert (x) und dem Sollwert (u) sprechen und etwa sagen, dass aus dieser Differenz (X) eine Massnahme y abgeleitet wird, die dazu führt, dass sich ein bestimmter Wert im System verändert. Der Thermostat ist in dieser Redeweise eine "systemtheoretische Funktion", die bestimmte Eingangswerte (u) und (s) in bestimmte berechenbare Ausgangswerte (x) umwandelt. Wenn ich nur quanitative Probleme lösen will, muss mich ebensowenig dafür interssieren, wie diese Funktionen in konkreten Mechanismen umgesetzt werden, wie wenn ich ein nur behavioristisches Interesse verfolge.

Wenn man will - und nicht wenige tun es -, kann man die abstrakte Beschreibung des Systems als Ausdruck davon nehmen, dass ein System gerade kein Mechanismus, sondern etwas Allgemeineres, etwas Geistig-Immaterielles ist. Weil dieses Allgemeinere als Funktionsweise erscheint, wird der Ausdruck "System" oft abstrakt auf die Funktionsweise und nicht auf deren materiellen Träger bezogen. Das System erscheint dann als "rein geistige" Funktionsweise, die nicht nur keinen bestimmten, sondern überhaupt keinen Träger braucht. Idealistische Definitionen lauten etwa, ein System ist eine Funktionsweise, oder eine Organisation, oder etwas Zusammengesetztes. Solche Definitionen vermeiden die Nennung eines Gegenstandes. In dieser idealistischen Manier ist ein System kein Ding, sondern ein Prozess, eine Relation oder ein Handlungszusammenhang. H. von Foerster schreibt explizit, dass eine (nicht) triviale Maschine ein "Beziehung" sei. Und W. Ashby - auch ein Vertreter dieser Sicht - erzählt folgend wunderbare Geschichte über ein spukendes Haus, um zu zeigen, dass kybernetische Mechanismen nicht auf die Eigenschaften beschränkt sind, die der irdischen Materie zugehören (10):

Mein lieber Freund
 
vor einiger Zeit habe ich dieses alte Haus gekauft; es stellte sich jedoch heraus, dass in ihm zwei geisterhafte Geräusche spucken - Grölen und Hohngelächter. Aus diesem Grunde ist das Haus so gut wie unbewohnbar. Aber es gibt noch einen Hoffnungsschimmer, denn ich habe durch genaue Untersuchung herausgefunden, dass der Spuk bestimmten Gesetzen unterworfen ist, die, wenn sie auch völlig unverständlich sind, mit Sicherheit zutreffen, und dass man den Spuk durch Orgelspiel und Weihrauch beeinflussen kann.
 
Während jeder Minute ertönt jedes Geräusch entweder, oder nicht - da gibt es keine feinere Abstufung. Was jedes Geräusch während der folgenden Minute tun wird, hängt, wie ich gleich genau schildern werde, davon ab, was während der vorhergehenenden Minute geschah: das Grölen macht in der folgenden Minute dasselbe wie vorher (schweigt oder ertönt), bis Orgelspiel ohne Gelächter ertönt, woraufhin es zum Gegenteil übergeht (vom Ertönen zum Schweigen und umgekehrt).
 
Nun zum Gelächter: Wenn Weihrauch entzündet wurde, beginnt es zu ertönen oder nicht, je nachdem, ob das Grölen ertönt ist oder nicht (so dass das Lachen das Grölen mit einer Minute Verzögerung nachmacht). Wurde jedoch kein Weihrauch entzündet, dann tut das Lachen das Gegenteil von dem, was das Grölen vorher tat.
 
In dem Moment, indem ich das hier niederschreibe, ertönen Gelächter und Grölen. Bitte gib mir einen Rat, wie ich Orgelspiel und Weihrauch anzuwenden habe, um das Haus endgültig zur Ruhe zu bringen! (11)

Die Geschichte illustriert den Bereich möglicher Phänomene. Man kann sie so lesen, wie es W. Ashby suggeriert. Man kann sie aber auch im Sinne der konstruktiven Systemtheorie lesen: dann liest man von Signalen, die sich gegenseitig beeinflussen, also von einer Konstruktion. Dass W. Ashby ein bestimmtes Signal als "geisterhaftes Gelächter" bezeichnet, ist lustig, ändert aber nichts am materiellen Vorhandensein des Signals - wenn nicht nur die Geister, sondern auch der Hausbesitzer das Gelächter hört.

Dementsprechend gibt es auch eine unsägliche, aber weitverbreitete Diskussion darüber, ob es Systeme (wirklich) gebe, oder ob sie nur als geistige Konstrukte im Kopf des Beobachters seien. Ueber diese Unterscheidung werde ich später mehr sagen. Für mich gibt es Systeme genau so, wie es Mechanismen - allenfalls wirklich - gibt. Computer oder Heizungen "sind" Mechanismen, wenn ich sie unter einer entsprechenden Perspektive betrachte. Folgt daraus, dass es Mechanismen "gibt" oder dass Mechanismen "existieren"? Für mich folgt daraus allenfalls eine Einsicht darüber, wie ich die Ausdrücke "es gibt" und "existieren" verwende.

Wenn ich als Ingenieur über die Funktionsweise einer Heizung oder als Soziologe über die Funktionsweise einer Gesellschaft spreche, spreche ich über Systeme. Diese Systeme repräsentieren Mechanismen. Daraus folgt nicht, dass eine Gesellschaft ein Mechanismus "ist". Ich kann einfach und leicht über Funktionsweisen sprechen, indem ich Mechanismen beschreibe. Der jeweilige Mechanismus "ist" nicht die Heizung oder die Gesellschaft, sondern dient der Erklärung von Heizung oder Gesellschaft. Mit dem Ausdruck "System" drücke ich nur aus, in welchem Sinn ich über Mechanismen spreche.

Wenn ich die Funktionsweise von Mechanismen in Form von Programmen darstelle, ist der Mechanismus impliziert. Ein Computerprogramm funktioniert nicht, der damit beschriebene Computer funktioniert. Wenn ich ein System durch eine Menge von Formeln beschreibe, sehe ich in den Formeln keinen bestimmten Mechanismus, aber jedes Verfahren und jede Operation ist natürlich an eine Trägerinstanz gebunden.

Man kann das Bild von R. Magritte als Versuch deuten, ohne Leinwand zu malen. Dann kann man einerseits sehen, das jedes Bild auch ohne Leinwand wie eine sehr flache Skulptur materiell ist, und dass die Leinwand also nur ein Gerüst für die Figur darstellt. Und andrerseits kann man auch sehen, dass die Figur nicht abstrakt geistig, sondern materiell ist. Eine Variable ist in diesem Sinne immer materiell und eine Operation, die eine Variable verändert, ist immer ein energetischer Prozess der einen Mechanismus repräsentiert.

   
* * * * *

Nachdem ich jetzt pragmatisch umschrieben habe, wie ich die Konstruktive Systemtheorie sehe, nämlich als eine spezifische Aussage eines Beobachters, werde ich im folgenden den Beoachter charakterisieren. Ich charakterisiere auch ihn zunächst metatheoretisch, also jenseits davon, dass er selbst "ein System ist".


 


Der Beobachter

Den Ausdruck "Beobachter" verwende ich in der Systemtheorie terminologisch gebunden; nicht jeder der irgendetwas beobachtet, ist ein Beobachter in diesem Sinne. Beobachter nenne ich - in der Perspektive eines deutenden Beobachters - eine Instanz, dessen Verhalten ich als "systemtheoretische Aussagen machen" deute.

In der "klassischen" Systemtheorie wird der Beobachter als Instanz "mitgedacht". Er wird nicht Beobachter genannt, sondern wenn überhaupt von ihm die Rede ist, ist er der Wissenschafter oder eben der Systemtheoretiker, der ein objektives "System" untersucht, indem er ein Modell entwirft und dessen Adäquatheit überprüft, respektive dessen Parameter estimiert. Erst epistemologisch orientierte Systemtheoretiker wie E. vo Glasersfeld und H. von Foerster haben die Aufmerksamkeit selbstbezüglich auf diesen vermeintlich objektiven Wissenschafter gelenkt. Anfänglich war von einem "aussenstehenden Beobachter" die Rede. H. Maturana hat dann nur noch vom "Beobachter" gesprochen. Mit seinem trivialen Postulat, wonach "jede Aussage von einem Beobachter stammt" (1982:34 und 148), hat er die Beobachterinstanz nicht nur eingeführt, sondern auch eine begriffliche Komplikation produziert. Beobachten wird konventionell rezeptiv gedeutet, während Aussagen machen produktiv ist. In der alltäglichen Konvention würde ein Beobachter schauen, nicht sprechen. In der konstruktivistischen Terminologie ist der "Beobachter" vor allem ein sprachlich operierendes System. H. Maturana sagt: "Jede Aussage stammt von einem Beobachter". Ich sage zusätzlich: "Alle Beobachter können Aussagen machen". H. Maturana bestimmt, was er als Aussage zulässt, ich bestimme, was ich als Beobachter zulasse.

      

Ein Beobachter macht Aussagen über Systeme

Mein Kriterium für Beobachter können Menschen erfüllen, aber natürlich weder Roboter, noch Institutionen wie Familien, noch "funktionale Systeme" wie Kunst oder Religion. In der "funktionalen Systemtheorie" von N. Luhmann wird ein Systembegriff verwendet, der zulässt, dass alles, was als System betrachtet wird, potentiell beobachten kann. In N. Luhmann's Terminologie ist eine Institution ein beobachtendes System. In der Praxis erscheint diese Vorstellung etwa, wenn Redaktoren einer Zeitung eine Stellungsnahme als Position der Zeitung statt als Position der unterschreibenden Redaktoren bezeichnen - was ich beispielsweise in der NZZ regelmässig lesen kann. Man kann am Beispiel leicht sehen, dass die Luhmann'sche Version in der Praxis der Herrschenden einige Vorteile hat.

Als Beobachter entscheide ich, was ich als Phänomen in Betracht ziehe und was ich systemtheoretisch wie erkläre. Mithin entscheide ich als Beobachter natürlich auch, was ich als Systemtheorie bezeichne und inwiefern der Beobachter in dieser Theorie thematisiert wird. Die Thematisierung des Beobachters macht die Theorie einerseits subjektorientiert, weil alles in der Wahrnehmung des Beobachters existiert. Durch die Subjektivierung werden aber auch einige typische Probleme objektivistischer Wissenschaften aufgehoben. Paradoxien - wie jene von Zeno und Eubulides - sind aufgehoben, wenn der Beobachter eingeführt wird.


Beobachter-Perspektiven

Ich unterscheide zwei Beobachter-Perspektiven:

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Als deutender Beobachter beobachte ich mit den impliziten - und normalerweise nicht bewussten - Fragen "Was ist es?", "Was bedeutet es?" oder "Wozu ist es gut?" Ich nehme Gegenstände und Sachverhalte wahr, die ich zu Phänomenen machen kann.


 

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Als konstruierender Beobachter, also als "toolmaking animal" beobachte ich mit den Fragen "Wie ist es konstruiert?" oder "Wie funktioniert es?"

Die konstruktive Perspektive muss ich willentlich einnehmen, da ich als Beobachter meine Um-Welt - quasi naturwüchsig - deutend wahrnehme. Die konstruktive Perspektive wähle ich bewusst, wenn ich verstehen oder erklären will, was ich deutend wahrgenommen habe.

Wenn ich etwa als versklavter Barbar vor einem griechischen Tempel stehe und deshalb nicht einmal deuten kann, was ich sehe, kann ich mich fragen, was das sein und wozu es gut sein könnte. Dann will ich aber keine Erklärung, sondern eine Deutung. Ich will dann nicht wissen, wie der Tempel konstruiert ist, sondern welche Funktion er haben könnte. Man muss natürlich kein Barbar - so hiess bei den Griechen jeder, der nicht griechisch sprechen konnte - sein, um nicht zu verstehen, wozu Tempel gut sein könnten. Und in den Augen von aufgeklärten Humanisten, die diese Tempel so bewundern, haben sie vielleicht auch eine ganz andere Bedeutung, als für die Griechen, für die sie gebaut wurden.

Wenn ich eine Bedeutung nicht spontan erkennen kann, spreche ich von Artefakten. Bei Artefakten frage ich mich oft, wie sie konstruiert sind, um so einen Hinweis auf deren Bedeutung zu bekommen. Ich bezeichne diese Inversion als abduktives Verfahren.

Wenn ich in der Perspektive des deutenden Beobachters einen Beobachter wahrnehme, nehme ich einen Gegenstand mit einer Bedeutung wahr: eben ein Wesen, das Aussagen macht. Natürlich kann ich mich - als konstruierender Beobachter - fragen, wie ein solcher Beobachter konstruiert sein könnte. Seit Golem und Frankenstein ist das eine der bewegensten Fragen in der Wissenschaft. Vaucanson's "Ente" und Descartes' "Homme" sind anschauliche Beispiele von Antworten, die man geben könnte. Die modernere Wissenschaft hat einfach etwas kompliziertere Antworten. Und die moderne Medizin kann zunehmend mehr Teile des Mechanismus ersetzen.

     

Die Unterscheidung zwischen Konstruktion und Deutung, die ich hier im Beobachter ansiedle, erscheint mir in beliebigen andern Unterscheidungen, die verschiedenen Ontologien zugrunde liegen. Natur und Kultur etwa stehen für das, was uns zu deuten gegeben ist und für das, was wir produzieren. Die Trennung der beiden Perspektiven hat Tradition. C. Snow spricht von zwei Kulturen. Die technischen Idioten, die er in einer seiner beiden Kulturen gefunden hat, verstehen von Bedeutung gar nichts, weil sie nur konstruieren können, während die literarischen Idioten der andern Kultur nicht das einfachste System begreifen. Der soziologische Kybernetiker T. Veblen hat den Technokraten erfunden hat, der Organisationen und Staatswesen systematisch führen kann, ohne sich um deren Zwecke zu kümmern. Die Analogie geht zurück bis zu Plato. Schliesslich erhielt die Kybernetik (die manchmal auch ganz schlicht Automatik heisst) ihren Namen in Anlehnung an das von C. Maxwell 1868 beschriebene Beispiel für Rückkoppelungsmechanismen, einen Fliehkraftregler, den C.Maxwell ”Governor” nannte, weil er im Prinzip einen Schiffssteuermann ersetzen konnte (Wiener 1963:39). ”Governor” seinerseits wurde bereits von A. Ampère im Sinne von Plato für die politische Steuerung verwendet. Bei Plato, der den Staat mit einem Schiff verglich, hiess der Steuermann Kybernetes (Ilgauds 1980:58f)). In all diesen Bildern wird dem Steuermann gesagt, wohin er fahren muss, er muss nicht verstehen warum und wozu, er muss nur richtig steuern.


Der deutende Beobachter

In der Perspektive des deutenden Beobachters nehme ich den konsensuellen Bereich von Beobachtern wahr, also die Funktionen der Gegenstände, die mir als deren Sinn oder Bedeutung erscheinen. Ich nehme nicht irgendwelche Pixelmuster oder Gestalt-Figuren wahr, die ich deuten müsste, sondern meine "Deutungen", also bedeutungsvolle Gegenstände, die ich mit Begriffen oder Eigennamen bezeichnen kann. Ich nehme also nicht eine Menge Ziegelsteine oder eine Konstruktion aus Metallträgern, sondern beispielsweise einen Tempel, eine Brücke oder den Eifelturm wahr.


 

Im Normalfall - oder unter normalen Umständen - spreche ich nicht über die Gegenstände meiner Wahrnehmung, ich sage also nicht das ist eine Brücke oder das ist eine Heizung und ich sage auch nicht über deren Funktion, weil - im Sinne eines Konsens - jeder ohnehin schon weiss, was zu sagen wäre. Wenn beispielsweise von einer thermostatengeregelten Heizung die Rede ist, weiss jeder, dass sie die Temperatur mehr oder weniger konstant beim Bedürfnis des Heizenden hält. Als deutender Beobachter spreche ich eigentlich nur über Verhältnisse, in welchen die Heizung vorkommt, etwa über den besten Preis oder über Vorteile einer bestimmten Heizung.

Ueber die Heizung selbst spreche ich als deutender Beobachter explizit, wenn ich (noch) nicht weiss, was eine Heizung ist, oder wenn sie nicht funktioniert, also wenn der Konsens nicht gegeben oder gestört ist. Im ersten Fall kann sein, dass ich das Wort "Heizung" nicht verstehe, oder die Sache nicht kenne, in beiden Subfällen gewinne ich potentiell neue Bedeutungen. Im zweiten Fall weiss ich, was eine Heizung ist, und welche Funktion sie erfüllen sollte. Dann interessiert mich die Funktionsweise. Ich kann ich meine Beobachter-Perspektive wechseln und die Heizung als konstruierender Beobachter betrachten - oder einen Servicemann rufen, der die konstruktive Persperspektive von berufswegen hat.

Das Deuten des deutenden Beobachters ist naturwüchsig, es wird aber natürlich kultiviert, wo beispielsweise Kunstwerke (sogar richtig oder falsch) oder Zeichen "gedeutet" werden. Wenn ich das Bild eines Künstlers anschaue, sehe ich sofort, dass es Bild ist, aber ich sehe nicht ohne weiteres, was es bedeuten soll.


Der konstruierende Beobachter

In der Perspektive des konstruierenden Beobachters nehme ich Konstruktionen wahr, also Artefakte, die für den deutenden Beobachter Bedeutung haben. Ich sehe eine konstruktiv mögliche An-Ordnung von Konstruktionselementen.

Als konstruierender Beobachter beschreibe ich die Konstruktion (Struktur) und die Funktionsweise (Strukturveränderungs-Prozess) von operationell geschlossenen Systemen jenseits ihres Milieus. Ich beschreibe beispielsweise, wie eine Heizung konstruiert wird, also auch wie die Signalflüsse innerhalb der Heizung wirken. Dabei ist mir gleichgültig, ob die Heizung in einem Haus oder in der Wüste steht.

Die konstruktive Beobachterperspektive ist kulturell; mit Konstruktionen verfolge ich Absichten oder Ziele. Ich konstruiere Automaten, weil ich sie in einem pragmatischen Sinn brauchen will, oder weil ich anhand von ihnen Phänomene erklären will.


 


Beobachten als Für-Wahrnehmen

Es gibt in der Alltagsprache einige sehr bedeutungsvolle Ausdrücke, mit welchen man den Beobachter quasi funktionell charakterisiert. Eine solche Pseudofunktion ist die Wahrheit, die jeder Beobachter funktionell anzustreben scheint. Im Umfeld von N. Luhmann wird Wahrheit als symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium aufgefasst, also als eines der Mittel, die das Kommunikationssystem in Gang halten. Lapidar ausgedrückt: Kommunikation findet statt, weil die Wahrheit von sich aus mitgeteilt werden will - was gut damit korrespondiert, dass jeder Beobachter sehen will, was wirklich der Fall ist. Wahrheit hat in diesem funktionalen Sinn einen moralischen, einen logischen und einen pragmatischen Wert. Die Moralisten sagen, Du sollst nicht lügen. Die Logiker sagen, logische Aussagen seien wahr oder falsch. Pragmatiker sprechen von Wahrheitsbedingungen für Wortbedeutungen. In all diesen Fällen ist für mich wahr, was ich für wahrnehme, also - mit welchen Gründen auch immer - als wahr annehme.

Als Wahrnehmung bezeichne ich die Handlung, die dazu führt, dass ich etwas - im alltgssprachlichen Sinn - für wahr halte. Als deutender Beobachter nehme ich unter anderem für wahr, was ich mit meinen Augen sehe. Weil ich weiss, dass es beispielsweise optische Täuschungen und Zaubertricks gibt, kann ich mit weiteren Wahrnehmungen überprüfen, wie wahr meine Wahrnehmung ist. Dabei bleibe ich aber natürlich innerhalb meiner Wahrnehmungen. Umgekehrt hat jeder Falsifikationsversuch pragmatische Grenzen. Wenn ich etwas hinreichend geprüft habe, nehme ich es für so wahr, dass ich mein Handeln darauf abstütze.

Das Wahrnehmen sehe ich als aktives Handeln. Wenn ich beispielsweise den Eifelturm sehen will, muss ich meine Augen nach Paris tragen. H. Maturana sagt deshalb, dass wir mit den Füssen sehen. Er drückt damit anschaulich aus, dass Wahrnehmung einer Strukturveränderung des wahrnehmenden Organismus entspricht. Ich werde darauf zurückkommen. S. Cecatto gibt ein - in vielen Hinsichten - interessantes Beispiel: Er analysiert die Operationen bei der Wahrnehmung einer (gedehnten Kreis-)Figur. Man kann eine Tischplatte von oben sehen, wenn man alles, was innerhalb der gezeichneten Linie als Vordergrund auffasst, oder eine Fenster, wenn man alles, was ausserhalb der Linie ist als Vordergrund auffasst, oder ein Kettenglied, wenn man die Linie selbst als Vordergrund auffasst. Als deutender Beobachter sehe ich normalerweise keine Strichzeichnungen, sondern Gegenstände wie Tischplatten oder Fenster. S. Ceccato ist in seinem Beispielen von der Gestaltpsychologie (Figur-Hintergrund) geprägt, die Erklärungen konstruiert. Hier geht es darum, dass diese Erklärungen operativ sind. Er sagt mir, was ich operativ auf einer bestimmten Ebene tun muss, wenn ich ein Fenster sehen will.

   


Bestimmte Wahrnehmungen strebe ich an, andere versuche ich zu meiden, indem ich mein Handeln entsprechend ausrichte. Wenn ich etwa mehr Geld in meiner Kasse für-wahrnehmen will, gehe ich beispielsweise arbeiten. Dass ich arbeite, ist dann in diesem Sinne eine Handlung, mit welcher ich eine bestimmte Wahrnehmung anstrebe. Systemtheoretisch betrachte ich Wahrnehmungen als kybernetische Ziele, auf welche das Handeln ausgerichtet ist. In dieser Hinsicht dient jedes Verhalten der Kontrolle der Wahrnehmung (W. Powers). In einem metaphorischen Sinn kann ich sagen, dass ein Thermostat eine bestimmte Solltemperatur wahrnehmen will und dazu den Oelbrenner entsprechend manipuliert. Ich reagiere mit meinen Handlungen also nicht auf die Umwelt, sondern darauf, wie meine Wahrnehmungen von meinen gewünschten Wahrnehmungen abweichen.

Wenn ich beispielsweise den Wasserfall von C. Escher anschaue, nehme ich etwas wahr, was mich irritiert (oder pertubiert). Das heisst ich habe Vorstellungen davon, was ich sinnvollerweise sehen kann und was nicht. Bei aufwärtsfliessendem Wasser muss ich etwas tun - beispielsweise Erklärungen suchen - um meine Wahrnehmung wieder unter meine Kontrolle zu bringen (14).

    


Handlungszusammenhang

Als deutender Beobachter nehme ich in Handlungszusammenhängen wahr, die mir funktionale Deutung ermöglichen. Ein Stück Tuch mit Farbflecken nehme ich im Hinterhof eines Malergeschäftes anders wahr, als wenn es in einem Kunstmuseum hängt. Im einen Fall sehe ich einen Putzlappen, im andern Fall ein Gemälde. In beiden Fällen sehe ich aber Gegenstände, die eine Bedeutung haben.

Im Handlungszusammenhang "Kunst" gibt es das Phänomen "Kunstwerk". Bevor die Werke als Kunst gesehen wurden, gab es den Handlungszusammenhang "Kunst" nicht. Das Phänomen "Werk" war dann beispielsweise gutes Handwerk. Den Uebergang zwischen Handwerk und Kunst bezeichne ich als Kunsthandwerk. Wenn jemand für ein Stück bemalte Leinwand ein Million Franken bezahlt, ist das im Handlungszusammenhang der Warenökonomie von Handwerkern nicht "verstehbar". Wenigstens halbwegs sinnvoll beschreiben lässt sich dieses Verhalten aber im Handlungszusammenhang "Kunst".

Wenn ich hergestellte Gegenstände (Artefakte) wahrnehme, nehme ich die funktionelle Bedeutung der Gegenstände wahr, die immer an Handlungen gebunden ist. Wenn ich einen Putzlappen sehe, sehe ich ihn als Bestandteil der Handlung "putzen", wenn ich ein Gemälde sehe, sehe ich ein Handlungsresultat. Funktion und zugehörige Handlungen sind kontingent, das farbige Tuch kann beides sein, aber nicht beliebig viel anderes, weil ich nicht beliebig viele Handlungen kenne, die ich sinnvoll auf ein farbiges Tuch beziehen kann.

Auch wenn ich nichthergestellte Gegenstände wahrnehme, setze ich sie in Relation zum Handeln. Wenn ich etwa einen Maler sehe, sehe ich mit, dass er Putzlappen in den Hinterhof werfen oder Bilder in einem Museum aufhängen könnte. Und wenn ich eine Landschaft sehe, sehe ich kontigent, dass in ihr eine Stadt stehen könnte, in welcher ein junger Mann in einem Museum ein Bild anschaut (15).

Handlungszusammenhänge sind ideologisch, weil sie Funktionalitäten unterstellen, die willkürlich sind. Dass ein Hammer zum Hämmern gemacht wurde, kann der Hammermacher berichten. Wozu aber die Sprache, die Religion, die Gesellschaft sind, kann nicht einer sagen, der sie hergestellt hat. Mir gefällt H. Maturana's Vorschlag, sich an eine "logische Buchhaltung" zu halten, in welcher immer unterschieden wird, wie Systeme operieren und wie Beobachter, dieses Operieren deuten. So kann etwa ein deutender Beobachter ein Verhalten im Handlungszusammenhang "Sprache" beschreiben, welches systemtheoretisch als strukturelle Koppelung durch strukturdeterminierte Signal-Prozesse beschreibbar ist. Sprache bezeichnet dann einen Handlungszusammenhang, durch welchen der Beobachter Kategorien gewinnt, um die strukturelle Koppelung deuten zu können. Auch N. Luhmann's pseudo-autopoietisches Konzept, wonach Handlungszusammenhänge durch Handlungen erzeugt, die eben nur in diesen Zusammenhängen adäquat verstanden werden können, ziehlt darauf hin. Die Geschäfte der Politiker, der Künstler, der Juristen usw., also die Politik, die Kunst, das Recht, wären nicht verstehbar gewesen, bevor es Politiker, Künstler, Juristen usw gegeben hat. Politiker, Künstler, und Juristen sind aber nur möglich, wenn Politik, Kunst und Recht existieren. In der Autopoiese macht eine biologische Zelle, die es dann noch nicht gibt sich selbst und die Künstler, die es dann noch nicht gibt, machen die Kunst.


Die Re-Präsentation

Beobachten - im hier gemeinten Sinn - heisst Re-präsentieren, also den beobachteten Gegenstand in die eigene Wahrnehmung bringen. Re-Präsentation nenne ich sowohl das Präsentmachen einer gemeinten Sache und das Artefakt, welches ich dazu verwende. Symbolisch nenne ich die Repräsentation, wenn ich dafür ein Symbol verwende. Wenn ich den Eifelturm wieder sehen will, kann ich nach Paris fahren, oder ein Bild von ihm betrachten. Im zweiten Fall re-präsentiere ich den Eifelturm symbolisch, weil ich nur ein Symbol für ihn sehe.

Das Symbol und die damit gemeinte Sache sind verschiedene Gegenstände (the map is not the territory), mit dem Symbol re-präsentiere ich den gemeinten Gegenstand. Ich kann also Bedeutungen re-produzieren, ohne die Bedeutungsträger herzustellen. In der symbolischen Re-Präsentation kann ich insbesondere auch bestimmte Aspekte referenzieren. Ich kann von einem Turm oder einer Pfeife sprechen, ohne damit eine bestimmte Form oder ein bestimmtes Material mitzumeinen. Oder ich kann beispielsweise in Konstruktionszeichnungen Ansichten zeichnen, die am Referenten nicht ohne weiteres zu sehen sind.

Ich unterscheide zwei symbolische Re-Präsentierungsarten:

      
   R. Magritte
sagt: Ceci n'est pas une pipe.
 
analog
 
 
und
 
 
digital
                   
 
Ich nenne alle symbolischen Re-Präsentationen Symbol, die analogen Symbole nenne ich Abbildungen. Digitale Symbole nenne ich im gegebenen Fall (Eigen-)Name oder Beschreibung.

Als deutender Beobachter kann ich angesichts eines Bildes von einer Pfeife sagen: "Das ist eine Pfeife", obwohl ich sehe, dass es ein Bild ist. Wenn ich als deutender Beobachter die Pfeife auf dem Bild anschaue, sehe ich auch auf dem Bild nicht Farbflecken, die ich deuten muss, sondern eben die Pfeife.

Ich finde offensichtlich, dass die Buchstabenkette "Eifelturm" in keiner Weise so aussieht wie der Eifelturm. Die Re-Präsentation ist also keineswegs immer eine Abbildung. Ich verwende den Ausdruck Repräsentation auch sehr viel allgemeiner, wenn ich etwa eine bestimmte Massnahme oder Operation in einer bestimmten Maschine repräsentiert sehe.

Re-präsentierende Aussagen mache ich sowohl als deutender wie auch als konstruierender Beobachter. Das Re-Präsentierte - den Referenten der Abbildung - nehme ich aber immer als deutender Beobachter wahr. Wenn ich beispielsweise eine Konstruktionszeichnung von einer Heizung betrachte, sehe ich eine Zeichnung und auf der Zeichnung eine Heizung. Ich sehe also gedeutete Gegenstände, auch wenn der Zeichner die Heizung in einer konstruktiven Perspektive dargestellt hat. Natürlich kann ich sowohl in bezug auf die Zeichnung wie auch auf die Heizung auch eine konstruktive Perspektive einnehmen, aber zunächst oder unwillkürlich sehe ich die bedeutungsvolle Gegenstände.


Sprachhandlungen

Bestimmte Re-Präsentationen nehme ich als Resultat von Sprachhandlungen wahr. Als Sprachhandlungen bezeichne ich jene Tätigkeiten, die sprachlich direkt und indirekt dargestellt werden können. Ein Beobachter kann sagen: "Das Haus ist rot") und ich kann sagen, dass er gesagt hat, das Haus sei rot. Ich kann über das Sprechen sprechen, ich kann sprechend Regelungsprozesse beschreiben und ich kann darüber sprechen, dass ich Regelungsprozesse beschreibe.

Bestimmte Re-Präsentationen nehme ich als Resultat von Sprachhandlungen wahr. Als Sprachhandlungen bezeichne ich jene Tätigkeiten, die sprachlich direkt und indirekt dargestellt werden können. Ein Beobachter kann sagen: "Das Haus ist rot") und ich kann sagen, dass er gesagt hat, das Haus sei rot. Ich kann über das Sprechen sprechen, ich kann sprechend Regelungsprozesse beschreiben und ich kann darüber sprechen, dass ich Regelungsprozesse beschreibe. Damit kann ich Aussagen machen, die ich als Systemtheorie auffassen kann.


 


Systemtheorie 2. Ordnung


Beobachten als Phänomen

Als deutender Beobachter nehme ich mich als Wesen wahr, das Ausagen über die wahrgenommene Welt macht. Ich sehe beispielsweise, dass ich einen griechischen Tempel mit sich automatisch öffnenden Türen sehe und Aussagen über sein Funktionieren mache. In diesen Aussagen mache ich empirisch begründete Tat-Sachen zu Phänomenen und erkläre sie mit Mechanismen. Ich sage beispielsweise, dass die Tempeltüren aufgehen, wenn das Feuer angezündet wird, weil ich das - in der Tat - beobachten kann. Ich erkläre den Sachverhalt mit einer unterirdischen Dampfmaschine, die ich nicht sehen, aber im Prinzip konstruieren kann. Meine Erklärungen bestehen aus unterstellten Konstruktionen.

Ich könnte das normal und unproblematisch finden, aber ich kann mich auch fragen, wie das vor sich geht. Ich kann aus mir ein Phänomen machen.

Ich beobachte, um ein naheliegenderes Beispiel zu nehmen, jetzt gerade meinen Computer vor mir, eine schwarze Kiste mit einem bestimmten, ziemlich komplexen Verhalten, obwohl ich Teile davon gezielt manipulieren kann. Ich kann den Computer benutzen. Ich kenne verschiedene Funktionen des Computers, mit welchen ich bestimmte Operationen durchführen kann. Ich publiziere mit dem Computer beispielsweise Texte wie den vorliegenden im Internet und mache mithin Aussagen wie die vorliegende Systemtheorie, was Beobachter eben beispiesweise tun können. Der Computer erscheint mir als komplexes Phänomen, in welchem bestimmten Eingaben auf der Tastatur unter bestimmten Bedingungen bestimmte Ausgaben auf dem Bildschirm folgen. Der Computer erscheint mir in dieser Perspektive wie ein Tempel mit automatischen Türen oder wie eine thermostatengeregelte Heizung, er hat nur mehr Zustände, die ich manipulieren kann.


 
 
 

Hier geht es mir nicht darum, wie beispielsweise ein Tempel oder ein Computer funktioniert, das war die Frage im zweiten Kapitel. Hier geht es darum, wie ich als Beobachter das Funktionieren der Blackbox rekonstruiere. Ich manipuliere den Computer - eine ganz typische Blackbox - und beobachte, wie er reagiert. Für die Zusammenhänge, die ich finde, konstruiere eine Erklärung.

Bei einem Computer könnte ich natürlich technische Handbücher lesen oder den Computer auseinander nehmen. Ich kann aber auch ein funktionales Verständnis entwickeln, indem ich den Computer benutze. Mit der Zeit weiss ich, wie ich Texte schreiben und Dokumente verwalten kann. Dazu entwickle ich Vorstellungen von Ordnern und Karteikarten, die im Computer natürlich nicht zu finden sind. Mit diesen "Konstruktionen", die auf Analogien zu meinem wirklich konstruierten "Papier"-Büro beruhen, kann ich aber gut leben. Es ist unwichtig, inwiefern diese Konstruktionen den Inhalt des Computers abbilden. Sie dienen mir, weil ich mich damit zurechtfinden kann.


Die Um-Welt als Blackbox

Als Blackbox bezeichne ich das, was ich in einer Erklärung eines funktionalisierten Phänomens rekonstruiere.

Natürlich spielt keine Rolle, ob ich als Beobachter relativ zur Blackboxwand innen oder aussen bin. Ich kann in beiden Fällen die funktionellen Beziehungen zwischen Eingaben und Ausgaben untersuchen, aber nicht sehen, worauf diese Funktionen beruhen. Ich kann mir die Beziehungen durch die Konstruktion eines Systems erklären. Wenn ich ausserhalb der Blackbox sitze, erkläre ich, was in Blackbox passiert; wenn ich in der Blackbox sitze, erkläre ich, was ausserhalb der Blackbox, also was in der Um-Welt der Blackbox passiert.

Als Beobachter innerhalb einer Blackbox kann man sich zunächst einen Piloten im Blindflug vorstellen. Als Pilot im Blindflug kann ich nicht sehen, was ausserhalb des Flugzeuges ist, ich sehe und reagiere also nur auf die Anzeigen auf meinen Instrumenten. Auch die Auswirkungen meiner Handlungen auf der Tastatur sehe ich als "Pilot" nur auf meinen Bildschirm, ich steuere also eigentlich die Anzeige des Bildschirms. Das mache ich ja auch, wenn ich - wie gerade jetzt - eine Text auf dem Bildschirm schreibe und dabei ausserhalb der Computer-Blackbox sitze.

Wenn ich als Pilot in einem Flugsimulator sitze, was bei einem hinreichend guten Simulator nur für aussenstehende Beobachter entscheidbar ist, ist die Anzeige auf den Instrumenten natürlich durch einen andern Mechanismus begründet, als wenn ich ein Flugzeug fliege. Als Pilot verhalte ich mich aber in beiden Fällen gleich, weil ich eben in beiden Fällen auf die Instrumente achten muss. Was ich als Pilot dabei wirklich - im Sinne von "was wirkt" - wahrnnehme, ist das Reagieren der Instrumente auf meine Handlungen. Das heisst, ich reagiere auf den Zustand des Flugzeuges, nicht auf die Um-Welt des Flugzeuges, denn die Instrumente gehören natürlich zum Flugzeug, nicht zur Um-Welt des Flugzeuges.

Wenn ich - wie es tendenziell in Virtual-Reality-Spielen mit Cyber-Helmen und Cyber-Handschuhen gemacht wird - das Cockpit so zusammenschrumpfe, dass die Anzeigen und Bedingungselemente mit meiner sensorischen-effektorischen Körperoberfläche zusammenfallen, entspricht der Bildschirm meinem Gesichtsfeld , weil ich nur noch auf den Bildschirm schaue, und die Tastatur entspricht meinen Bewegungen, weil jede Bewegung auf die Tastatur übertragen wird. In Virtual-Reality-Spielen oder Flugzeugsimulatoren kann ich durch meine Bewegungen steuern, was ich sehe. Dabei ist alles, was ausserhalb von mir ist, also meine ganze Um-Welt, eine Blackbox.



Die operationelle Geschlossenheit

Als Beobachter - ohne Virtualityhelm und Flugsimulator - reagiere ich auf meine Sinnesorgane, die als Instrumente fungieren. Als Beobachter bin ich quasi ein Pilot, dessen Flugzeug aus mir selbst besteht. So wie der Pilot die Anzeigen seiner Instrument steuert, so steuert der Beobachter seine "Anzeigen". Wenn ich etwa den Kopf in einer bestimmten Situation drehe, sehe ich bestimmte Gegenstände, beispielsweise mein Büchergestell oder den Eifelturm, je nachdem, wo (in welchem Zustand) ich mich gerade befinde. Wenn ich den Kopf zurückdrehe, sehe ich, was ich zuvor gesehen habe. Mit den Bewegungen des Kopfes beeinflusse ich also, was ich sehe, so wie der Pilot mit seinen Bewegungen die Anzeigen seiner Instrumente bestimmt. In diesem Sinne kann man sagen, dass wir auf unsere eigenen Sinneszustände reagieren und dass unser Verhalten der Steuerung unserer Wahrnehmung dient. Die Um-Welt, die ich als Beobachtersystem wahrnehme, ist nicht eine "Umwelt", die ich "mittels" meiner Sinnesorgane wahrnehme. Was ich als Um-Welt für-wahr-nehme, sind die Zustände meiner Sinnesorgane.

Was ich wahrnehme, kann ich so unproblematisch finden, wie automatische Tempeltüren. Ich kann mich aber auch fragen, was hinter diesen Phänomenen steht. Dann konstruiere ich Erklärungen für die Zustände meiner Sinnesorgane. Wie kann ich mir etwa erklären, dass ich den Eifelturm oder das Matterhorn sehe? Dafür gibt es viele Erklärungen. Eine Erklärung lautet: Es gibt einen Eifelturm, ich stehe davor und ich habe Augen, mit welchen ich sehen kann, was vor mir steht. Wenn ich im Kino sitze oder einen Virtualreality-Helm aufhabe, habe ich natürlich eine andere Erklärung. Und wenn ich nicht weiss, ob ich einen Virtualreality-Helm aufhabe, habe ich noch mehr Erklärungsmöglichkeiten. Insbesondere merke ich dann, dass auch meine Sinnesorgane als solche aus dem Bereich der Erklärungen stammen. Denn ich kann ja meine Augen nicht sehen, sondern sie dienen mir als Erklärung dafür, dass ich sehe. Die rekursive Selbstbezüglichkeit macht logischerweise jedes Argument zunichte. Wenn ich sagen würde, dass ein Beobachter einen Körper und Sinesorgane hat, würde ich ja lediglich über meine Für-Wahrnehmung als Beobachter sprechen.

"Um-Welt" heisst das, was "Um" einen die Um-Welt konstituierenden Beobachter ist. Zwei Menschen haben also nie dieselbe Um-Welt, weil der je eine in der Um-Welt des je andern vorhanden ist. Der Ausdruck "Umwelt", den vorwiegend grüne Politiker verwenden, muss logischerweise etwas anderes bedeuten.


Strukturelle Koppelung

Ein System, das nur auf seine eigenen Zustände reagiert, nennt man "operationell geschlossen". Operationell geschlossene Systeme haben weder Output und noch Input im Sinne der Informationstheorie, sie sind nur energetisch offen, das heisst sie verbrauchen Energie. Damit sie Energie aufnehmen können, müssen sie in einem Umfeld sein, in welchem die Energie in einer für sie aufnehmbaren Form vorhanden ist. Mit diesem Umfeld sind diese Systeme "strukturell gekoppelt". Menschen beispielsweise verbrennen Sauerstoff. Auf der Erde wird Sauerstoff von Pflanzen ausgeschieden (Photosynthese). Solange Sauerstoff nicht anders produziert werden kann, sind die Menschen deshalb mit den Pflanzen strukturell gekoppelt. Umgekehrt brauchen die Pflanzen jemanden, der Sauerstoff vernichtet, resp. CO2 produziert. Normalerweise atmen aber Menschen nicht dazu, dass die Planzen Stickstoff haben, und die Pflanzen haben schon Sauerstoff produziert, lange bevor es Menschen gab. Beide Systeme kümmern sich um ihre Bedürfnisse und nehmen die strukturelle Koppelung lediglich in Kauf. Darauf werde ich morgen, wenn ich über Kommunikation spreche, zurückkommen


Ko-Evolution

Ein System, das nur auf seine eigenen Zustände reagiert, nennt man "operationell geschlossen". Operationell geschlossene Systeme haben weder Output und noch Input im Sinne der Informationstheorie, sie sind nur energetisch offen, das heisst sie verbrauchen Energie. Damit sie Energie aufnehmen können, müssen sie in einem Umfeld sein, in welchem die Energie in einer für sie aufnehmbaren Form vorhanden ist. Mit diesem Umfeld sind diese Systeme "strukturell gekoppelt". Menschen beispielsweise verbrennen Sauerstoff. Auf der Erde wird Sauerstoff von Pflanzen ausgeschieden (Photosynthese). Solange Sauerstoff nicht anders produziert werden kann, sind die Menschen deshalb mit den Pflanzen strukturell gekoppelt. Umgekehrt brauchen die Pflanzen jemanden, der Sauerstoff vernichtet, resp. CO2 produziert. Normalerweise atmen aber Menschen nicht dazu, dass die Planzen Stickstoff haben, und die Pflanzen haben schon Sauerstoff produziert, lange bevor es Menschen gab. Beide Systeme kümmern sich um ihre Bedürfnisse und nehmen die strukturelle Koppelung lediglich in Kauf.

Piloten steuern ihre Instrumente. Dass dabei das Flugzeuge in seiner Um-Welt etwas sinnvolles macht, entspringt der Koppelung der Zustände der Instrumente mit Zuständen des Flugzeuges, die im Falle von eigentlichen Flugzeugen von den Konstrukteuren natürlich sehr bewusst eingerichtet sind. Die Piloten dürfen sich aber nicht darum kümmern. Sie müssen lernen und immer wieder trainieren, nach den Instrumenten zu fliegen. Wenn sie nämlich in kritischen Situationen nicht mehr auf die Instrumente schauen, sondern wissen wollen, wie es ausserhalb ihres Flugzeuges ist, und aus dem Fenster schauen, stürzen sie in der Regel ab. Sie stürzen aber nicht ab, weil sie "hinausschauen", sondern sie schauen hinaus, weil sie abstürzen, respektive Angst haben abzustürzen. Und das ist nicht nur bei Piloten so: Wenn alles gut läuft, interessiert uns die Um-Welt nicht. Nur wenn Probleme auftreten, richtet man seine Aufmerksamkeit auf Um-Welt. Wenn wir beispielsweise auf einer Strasse gehen, schauen wir nicht auf die Strasse. Wenn wir aber plötzlich stolpern, also unsere normale Bewegung gestört ist, suchen wir sofort nach einen Grund in der Um-Welt, sei es ein Stein oder ein Loch im Belag der Strasse. Wenn wir aber auch unseren Sinn(esorgan)en nicht mehr trauen und wissen wollen, was jenseits unserer Sinne - in der sogenannten Realität - der Fall ist, laufen wir grosse Gefahr wahnsinnig zu werden oder angelogen zu werden. Im Normalfall spielt es keine Rolle, ob ich auf mich oder auf meine Um-Welt reagiere. Im Alltag machen wir diese Unterscheidung ja auch nicht: wir essen, bis wir wahrnehmen, dass wir satt sind, nicht bis wir die nötige Menge an Nährstoffen zu uns genommen haben. Wir gehen auf eine Fata Morgana zu, weil wir sie sehen, nicht weil dort etwas ist.

Für Piloten, die sich nicht in einem Simulator wähnen, ist "sinnen"-klar, dass sie mit ihren Flugzeugen durch die Um-Welt ihrer Flugzeuge und mithin durch ihre Um-Welt überhaupt fliegen, obwohl sie diese nur durch die Instrumente wahrnehmen. Selbst wenn die Piloten wissen, dass sie in einem Simulator sitzten, verbinden sie mit den Anzeigen der Instrumente ganz bestimmte Bedeutungen. Zur Zahl auf dem Höhenmesser etwa stellen sie sich vor, auf einer bestimmte Höhe zu fliegen, usw. Es fällt uns unabhängig davon, ob wir in einem Simulator spielen oder nicht, leichter, bestimmte Aufgaben zu lösen, wenn wir sie uns räumlich und zeitlich vorstellen, weil wir uns anhand solcher Vorstellungen orientieren und Handlungszusammenhänge ordnen können. Während Piloten die Beziehung zwischen den Instrumenten und den Bedeutungen, die die Instrumente haben, in bewusster Ausbildung trainieren müssen, nimmt der Beobachter seine Wahrnehmungen quasi automatisch als Wahrnehmung seiner Um-Welt. Als Beobachter nehmen wir nicht unsere Netzhaut (oder die Zustände anderer Sinnesorgane) wahr, sondern Gegenstände. Wir sehen nicht irgendwelche Pixel, Raster, Muster, usw (was den Anzeigen im Cockpit entsprechen würde), sondern bedeutungstragende Dinge wie Tische, Berge, Menschen. Beobachter sind Piloten, denen es immer "sinnen"-klar ist, dass sie sich in der Um-Welt befinden, die sie wahrnehmen.


Wozu Systemtheorie 2. Ordnung

Kopernikus zog die Erde, auf der er lebte, aus dem Zentrum der Welt. Darwin zog die Gestalt, in der er lebte, aus dem Zentrum der Schöpfung. Freud zog das Bewusstsein, in dem er lebte, aus dem Zentrum seines Handelns. Der Mensch dieser Wissenschaften ist ein zufälliges Wesen (der Evolution) an einem zufälligen Ort (auf einem Planet der Sonne der Milchstrasse der ...), das sich zufällig (un- und unterbewusst) verhält.

Universum, Evolution und Unbewusstes sind Elemente der herrschenden Ordnung, also Elemente der Ordnung der Herrschenden. Universum, Evolution und Unbewusstes sind (wissenschafts-)kulturell die letzten Konsequenzen daraus, dass die Herrschenden ihr Erleben und ihre Erfahrungen in Form einer objektiven Welt wahrnehmen (müssen), welcher sie - wie das Wort sagt - als verantwortungslose Sub-Jekte unterworfen sind. Die Herrschenden spielen ihre Rolle als Rolle in einer gewalt-igen Institutionalisierung, in welcher die Rolle bestimmt, was der Rolleninhaber tut. Die brutalste (nackteste) Formulierung dieser Welt ist Luhmann's soziales System, in welchem Menschen wie Zellen eines Organismus nur noch als Körper fungieren.

Subjekte der Realität

Die Ordnung, welcher wir als Subjekte unterworfen sind, ist die 1. Ordnung. Es ist die Ordnung, die ein sich selbst nicht bewusster Beobachter für-wahr-nehmen kann. Es ist die objektive Ordnung der Realien, die wissenschaftlich beschrieben werden (können). Der Wissenschaftler beschreibt die Objekte und die Verhältnisse der Objekte wie sie sind, er ist nur für die richtige, wahre Beschreibung zuständig, nicht für die Realität selbst.

Als objektiv unterworfenes Subjekt komme ich nicht - oder nur unter Freud'scher Verdrängung - umhin, auch mich selbst als Objekt (für)wahrzunehmen. Und natürlich kann ich - wenn ich will - mich fragen, was ich wahrnehmenderweise tue, wenn ich Objekte und Beobachter von Objekten fürwahrnehme, die unabhängig von mir sind, wie sie sind. Sinnigerweise werde ich dabei zu meinem eigenen Objekt und gerate unter das objektive Verfahren, durch welches ich Objekte eben wahrnehme. Ich werde dabei quasi Objekt eines Objektes oder eben zu einem Objekt 2. Ordnung, weil ich dann den Beobachtenden und den Beobachteten als identisch oder selbstbezüglich verstehe.

Fortgesetzte Reflexion

Wenn der Beobachter etwas über seine Um-Welt sagt, sagt er etwas über sich selbst. Fragten wir Kopernikus nach dem Ort der Erde, würden wir nichts über den Ort der Erde erfahren, sondern etwas darüber, wie Kopernikus die Welt erlebt und erklärt, was wir unsererseits mit seinen bescheidenen Mittel und seiner mittelalterlichen Erziehung in Verbindung bringen könnten, wenn wir wollten. Fragten wir Darwin, wie der Mensch entstanden sei, würden wir nichts darüber erfahren - wie sollte Darwin, der "seine" Abstammungslehre bei Wallace abgeschrieben hat, das auch wissen können? Wir könnten von Darwin allenfalls erfahren, wie er sich erklärt, dass er in seinen Augen den Affen gleicht. Aber natürlich ist die Situation ein bisschen komplizierter: Denn das, was wir erfahren würden, wären unsere eigenen Wahrnehmungen und mithin würden wir etwas über uns erfahren, wenn wir "von Freud erfahren", dass unser Handeln libidinöser Sublimation unterliegt. Wir würden erfahren, dass in unserer Erfahrung Freud mit einer bestimmte Aussage vorhanden ist. Beobachter beobachten ausschliesslich sich selbst.

Wenn der Beobachter etwas über die Um-Welt sagt, sagte er etwas über seine Um-Welt (die identisch ist mit seiner Erfahrung von sich selbst). Jede Um-Welt ist die Um-Welt eines Beobachters. Der Konstituent liegt innerhalb seiner Um-Welt, da sie ihn umgibt, aber er gehört nicht zu seiner Um-Welt, da sie ihn um-gibt. "Unsere" Um-Welt gibt es für einen Beobachter nicht, weil jeder Beobachter in der Um-Welt der andern vorkommt, in seiner eigenen aber nicht. Der Beobachter hat immer einen Standpunkt, den er exklusiv besetzt. Kein anderer Beobachter kann je das gleiche beobachten. Die Um-Welten sind so verschieden wie die Beobachter es sind. Einen andern Beobachter "ver-Stehen" würde bedeuten, dorthin stehen, wo der andere steht - was (nicht nur) physisch nicht möglich ist.

Wenn der Beobachter sich seiner selbst bewusst wird, tritt er in die 2. Ordnung. Es ist die Ordnung, die er - in seiner Autopoiesis/Selbst-Organisation - selbst konstruiert, die (nur) für ihn existiert und nicht mitteilbar ist. Der Beobachter 2. Ordnung bestimmt die Bedeutung seiner Wahrnehmungen. Und natürlich kann ein Beobachter, der andere Beobachter wahrnimmt, davon ausgehen, dass genau das alle andern Beobachter auch tun. Der Beobachter, der andere Beobachter wahrnimmt, ist im Zentrum seiner Um-Welt, das er aber nicht als Zentrum der Welt auffassen kann, weil jeder andere Beobachter ja auch im Zentrum seiner Um-Welt steht. Ein logisches Bild dafür ist die 2-dimensional gesehene Oberfläche einer Kugel. Jeder Punkt hat die gleiche Berechtigung in der Mitte zu sein.

In der 2. Ordnung gibt es keine Objekte und mithin auch keine Objektivität und kein unterworfenes Subjekt. In der 2. Ordnung ist die 1. Ordnung aufgehoben, Aussagen über die 1. Ordnung erscheinen in einem neuen Licht (Perspektive): Wenn ein Beobachter etwas sagt, ist das richtig, sonst würde er es ja nicht sagen. Es ist aber richtig für ihn. Jeder Leser/Hörer wird angesichts Aussagen für sich prüfen, inwiefern das Aussagen sind, die er machen würde. Dadurch erfährt der Leser/Hörer etwas über sich, nämlich zu welchen Aussagen er Sinn und Konsistenz erfährt, wobei Sinn und Konsistenz für die Erfahrung stehen, dass die kybernetischen Ziele (Soll-Eigen-Werte) erreicht werden oder erreichbar bleiben. Als Pilot erlebe ich die Anzeigen meiner Instrumente dann als sinnvoll und konsistent, wenn ich das Gefühl habe, sie seien beabsichtigte Resultate meiner Handlungen.

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. Ich erläutern, inwiefern System operationell geschlossen sind, respektive, was ich unter operationeller Geschlossenheit verstehe.

Zunächst frage ich mich, was offen und geschlossen in bezug auf die Konstruktion heissen könnte? Inwiefern kann ein System offen oder geschlossen sein? Ich überlege mir das anhand meines Beispieles, einer thermostatengeregelten Heizung. Spontan fällt mir nichts ein, was nicht völlig trivial und selbstverständlich wäre. Also schaue ich in der L

L. von Bertalanffy schrieb: „Ein System ist dann geschlossen, wenn keinerlei stofflicher Träger von aussen eingeht oder es verlässt; es ist offen, wenn es zwischen ihm selbst und der Umwelt einen stofflichen Austausch gibt (...). Lebende Systeme sind immer offene Systeme, weil sie beständig einen Austausch von Elementen mit der Umwelt unterhalten und somit stets ihre einzelnen Komponenten neu aufbauen und wieder zerstören.“

Dass Systeme weder offen noch geschlossen sind, kann man sich bewusst machen, wenn man sie als Mechanismen sieht. Eine thermostatengeregelte Heizung ist eine Konstruktion aus Metall. Was könnte offen oder geschlossen in bezug auf die Konstruktion heissen? Inwiefern also kann sie offen oder geschlossen sein?

Wenn ich die Heizung unter funktionalen Gesichtspunkten betrachte, dann soll sie heizen, also etwa Heizoel in Wärrme umwandeln. Das Heizoel gehört nicht zur Heizung und die Luft, die durch die Heizung gewärmt wird auch nicht.

Zum andern sehe ich die Heizung als eine funktionale Einheit, mit welcher ich in einem Energiefluss die Form der Energie umwandle. Eine Heizung verwandelt beispielsweise einfliessendes Erdöl in abfliessende Warmluft. Ich betrachte die Heizung als Teil dieses Energieflusses, nicht umgekehrt. Wenn ich die Heizung als System verwende, beschreibe ich, wie die Energie umgewandelt wird. Die Energie setze ich voraus, wie ich als Konstrukteur einer Oelheizung voraussetze, dass es Heizoel gibt.

     

 
 
 

Als konstruierender Beobachter betrachte ich Systeme als operationell geschlossen, dass heisst, ich betrachte die Operationen des Systems ausschliesslich als Reaktionen auf die Zustände des Systems selbst. Eine thermostatengeregelte Heizung reagiert in diesem Sinn nicht auf die Raumtemperatur, sondern auf den Zustand des Thermometers. W. Ashby schreibt (in einem der grundlegendsten Büchern zur Kybernetik): "Tatsächlich könnte man Kybernetik definieren als Erforschung von Systemen, die offen für Energie, aber geschlossen für Information, Regelung und Steuerung sind, - von Systemen, die 'informationsdicht' sind (Einführung in die Kybernetik:19). Anstelle von "informationsdicht" spreche ich von "operationell geschlossen", auch weil ich auch den unsäglichen Ausdruck "Information" in diesem Zusammenhang nicht verwenden will.

Ausserdem suggeriert W. Ashby's Formulierung, dass es auch Systeme gibt, die auch für Information offen sind.
Kybernetik kann man in diesem Sinne als konstruktive Disziplin von der rezeptiv-deutenden Systemlehre (General System Theorie), die "offene Systeme" beschreibt, abgegrenzen. In der Konstruktiven Systemtheorie ist diese Unterscheidung in der Beobachterperspektive aufgehoben.

Ein aussenstehender Beobachter kann allenfalls sehen, dass der Zustand des Thermometers von der Raumtemperatur abhängig ist, aber der Heizung selbst ist natürlich gleichgültig, warum das Thermometer wieviel anzeigt, sie kompensiert Signale vom Thermometer - auch dann, wenn das Thermometer nicht richtig funktioniert oder manipuliert wird (Anmerkung 2).

Als Konstrukteur der Heizung kann mir gleichgültig sein, warum das Thermometer im je konkreten Fall wieviel anzeigt, ich konstruiere einen definierten Kompensationsmechanismus. Für die Funktionsweise einer Heizung ist irrelevant, ob die Heizung am Nordpol oder in der Sahara steht. Als Konstrukteur muss ich mich - was die Funktionsweise betrifft - nicht um die Umwelt der Heizung kümmern. Die Operationen der Heizung erscheinen mir als von der Umwelt unabhängig. Natürlich gibt es für jedes System Um-Welten, in welchen das System nicht funktioniert oder sogar zerfällt. Das ist konstruktiv relevant, aber nicht für die Funktionsweise des Systems (Anmerkung 3).

Flugsimulatoren illustrieren die operationelle Geschlossenheit sehr gut, weil sie dort bewusst reproduziert wird. Bei einem hinreichend guten Flugsimulator kann ich als Pilot gar nicht unterscheiden, ob ich fliege oder nicht, weil ich nur die Innenperspektive (des Systems Flugzeug) habe. Nur als aussenstehender Beobachter kann ich sehen, ob ein Pilot in einem Flugzeug oder in einem Simulator sitzt. Als Pilot antworte ich mit meinen Steuerbewegungen auf die Anzeigen der Instrumente und die Anzeigen antworten mir auf meine Steuerbewegungen. Das ist natürlich auch der Fall, wenn ich alsr Pilot im Blindflug wirklich fliege (Anmerkung 4).

            

Damit ein Mechanismus überhaupt eine Funktion erfüllen kann, braucht er natürlich Energie. Die thermostatengeregelte Heizung braucht beispielsweise Oel und Strom für den Thermostaten. Die Energie stammt aus der Umwelt des Systems. Energetisch ist ein System also quasi offen (Anmerkung 5). Die operationelle Geschlossenheit bezieht sich auf die Funktionsweise, also auf die Operationen des Systems. Eine thermostatengeregelte Heizung braucht nicht immer Oel, sondern nur dann, wenn es ihr Eigenzustand erforderlich macht, weil die Temperatur des Thermometers unter den eingestellten Sollwert gefallen ist. Ob die Heizung also operiert oder nicht, ist - wenn die notwendigen Milieubedingungen erfüllt sind, also beispielsweise wenn überhaupt Oel vorhanden ist - nur vom Zustand der Heizung selbst abhängig (Anmerkung 6).


Kritischer Exkurs: "offene Systeme"

Jenseits der Systemtheorie gibt es unzählige Auffassungen von "Systemen". Im Alltag wird sehr oft von "offenen Systemen" gesprochen, die auf Input oder auf Informationen reagieren und sich allenfalls adaptiv verhalten. Eine Quelle solcher Vorstellungen ist die Systemlehre von L. von Bertalanffy. Anfänglich (ab 1928) schrieb der Biologe in Beiträgen zur Biologie über offene Systeme, später (während des 2. Weltkrieges) wechselte er den Focus und schrieb über Systeme in der Biologie, was er - im nationaldeutschen Sprachraum - zunächst Systemlehre nannte (Anmerkung 7). Erst im akademischen Wiederaufbau übernahm er den von den amerikanischen Siegern verwendeten Ausdruck "Theorie". Aber auch dann blieb er bei seinen "offenen Systemen", die er als biologische Organismen von maschinellen Systemen unterscheiden wollte. Er übte scharfe Kritik an der "mechanistischen" Kybernetik, die bewusst und explizit von Steuerung in Maschinen und Tier gesprochen hat.

L. von Bertalanffy schrieb: „Ein System ist dann geschlossen, wenn keinerlei stofflicher Träger von aussen eingeht oder es verlässt; es ist offen, wenn es zwischen ihm selbst und der Umwelt einen stofflichen Austausch gibt (...). Lebende Systeme sind immer offene Systeme, weil sie beständig einen Austausch von Elementen mit der Umwelt unterhalten und somit stets ihre einzelnen Komponenten neu aufbauen und wieder zerstören.“ L. von Bertalanffy beschreibt damit, was ein Lebewesen (aus)macht (Anmerkung 8). Mir ist eigentlich unklar, weshalb er dabei Lebewesen als Systeme bezeichnet, aber der Ausdruck "System" wird in der Philosophie und in der philosophisch angehauchten Naturwissenschaft eben sehr umfassend verwendet. Die Griechen meinten mit "systema" eine bewusst hergestellte Ordnung, wie sie in allen Artefakten und hypothetisch überall im Kosmos (also jenseits des Chaos) zu finden ist. In der westeuropäischen Philosophie wurde der Ausdruck System dann zunächst für hypothetische Konstruktionen - wie sie etwa G. Galilei in den Augen der Kirchenvertreter vorgeschlagen hat - verwendet. Später nannte man rationale Lehren insgesamt System, und schliesslich heissen in dieser Tradition Ordnungs-Lehren, wie sie C. von Linné begründet hat, noch heute "System". Ich verwende für diese Zusammenhänge den Ausdruck Systematik.
Ich glaube, dass L. von Bertalanffy den Ausdruck "System" in dieser systematischen Tradition verwendet hat, und deshalb sehr irritiert war, als die Kybernetiker den Ausdruck für eine ganz andere Sichtweise verwendeten (Anmerkung 9).

     

Bei einem Mähdrescher gehen Benzin und Aehren rein, und Korn, Stroh und Abgase und Wärme kommen raus.

Die Thermodynamiker und mithin die Physiker sprechen im Zusammenhang mit der Entropie von energetisch offenen und geschlossenen Systemen. Dabei wird der Ausdruck System aber nochmals ganz anders verwendet. In dieser Umgangssprache der Physiker steht des Ausdruck System für energetische Räume, die sie für lokale und universelle Wärmetodvorstellungen brauchen. Die Physiker postulieren, dass in energetisch geschlossenen Systemen jede Ordnung zerfällt. Die Erde etwa lebt von der Enegie der Sonne, sie ist deshalb ein energetische offenes System.

Und schliesslich gibt es auch hitzige Diskussionen darüber, ob Systeme "an sich" offen oder geschlossen sind. Von all diesen Dingen ist hier nicht die Rede. Hier geht es nicht darum, ob Systeme offen sind, sondern darum, dass ich Systeme unter der Perspektive eines konstruierenden Beobachter als operationell offen auffasse. Das heisst, es geht um eine Sichtweise, die ich bewusst wählen oder nicht wählen kann. In der Systemtheorie mache ich - wie H. Ashby und N. Wiener - konstruktiv nur und ausschliesslich Aussagen über operationell geschlossene Systeme. In der mit Mechanismen denkenden Systemtheorie ist sachlogisch klar, dass Mechanismen durch Energie bewegt werden, die sie nicht selbst produzieren, von Perpetuum mobile war nur in extrem seltenen Ausnahmen die Rede. Die Systemtheorie behandelt die Steuerung der Energiekreise, nicht die Frage, woher die Energie kommt. Die Geschlossenheit bezieht sich also nicht auf Energie, sondern die Funktionsweise. Die operationelle Geschlossenheit entspricht einer bestimmten Perspektive, die für die konstruktive Systemtheorie konstitutiv ist. Die operationelle Geschlossenheit ist kein Postulat über das Wesen von Lebewesen oder die Funktion von Maschinen.

Metakommunikation

Die operationelle Geschlossenheit ist der Kern der Systemtheorie 2. Ordnung, die ich im 3. Kapitel "Das Beobachtersystem" darstelle. Die operationelle Geschlossenheit ist ist meines Erachtens eine Herausforderung für den gesunden Menschenverstand wie die von J. Forrester genannten "Strecken" in der Systemdynamik. Die operationelle Geschlossenheit erzwingt, dass das System so gewählt wird, dass Kommunikation und mithin Feedback innerhalb des System stattfinden.


Fortsetzung folgt ...


Literatur

Ashby, W. Ross: Einführung in die Kybernetik
Holzkamp, Klaus: Wider den Lehrlern-Kurzschluß, in: Arnold, R. (Hg.): Lebendiges Lernen

 


Anmerkungen

1) Relativ unproblematisch sind logischerweise formale Einführungen wie etwa jene von W. Ross Asby, die überdies präziserweise "Einführung in die Kybernetik" heisst. ( zurück)
 

2) Die Systemtheorie ist nicht nur eine Modellierungswissenschaft, sie dient als begriffliches Konzept auch der Reflexion von systemtheoretisch gemeinten Aussagen, wie sie etwa im Umfeld des Soziologen Niklas Luhmann oder im Umfeld der systemischen Psychotherapien zu finden sind, wo die 2. Ordnung auch oft beschworen wird. ( zurück)
 

3) Ich erwähne diese beiden Ansätze hier, weil sie relativ bekannt und im Selbstverständnis der Autoren Anwendungen der Systemtheorie 2 Ordnung sind. ( zurück)
 

4) H. Maturana etwa bezeichnet Vielzeller als autopoietische Systeme 2. Ordnung, weil sie aus Zellen bestehen, die sich ihrerseits selbst hergestellt haben. Im Umfeld von N. Luhmann wird oft von 2. Ordnung gesprochen, wenn ein Beobachter einen anderen Beobachter beobachtet. Das ist hier alles nicht gemeint.)" ( zurück)
 

5) Zur Wiederholbarkeit von Experimenten gibt es ein spannendes Buch von A. Koestler: (Der Krötenküsser)" ( zurück)
 

6) Diese Teilmenge wird nicht durch eine andere, sondern durch eine weitere Unterscheidung bestimmt. J. Konorski hat in seinem Experiment nicht einfach eine weitere Unterscheidung eingeführt, sondern mit einer anderen Unterscheidung gearbeitet. Eine weitere Unterscheidung wäre etw gewesen, wenn J. Konoski die Lautstärke oder die Dauer des Läutens begrenzt hätte, er hat aber auf das Läuten insgesamt verzichtet. Wie Sie sehen, beobachte ich schon hier Unterscheidungen ( zurück)
 

7) H. Maturana sagt deshalb, dass Erklärungen soziale Verhältnisse seien. "But this shows to you, that it is not enough that the answer should have the proper form. Must satisfy some other elements in the listening. Hm, but this is telling something very interesting. This is telling us that an explanation is an interpersonal relation. Isn't that so?" (1992). Nein, das sehe ich nicht so. In meiner Sicht sind Erklärungen keine Verhältnisse, sondern Beschreibungen. Aber natürlich kann man von einem sozialen Verhältnis sprechen, wenn ein Mensch die Erklärung eines andern Menschen akzepiert oder zurückweist. ( zurück)
 

8) Dann kann ich die Operatioen beschreiben: Eine Einladung, das Akzeptieren der Einladung, das gemeinesame Hingehen. Diese Operationen ermöglichen mein Phänomen. Natürlich kann der junge Mann seine Grossmutter auch ganz zufällig im Cafe getroffen haben. Es gibt ganz viele Erklärungen, nur das "Grossmuttersein" alleine ist noch keine Erklärung.
In der Erklärung können auch Gründe dafür genannt werden, warum welche Operationen zu welchen Resultaten führen. Oft werden sogar finale und kausale Begründungen selbst als Erklärungen betrachtet. Diese Begründungen gehören aber nicht zur Erklärung im engeren Sinne. Erklärungen beruhen natürlich oft auf kausalen Gründen, aber eine operative Beschreibung beinhaltet wesentlich mehr, sie beruht auf einer Wahl einer Kausalität.
Man kann -
W. Quine und Aristoteles tun es - Erklärungs-Richtungen als Ursachen und Gründe unterscheiden. Erstere sind kausal (weil), die andern final (damit). Man kann auch über die Funktion von weil und damit in sprachlichen Erklärungen nachdenken. ( zurück)
 

9) Wenn ich sage, dass eine Operation ein Prozess ist, mache ich die unglaublichen Aufhebungen meiner Alltagssprache mit.
In meiner Alltagssprache sind der Beobachter und die Unterscheidung zwischen Prozess und Produkt aufgehoben. Wenn ich ein bestimmtes Verfahren verwende, wenn ich etwa um ein Bild aufzuhängen, einen Nagel in die Wand schlage, dann mache ich etwas, dann bin ich tätig. Und in meiner Umwelt geschieht etwas, es geht ein Nagel in eine Wand. Natürlich hängt das, was "geschieht" mit meiner Tätigkeit sinnenklar zusammen. Der praktische Verstand braucht muss auch nicht separat ausweisen, das der Nagel in der Wand ist, nachden er zuvor in die Wand geschlagen wurde. Schliesslich ist im Nachhinein auch egal, ob den Nagel in die Wand geschlagen habe, oder ob er schon da war.
Begrifflich aber spielt es eine Rolle, ob ich über meine Tätigkeit, etwa hämmern, oder über den Effekt meiner Tätigkeit, etwa dass sich der Nagel bewegt, oder über das Resultat meiner Tätigkeit, etwa dass der Nagel in der Wand ist, spreche.
Ich sehe hinter jeder Veränderung einen Prozess. Die Position des Nagels verändet sich also in einem Prozess. Das, was ich dazu mache, nenne ich Operation oder Verfahren. Da ich mich beim Hämmern bewege und mithin meine Position auch verändere, ist auch das ein Prozess. In den alltäglichen Ausdrücken "Operation" und "Verfahren" sind beide Prozesse gemeint. (
zurück)
 

10) Die Geschichte steht in Einführung in die Kybernetik :96. Der Idealismus des rein Geistigen, der wie der Materialismus oder der Konstruktivismus eine beliebige Beobachter-Haltung darstellt, ist eine sehr verbreitete Auffassung, die sich keineswegs nur gegen mechanistisches Denken richtet. Information, um nur ein typisches Beispiel zu nennen, wird sehr oft als etwas Immaterielles bezeichnet. Viele Menschen folgern aus der Tatsache, dass ein Zeichen oder ein System beliebige Träger haben kann, dass der Träger überhaupt irrelevant sei. ( zurück)
 

11) Ich habe die Antwort auf den Brief noch nicht gesehen, aber mit etwas Systemtherie lässt sich die Lösung sicher finden. ( zurück)
 

12) Die Benennungen des Alltages halten sich natürlich nicht an meine analytischen Unterscheidungen, es werden beliebige Dinge Automat genannt. Man kann also nicht zu allem, was im Alltag Automat heisst, eine Regelung finden. ( zurück)
 

12*) Im Positivismusstreit wird der Stellenwert der Systemtheorie insgesamt diskutiert. Dabei wird allerdings eine sehr diffuse Auffassung von Systemtheorie verwendet. ( zurück)
 

14) Die klassische Wahrnehmungsforschung untersucht, wie Menschen "wahrnehmen". Die Wahrnehmung wird dabei im wesentliche rezeptiv verstanden, auch dort, wo man von grossen Rechenleistungen bei der sogenannten Bildverarbeitung im Gehirn spricht. Der passive Aspekt ergibt sich durch die Reihenfolge, wonach die wahrgenommene Sache Primat vor dem Beobachter hat. Typische Untersuchungsgegenstände sind optische Täuschungen, denen die Wahrnehmung ausgeliefert ist. Konstruktivisten wie S. Ceccato und J. Piaget haben ihr Interesse an der rezeptiven Wahrnehmung sehr rasch verloren. Bei H. Maturana kann man den Uebergang von Wahrnehmungsexperimenten zu epistemologischen Fragen sehr genau verfolgen. Mittlerweil gibt es auch postmodernen Ansätze in der Neurophysiologie, die Wahrnehmung als eigentliche Handlung auffassen. Nur hat die Neurophysiologie natürlich kein handelndes Subjekt, das sie Verhaltensweisen von neuronalen Netzwerken beschreibt. ( zurück)
 

15) Man kann das Postulat eines Handlungszusammenhangs handlungstheoretisch verstehen, ich meine es aber nur phänomenologisch. Ich beschreibe damit, wie ich als deutender Beobachter Gegenstandsbedeutungen wahrnehme. Handlungszusammenhänge klären und begründen nichts, sondern sie sind das, was theoretisch plausibilisiert werden muss. Bisher sind alle KI-Ansätze daran gebrochen, dass Roboter kein Handlungszusammnehänge - die dort gemeinhin Frames genannt werden - erschaffen, während Beobachter sie offensichtlich ohne die geringste Anstrengung einfach zur Verfügung haben.

Im autopoietischen Ansatz von H. Maturana sind die Handlungszusammenhänge problematisch, weil sie von den autopoitischen Maschinen, die zunächst Einzeller sind, entwickelt werden müssen. H. Maturana spricht von "konsensuellen Bereichen", die es ermöglichen, strukturelle Koppelungen zu deuten. N. Luhmann verkehrt die Sache ganz und spricht von "funktionalen Systemen" wie Kunst oder Wissenschaft, in welchen Deutungen nicht nur schon vorhanden sind, sondern die Menschen nur als Deutungsträger fungieren. In beiden Fällen werden die Frames mit dem gesunden Menschenverstand gewählt, den eben jeder deutende Beobachter einfach hat.

Im Konstruktivismus im engeren Sinne ist theoretisch reflektiert, dass Menschen als toolmaking animals wirklich Funktionen konstruieren, die konsensuelle Bereiche begründen, die weder biologisch noch durch Luhmanns theoretische Gnaden begründet werden müssen, sondern einfach der materiellen Produktion entstammen - ganz wie Faust es sagt: "Am Anfang war die Tat!" ( zurück)
 

Systemtheorie