Computer als Partner

Emotionen in der Mensch-Maschine-Kommunikation

Dirk Siefkes, TU Berlin, Informatik

Thesenpapier zum Workshop "Beziehungskisten" der MMK 2002; 3.11.02

These 1: Wie andere geistige und körperliche Phänomene (Gedanken, Wahrnehmungen, Handlungen) reproduzieren sich Emotionen im Menschen über Schemata (Routinen, Programme). Die Phänomene kommen und gehen, die Schemata sind vergleichsweise beständig und verändern sich nur über die Reproduktion. Jeder Mensch ist so durch seine Schemata charakterisiert, sie machen seinen Charakter aus. (Stern, Dornes, Ciompi, Brödner, Siefkes 99ff.)

These 2: Die vier Typen von Phänomenen unterscheiden wir streng, die Schemata sind aber eng gekoppelt und lassen sich nicht getrennt aktivieren (Stern, Ciompi). Fühlen und Denken, Wahrnehmen und Handeln entwickeln sich also gemeinsam (Vygotski, Piaget). Lernen ist durchaus eine emotionale und soziale Angelegenheit, nicht nur eine rationale (Grüter, Siefkes).

These 3: Wir lernen am besten in kleinen Gruppen, in denen wir uns direkt austauschen können (Siefkes 92a). Individuelles Lernen ist dadurch ebenso bestimmt wie kollektive kulturelle Entwicklung (Siefkes 92b ff.). Die Kreativität einer Gruppe hängt von ihrer Vielfalt ab (Bronfenbrenner).

These 4: Beim Maschinisieren materialisieren wir körperliche Schemata, bringen sie in Form einer Maschine. Beim Formalisieren reglementieren wir geistige Schemata, bringen sie in Form eines Regelsystems. Bei beidem fallen Schemata und Phänomene zusammen, es findet keine Entwicklung mehr statt; Maschinen und Formalismen verändern sich nicht selbst. Die Kopplung zwischen den verschiedenen Typen verschwindet, die emotionale Komponente wird auf die rationale reduziert. (Siefkes, auch in Coy und Bauknecht) Auch beim formalen und technischen Arbeiten orientieren wir uns daher an Erfahrungen aus allen Bereichen, nicht nur an wissenschaftlich/technischen (Eulenhöfer).

These 5: Im Computer wird Formales auf die Maschine gebracht, also "Kopfarbeit maschinisiert" (Nake in Coy). Im Computer haben wir daher ein Gegenüber, in dem wesentliche menschliche Qualitäten (Lernfähigkeit, Spontaneität, Verlässlichkeit, Vergesslichkeit) durch andere ersetzt sind (Schnelligkeit, Berechenbarkeit, unbeschränktes Gedächtnis). Wir können ihn aber nur als menschlichen Partner behandeln, da unsere Schemata so funktionieren. Verdrängen oder ignorieren wir dabei unsere Emotionen, schränken wir unsere Lernfähigkeit ein; erwarten wir Emotionen vom Computer, gehen wir irre. (Siefkes 89, 92)

These 6: Nutzer leben genau die Gefühle am und mit dem Computer aus, die sie gegenüber und mit vergleichbaren Menschen ausleben. Welche Gefühle das sind, hängt vom Computer und von ihnen selbst ab. Benutzeroberflächen sollten also unterschiedlich sein wie Menschen, damit Nutzer sich den Typ aussuchen können, mit dem sie am besten arbeiten.

These 7: Intelligente Menschen wissen um die enge Kopplung von Denken, Wahrnehmen und Handeln mit Fühlen, nutzen sie aus, vertrauen sich ihr an. Sogenannte intelligente Maschinen fällen Entscheidungen anhand von Kriterien. Je "intelligenter" Maschinen sind, desto menschlicher erscheinen sie uns, desto höhere Erwartungen rufen sie hervor. Die Erwartungen sind unerfüllbar, weil Maschinen auf Emotionen nicht eingehen können. Je "intelligenter" die Maschinen und je emotionaler die Menschen, desto zerstörerischer sind die Beziehungskisten, die Nutzer mit Computern zimmern (Siefkes 89). Computer und ihre Oberflächen sollten also so einfach und spezifisch wie möglich für die Aufgabe sein. Wenn sie als Medium genutzt werden, sollten sie der Art der Kommunikation angepasst, aber dem Inhalt gegenüber neutral sein.

These 8: Kommunikation über den Computer ist wie bei jedem formalen Medium eingeschränkt, zunächst in der emotionalen Komponente, durch die Kopplung auch in der rationalen. Andererseits bietet sie durch ihre Unmittelbarkeit neue Möglichkeiten. Email ist dem Gespräch näher - ist emotionaler! - als briefliche Kommunikation. Aber sie gibt nicht die Verläßlichkeit wie das körperliche Gegenüber im Gespräch und - selbst ausgedruckt - nicht die Sicherheit wie der Brief in der Hand. (Crutzen/Hein in Bauknecht)

These 9: Emotionale Schemata werden visuell direkt angeregt, verbal nur über die Kopplung mit kognitiven Schemata. Kommunikation mit Bildern ist daher unvermittelter, aber unspezifischer als mit Texten. In Benutzeroberflächen kann die visuelle Botschaft die verbale unterstützen oder aufheben; unabhängig sind beide nie. (Thissen)

These 10: Maschinen konstruieren wir, Menschen beeinflussen wir; gestalten können wir nur die Beziehungen zwischen beiden (Rolf, Volpert, Siefkes in Coy; Grüter). Entwickler wie Nutzer können Funktionen von Computern und deren Oberflächen bestimmen und verändern. Dadurch gestalten sie Beziehungskisten.

Zusammenfassung: Mensch-Maschine-Kommunikation ist nicht emotionsfrei und sollte nicht emotional sein.

Literatur

Bauknecht, Kurt, et al. (Hg.) 2001: Informatik 2001. GI/OCG-Jahrestagung Wien. Österreichische Computergesellschaft.

Brödner, Peter 1997: Der überlistete Odysseus. Über das zerrüttete Verhältnis von Menschen und Maschinen. Berlin: edition sigma.

Bronfenbrenner, Urie 1979: The ecology of human development. Harvard University Press.

Ciompi, Luc 1997: Die emotionalen Grundlagen des Denkens. Entwurf einer fraktalen Affektlogik. Vandenhoeck.

Coy, Wolfgang et al. (Hg.) 1992: Sichtweisen der Informatik. Vieweg.

Dornes, Martin 1993: Der kompetente Säugling. Die präverbale Entwicklung des Menschen. Fischer.

-"- 1997: Die frühe Kindheit. Entwicklungspsychologie der ersten Lebensjahre. Fischer.

Eulenhöfer, Peter, et. al.1997a: Informatics as Cultural Development. TU Berlin, FB Informatik, Bericht 97-2.

-"- 1997b: Die Konstruktion von Hybridobjekten als Orientierungsmuster in der Informatik. TU Berlin, FB Informatik, Bericht 97-23.

Grüter, Barbara 2000: e-motion — elektronische Formen der Bewegung. Beitrag MMK 99, AG "Bringing Design to Software", vollständig überarbeitete Version.

Piaget, Jean 1977: The Essential Piaget. H.W. Gruber & J. Vonèche (eds.), Basic Books.

Siefkes, Dirk 1989: Beziehungskiste Mensch-Maschine. In Sprache im technischen Zeitalter, Bd. 112, S. 332-343. Auch in Gero von Randow (Hrsg.): Das kritische Computerbuch, Grafit-Verlag, Dortmund 1990, S. 90-110. Auch in Siefkes 92a, S. 115-129.

-"- 1992a: Formale Methoden und kleine Systeme. Lernen, leben und arbeiten in formalen Umgebungen. Vieweg.

-"- 1992b: Fish in Schools or Fish in Cans — Evolutionary Thinking and Formalization. International Computer Science Institute, Berkeley, TR-92-009.

-"- 1995: Ökologische Modelle geistiger und sozialer Entwicklung. Beginn eines Diskurses zur Sozialgeschichte der Informatik. Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Bericht FS II 95-102.

-"- 1999: Die Rolle von Schemata in der Informatik als kultureller Entwicklung. TU Berlin, FB Informatik, Bericht 99-6.

-"- 2002a: Sozialgeschichte und kulturelle Theorie der Informatik. TU Berlin, Fak. Elektrotechnik & Informatik, Bericht 02-16.

-"- 2002b: Hybridization in Computer Science. TU Berlin, Fak. Elektrotechnik & Informatik, Bericht 02-17.

Siefkes, Dirk, et al. (Hrsg.) 1998: Sozialgeschichte der Informatik. Kulturelle Praktiken und Orientierungen. Deutscher Universitätsverlag.

Stern, Daniel N. 1990: Diary of a Baby. Basic Books. Deutsch: Tagebuch eines Babys. Was ein Kind sieht, spürt, fühlt und denkt. Piper.

-"- 1995: The Motherhood Constellation. Basic Books. Deutsch: Die Mutterschaftskonstella-tion. Klett-Cotta 1998.

Thissen, Frank 2001: Kommunikation mit dem Computer. Über Emotionen, Metabotschaften und das Design von multimedialen Arbeits- und Lernumgebungen. Konferenz "Mensch und Computer" Bad Honnef.

Vygotski, Lev 1978: Mind in Society. The Development of Higher Psychological Processes. Harvard University Press.