Prof. Dr. Horst Oberquelle 10. November 2002

Thesen zu AG 4

"Beziehungskisten: Computer und Emotionen"

22. MMK in Münster

These 1:

Emotionen sind ein relevantes Thema der Mensch-Computer-Interaktion (MCI), aber nicht ganz neu, und erst recht nicht notwendig im Gegensatz zu Usability zu sehen. Es muss auf negative und positive Emotionen geachtet werden.

Erläuterungen:

Die Diskussion über Usability enthält im Grunde schon den Aspekt der Emotionen, auch wenn er bisher ein Schattendasein geführt hat. Das liegt meiner Meinung nach daran, dass die Emotionen unter den Aspekt der Benutzerzufriedenheit fallen, der in dem allgemein akzeptierten Konzept der "Usability" nach Effektivität und Effizienz auftaucht (ISO 9241, teil 11). Aus meiner Sicht bilden diese drei Punkte eine Zielhierarchie: ohne Effizienz (sprich Erreichbarkeit der Ziele), hilft auch keine Effektivität (keine unnötigen Umwege und Ballast), und erst recht kein Spaß (Freude durch die Anmutung etc.). Negative emotionale Reaktionen können aber vor allem durch Verletzung der Forderungen nach Effektivität und Effizienz entstehen. Wer hatte nicht schon Wut im Bauch, wenn er /sie immer wieder zu demselben Fehler verleitet wurde und viel Aufwand zur Korrektur aufbringen musste? Soll das durch Ignorieren der Usabilty-Forderungen durch Leute, die nur eine oberflächliche Ahnung davon haben, noch verstärkt werden?

Ob emotionalisierte MCI dazu genutzt werden soll, um das Benutzerverhalten zu manipulieren (z.B. Kauf von Sachen, die man eigentlich gar nicht suchte), Benutzer also von ihren ursprünglichen Zielen abzubringen, wäre eine interessante Frage.

These 2:

Präzisere Beschreibungen der Emotionalisierung sind notwendig! In dieser Hinsicht ist das Moderatorenpapier ziemlich konfus.

Erläuterungen:

Was soll es z.B. bedeuten (These 6 des Moderatorenpapiers), dass "interaktiven Systemen intensivere Emotionalität ermöglicht wird"?

Wenn wir über Emotionen im Zusammenhang der MCI reden, sollten wir genauer sagen:
1. Wer oder was löst die Emotionen aus ?
2. Wie äußern sich die Emotionen bei der Benutzerin / dem Benutzer ?
3. Sind es positive oder negative Emotionen?
4. Wer / was nimmt die Emotionen wahr und soll darauf reagieren ?
5. Wenn von "Beziehungskiste" gesprochen wird: Wer steht mit wem in solchen Beziehungen?
6. Wem nutzt die Emotionalisierung? Ist Emotionalisierung Manipulation?

These 3:

Wenn wir über Emotionen in der MCI sprechen, sollten wir die zu Grunde gelegten Perspektiven explizit herausarbeiten.

Erläuterungen:
Im Moderatorenpapier mischen sich vielerlei Perspektiven / Sichtweisen (vgl. Maaß & Oberquelle, 1992) auf die MCI. Außerdem werden nicht alle relevanten Perspektiven eingeführt. Emotionen werden nicht nur in Kommunikation ausgelöst, sondern auch durch Artefakte, wie ansprechende / abstoßende Räume, Gegenstände, Werkzeuge.

Beispiele sind:
• MCI als Mensch-Computer-Kommunikation: Computer als (intelligenter, zu Emotionen fähiger?) Partner, der ggf. auf Emotionen reagieren soll.
• MCI als Mensch-Computer-Mensch-Kommunikation: Der Computer als Medium, welches Emotionen mehr oder weniger schlecht vermittelt.
• MCI als indirekte Entwickler-Benutzer-Kommunikation: Der Computer als formal handelnder "Kommunikationspartner", der emotionalisierendes Verhalten aufgeprägt bekam.
Es fehlen die Perspektiven:
MCI als Werkzeuggebrauch: Der Computer stellt Material und Werkzeuge bereit, die zu emotionalen Reaktionen führen können.
MCI als kooperative Nutzung gemeinsamer Arbeitsumgebungen: Benutzer arbeiten an gemeinsamem Material in gemeinsamen Räumen und werden durch sog "Awareness"-Funktionen über die Präsenz und das Verhalten anderer informiert.
Dass latent jegliche MCI als eine Kommunikationssituation bzw. als Umgang mit Ortenwahrgenommen wird, haben Reeves & Nass (1996) deutlich gemacht.

These 4:

Die Diskussion über Emotionen muss unbedingt differenzierter geführt werden nach der Form der Nutzung der MCI.

Erläuterungen:

Bei regelmäßiger Nutzung eines interaktiven Systems können emotionalisierende Teile, die beim ersten Mal lustig sind, sich zur Nervensäge entwickeln (Klammer bei MS-Word). Ein Werkzeug, welches dem Benutzer seine Arbeit optimal erleichtert, kann geliebt und wärmstens weiter empfohlen werden.

Bei Web-Anwendungen muss der Spaßfaktor vielleicht höher sein, um überhaupt Aufmerksamkeit zu erregen. Aber das lässt schnell nach, wenn man seine Ziele nicht erreicht.

These 5:

Emotionalisierung darf nicht zur Spielweise der Designer und Verkäufer werden. Erläuterungen:

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Betonung der Emotionen als Entschuldigung dafür genommen wird, sich mit den schwierigeren Teilen der Umsetzung von Usability auseinanderzusetzen. Oder ist Usability überhaput nicht im Interesse derjenigen, die emotionaleres Design propagieren?

Literatur:

Oberquelle, H., Kupka, I., Maaß, S. (1983). A View of Human-Machine Communication and Cooperation. International Journal on Man-Machine Studies, 19,4, 1983, 309-333
Maaß, S., Oberquelle, H. (1992). Perspectives and Metaphors for Human-Computer Interaction. In:
Floyd, C., Züllighoven, H., Budde, R., Keil-Slawik, R. (Eds.). Software Development and Reality Construction. Springer, Berlin, 1992, 233 - 251
Reeves, B., Nass, C. (1996). The Media Equation. How People Treat Computers, Television, and New Media Like Real People and Places. CSLI Publications / Cambridge University Press, Cambridge