Rolf Todesco
Notizen zur AG 2 an der MMK 2000

Die Funktion des "Sprachraumes"

Die Funktion des Konstruktes "Sprachraum" ist diskursiv. Es geht darum, über Sprache zu reden, wie wenn Sprache eine Sache wäre. Da Sprache nicht leicht als Sache verstanden werden kann, macht man einen Sprach-Raum. Dann ist der Raum die Sache, die aus Sprache besteht.

Verschiedene Teil-AGs haben den Sprachraum verschieden aufgenommen. Eine AG hat das paradigmatische Standard-Modell offener System unterlegt und Sprachraum metaphorisch für die unfassbaren Bereiche in ihrem Modell gedeutet. In dieser Auffassung wird postuliert, dass die Menschen zunächst unkoordiniert herumtrampeln und sich im Laufe der Zeit eine soziale Ordnung angewöhnen, so dass sie endlich im Gleichschritt trampeln können. Alles, was die Menschen in diesem Prozess als Teil einer Ordnung wahrnehmen, sind Zeichen im Sprachraum, den sie sich schaffen. Sprachraum steht für symbolisch vermittelte Ordnung, was die AG in Form von getanzten Tiller-Girls zum Ausdruck brachte.

Eine andere Teil-AG entwickelte ein "Sprachdomino", in welchem "bedeutungsschwangere" Wörter angeordnet werden, so dass Sinn entsteht, der in den Wörtern (Spielkarten) noch nicht vorhanden ist. Ich sehe darin ein auf den Kopf gestelltes wittgensteinsches Sprachspiel. Raum steht darin als Metapher für Sinn, der sich aus den gelegten Spielkarten emergiert.

Eine andere Teil-AG enwickelte ein Modell mit halbdurchsichtigen Milchglassscheiben, die gleichzeitig spiegeln. Die Wörter sind Gegenstände die von einem verscheibten System zum andern geworfen werden, wo sie in einer Spiegelung der eigenen Welt halb gesehen werden, wodurch sich die eigene Welt verändert. Ich lese das Modell als hermeneutisches Paradigma der Interpretation von Botschaften. Als Sprachraum gelten die verscheibten Systeme, innerhalb welcher Wörter und Interpretationen kollidieren und eine Art sprachlicher Wirklichkeit entstehen lassen.

In unserer Teil-AG war ich selbst eine Teil-AG. Ich habe unsere AG als Versuch verstanden, zu schauen, wo überhaupt sinnvollerweise von Sprache gesprochen wird. Dazu haben wir uns kybernetische Beschränkungen auferlegt: Wir haben geprüft, wie gut wir unter babylonischen Sprachverwirrungen arbeiten konnten. Es ging sehr gut. Wir haben 2 Fälle unterschieden. Ich komme auf einen finischen Bauernhof und muss mit den Finnen kommunizieren, dessen Sprache ich nicht kenne. Dabei ist keine fremdreferentielle Aufgabe zu lösen, der Kontext ist durch die Situation gegeben. Im andern Fall waren wir ein Software-Team mit der fremdreferentiellen Aufgabe eine MMK-Site fürs Internet zu produzieren, wobei wir wiederum keine gemeinsame Sprache sprachen.

Innerhalb unserer Arbeitsgruppe kamen wir ohne Matscheiben (Teil-AG 3) und ohne Sinnemergenzen (Teil-AG 2) aus. Die Ordnung stellte sich auf der Handlungsebene ein, dazu mussten wir keinen "Alles ist Sprache - Raum" (Teil-AG 1) postulieren. Der Prozess beruhte darauf, dass jeder von uns an der 3. Sache, also an der herzustellenden Software, produzierte. Wir liessen zu, dass andere Ideen unsere Ideen überschrieben und überschrieben andere Ideen im Sinne einer kollektiven Gestaltung. Ich nenne dieses Verfahren Hyperkommunikation.

Wir fanden, dass in unserem Setting Sprache nur gebraucht wird, wenn wir unsere Arbeit begründen oder erklären wollten. Wir nannten deshalb die Begründung einen Sprachraum und meinten damit, dass es Handlungszusammenhänge gibt, in welchen gesprochen werden muss. Wenn man etwas begründen will, muss man einen Sprachraum betreten. Wenn man nur produzieren oder konsumieren will, braucht man keinen Sprachraum.

Die "Alles-ist-Spache"-Gruppe sagte, wir würden die Sprache implizit verwenden. Klar, implizit ist alles wahr und auch das Gegenteil. Wir untersuchten, wo wir explizit gesprochen haben und wo nicht.

Die Reflexion wurde - auch in diesem Fall, ich erinnere an die Revolution durch das Revolutionsgedicht - von Matthias Rauterberg geleistet. Er schlug vor zwischen Handlung und Kommunikation zu unterscheiden. In der Kommunikation sei Widerspruch möglich, auf der Ebene der Handlung aber nicht. Der Apfel der Erkenntnis, der unsere AG anleitete, kann als wirklicher Apfel gleichzeitig nur an einem Ort liegen, im Gespräch aber an beliebig vielen Orten.

Natürlich findet Reflexion - wie Begründung - im Sprachraum statt. Möglicherweise nicht nur - Ich konnte nicht verstehen, wie die Unterscheidung gemeint war. Ich habe sie auf uns anzuwenden versucht. Wir haben als Teil-AG gehandelt, indem wir etwas herstellten. Dabei machten wir ein widerspruchfreies Produkt, das nicht gleichzeitig so und anders sein kann. Die Teil-AG1 hat gesprochen, nicht gehandelt. Dabei machten sie eine Theorie, die Widerspruch enthalten kann, weil sie mehrere nichtvereinbare Sätze enthält. In diesem Sinne ist Sprechen und Handeln verschieden.

Es sind noch einige Fragen offen, oder? Aber Hauptsache lustig wars, oder?