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Wiener, N.: Ich bin ein Mathematiker (Biographie)

siehe auch Die Versuchung (eine literarische Biographie)

Textstellen:

Unter dem von fröhlichem Selbstbewußtsein diktierten Titel "Ich bin ein Mathematiker" erzählt Wiener im kürzlich erschienenen zweiten Band seiner Memoiren, wie ihn die Konsequenzen seines eigenen Denkens überwältigten: "Im Herbst 1944 ereignete sich einiges, das sehr beträchtliche Auswirkungen auf meine spätere Laufbahn und mein Denken hatte. Ich hatte bereits angefangen, über die Beziehungen zwischen der Hochgeschwindigkeitsrechenmaschine und der automatischen Fabrik nachzudenken. Und ich war zu dem Schluß gekommen, daß die automatische Fabrik in naher Zukunft verwirklicht werden würde ... Ich fragte mich, ob ich nicht in eine moralische Situation geraten war, in der es meine erste Pflicht wäre, mit anderen Menschen über die gefährlichen Auswirkungen auf dem sozialen Sektor zu sprechen."

"Die automatische Fabrik würde unfehlbar neue Beschäftigungsprobleme aufwerfen, und ich war mir nicht sicher, schon die richtigen Antworten auf alle diese Probleme in der Hand zu haben."

"Wenn diese Umwälzung uns unvorbereitet träfe, würden wir der größten Arbeitslosigkeit entgegengehen, die wir je erlebt haben ... Ich überlegte, ob ich nicht das Recht persönlicher Geheimhaltung ausüben sollte, entsprechend dem Geheimhaltungsrecht, das die Regierung für sich beansprucht, ob ich nicht meine Gedanken und Arbeiten unterdrücken sollte."

"Nachdem ich mit der Überlegung einer persönlichen Geheimhaltung eine Weile gespielt hatte, kam ich zu dem Schluß, daß dies unmöglich wäre", schreibt Wiener. "Denn meine Gedanken gehörten mehr meiner Epoche als mir. Und wenn ich jedes Wort hätte unterdrücken können, das ich geschrieben hatte, es wäre doch in den Arbeiten anderer Menschen wieder aufgetaucht, aber wahrscheinlich in einer Form, in der seine philosophische Bedeutung und seine soziale Gefährlichkeit nicht so nachdrücklich hervorgehoben worden wären. Ich konnte vom Rücken dieses Mustangs nicht mehr abspringen, und so blieb nichts übrig, als ihn zu reiten."

Unter dem Zwang dieser überlegung habe er sich entschlossen, berichtet Wiener, "von einer Position größter Geheimhaltung auf eine Position größtmöglicher Publicity überzuwechseln und die Aufmerksamkeit aller auf die Möglichkeiten und Gefahren der neuen Entwicklung zu lenken".

Bei den Gewerkschaften, hoffte er, würden seine Warnungen noch am ehesten zünden. Aber seine ersten Erfahrungen waren höchst enttäuschend: "Ich fand das bestätigt, was meine englischen Freunde mir schon einige Jahre zuvor gesagt hatten: Der Gewerkschaftsfunktionär kommt zu direkt von der Werkbank, und er ist zu unmittelbar mit den schwierigen und höchst technischen Problemen beschäftigt, seinen Laden in Schwung zu halten, um noch zu irgendwelchen vorausschauenden Betrachtungen über die Zukunft seiner Berufssparte fähig zu sein."