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Weiss, Peter Fluchtpunkt Roman. 4 Collagen. 299 g. 196 S. 1999. Bibliothek Suhrkamp. (797). Suhrkamp Gebunden. SFr. 23.00 Bestell-Nr. 3093107 ISBN 3-518-01797-7 Teilkatalog - Belletristik Leseprobe Am 8. November 1940 kam ich in Stockholm an. Vom Bahnhof fuhr ich zu Schedins Pension in der Drottninggata, wo Max Bernsdorf ein Zimmer für mich bestellt hatte. Es war ein großes Eckzimmer mit braunen Tapeten und braunen Samtgardinen an den Fenstern. Glanzflecken waren an der Wand über dem hohen hölzernen Bettgestell und im Tuch der zerbeulten Sessellehnen, und schwarze Male starrten aus dem zerkratzten Holz des Schrankes, in dessen Spiegel ich mich die Koffer abstellen sah. Max wohnte am Ende des Flurs, in einer schmalen Kammer, an deren Tür ein Schild hing mit dem Text DON'T DISTURB A SLEEPING DOG. Wie vor vier Jahren in Prag, als ich ihn zum ersten Mal besuchte, lag er im Bett, um Kräfte zu sparen. Er war halb unter Zeitungen vergraben und schmauchte seine Pfeife. Schattenhaft standen Schrank, Stühle und Tisch im blauen Rauch. Die Hand, die er mir reichte, war kühl und knöchern. Sein Gesicht war abgemagert, die Haut farblos. Sein Haar war grau geworden, nur die buschigen Augenbrauen waren schwarz, wie mit Kohle nachgezogen. Die Hand sank zurück und legte sich matt ins knisternde Zeitungspapier. Die Fingernägel waren abgebissen und an den Nagelrändern war die Haut zerzupft. Erst vor kurzem war er aus dem Lager, in dem er nach seiner Flucht aus Norwegen interniert gewesen war, entlassen worden. Man schiebt uns ab, oder man steckt uns hinter Stacheldraht, sagte er. Es werden große Worte geredet vom Kampf um die Menschenrechte, doch wir, die Bedrohten, werden wie räudige Hunde behandelt. Wer Geld hat, kann sich ein Asyl erkaufen. Wir anderen leben von Almosen, arbeiten dürfen wir nicht. Sein Gesicht hatte sich im Zorn belebt. Er kratzte die Pfeife aus, stopfte sie, ließ sie wieder qualmen. über dem Bett, auf einem Wandbrett, standen zerlesene Taschenbücher mit englischen Titeln, Kriminalschmöker, politische Schriften, ein paar Bände persischer Lyrik, Hemingways The Sun also Rises und Aldingtons Death of a Hero. Sieben Jahre Emigration lagen hinter Max Bernsdorf. Die Emigration war eine einzige Zeit des Wartens für ihn. Anmerkungen von ...

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