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Walser, Martin: Ich vertraue. Querfeldein - Reden und Aufsätze, Suhrkamp Insel, 2000, ISBN: 978-3-518-41158-2

"Wenn man einen anderen nicht liebt, hat man nichts davon, von ihm geliebt zu werden. Das wirkt überraschend gerecht. Dafür, dass Liebe ja als etwas Natürliches gilt. Je mehr du einen anderen liebst, desto mehr hast du davon, von ihm geliebt zu werden. Könnten zwei einander gleichermaßen lieben, hätten beide gleich viel davon, vom anderen geliebt zu werden. Die Welt hielte den Atem an, um diese fabelhafte Balance nicht zu stören. Muss sie aber nicht. Kommt nicht vor, ist ganz und gar unvorstellbar, dass zwei einander gleichermaßen lieben. Immer liebt der eine mehr als der andere. Und wer mehr liebt, ist der Schwächere. Und das kriegt er zu spüren. Vorzuwerfen ist da gar nichts. Liebe ist ein Naturereignis. Die Natur ist nicht daran interessiert, dass Schwächere glücklich werden.
Der, der merkt, dass er mehr liebt als er geliebt wird, muss eben versuchen, nicht merken zu lassen, dass er mehr liebt. Sonst ist er verloren. Der Schwächere siegt durch Geständnisse, hat einmal eine Frau formuliert. Allerdings in einem Roman. Ich würde ihr entgegen halten: Der Schwächere siegt durch Verheimlichung. Und noch ein bisschen wirklichkeitsnäher: Der Schwächere siegt nicht."


 
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