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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Abhandlung des Communismus und des Socialismus als empirischer Culturformen, [1887], ab 2. Aufl. 1912 mit dem Untertitel Grundbegriffe der reinen Soziologie, zahlreiche Auflagen, zuletzt Wiss. Buchgesellschaft, Darmstadt 2005

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Ich habe dieses Buch im ersten Semester meines Studiums gelesen. Es hat meine Soziologie geprägt. danach habe ich kaum mehr Soziologen gelesen, sondern hauptsächlich Autoren anderer Disziplinen.
Der zweite Tel des Buches über Gesellschaft ist eine Art Zusammenfassung des Kapitals von K. Marx, mit welchem ich dann mein Studium fortgesetzt habe.

Soziologie hat im deutschen Sprachraum 1887 mit der Unterscheidung von Gemeinschaft und Gesellschaft von F. Tönnies angefangen. Die Gemeinschaft wird immer als Systemumwelt oder als nicht markierter Bereich beobachtet.
Jede Utopie beschreibt Gemeinschaft. Exemplarisch Walden, als Gemeinschaft als Insel innerhalb der Gesellschaft.

Zum Inhalt

In der Gesellschaft bedient sich der Einzelne der Anderen auf instrumentelle Weise, sie sind ihm Mittel zu seinen eigenen individuellen Zwecken. In diesem Fall hat er am Kollektiv als an einer „Gesellschaft“ teil. Diese nur über eine historische Phase der Individualisierung zur allgemeinen Geltung gelangende Form des Willens heisst bei Tönnies „Kürwille“ (Willkür). Beispiele wären die Aktiengesellschaft, der neuzeitliche Staat oder die „Gelehrtenrepublik“.

(§ 14) Die gemeinschaftliche Haushaltung hat als Symbol den Herd und die Tafel. Geht jeder zuvor arbeitsteilig seinem Werke nach, so vereint die Tafel alle wieder. Im Haus wird geteilt, während hingegen der Tausch dem Wesen des Hauses widerspricht.
Tausch vollzieht sich nur nach außen hin, wenn das Haus als Ganzes seine Überschüsse mit anderen Häusern in der Dorfgemeinschaft tauscht.
Durch "Haus" und "Dorf" im reaktionären Sinn widerspricht sich F. Tönnies selbst

Anmerkungen

Die erste Auflage von Gemeinschaft und Gesellschaft erschien 1887 und führte noch den Untertitel Abhandlung des Communismus und des Socialismus als empirischer Culturformen. Hieraus konnte der Leser schließen, dass für Tönnies der

F. Tönnies unterscheidet "reine Soziologie“ als "Theorie" und angewandete Soziologie, die sich mit theoriegeleiteten empirischen Befunden befasst. Den Unterschied zwischen Lehre und Theorie macht er nicht.

F. Tönnies verwendet die biologische Familie als Urbild.

F. Tönnies unterscheidet drei Arten der Gemeinschaft:

  • Die „des Blutes“ (Verwandtschaft)
  • des Ortes“ (Nachbarschaft)
  • des Geistes“ (Freundschaft)

  • wobei letztere die menschlichste ist, weil am wenigsten instinktiv und durch bloße Gewöhnung entstanden.
    Den drei Gemeinschaftsformen entsprechen drei historische Örtlichkeiten, in denen sie vorzugsweise auftreten: das Haus bei der Verwandtschaft, das Dorf bezüglich der Nachbarschaft und die Stadt, in der man gleichgesinnte Freunde trifft.
    Diese Unterscheidungen sind nicht rein, sondern empirisch.

    ein paar spezielle Ansichten

    (§ 10) Theorien, die die Sprache als verabredetes Zeichensystem begreifen, basieren auf neuzeitlichen „gesellschaftlichen“ Verhältnissen, in welchen Angelegenheiten über Absprachen organisiert werden. Wahres Verständnis hingegen, wie es sich zwischen den Ehegatten findet, ist schweigend, weil sein Inhalt unaussprechlich, unendlich und unbegreiflich ist. Eintracht und Verstehen sind außerdem natürlich gegeben, können also nicht „gemacht“ werden, wie etwa eine Verabredung getroffen werden kann, oder ein Vertrag geschlossen werden kann.

    reaktionäre Kategorien prägen grosse Teile der Lehre

    (§ 13) Dieses häusliche Leben ist nach drei Schichten organisiert: Im Zentrum stehen Herr und Frau, im zweiten Ring die Nachkommen und im dritten die Knechte und Mägde. Tönnies verwahrt sich gegen Vorurteile gegenüber dem Stand des Knechtes und er kann für ihn sogar der „Kindschaft“ ähnlich werden, wenn er nämlich durch moralische Beschaffenheit, aus Anteil an Freud und Leid der Familie seinem Herrn die Ehrfurcht des altersreifen Sohnes zollt und das Vertrauen eines Ratgebers genießt. Sodann ist er seiner moralischen Beschaffenheit nach ein freier Mensch, wenn er es auch nicht dem rechtlichen Stande nach ist.


    Das Wesen der Gesellschaft - die andere Seite der Gemeinschaft

    (§ 22) Der einigende Wille im Tausch heisst Kontrakt. Der Kontrakt gibt also das Wort statt der Ware. Die Gesellschaft akzeptiert das Prinzip des Kontraktes.

    Schlüsselstelle

    (§ 23) Ein besonderer Kontrakt ist der Kredit als halber Waren-Tausch.
    Beim Darlehen wird Geld gegen Kredit verkauft
    Das Versprechen des Kontraktes dient in diesem Fall als Geldsurrogat.
    Wird Geld gegen Kredit verkauft (d. h. auf Kosten von Zinsen verliehen), treten die „gesellschaftlichen“ Verhältnisse am deutlichsten hervor. Denn in diesem Fall wird überhaupt kein konkreter Gegenstand mit Nutzwert ausgetauscht. Mit dem Darlehen entsteht für den Schuldner eine Obligation, bis zum Zeitpunkt der Rückzahlung des Geldes Zinsen zu zahlen. Die Obligation wiederum kann auch als Ware weiter verkauft werden. Sie ist im Sinne des Tauschwerts die perfekte Ware, denn sie verschleißt oder verdirbt nicht. Allerdings wohnt ihr ein Widerspruch inne, denn es bleibt unsinnig, wie der bloße Besitz einer Ware (der Obligation) Geld einbringen kann, ohne dass die Ware selber zum Tausch hingegeben wird.


    [Volltext mit PW]
     
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