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Schopp, Johannes: Eltern Stärken. Die Dialogische Haltung in Seminar und Beratung. Ein Leitfaden für die Praxis. 3. völlig überarbeitete Auflage, Verlag Barbara Budrich, Opladen & Farmington Hills, MI / USA, 2010, 280 Seiten, 19,90 Euro.


 

Anmerkungen / Buchbesprechungen

Leseerfahrungen von Rolf Todesco

Das ist keine Buchbesprechung und auch keine Kritik des Buches, weil mit meiner Auffassung von Dialog beides nicht möglich ist. Ich schreibe hier über meine Leseerfahrung, also über mich oder über meinen Umgang mit dem Buch. Über das Buch als solches sage ich nichts, und Leserfahrungen wird jeder Leser eigene machen.

  

Anfänglich fiel es mir überhaupt nicht leicht, das Buch Eltern Stärken von J. Schopp zu lesen. Ich fiel breits bei den ersten Sätzen in eine spezifische Interpretation, die ich zunächst nicht überwinden konnte: Ich las, dass es ein Problem GIBT, wirklich gibt, und dass dieses Problem ein Eltern-Kind-Problem sei, das "man" lösen könne, das man dialogisch lösen könne. Das heisst, ich las ein pädagogisch-therapeutisches Buch, in welchem der Dialog als Problemlösungs-Methode verwendet wird. Ich las in meiner Fixierung im Buch "sokratische Dialoge", bei welchen anstelle des allwissenden Sokrates ein Dialogbegleiter tritt, der für die richtigen Fragen zuständig ist.

Natürlich könnte man das Buch als Sachbuch zum Problem Eltern-Kind lesen und es mit anderen Therapiebüchern vergleichen und messen. Es gibt viele Therapieformen und Beratungskonzepte wie "Gewaltfreie Kommunikation" oder "Balint", die in Beratungen und Selbsterfahrungsgruppen erfolgreich sind. Würde ich das Buch als Sachbuch lesen, würde ich ein Urteil wagen, ob das Buch besser ist als andere, die dasselbe Problem behandeln. In einem solchen Buch würde ich Wissen darüber erwarten, wie Eltern WIRKLICH sind und was sie wirklich tun und fühlen. Ich würde viele Sätze erwarten wie: "Alle Eltern haben grundsätzlich den Wunsch und die Fähigkeit, alles möglichst 'richtig' zu machen. Sie alle wollen ihre Kinder gut erziehen (z.B. S. 31) oder "Das gleiche Denken herrscht oft auch bei Eltern vor. Aufgrund ihrer Unsicherheit vertrauen sie ihren Selbsthilfekräften wenig: Zur eigenen Beruhigung suchen sie schon bei kleinsten 'Auffälligkeiten psychologische Beratungsstellen auf (z.B. S. 37). Das wären Tatsachen und objektive Befunde, die in einem Sachbuch ihren Ort hätten. Sachbücher werden vernünftigerweise nicht in der ich-Form geschrieben, weil sie Befunde enthalten, die nicht von mir abhängig sind.

J. Schopps Text wechselt abschnittsweise zu "ich-Formulierungen" und dann wieder zurück zu "Eltern sind SO-Formulierungen". Das machte es mir zunächst sehr schwer abzuschätzen, in wie fern das Wissen von J. Schopp über das Eltern-Sein auf eigenen Erfahrungen oder auf Erfahrungen beruht, die ANDERE Eltern in seinen Seminaren erzählen - wenn sie richtig gefragt werden. J. Schopp schreibt selbst: "Viele Wahrheiten, die wir verkünden, stammen aus eigenen Studien und aus der Literatur, die wir gelesen haben (...) Weitere (...) übernehmen wir aus Berichten anderer Menschen (...) (S. 72). Und in seinem Text sind viele Zitate.

Er schreibt: "Es gehört offensichtlich zum Menschsein dazu, dass wir uns über unsere Wirkung in der Öffentlichkeit Gedanken machen (...) Wir möchten Profil zeigen und Position beziehen. Dazu zitiert er Friedmann: 'Dieser Hang zum Scheinen entspringt dem Bedürfnis des Menschen nach Bestätigung (...)' " (S. 60). Mir sträuben sich die Nackenhaare, zuerst, weil ich sein "wir" und sein zitiertes "des Menschen" auf mich beziehe. Meint er mich oder meint er sich - oder meint er eine Wahrheit, die er gelesen hat? Dann fällt mir ein, dass in meiner Vorstellung vom Dialog jeder in der ich-Form über sich selbst spricht. Und ich frage mich, für wen wohl offensichtlich ist, dass Menschen so oder so sind. Der Nobelpreisträger R. Feynman hat ein Buch mit dem Titel "Kümmert Sie, was andere denken?" geschrieben. Für ihn ist es nicht so offensichtlich, er stellt immerhin die Frage. Und ich zitiere hier einen Nobelpreisträger - sozusagen als währschaften Gegenbeweis. Aber es geht mir nicht um die Aussage, sondern um die Formulierung. Es geht mir darum, ob J. Schopp meint, dass sein "wir" mich auch betrifft.

Dann aber wurde mir beim Lesen bewusst, dass ich in einer Art "Seminarpädagogik zu Elternproblemen" verstrickt war, die mich zu machte. Meine eigene Lesebrille machte mich zu einem schlechten Leser/Zuhörer. Meine Annahme Wahrheiten über Erziehung und Eltern zu lesen hat mich irritiert, abgelenkt und emotionalisiert, weil ich etwas zum Dialog lesen wollte, obwohl der Dialog nur im Untertitel des Buches erscheint. Es gelang mir zunächst nicht, das Buch nicht als pädagogisches Buch zu lesen. Dann aber habe ich gemerkt, dass ich auf eine spezielle Weise verstrickt war, ich habe sozusagen IM Buch Argumente gelesen, statt DAS Buch als Dialogbeitrag zu lesen.

IM Buch habe ich darüber gelesen, was Eltern für Probleme haben und wie man diesen Problemen begegnen könnte/sollte. Das ist für mich eine recht schreckliche Geschichte, die ich mit Dialog gar nicht zusammenbringen kann, egal wie sehr der Dialog IM Buch beschworen wird. Jetzt - quasi mit der neuen, dialogischen Brille - lese ich das Buch. Und ich lese etwas völlig anderes. Ich lese das Buch als Beitrag IM Dialog. Der Autor erzählt mir also - hier in schriftlicher Form eines Buches - aus seinem Leben und seinen Denken. Er beschreibt aus welchen Büchern er sein Wissen hat. Und er Berichtet, was andere Menschen in seinen Elternseminaren berichten. Genau so, wie er es oben in der wir-Form geschrieben hat. Er gibt damit zunächst die dialogische Möglichkeit über Elternseminare nachzudenken: Wie gestaltete ich solche Seminare mit welchem Wissen und welche Erfahrungen mache ich dabei?

Wenn ich so lese, lese ich von Problemen und Lösungen von Seminar-Leitern und gerade nicht von Eltern. In dieser Perspektive handelt das Buch nicht vom Dialog, sondern IST ein Beitrag IN einem Dialog. Und wie es meiner Erfahrung entspricht, ist IM bewusst praktizierten Dialog der Dialog selbst ein ganz wesentliche Thema. Und das ist ja auch in diesm Buch der Fall, das zweite Kapitel heisst "Das Wesen des Dialoges".

Im Buch, das ich durch die neue Brille lese, steht (S.44): "Die meisten Besucher der Elternseminare empfinden es als tröstlich und entlastend, durch den offenen Dialog zu erfahren, dass das Störende, Auffällige, das Belastende und das Kranke genauso zu Leben gehören wie das ersehnte Gute (...) Diese Erkenntnis selbst hilft zwar weder, die empfundenen Probleme zu beseitigen bzw. Fragen zu beantworten, noch den Einzelnen ihre konkrete Angst zu nehmen, sie macht aber Mut zum offenen wahrhaftigen Dialog." Als potentieller Seminarleiter erfahre ich also etwas über eine Methode, mit welcher ich Eltern trösten kann, auch wenn ich ihnen bei ihren praktischen Problemen nicht helfen kann. Wenn ich mich so verhalte, werde ich in den Seminaren - vielleicht sogar - durch offene Dialoge belohnt. Und wenn mir Dialoge - warum auch immer - am Herzen liegen, erkenne ich so eine Möglichkeit Dialoge in Gang zu bringen - eben gerade dadurch, dass ich in Elternseminaren von Dialogen spreche, statt das Bedürfnis nach Ratschlägen - das die Eltern scheinbar doch nicht immer haben (S. 43) - zu stillen.

Meine Reflexion: Solche Elternseminare bilden eine potentielle Lösung. Und angesichts Lösungen frage ich mich, was gelöst wird. Zunächst wird das Problem des Seminarleiters gelöst, der erfolgreiche Seminare anbieten will. Wenn ich das auch wollte, hätte ich hier einen Ansatz, den ich für mich ausprobieren und entwickeln könnte. Und spezifischer löst sich das Problem, dass ich für bestimmte Probleme keine Lösung kenne, aber durch diese Methode doch handlungsfähig werde, weil ich Lösungen geben kann, die zwar "weder, die empfundenen Probleme zu beseitigen bzw. Fragen zu beantworten, noch den Einzelnen ihre konkrete Angst zu nehmen" vermögen, aber trotzdem angenommen werden. J. Schopp macht also "Mut zum offenen wahrhaftigen Dialog" - auch und vor allem - dort, wo man keine Lösungen hat, weil es vielleicht gar keine Lösungen gibt.

Nun bin ich immerhin in Lage zuzuhören, wie J. Schopp sein Problem darstellt und wie er damit umgeht - ich kann jetzt zuhören, weil ich durch (dia logos) mein Zuhören einen Zugang gefunden habe, der nicht auf der Erziehungsproblemeschiene läuft, also nicht weiss, was richtige Erziehung ist. Natürlich habe ich jetzt wieder ein spezielle Perspektive, aber eine, die mir das weiterlesen erlaubt.


Eine Buchbesprechung von Manfred Zimmer (auf www.dialogprojekt.de)

Dialog: Beziehung statt Erziehung

Fast vierzig Jahre ist es her, da war ich von einem Sachbuch so richtig begeistert. Es handelte sich um Erich Fromms „Anatomie der menschlichen Destruktivität“ (1973). Darin geht der große Humanist und Psychoanalytiker den Ursachen der menschlichen Aggression auf den Grund. Zwar ist seine damalige Unterscheidung zwischen einer „gutartigen“ (biologisch adaptiven) und einer „bösartigen“ (nicht adaptiven, sadistischen und nekrophilen) Aggressivität aus der Sicht des heutigen wissenschaftlichen Kenntnisstands nicht mehr haltbar. Doch bietet Fromm in diesem Grundlagenwerk eine Fülle von Informationen aus den verschiedensten an dieser Forschungsfrage beteiligten Fachdisziplinen. Unter anderem stellt er Charakteristika von Verhaltenspsychologie, Behaviorismus und Psychoanalyse gegenüber, die im Wesentlichen auch heute noch gültig sind.

Aus dem Behaviorismus hat sich die gegenwärtige Verhaltenstherapie entwickelt. Sie fragt grundsätzlich nicht nach tiefer liegenden Ursachen für ein Verhalten, sondern beschränkt sich weitgehend auf Erlernen und Einüben der gewünschten neuen Verhaltensweise. Ein Vater, der sein Kind prügelt, würde vom Verhaltenstherapeuten auf die verschiedenste Weise dazu konditioniert, sich zu seinem Kind weniger gewalttätig zu verhalten. Würde dieser Vater sich einer Psychoanalyse unterziehen, so käme vielleicht heraus, dass er eine sadistische Charakterstruktur hat, deren Ursache darin liegt, dass er in seiner Kindheit vom eigenen Vater gequält wurde; diese Einsicht sowie andere Evidenzen würden ihn vielleicht zu einer Verhaltensänderung führen.

Gegenwärtig ist hier in Malaysia, wo ich wohne, jeden Montag im Fernsehen eine Folge der US-amerikanischen Serie „Super-Nanny“ zu sehen. Im Vorgriff auf diese Rezension habe ich mir eine Folge einmal angesehen, ich war und bin entsetzt, was den Familien und den Zuschauern zugemutet wird. Aus einer Drehzeit von vielleicht vierzehn Tagen wird eine Sendung herausgefiltert, die noch durch mehrere Werbeeinlagen unterbrochen wird. Zwanzig Minuten Zeit bleiben für Darstellung und Lösung komplexer familiärer Probleme, die an „unartigen“ Kindern festgemacht und in Minutenschnelle durch neue dirigistische Regeln für alle Beteiligten gelöst werden, so dass sich am Ende alle weinend vor Glück in den Armen liegen und der mit der ungelenken Handschrift des ehemals bösesten Kindes verfasste Dankesbrief an die Retterin selbst einem Zuschauer wie mir Tränen der Rührung in die Augen treibt.

Ähnlich ergibt meine Durchsicht der Rezensionen sogenannter „Ratgeberliteratur“ für Erziehungsfragen – die Werke selbst möchte ich mir nicht antun –, dass diese letztlich an einem veralteten simplen behavioristischen Lehr-Lern-Modell und dem „Expertenwissen wo es langgeht“ orientiert ist. Da treiben „Super-Nanny“ und die „kleinen Tyrannen“, die „Plagen“, wie auch heute noch Kinder bezeichnet werden, ihr Unwesen. Letzteren, nicht der Super- Nanny, sind „Grenzen zu setzen“ oder sie sind sonst wie zu disziplinieren – alles hübsch „verkleidet als Liebe“, wie einer der wenigen kritischen Rezensenten sich ausdrückt. Dies nachdem ihre Eltern, die auch mal kleine Kinder waren, durch „Erziehung“ die Eigenschaften hervorgerufen haben, die sie jetzt bemängeln und unter denen alle leiden. Die Rezensenten bewerten derartige Ratgeber-Renner mehrheitlich positiv. Und wenn mal nur ein einziges Sternchen vergeben wird, wird beanstandet, dass die Tipps nicht direkt praktisch umsetzbar sind – wie sehr ist das behavioristische Modell verinnerlicht!

Wie wohltuend dagegen die Überlegungen von Johannes Schopp*, die nicht von einer Theorie, sondern von Erfahrungen im eigenen Leben und in der Seminar- und Beratungspraxis geleitet sind! Die kurzfristige, rezeptartige „Lösungen“ ausschließen. Im Zentrum seiner Arbeit steht Kommunikation. Diese ist „gleichwertig“ und „gleichwürdig“ zwischen Beratenden und Ratsuchenden. Also nicht die Beratenden sind die Experten, sondern die Eltern in ihrem Zusammenleben mit den Kindern. Diese befinden sich in einem gemeinsamen Entwicklungsprozess, in dem jede und jeder vom anderen lernt.

Diese Art der Kommunikation ist einem bestimmten Dialogmodell verpflichtet, das an Erkenntnissen von David Bohm (Über den Dialog, 1996), Freeman Dhority und Martina & Johannes Hartkemeyer (Miteinander Denken, 1998; Die Kunst des Dialogs, 2005) und besonders von Martin Buber (zahlreiche Schriften) orientiert ist. Der „Dialog“ bildet die Grundlage von „Eltern Stärken“-Seminaren, deren Konzept Schopp über lange Jahre aus der Praxis entwickelt, mit Theorie belegt und erweitert hat. „Eltern Stärken“ bedeutet dabei „Eltern in ihrem Suchen zu stärken und in der Gewissheit, dass es sich lohnt, sich selbst und den Kindern mehr zu vertrauen“, so dass das Gefühl wächst, zusammen zu gehören (S. 150).

Der Autor, Diplom-Sozialarbeiter und Referent für Elternbildung im Jugendamt der Stadt Dortmund, will in seinem Buch zeigen „welche Bedeutung die Dialogische Grundhaltung im Rahmen von Seminaren und Beratung haben kann, damit Eltern wieder an sich und ihre Kompetenzen glauben lernen ... eine wichtige Voraussetzung dafür, Kinder auf dem Weg zu innerlich starken, lebensfrohen und zuversichtlichen Persönlichkeiten zu begleiten.“ (S. 19) In den ersten vier Kapiteln des Buches entfaltet er sein Dialogverständnis, skizziert dialogische Kernfähigkeiten, bespricht „Fünf Ebenen“ im Dialog und geht auf die Anforderungen an Dialogbegleiter ein.

Zu den (zehn) Kernfähigkeiten gehören nach dem Dhority-Hartkemeyer’schen Modell zum Beispiel „Die Haltung eines Lerners verkörpern“, „Radikalen Respekt zeigen“, „Verlangsamung“. Aus diesen Kernfähigkeiten werden Regeln abgeleitet wie: „Ich vertraue mich neuen Sichtweisen an“, „Jeder und jede genießt gleichen Respekt“, „Bevor ich rede, nehme ich mir einen Atemzug Pause“. Zwar hängen diese Regeln im Seminarraum aus, doch entscheidender ist „dass Dialogbegleiter sie verinnerlicht haben und sie gemeinsam mit den Eltern vorleben.“ (S. 71)

Mit dem „Fünf-Ebenen“-Modell“ sind „fünf mögliche Aspekte unseres Seins“ gemeint die sich neben Fragen nach Information und dem eigenen Beziehungsverhalten an den Bloch’schen Grundfragen „Wer bin ich?“, „Woher komme ich?“ und „Wohin gehe ich?“ orientieren. (S. 105) Als Ratsuchender bringe ich von allem die verschiedensten Voraussetzungen Ansprüche und Fragen mit ins Seminar. Es kommt darauf an, mit diesen Verschiedenheiten dialogisch-kreativ umzugehen und sie in Dienst möglicher Antworten zu stellen.

Die Dialogbegleiter in den Seminaren tragen eine bedeutende Verantwortung für das Gelingen des Prozesses, die sich in menschlichen, dialogischen und fachlichen Kompetenzen äußern: „Der Dialogbegleiter ist wachstumsfördernder Begleiter, einfühlender Berater, fachlich versierter ‚Experte’, gleichzeitig auch Lernender, motivierender Lerngestalter und ein freundlich zugewandter Gastgeber in einer Person ...“ (S. 170)

Die beiden letzten Kapitel bieten Anregungen und Hinweise (für Dialogbegleiter und andere Beratende) zu einem möglichen Seminarablauf und eine Fülle von Materialien etwa in Form von Geschichten, Bildern oder zum Teil recht originellen Übungen. Diese Hinweise sind nicht als Rezepte oder gar Handlungsanweisungen zu begreifen. Denn der Dialog ist ein offener, lebendiger Prozess, den die Eltern verantwortlich unter Mitwirkung der Dialogbegleiter schaffen, so dass innerhalb einer gegebenen Grobstruktur viel Spielraum zu seiner Gestaltung besteht.

Was das Buch so glaubwürdig macht: Sein Autor hält sich beim Schreiben an die dialogischen Prinzipien, wie er sie in seinen Seminaren und Beratungsgesprächen pflegt: Er spricht in Ich-Form, verkündet keine „objektiven“ oder „allgemeingültigen“ Wahrheiten. Er legt seinen theoretischen Hintergrund offen, verschweigt seine eigenen Fehleinschätzungen und Lernprozesse nicht, er will weder belehren noch überzeugen; ebenso wenig versucht er, mit Fachwissen und Fachsprache zu brillieren. Vielmehr schreibt er einfach und verständlich, gerade für Nichtfachleute, hinterfragt oder belegt die durchaus anspruchsvolle Theorie stets mit gut nachvollziehbaren, ja fesselnden Praxisbeispielen. Die meist keine „Lösungen“ bereit stellen, wie sie der Leser möglicherweise erwartet – auch ich selbst musste mir manchmal eine leise Enttäuschung eingestehen –, sondern als Einladung zur Teilhabe am dialogischen Prozess begriffen werden können, also dazu, selbst(ständig) weiter zu denken. Zwar ist das Buch, wie sein Untertitel zum Ausdruck bringt, vorwiegend auf Seminarleiter und andere in der Beratung Tätige bezogen, aber auch auf die ratsuchenden Eltern als die eigentlichen Experten. Doch könnten nach meinem Eindruck auch all diejenigen davon profitieren, die sich über ihr eigenes Kommunikationsverhalten und das in ihrem Umfeld Gedanken machen (wollen oder müssen).

Johannes Schopp schreibt mit leidenschaftlichem Interesse am Thema, mit viel Empathie für die Ratsuchenden. Seine Begeisterung für den „Dialog“ als Lebenshaltung reißt mit, sie könnte uns einen Schritt weiter bringen in die Richtung, das Erziehungs-Denken aus unseren Köpfen zu verbannen (mit dem wir nicht nur unsere Kinder traktieren). Und hoffentlich dauert es keine weiteren vierzig Jahre bis zu seinem nächsten Buch ... Manfred Zimmer, 6. Mai 2010


Noch eine Buchbesprechung http://www.socialnet.de/rezensionen/2698.php Rezensent Michael Schnabel, Staatsinstitut für Frühpädagogik, München

Einführung ins Thema

Erleben wir heute eine Erziehungskatastrophe oder einen Erziehungsnotstand, wie manche Autoren beklagen? Keine Frage, für Eltern ist es nicht leichter geworden, ihre Kinder auf ein gelingendes Leben vorzubereiten. Und Möglichkeiten der Unterstützung, Hilfen und Ratschläge werden von allen Seiten angeboten. Dadurch wird die Orientierungslosigkeit oft noch größer. Eine rühmliche Ausnahme ist die Veröffentlichung von Johannes Schopp, weil sie bewusst die schnellen Hilfsangebote verwirft und Stärken der Eltern ins Zentrum der Dialogischen Elternseminare stellt.

Aufbau und Inhalt

In dieser Veröffentlichung entwirft der Autor ein taugliches Konzept zur Umsetzung seines Anliegens, das Erziehungspotential der Eltern frei zu setzen und die Erfahrungen der Eltern zum Austausch zu bringen. Die einzelnen Kapitel entfalten jeweils einen zentralen Schwerpunkt dieses Lernkonzeptes.

Kapitel eins "Wie Eltern ihre Potentiale entdecken können" legt dar, wie es gelingen kann, bei den Eltern ihre Erziehungskompetenzen aufzudecken. Die Erfolg versprechende Technik dafür ist das geschickte Fragen, das möglichst viele Aspekte eines Anliegens entfaltet und Lösungswege bewusst macht. Dabei muss durchwegs beachtet werden: In Fragen der Erziehung gibt es keine festgeschriebenen und endgültigen Lösungen. Daher sind die Auseinandersetzungen in den Dialogischen Elternseminaren ein kontinuierlicher Diskussionsprozess. Im Kapitel zwei "Vom Wesen des Dialogs" werden die philosophischen Fundamente für die Dialogischen Elternseminare errichtet. Die Ausführungen sind der Philosophie Martin Bubers verpflichtet: Danach ist der Dialog mehr als nur menschliche Kommunikation, er soll zu einer echten Begegnung zwischen den Menschen führen. Aus der theoretischen Fundierung zieht der Autor praktische Folgerungen, die er in Dialogregeln vorstellt. Sie stecken den Rahmen für eine Pädagogik des Respekts ab und sind Wegweiser im Gewirr der Verhandlungsprozesse des Elternseminars.

Kapitel drei nimmt sich des Lerngeschehens in den Dialogischen Elternseminaren an. Es werden die Prozesse und Dimensionen eines erfahrungsorientierten Lernens, das sich voll und ganz auf die Belange der Eltern einstellt, beschrieben. Um die Komplexität dieses Lerngeschehens transparent zu machen, werden die Prozesse auf folgenden fünf Ebenen dargestellt: auf der Sachebene, der Beziehungsebene, der Ebene der Selbstoffenbarung, auf der biografische Ebene und auf der Sinnebene. Kapitel vier formuliert die Anforderungen an den Seminarleiter. Er wird Dialogbegleiter bezeichnet und soll für die zuträglichen Rahmenbedingungen der Seminare sorgen. Die Aspekte Angst, Humor, Liebe, Macht, Ordnung und Zeit sind Kennzeichen des Dialogprozesses. Mit diesen Elementen muss der Seminarleiter kompetent umgehen können. Ein Überblick der Basiskompetenzen des Seminarleiters rundet das Kapitel ab.

Dann folgt im Kapitel fünf die beispielhafte Umsetzung der didaktischen Prinzipien des entwickelten Lernkonzepts in der Darstellung von zwei Seminarabenden. Der Verlauf, die Methode und das Lerngeschehen werden an diesen Beispielen konkretisiert, wobei zu beachten ist, die Beschreibungen sind weit davon entfernt ein normiertes Muster vorzugeben, vielmehr handelt es sich um Momentaufnahmen, weil jedes Treffen ideenreich auf die Teilnehmer/innen eingehen soll und sich daher anders gestaltet. Im letzen Kapitel wird Praxismaterial dargeboten. Konkrete Vorschläge sollen den Einstieg in die Seminare erleichtern und vor allem die Prozesse des Erfahrungsaustausches in Schwung bringen und vertiefen. Die etwas sparsamen Hinweise sind wiederum nur als Impulse zu verstehen, um dem Seminarbegleiter die Suchrichtung zu verdeutlichen.

Zielgruppen

Das vorliegende Buch richtet sich ausdrücklich an Multiplikatoren der Elternbildung, insbesondere an solche Kursleiter, die den Dialog der Eltern in ihren Veranstaltungen auf den Weg bringen wollen. Viele Impulse erhalten auch alle Pädagogen/innen, die in der Elternbildung neue Wege versuchen wollen. Pädagogen/innen in der Ausbildung sollten unbedingt das Konzept des subjekt- und erfahrungsorientierten Lernens in der Elternbildung kennen lernen und Erfahrungen in dieser Methode sammeln können.

Diskussion

Der Autor entwickelte in dieser Veröffentlichung ein Konzept für Dialogische Elternseminare, das alle Anforderungen einer ausgereiften Didaktik einlöst. Wenngleich es einer außergewöhnlichen Anstrengung bedarf, eine Lernveranstaltung, die die Erfahrungen der Teilnehmer/innen zum Mittelpunkt hat, und daher dynamische und prozesshafte Abläufe beschreiben muss, ist es überzeugend gelungen, Theorie und Praxis dieses Lerngeschehens zu verbinden.

Durch den Einbezug vieler wissenschaftlicher Ansätze konnte eine zusätzliche Verdeutlichung des Anliegens erreicht werden, wie zum Beispiel durch die Philosophie Martin Bubers, die Salutogenese, die humanistische Psychologie, die konstruktivistische Erkenntnistheorie. Die Vielzahl der bemühten Konzepte birgt die Gefahr, den Durchblick eher zu verstellen, aber dem Autor ist es gelungen, die vielen Aspekte nahtlos zu verarbeiten.

Ein besonderer Pluspunkt der Veröffentlichung sind die vielen Fallbeispiele und die ausführlichen Beschreibungen einzelner Seminarphasen, weil dadurch am konkreten Beispiel das Konzept der Dialogischen Elternseminare nochmals eindrucksvoll vor Augen gestellt wird.

Fazit

Die Publikation ist allen zu empfehlen, die in der Elternbildung tätig sind und die mit Eltern in pädagogischen Institutionen zusammenarbeiten.