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Roth, Gerhard: Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Kognitive Neurobiologie und ihre philosophischen Konsequenzen. Suhrkamp, Frankfurt 1994; als (mit der 5., überarbeiteten Ausgabe von 1996 text- und seitenidentische) Taschenbuchausgabe abd. auch 1997 (stw 1275)

Buchbesprechung (Todesco: WOZ)

Volltext (Passwort)

Textstellen:

"Diese Welt wird als ›objektive‹, bewußtseinsunabhängige oder transphänomenale Welt bezeichnet. Ich habe sie der Einfachheit halber Realität genannt und sie der Wirklichkeit gegenübergestellt. In dieser Welt – so nehmen wir an – gibt es viele Dinge, unter anderem auch Organismen. Viele Organismen haben Sinnesorgane, auf die physikalische und chemische Ereignisse als Reize einwirken, und sie haben Gehirne, in denen aufgrund dieser Einwirkungen und interner Prozesse eine phänomenale Welt entsteht, eben die Wirklichkeit" (324 f.).

"Nicht nur die von mir wahrgenommenen Dinge sind Konstrukte in der Wirklichkeit, ich selbst bin ein Konstrukt. Ich komme unabweisbar in dieser Wirklichkeit vor. Dies bedeutet, daß das reale Gehirn eine Wirklichkeit hervorbringt, in der ein Ich existiert, das sich als Subjekt seiner mentalen Akte, Wahrnehmungen und Handlungen erlebt, einen Körper besitzt und einer Außenwelt gegenübersteht" (329).

"daß dieses Gehirn, das ich betrachte und als meines identifiziere, nicht dasjenige Gehirn sein kann, welches mein Wahrnehmungsbild von diesem Gehirn hervorbringt. Würde ich beide Gehirne miteinander identifizieren, so käme ich zu der Schlußfolgerung, daß mein Gehirn sich als echte Teilmenge enthält. [...] Daraus folgt: Dasjenige Gehirn, das mich hervorbringt, ist mir selbst unzugänglich, genauso wie der reale Körper, in dem es steckt, und die reale Welt, in welcher der Körper lebt" (328 f.).

"Dies ist eine höchst plausible Annahme, die wir allerdings innerhalb der Wirklichkeit treffen und die nicht als eine Aussage über die tatsächliche Beschaffenheit der Realität mißverstanden werden darf" (325).

"Die Realität existiert nicht hinter oder jenseits der Wirklichkeit, und man kann nicht durch ›Löcher‹ in der Wirklichkeit auf sie sehen" (359).

"Ich kann innerhalb eines Experiments, in dem ich einer Versuchsperson einen einfachen visuellen Stimulus präsentiere, feststellen, ob und in welcher Weise ihre Gehirnaktivität und ihre subjektive Wahrnehmung mit der Stimulussituation korreliert ist [...]. Dies alles findet jedoch in meiner Wahrnehmungswelt statt. Die Umgebung meiner Versuchsperson ist meine Wirklichkeit, nicht die Realität. [...] Wir kommen vielleicht zu Erkenntnissen, die wir auf Teile der Menschheit oder gar auf alle Menschen verallgemeinern können. Nichtsdestoweniger sagen sie nichts Objektives aus, sondern nur etwas, was innerhalb der Wirklichkeit der Menschen feststellbar ist" (354).

"Obwohl erkenntnistheoretisch die Realität vollkommen unzugänglich ist, [...] kann mir niemand verbieten, mir Gedanken über die Beschaffenheit der Realität zu machen, und zwar zu dem Zweck, die Phänomene in meiner Wirklichkeit besser erklären zu können. Ich darf nur keine objektive Gültigkeit hierfür beanspruchen; vielmehr unterstreiche ich den praktischen Wert meiner Theorie" (359).

"Würde ich beide Gehirne miteinander identifizieren, so käme ich zu der Schlußfolgerung, daß mein Gehirn sich als echte Teilmenge enthält. Ich wäre nämlich dann zugleich in mir und außer mir, und der Operationssaal, in dem ich mich dann befinde, wäre zugleich in meinem Gehirn, und das Gehirn (zusammen mit dem Kopf und Körper) in dem Operationssaal" (328 f.).

Anmerkungen

Unterscheidung zwischen realem Gehirn und kognitiver Welt: "Der reale Organismus besitzt ein Gehirn, das eine kognitive Welt erzeugt, eine Wirklichkeit, die aus Welt, Körper und Subjekt besteht, und zwar in der Weise, daß dieses Subjekt sich diese Welt und diesen Körper zuordnet. Dieses kognitive Subjekt ist natürlich nicht der Schöpfer der kognitiven Welt, dieser Schöpfer ist das reale Gehirn, es ist vielmehr eine Art 'Objekt' der Wahrnehmung, es erfährt und erleidet Wahrnehmung. Das reale Gehirn ist in der kognitiven Welt ebensowenig gegeben wie die Realität selbst und der reale Organismus." (zit. nach Schmidt, Der Radikale Konstruktivismus: Ein neues Paradigma im interdisziplinären Diskurs, 15).