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Hanno Pahl: Das Geld in der modernen Wirtschaft. Marx und Luhmann im Vergleich

Die zunehmende Globalisierung führt zu einer wachsenden Autonomie der internationalen Finanzmärkte. Natürlich spielt das Geld innerhalb dieser Entwicklung eine maßgebliche Rolle. In der Soziologie blieb der monetäre Aspekt gesellschaftlicher Veränderungen bisher weitgehend unbeachtet. Hanno Pahl unterbricht diese »Geldvergessenheit« und unternimmt den Versuch, eine Gesellschaftstheorie des Geldes zu entwerfen. Dazu verbindet er die Systemtheorie Niklas Luhmanns mit der Kritik der politischen Ökonomie von Karl Marx.

Hanno Pahl, Dr. phil., ist seit 2007 Forschungsassistent am universitären Forschungsschwerpunkt Ethik an der Universität Zürich.


Inhalt Dank................................................................................................................................... 7 Einleitung: Zur soziologischen Analyse der Eigenlogik des Geldes............... 8 1. Die Geldvergessenheit in Neoklassik und Wirtschaftssoziologie............................ 9 2. Der methodische Zugriff der Arbeit: Ein Theorienvergleich von Marx und Luhmann ............................................................................................16 3. Ausblick auf den Argumentationsgang der Arbeit ..................................................22 Kapitel 1: Funktionale Differenzierung und Primat der Ökonomie.............28 1. Verdopplung als Differenzierung: Luhmanns wissenssoziologische Interpretation der Hegelschen praktischen Philosophie.........................................37 2. Verdopplung und Differenzierung: Aspekte einer Stufenfolge sozialer Differenzierung bei Marx..............................................................................43 3. Überlegungen zu einer Präponderanz der Ökonomie in der funktional differenzierten Gesellschaft ..........................................................55 Kapitel 2: Ausdifferenzierung und Eigenlogik der modernen Ökonomie..64 1. Die Eigenlogik der Ökonomie bei Marx: Zur Emergenz ökonomischer Kategorialität......................................................................................67 1.1. Logik und Gang der Darstellung in den Grundrissen: Wirtschaftstheorie als genetische Entwicklung ökonomischer Kategorien....................................74 1.2. Anmerkungen zur Arbeitswerttheorie und zum Transformationsproblem im Kontext einer monetären Werttheorie........................................................103 2. Die Eigenlogik der Ökonomie bei Luhmann: Von der Emergenz der Kommunikation zur Emergenz des Geldes..................113 2.1. Die Emergenz der Kommunikation als Schlüsselkonzept der Systemtheorie ................................................................................................119 6 DA S GELD IN DER MODERNEN WIRTSCHAFT 2.2. Zur Epistemologie der Medientheorien bei Parsons, Habermas und Luhmann....................................................................................128 2.3. Die mediengeleitete Ausdifferenzierung der Wirtschaft bei Luhmann: Eine Rekonstruktion..................................................................136 2.4. Kernaspekte der Reproduktionsdynamik des ökonomischen Systems........156 Kapitel 3: Einheit und Differenz von Wirtschaft und Finanzsphäre..........174 1. Zu Einheit und Differenz von Wirtschaft und Finanzsphäre bei Marx.............189 1.1. Zum logischen Ort des Kredits in den Grundrissen: Zwei Leitmotive ..........198 1.2. Zur funktionalen Differenzierung des Kapitals: Begriffliche Klärungen....201 1.3. Zur Kredittheorie im zweiten Band des Kapital: Der moderne Kredit als notwendiges Resultat der Zirkulation des Kapitals ......................207 1.4. Das moderne Kreditsystem als Steuerungszentrum der kapitalistischen Ökonomie: Kredittheoretische Aspekte im dritten Band des Kapital...........224 2. Einheit und Differenz von Wirtschaft und Finanzsphäre bei Luhmann ...........261 2.1. Die Finanzsphäre als Thema in Economy and Society: Ein erneuter Seitenblick auf Parsons ................................................................265 2.2. Die Zentralstellung von Finanzmärkten und Banken im Wirtschaftssystem bei Luhmann .......................................................................273 2.3. Die Finanzsphäre als Einheit der Differenz von Finanzmärkten und Bankensystem bei Baecker .........................................................................282 2.4. Das Emergieren eines Finanzsystems als Wiederholung von Systembildung ›im‹ Wirtschaftssystem? ............................................................293 Schlussbetrachtung: Offenheit und Geschlossenheit der Theorie ..............321 1. Offenheit und Geschlossenheit der Ökonomie und ihrer Beschreibung: Ein Rückblick auf Kernaspekte der Arbeit ..........................................................325 2. Im Schatten funktionaler Differenzierung: Die sekundären Differenzierungsregime der Weltgesellschaft ......................................................334 Abkürzungen ................................................................................................................339 Literatur.........................................................................................................................340

Leseprobe

Einleitung: Zur soziologischen Analyse der

Eigenlogik des Geldes

Jede Theorie arbeitet mit ihrem eigenen Beobachtungsinstrumentarium und sieht demgemäß das, was sie sehen kann. Aufklärung setzt dagegen voraus, diese Bedingungen des Beobachtens zu erkennen und Vorsorge dafür zu tragen, dass der Gegenstand der Beobachtung nicht nur zur Sprache, sondern selbst zum Sprechen kommt. Welche Geschichte würden die Funktionssysteme, um die es geht, selbst erzählen? Helmut Willke

Diese Arbeit handelt von der Wirtschaft der modernen Gesellschaft und der Emergenz ihrer monetären Strukturzusammenhänge. Gerade in jüngster Zeit sind es die rasanten und augenscheinlichen Entwicklungsdynamiken der internationalen Finanzmärkte, die der sozialwissenschaftlichen Reflexion Anlass zur Thematisierung monetärer Phänomena geben. Viele Beiträge gehen allerdings kaum über eine bloß phänomenologisch deskriptive Ebene hinaus und stellen kaum mehr als eine Artikulation der Erfahrung der ›posthermeneutischen‹ Undurchdringlichkeit der globalen Finanzsphäre dar.1 Das maßgebliche Anliegen dieser Arbeit ist es, theoriegeleitete Betrachtungsweisen der Wirtschaft der modernen Gesellschaft und ihrer Finanzsphäre auszuloten und aufzubereiten, die in Vielem quer stehen zu gängigen Lehrmeinungen und Grundannahmen sowohl in Wirtschaftswissenschaften wie in Wirtschaftssoziologie, die aber in der Lage sind, jene empirisch unschwer zu erfahrene Eigenlogizität des Geldes stärker begrifflich einzuholen. Mit Baecker (2003: 475, Herv. H.P.) teilen wir die Auffassung, wonach die Soziologie »an ihrer Absicht einer Gesellschaftstheorie der Wirtschaft festhalten und sich darum bemühen [sollte], mit einer von den Wirtschaftswissenschaften abweichenden Grundbegrifflichkeit ihren Gegenstand zu konstruieren und ihre Problemstellung zu definieren«. In dieser Einleitung wollen wir in einem ersten Schritt (1.) einen Blick auf die ›Geldvergessenheit‹ in Neoklassik und Wirtschaftssoziologie werfen, der zu-

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1 So etwa die vielfach in der zeitdiagnostischen Soziologie geäußerten Befunde einer sogenannte Entkopplung der internationalen Finanzmärkte.

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gleich dazu dienen soll, in unser Verständnis des Objektbereichs einzuführen. Daran anschließend (2.) soll der methodische Zugriff umrissen werden, der in einer theorievergleichenden Untersuchung zur Emergenz des Monetären besteht, wie sie in den Theorien von Marx und Luhmann vorliegt. Abschließend (3.) erfolgt ein skizzenhafter Gang durch die Argumentationsstruktur der drei Kapitel der vorliegenden Studie.

1. Die Geldvergessenheit in Neoklassik und Wirtschaftssoziologie

Der Forderung nach einer Gesellschaftstheorie der Wirtschaft und des Geldes kommen traditionelle wirtschaftssoziologische Forschungsprogramme in aller Regel nicht oder nur sehr eingeschränkt nach. Ganßmann (1996: 21) sprach von »Oppenheimers Fluch«2, um die problematische disziplinäre Parzellierung des ökonomischen Gegenstandsbereichs auf den Punkt zu bringen, der zufolge »die Soziologie von ›Mensch-Mensch‹, die Ökonomik aber von ›Mensch-Ding-Beziehungen‹« handeln würde. Tatsächlich scheinen weite Teile der Forschungslandschaft dieses Paradigma in nahezu idealtypischer Form zu repräsentieren: Die neoklassisch geprägte Schulökonomie rekurriert auf einen – und sei es auch nur methodologisch verstandenen – homo oeconomicus, der, polemisch gesprochen, »seit dem Faustkeil des Neandertalers immer auf dieselbe Weise angetrieben worden sei« (Heinsohn, Steiger 2002: 10). Die Wirtschaftssoziologie betätigt sich als »Resteverwerter« (Saurwein 1994: 47) und bearbeitet den von der Ökonomik weithin ausgeblendeten ›Datenkranz‹, das heißt etwa die soziale Eingebettetheit ökonomischen Handelns.3 Es ist aber eine grundsätzliche

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2 Ganßmann (ebd.) zufolge geht diese Unterscheidung ursprünglich auf Oppenheimer zurück und war »so schlicht und ergreifend […], dass sie sogar von seinem […] Antipoden Leopold von Wiese übernommen wurde«. Mit Blick auf die heutige Forschungslandschaft führt Ganßmann (ebd.: 23) aus, dass man sich zwar vordergründig von einer Grenzziehung entlang von Erkenntnisgegenständen in Richtung auf eine Unterscheidung entlang von Erkenntnismitteln umgestellt habe (in diesem Falle auf die Differenz der Handlungstypen von Zweckrationalität und Wertrationalität). Aber noch im Rahmen solcher epistemologischer Umbaumaßnahmen sei die Ausgangsdichotomie nicht überwunden sondern nochmals zementiert.

3 Zu diesem traditionellen wirtschaftssoziologischen Paradigma heißt es bei Saurwein (ebd.): »Man entdeckte das Feld der zwischenmenschlichen Beziehungen, die Bedeutung

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Frage, ob sich aus der bloßen Addition beider Forschungsperspektiven ein ›ganzheitliches‹ Bild der Entwicklungsdynamik der modernen Wirtschaft gewinnen lässt, oder ob das Resultat nicht vielmehr in einer doppelten Halbheit besteht. So fragt denn auch Kaube (2000: 257) mit provokativem Unterton: »Aber folgen die Banken der ökonomischen Theorie des Geldes und die Hausfrauen der soziologischen?« Es scheint uns evident, dass es sich sowohl beim robinsonadenhaft vorgestellten homo oeconomicus wie beim normengeleiteten homo sociologicus um jeweils – wenn auch sich zueinander komplementär verhaltende – einseitige Abstraktionen handelt. Was aber wäre, wenn das eigentlich Ökonomische der modernen Gesellschaft derart verfasst ist, dass es durch die entlang von ›Mensch-Mensch‹- bzw. ›Mensch-Ding‹-Beziehungen justierten Raster dieser Begriffsstrategien einfach hindurchfällt?

In dieser Arbeit wird die These vertreten, dass die Entwicklungsdynamik der modernen Ökonomie – und dies schließt die oben genannten evolutionären Prozesse auf den heutigen internationalen Finanzmärkten ein – sich weder durch einen Bezug auf Handlungsrationalität noch auf dem Wege einer allgemeinen Theorie materieller Reproduktion entschlüsseln lässt, sondern nur qua Analyse des Zusammenhangs ihrer rekursiv aufeinander verweisenden monetären Formen (etwa Preis, Geldfunktionen, Kapital, Profit, Zins etc.).4 Denn es sind diese Formen – so die zweifellos auf den ersten Blick befremdlich anmutende Überlegung –, die in der Sphäre des Ökonomischen Subjekt und Objekt vermitteln und beide Pole – das rational handelnde Individuum und die Wirtschaft als opakes Ding-an-sich – erst wechselseitig konstituieren, bzw. einer systemtheoretischen Lesart nach, die von Luhmann abstrakt konzipierte Konditionierung der Systemelemente – also Handlungen bzw. Kommunikationen – durch das System konkret bestimmen. Damit wird eine Gegenposition zu den vorherrschenden Annahmen einer Neutralität des Geldes eingenommen und der Blick auf

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informeller Gruppen […]. Man konnte nun jedes beliebige Thema aufgreifen, ohne sich dem Verdacht der ökonomischen Inkompetenz auszusetzen – ging es doch stets um die ›weichen Themen‹ […]. Eine Wirtschaftssoziologie, die davon lebt, was die anderen ›vergessen‹ haben, kann auf Dauer kein Profil gewinnen«. 4 Den Begriff der monetären Formen verwenden wir in Anlehnung an Marx’ Begriff der ökonomischen Kategorien (vgl. exemplarisch MEW42: 159), der im Verlaufe dieser Arbeit erläutert wird und der darauf verweist, dass es sich bei diesen Formen nicht allein oder primär um begriffliche Abstraktionen im Kontext wirtschaftswissenschaftlicher Theoriebildung handelt, sondern um soziale Artefakte, die in der Wirtschaft selbst generiert werden (vgl. dazu auch Brentel 1989).

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die Performativität der ökonomischen Kategorien selbst gelenkt, auf das Geld als eigensinnige soziale Tatsache (Ganßmann 2000) bzw. als emergentes soziales Konstrukt (Deutschmann 1995). Bereits der Philosoph Liebrucks (1972a: 281) hatte das moderne Geld in einer solchen Weise charakterisiert, als »ein starres, festes, von uns unabhängiges System […], als das harte Gesetz, das über unseren Tausch verhängt ist, an dessen Spielregeln wir uns zu halten haben, zu denen, um einen Ausdruck Wittgensteins zu gebrauchen, wir ›abgerichtet‹ werden«. Bei Willke (2003a: 168f.) finden wir heute die weniger prätentiös vorgetragene, inhaltlich aber ähnliche Aussage, nach der die »Marktlogik« zu entschlüsseln sei als eine »spezifische Grammatik ökonomisch möglicher Kommunikationen«, welche das Handeln der Subjekte in einer Weise konditioniere, »wie sie sich beim Sprechen der Grammatik und Pragmatik ihrer Sprache unterwerfen müssen«.

Zu solch einem, um die Emergenz und Strukturprägekraft des monetären Nexus herum zentrierten Forschungsprogramm können aber – wie im Folgenden kurz skizziert werden soll – weder die neoklassische Schulökonomie noch die traditionelle Wirtschaftssoziologie sonderlich viel beitragen. Hier sei zunächst nur daran erinnert, dass von den verschiedensten Seiten bereits seit langem der Einwand geäußert wird, dass gerade die mathematisch beindruckend weit fortgeschrittene neoklassische Schulökonomie in kategorialer Hinsicht unfähig sei, eine adäquate Theorie des Geldes zu entwerfen. Nach Riese (2000: 489, Herv. H.P.) – um eine der kritischen Stimmen herauszugreifen5 – ist das Geld deshalb ein »Rätsel für die Nationalökonomie « geblieben, »weil es dieser bis zum heutigen Tage nicht gelungen ist, eine eigenständige, sich aus der Funktion des Geldes im Wirtschaftsprozess ergebende Geldtheorie abzuleiten«. Stattdessen wird das Geld gemeinhin »als Addendum einer auch ohne dieses faßbaren Theorie betrachtet«. Die neoklassische Ökonomie begreift das Geld – und hierin schreibt sie die klassische politische Ökonomie fort – als neutrales Medium bzw. als Schleier über einer Ebene realen Gütertauschs. Deshalb spricht Spahn (2002: 51f.) zutreffend von der »Norm eines geldlosen Wirtschaftens i.S. einer Disposition über reale Ressourcen«, die seit dem Beginn der neoklassischen Ära um 1870 die Forschungslandschaft beherrsche. In der Neoklassik wird behauptet, dass die wesentlichen ökonomischen Beziehungen auch ohne Geld modelliert werden können. Heinrich (2001: 75) vertritt in

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5 Ähnliche Vorwürfe finden sich auch bei Heinsohn/Steiger 2002, Backhaus 1985, Brodbeck

1991.