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Luhmann, Niklas: Erkenntnis als Konstruktion, Benteli: Bern 1988

Volltext

"Je mehr der Konstruktivismus sich im Unterschied zu anderen Erkenntnistheorien als ›radikal‹ behauptet, desto mehr kann man deshalb zweifeln, ob nun diese Theorie (erstmals) das Problem der Erkenntnis gelöst hat, und sogar: ob sie wenigstens ihre Hausaufgaben ordentlich gemacht hat. Wer sich an das erinnert, was Kant (mit Bezug auf Descartes) ›problematischen Idealismus‹ genannt hat, wird nicht so leicht erkennen, was denn der radikale Konstruktivismus an prinzipiell Neuem zu sagen hat" (7).

Um den Unterschied auch sprachlich zu markieren, bezeichnet Luhmann

"Die Frage, wie Systeme in einer Umwelt Erkenntnis zustande bringen, kann [...] reformuliert werden in die Frage, wie Systeme sich von ihrer Umwelt abkoppeln können, oder mit Heinz von Foerster: wie Schließung durch Einschließung möglich ist" (13).

"Kein System kann außerhalb seiner eigenen Grenzen operieren, auch ein erkennendes System nicht. Diese Überlegungen lassen noch offen, ob man alle Operationen autopoietischer Systeme ›Erkennen‹ (cognition) nennen will oder nur solche besonderer Art, die dann genauer zu bestimmen wäre. Maturana optiert für Kongruenz [...]. Ich möchte dagegen den Begriff des Erkennens enger fassen und dabei von einem Begriff des Beobachtens ausgehen, für den die Begriffe des Unterscheidens und Bezeichnens die Definitionsgrundlage bieten" (14).

"Mit dieser Begriffsfassung, die das Spezifische des Erkennens im Unterscheiden und im dadurch ermöglichten / erzwungenen Bezeichnen sieht, ist zugleich festgelegt, wie die Abkopplung von der Umwelt und damit die Geschlossenheit erkennender Systeme verstanden werden muß. Erkenntnis ist anders als die Umwelt, weil die Umwelt keine Unterscheidungen enthält, sondern einfach ist, wie sie ist. [...] Also gibt es in der Umwelt nichts, was der Erkenntnis entspricht; denn alles, was der Erkenntnis entspricht, ist abhängig von Unterscheidungen, innerhalb derer sie etwas als dies und nicht das bezeichnet" (15 f.).

"Beobachten findet immer dann statt, wenn etwas unterschieden und, in Abhängigkeit von der Unterscheidung, bezeichnet wird. Der Begriff ist indifferent dagegen, ob als Organisationsform Leben oder Bewußtsein oder Kommunikation benutzt wird" (15).

"Erkenntnis ist anders als die Umwelt, weil die Umwelt keine Unterscheidungen enthält, sondern einfach ist, wie sie ist. Die Umwelt enthält, mit anderen Worten, kein Andersein und keine Möglichkeiten. Sie geschieht, wie sie geschieht. [...] Alles Beobachtbare ist Eigenleistung des Beobachters, eingeschlossen das Beobachten von Beobachtern. Also gibt es in der Umwelt nichts, was der Erkenntnis entspricht; denn alles, was der Erkenntnis entspricht, ist abhängig von Unterscheidungen, innerhalb derer sie etwas als dies und nicht das bezeichnet. In der Umwelt gibt es daher auch weder Dinge noch Ereignisse, wenn mit diesem Begriff bezeichnet sein soll, daß das, was so bezeichnet ist, anders ist als etwas anderes" (15 f.).

"Es mag im Bereich dieses ›Außerhalb‹, den die Erkenntnis [...] als ›Gegenstand‹ bezeichnet, Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis geben; und wir können vermuten, daß diese in zeitlichen und sachlichen Diskontinuitäten stecken, in Differenzen von Variationsgeschwindigkeiten oder in Differenzen der strukturellen Kopplung von Elementen" (41).