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Luhmann, Niklas: Ideenevolution, Beiträge zur Wissenssoziologie (hrsg. von André Kieserling), Suhrkamp, 2008, stw 1870

Zitate

"Was immer als neu auftaucht - es kann nur auftauchen, wenn es vorher schon möglich war. Der Einsatzort der Erfahrung und Beschreibung als neu liegt mithin im Bereich der redundanten Möglichkeiten eines Systems. Diese Möglichkeiten waren immer schon mitgegeben, sie waren jedoch nur in ihrer Redundanz und nicht als fungierende Realität für das System. Sie waren ... durch Inhibierung 'potentialisierte' Möglichkeiten. ... Ihre Emergenz ist daher kein Wunder, keine creatio ab nihilo, sondern nur eine Reorganisation der Redundanzen des Systems. Die Autopoiesis des Sinnes wird zum Teil auf andere Systemstrukturen umgelagert, denen dann wiederum andere Redundanzen zugeordnet werden. Die Kategorie des Neuen markiert diesen Übergang. Sie beschreibt ein Verhältnis des Systems zu sich selbst und impliziert daher immer auch Altheit." (S.38f.)

"Jenseits aller hinreichend bestimmten Anzeigen, aber durch sie vermittelt, erstreckt sich jenes Dunkelfeld des Unfaßbaren, Unbestimmbaren, aber doch Wirklichen und Wirkenden, das alles Greifbare bestimmt, ohne selbst greifbar zu sein; das in alle Sinngegenstände eingeht, ohne in ihnen aufzugehen. Alles, was gegeben ist, trägt diesen Mehrwert an Sinnbezügen in sich, den man weder aufgreifen noch abarbeiten kann, weil alles Vorgehen selektiv erfolgt und damit das Nichtberücksichtigte mitreproduziert. Es spricht viel dafür, in dieser Grunderfahrung den Ursprung der Religion zu sehen, die, in einer Art Widerspruch zu sich selbst, dem Unfaßbaren Formen, Namen, Orte zu weihen versucht." (S.41)

"Dies mag dadurch geschehen, daß dem Formlosen mit besonderer Formstrenge, mit alternativloser Rigidität begegnet wird, so als ob es gälte, das immer wieder Ausweichende in der Umkehrung seines Wesens zu fassen: im Ritual, in der Definition und Vermeidung von Fehlern, im Kult. Unbedingte Präsenz ist im Ritual gerade deswegen erforderlich, weil man dem Dunkel der Vergangenheit/Zukunft zu begegnen hat. Ein durchritualisierter Sakralbereich stabilisiert also diese Differenz des Geschlossenen und Offenen in Differenz zum anderen Bereich des Profanen, der eher Anpassung favorisiert." (S.41)

"In der sinnhaften, soziokulturellen Evolution geht es um differenzgesteuerte Erzeugung von Differenzen, die dann unter System/Umwelt-Bedingungen getestet und in Benutzung genommen werden. Die Sinnverwendungspraxis selbst hinterläßt Spuren, hinterläßt 'Schrift', hinterläßt gelegentlich reaktivierbare Möglichkeiten. Sie erzeugt strukturelle Komplexität - und nicht nur Komplexität, sondern in eins damit auch Unbewußtes, Inkommunikables, das sich den ausgewählten Selektionsregeln nicht mehr fügt." (S.45)

„Wenn die Evolution in Richtung auf ausgearbeitete, bestimmte oder doch bestimmbare Komplexität läuft, wird Unbekanntes, Überraschendes, Unwahrscheinliches zunehmend deutbar. Was hervorkommt, hat schon die Vermutug für sich, Folge von etwas längst Bekanntem zu sein (S. 47);

"Das erste Prinzip der Selbstkonditionierung und Spezifikation führt Externalisierungen und damit Asymmetrien ein. Dem Bedarf für Externalisierung kommt vor allem die Subjekt-Prädikat-Struktur der Sprache entgegen. Sie erweckt in der Kommunikation (!) den Eindruck, als ob das Objekt (Satzsubjekt) für seine Eigenschaften selbst verantwortlich sei - und nicht der, der über es redet und ihm Eigenschaften beilegt. Im Kommunikationsprozeß wird so der Eindruck externaler Referenzen gefestigt, da es eine sehr aufwendige Kommunikation über Kommunikation erfordern würde, um ihm entgegenzutreten." (S. 147)

"Forscher, die man mit dem Auftrag, festzustellen, wie es wirklich war, ins Feld jagt, kommen nicht zurück; sie apportieren nicht, sie rapportieren nicht, sie bleiben stehen und schnuppern entzückt an den Details." (S.234)

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