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Küppers, Bernd-Olaf: , Ordnung aus dem Chaos, Piper München 1991


Bertram Köhler Die Komplexität des Lebendigen (Küppers)

1. Die Ordnung des Lebendigen zeichnet sich durch ihre extreme strukturelle und funktionelle Komplexität aus. Eine Komplexitätseigenschaft lebender Systeme springt besonders ins Auge: die ausgeprägte hierarchische Strukturierung. Auf den höheren Organisationsstufen des Lebendigen erstreckt sich die Hierarchie von den Zellen über das Gewebe und die Organe bis hin zu den Individuen, Gruppen und Gesellschaften.

2. Die Komplexität einer Sequenz ist bestimmt durch die Länge des zu ihrer Konstruktion erforderlichen Minimal- Algorithmus. Der Minimal- Algorithmus ist per definitionem eine Zufallsfolge und nicht weiter komprimierbar. Die Komplexität des lebenden Organismus ist durch die Komplexität der in den Erbmolekülen enthaltenen Information bestimmt, kann aber nicht darauf reduziert werden. Die während der Morphogenese zu beobachtende Zunahme der Komplexität ist durch die Aufnahme von Information aus der (physikalischen) Umgebung bedingt.

3. Auf die Frage nach dem Ursprung der biologischen Information gibt es 3 mögliche Antworten

- die Zufallshypothese

- die teleologische Hypothese

- die molekulardarwinistische Hypothese

4. Die Zufallshypothese interpretiert die Entstehung des Lebens als singuläres Zufallsereignis, das wegen seiner extrem niedrigen Wahrscheinlichkeit im gesamten Universum einmalig und nicht wiederholbar ist.

5. Der teleologische Ansatz nimmt ein vitalistisches Naturgesetz an, durch das die Fülle aller möglichen makromolekularen Strukturen auf die biologisch relevanten Strukturen eingeengt wird. Dieses vitalistische Naturgesetz hätte den Charakter eines Minimal- Algorithmus für die Erzeugung biologisch relevanter Sequenzen, die damit keine Zufallssequenzen sein können.

6. Der molekulardarwinistische Ansatz liegt dazwischen und erklärt die Evolution aus Mutation und Selektion nach physikalischen Prinzipien in Nichtgleichgewichtszuständen.

7. Der Zufallscharakter biologischer Sequenzen ist prinzipiell nicht beweisbar, weil hierfür die höhere Komplexität des zum Beweis eingesetzten Systems nachgewiesen sein muß. Auch wenn gezeigt werden kann, daß fast alle Binärsequenzen zufällig sind, kann die Zufälligkeit einer speziellen Binärsequenz nicht bewiesen werden. Damit ist die Zufallshypothese nicht beweisbar, die teleologische Hypothese aber nicht widerlegbar, bewiesen ist sie aber nicht.

8. Nach dem molekulardarwinistischen Ansatz erfolgt eine Selektion biologischer Sequenzen durch eine systeminhärente Bewertung. Damit ist nur der Gradient, aber nicht die Richtung der Evolution festgelegt. Die Richtung ergibt sich aus der genetischen Mutation als Zufallsprozeß und aus der Gesamtheit der Umgebungsbedingungen, zu denen auch die übrigen evolvierenden Systeme gehören. Naturgesetzlich erklären läßt sich nur das "Dasein" biologischer Strukturen, nicht aber ihr "Sosein". Das "Sosein" spiegelt die historische Einzigartigkeit lebender Systeme wieder und entzieht sich prinzipiell einer naturgesetzlichen Beschreibung.

9. Der wissenschaftsphilosophische Gedanke einer vereinheitlichten Theorie aller Naturerscheinungen ist die Suche nach dem Minimal- Algorithmus, aus dem sich alle Gesetzmäßigkeiten der Natur ableiten lassen. Die Eigenschaft, Minimal - Algorithmus zu sein, ist nicht beweisbar. Deshalb ist auch die Abgeschlossenheit naturwissenschaftlicher Theorien nicht beweisbar, sondern nur pragmatisch durch die Vorlage eines kompakteren Algorithmus widerlegbar.