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Goethe, Johann Wolfgang: Faust. Eine Tragödie. Erster und zweiter Teil, 1997. dtv-Tb. Allgemeine Reihe. (12400), ISBN 3-423-12400-8

Zusammenfassung
»Mein ferneres Leben kann ich nunmehr als ein reines Geschenk ansehen, und es ist jetzt im Grunde ganz einerlei, ob und was ich noch etwa tue.« So lautete Goethes eigenes Urteil, als er zehn Monate vor seinem Tod den zweiten Teil seines Faust abgeschlossen hatte. Über einen Zeitraum von sechzig Jahren hatte ihn sein Meisterwerk begleitet, und was ursprünglich Volksbuch und Puppenspiel gewesen, wurde zur berühmtesten Dichtung der deutschen Literatur, zu einem Glanzlicht der Weltliteratur.

Denn mit diesem dramatischen Werk, in dessen Mittelpunkt der nach unbedingter Erkenntnis strebende Faust steht, gelang Goethe ein allgemeingültiges Gleichnis menschlichen Lebens, das jeder Zeitströmung widerstand. Gegen vaterländische Mystifikationen und falsche Weihe zeigen vor allem die modernen Faust-Interpretationen auf den Bühnen den universellen Charakter dieses Stückes. Viele Passagen fanden zudem Eingang in den deutschen Sprachschatz und belegen nachhaltig seine ungebrochene Popularität.

Die vorliegende Neuausgabe enthält den vollständigen Text nach der Weimarer Ausgabe und einen umfangreichen Anhang zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte sowie Zeittafel und Erläuterungen.

Leseprobe:

Der Tragödie - Erster Teil

Nacht

FAUST. Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin
Und leider auch Theologie
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
Da steh ich nun, ich armer Tor,
Und bin so klug als wie zuvor!
Heiße Magister, heiße Doktor gar
Und ziehe schon an die zehen Jahr
Herauf, herab und quer und krumm
Meine Schüler an der Nase herum -
Und sehe, daß wir nichts wissen können!
Das will mir schier das Herz verbrennen.
Zwar bin ich gescheiter als alle die Laffen,
Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;
Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel,
Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel -
Dafür ist mir auch alle Freud entrissen,
Bilde mir nicht ein, was Rechts zu wissen,
Bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren,
Die Menschen zu bessern und zu bekehren.
Auch hab ich weder Gut noch Geld,
Noch Ehr und Herrlichkeit der Welt:
Es möchte kein Hund so länger leben!
Drum hab ich mich der Magie ergeben,
Ob mir durch Geistes Kraft und Mund
Nicht manch Geheimnis würde kund,

Daß ich nicht mehr mit sauerm Schweiß
Zu sagen brauche, was ich nicht weiß,
Daß ich erkenne, was die Welt
Im Innersten zusammenhält,
Schau alle Wirkenskraft und Samen
Und tu nicht mehr in Worten kramen.


»Denn eben, wo Begriffe fehlen, Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.« (Goethe, Faust I, Schülerszene)


(Faust I, Kapitel 6: Studierzimmer)

Geschrieben steht: „Im Anfang war das Wort!“
Hier stock’ ich schon! Wer hilft mir weiter fort?
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
Ich muss es anders übersetzen,
Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn.
Bedenke wohl die erste Zeile,
Dass deine Feder sich nicht übereile!
Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?
Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft!
Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,
Schon warnt mich was, dass ich dabei nicht bleibe.
Mir hilft der Geist! Auf einmal seh’ ich Rat
Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat!

ganzer Text