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Benedikt Föger und Klaus Taschwer: Die andere Seite des Spiegels. Lorenz, Konrad und der Nationalsozialismus. Czernin- Verlag, Wien 2001. 254 S., Fr. 42.20.

Buchbesprechung: Quelle: 10. April 2002, 02:08, Neue Zürcher Zeitung

Nicht böse gemeint

Lorenz, Konrad als politischer Zoologe

Im März 1938 wird Österreich «ins Reich heimgeholt». Drei Monate später schliesst ein Wiener Universitätsdozent der Zoologie seinen Antrag auf Aufnahme in die NSDAP mit der Versicherung, dass seine «ganze wissenschaftliche Lebensarbeit, in der stammesgeschichtliche, rassenkundliche und sozialpsychologische Fragen im Vordergrund stehen, im Dienste nationalsozialistischen Denkens steht».

Ob dieser Antrag zur Aufnahme des Dozenten Konrad Lorenz in die Partei führte, ist nicht bekannt. Dass er aber durchaus nicht nur eine beiläufige opportunistische Anpassung mit Blick auf's akademische Reüssieren in verkommenen Zeiten war, zeigt ein Blick auf die Texte, die der Tierpsychologe und spätere Nobelpreisträger (1973) in den Jahren nach 1938 schrieb. In ihnen werden ungedeckte Parallelen zwischen Tierreich und «menschlicher Sozialpsychologie» gezogen, die weit über beiläufige Anbiederungen hinausgehen: Was die tierische Domestikation an «Instinktausfällen» mit sich bringe, hat da seine Entsprechung im «moralischen Schwachsinn bei überzivilisierten Menschen», und so, wie der Tumor vom gesunden Gewebe nicht als Fremdkörper erkannt werde, so brauche auch der Volkskörper Hilfestellung im Kampf gegen entsprechende Verfallselemente, womit der Rassepfleger auf den Plan tritt - oder auch gleich «die Besten» erscheinen, die ihrem «dunklen Drange» folgen, der Stimme ihrer artreinen «vollwertigen» Natur, deren rassepflegerische Anwendung vielleicht sogar zum ersten Mal in der Geschichte das Verfallsgesetz von Zivilisationen zugunsten einer «aufartenden Höherentwicklung» durchbrechen könnte.

Zwei Wiener Wissenschaftsjournalisten, Benedikt Föger und Klaus Taschwer, haben diese spätestens seit dem Jahr der Nobelpreisverleihung bekannten Texte nun noch einmal in ihren Grundzügen dargestellt, vor dem biographischen Hintergrund und im Lichte einiger neu hinzugekommener Quellen, zu denen neben dem eingangs zitierten Antrag vor allem Briefe von Lorenz an Kollegen, Förderer und Freunde gehören. Diese Briefe zeigen einen von keinerlei Skrupel geplagten Anhänger der neuen Zeit - von der Begeisterung über den Anschluss bis zur Freude über die prächtige Stellung, die seiner im Spital aufrückenden Frau vielleicht durch den «Hinausschmiss polnischer Juden» zukommen könnte. Diese unangenehme private Seite lässt sich allerdings von der «wissenschaftlichen» kaum trennen: Hier wie dort ist eine aufgeräumte Hemdsärmeligkeit tonangebend, die immer schon genau weiss, wer die eigentlich «Vollwertigen» sind und wie ihre Lebensform aussieht.

Auf Seiten der auflösenden Kräfte stand 1940 bei Lorenz einmal die hübsche Reihung «moralischer Verfall, Geburtenrückgang, Karzinom und Weltkapitalismus» - wovon eigentlich nur die Letzteren wirklich als zeittypisch gelten können. An der Unterscheidung zwischen «Vollwertigen» und anderen konnte Lorenz bis zu seinem Lebensende nichts Anstössiges finden, während der Import «zivilisationskritischer» Einsichten aus Beobachtungen tierischen Verhaltens seine populäre Wirkung mit begründete. Zu seinen haarsträubenden Texten der Kriegsjahre fiel Lorenz auch auf nachdrückliche Erinnerungen nur ein, dass er eben politisch kurzsichtig gewesen sei, es im Übrigen aber nicht böse gemeint habe.

Womit schon das recht Österreichische des Falls Konrad Lorenz berührt ist. Zumal er später als «grosser Sohn Österreichs» - man hatte lange auf Nobelpreisträger verzichten müssen - zur Galionsfigur der sich formierenden grünen Bewegung wurde, akklamiert durch ein das gesunde Volksempfinden damals wie heute zu durchschlagender Wirkung bringendes Boulevardblatt. Über diese österreichische Besonderheit hinaus kann die neue Darstellung aber auch die unabdingbare Skepsis gegenüber allen Versuchen befördern, aus dem Zylinder der Natur normative Ansprüche an Formen menschlichen Soziallebens hervorzuzaubern.

Helmut Mayer