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Eco, Umberto: Das Foucaultsche Pendel Roman. 600 g. 841 S. 13. A. 2001. dtv-Tb. Allgemeine Reihe. (11581). DTV Kartoniert. SFr. 23.60 ISBN 3-423-11581-5

Zusammenfassung

Der Titel dieses Buches Das Foucaultsche Pendel wurde erfunden von Jean Bernard Léon Foucault (1819-1868), der damit die Achsendrehung der Erde nachwies. Das Original pendelt im Conservatoire des Arts et Métiers, Paris.

Die Orte sind ein Mailänder Verlag, ein Pariser Museum, Brasilien, ein Städtchen im Piemont, ein altes Landhaus und die verschlungenen Pfade eines Welteroberungsplanes der Tempelritter und Rosenkreuzer.

Die Handlung
spielt in der Gegenwart, speziell in den Jahren 1344-2000. Sie wird von drei Verlagslektoren bestritten, die sich um ihrer Autoren willen ständig mit okkulten Wissenschaften, Geheimbünden und kosmischen Komplotten auseinandersetzen müssen und schließlich auf ein äußerst geheimnisvolles Tempelritter-Dokument aus dem 14. Jahrhundert stoßen, in dem von turnusmäßig alle 120 Jahre bis ins Jahr 2000 wiederkehrenden Zusammenkünften der 36 Unsichtbaren, der Nachfahren der Tempelritter, die Rede ist. Die drei Spötter stürzen sich in das gigantische Labyrinth der Geheimlehren und entwerfen schließlich selbst einen Weltverschwörungsplan. Doch jemand nimmt sie ernst.

Leseprobe

Da endlich sah ich das Pendel.
Die Kugel, frei schwebend am Ende eines langen metallischen Fadens, der hoch in der Wölbung des Chores befestigt war, beschrieb ihre weiten konstanten Schwingungen mit majestätischer Isochronie.
Ich wußte - doch jeder hätte es spüren müssen im Zauber dieses ruhigen Atems -, daß die Periode geregelt wurde durch das Verhältnis der Quadratwurzel aus der Länge des Fadens zu jener Zahl n, die, irrational für die irdischen Geister, in göttlicher Ratio unweigerlich den Umfang mit dem Durchmesser eines jeden möglichen Kreises verbindet, dergestalt, daß die Zeit dieses Schweifens einer Kugel von einem Pol zum andern das Ergebnis einer geheimen Verschwörung der zeitlosesten aller Maße war - der Einheit des Aufhängepunktes, der Zweiheit einer abstrakten Dimension, der Dreizahl von n, des geheimen Vierecks der Wurzel und der Perfektion des Kreises.
Auch wußte ich, daß in der Fallinie des Aufhängepunktes, unter dem Boden, eine Magnetvorrichtung, die ihre Anziehungskraft auf einen verborgenen Zylinder im Innern der Kugel übertrug, das Gleichmaß der Bewegung garantierte, ein Mechanismus zur Überwindung des Widerstands der Materie, der aber nicht dem Gesetz des Pendels entgegentrat, sondern ihm vielmehr erlaubte, sich zu manifestieren - denn im Vakuum würde jedes Gewicht am Ende eines unelastischen und gewichtlosen Fadens, der keinem Luftwiderstand und keinerlei Reibung mit seinem Angelpunkt ausgesetzt wäre, gleichmäßig in alle Ewigkeit pendeln.
Die kupferne Kugel emanierte schwach schimmernde Reflexe im Schein der letzten Sonnenstrahlen, die durch die Kirchenfenster eindrangen. Hätte sie, wie einst, mit ihrer Spitze eine Schicht feuchten Sandes auf dem Boden des Chores gestreift, so ... .


 
[irre, Dumme, Dämliche]
Umberto Eco: Das Foucaultsche Pendel, München 1992, S.265 – 267.

»Apropos«, sagte er, »du bist doch Philosoph…«

»Danke, leider nein.«

»Ach komm schon, du warst doch damals einer, der alles wußte. Heute hab ich eine Übersetzung durchgesehen, einen Text über die Krise des Marxismus, und da war ein Zitat drin von einem gewissen Anselm von Canterbury. Weißt du, wer das ist? Ich hab ihn nirgendwo finden können, nicht mal im »Dizionario degli Autorie« Ich sagte ihm, daß es sich um denselben handelte, den wir Italiener Anselmo d’Aosta nennen, weil er unser ist und nicht ihrer. Dabei kam mir eine Erleuchtung: Ich hatte einen Beruf gefunden. Ich beschloß, eine Agentur für Bildungsauskünfte zu eröffnen.

So etwas wie eine Detektei des Wissens. Statt nachts in den Bars und Bordellen herumzuschnüffeln, mußt du dich in Buchläden, Bibliotheken und Korridoren von Universitätsinstituten herumtreiben. Und dann in deinem Büro sitzen, die Beine auf dem Tisch, einen Pappbecher mit Whisky vor dir, daneben die Flasche, vom Drugstore an der Ecke in einer Packpapiertüte mitgebracht. Das Telefon klingelt, jemand sagt: »Ich übersetze gerade ein Buch und stoße da auf einen gewissen – oder gewisse – Mutakallimun. Ich krieg nicht raus, was das ist.«

Du weißt es auch nicht, aber egal, du sagst ihm, er soll dir zwei Tage Zeit geben. Du gehst in die Bibliothek, blätterst ein paar Kataloge durch, bietest dem Typ an der Auskunft eine Zigarette an, findest eine Spur. Abends triffst du einen Assistenten vom Islamistischen Institut an der Bar zahlst ihm ein Bier, zwei, er verliert die Kontrolle und gibt dir die gesuchte Information für nix. Am nächsten Tag rufst du den Kunden an: »Also, die Mutakallimun waren radikale muslimische Theologen zur Zeit von Avicenna. Sie sagten, die Welt sei gewissermaßen eine Staubwolke von Akzidentien und gerinne nur durch einen momentanen und vorübergehenden Akt des göttlichen Willens zur Form. Es genüge, daß Gott sich für einen Moment zerstreue, und schon falle das Universum in Stücke. Reinste Anarchie der Atome ohne jeden Sinn. Genügt das? Hat mich drei Tage gekostet, zahlen Sie mir, was Ihnen angemessen scheint.«

Ich hatte das Glück, zwei Zimmer mit einer kleinen Küche in einem alten Gebäude am Stadtrand zu finden, das früher einmal eine Fabrik gewesen sein mußte, mit einem Flügel für die Büros. Die Appartements, die man daraus gemacht hatte, gingen alle auf einen langen Flur, meins lag zwischen einer Immobilienagentur und dem Labor eines Tierkörperpräparators (»A. Salon – Taxidermist«). Es war beinahe wie in einem amerikanischen Wolkenkratzer der dreißiger Jahre, es fehlte nur noch eine Glastür, und ich wäre mir vorgekommen wie Philip Marlowe. Ich stellte eine ausziehbare Couch in das hintere Zimmer und einen Schreibtisch ins vordere. Zwei Regale füllten sich mit Atlanten, Lexika und Katalogen, die ich nach und nach kaufte. Anfangs mußte ich noch Kompromisse machen und auch Examensarbeiten für verzweifelte Studenten schreiben. Das war nicht besonders schwer, ich brauchte bloß die aus dem letzten Jahrzehnt abzuschreiben. Dann schickten mir die Freunde aus den Lektoraten Manuskripte und Übersetzungen zum Redigieren, natürlich nur die unangenehmsten und für mäßiges Honorar.

Aber ich sammelte Erfahrungen, akkumulierte Kenntnisse und warf nichts weg. Alles wurde säuberlich in Karteien verzettelt. Ich dachte noch nicht daran, die Karteien in einen Computer zu übertragen (die kamen damals gerade erst auf, Belbo war ein Pionier), ich operierte noch mit handwerklichen Mitteln, aber ich hatte mir eine Art künstliches Gedächtnis aus Kärtchen mit Querverweisen geschaffen. Kant ? Nebelfleck -> Laplace… Kant ? Königsberg ? die sieben Brücken von Königsberg ? Theoreme der Topologie… Ein bißchen wie jenes Spiel, bei dem man durch Assoziation in fünf Schritten von Würstchen zu Plato gelangen soll. Sehen wir mal: Würstchen ? Schwein ? Borste ? Pinsel ? Manierismus ? Idee ? Plato. Leicht. Auch das verquasteste Manuskript brachte mir noch mindestens zwanzig neue Kärtchen für meine Vernetzungen ein. Das Kriterium war streng, und ich glaube, es ist dasselbe, das auch die Geheimdienste anwenden: Keine Information ist weniger wert als die andere, das Geheimnis besteht darin, sie alle zu sammeln und dann Zusammenhänge zwischen ihnen zu suchen. Zusammenhänge gibt es immer, man muß sie nur finden wollen.

Nach etwa zwei Jahren Arbeit war ich mit mir zufrieden. Ich amüsierte mich. Und inzwischen war ich Lia begegnet.«
 
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