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Darwin, Ch.: Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren. Aus dem Englischen übersetzt von J. Victor Carus. E.Schweizerbart'sche Verlagsbuchhandlung Nägele & Dr.Sprösser, Stuttgart 1910 ETH-BIB 815 124: 7 ED.2

Das Original wurde 1872 in Englisch publiziert.

(Laut Leventhal, 1980, 160, haben Darwin und Bell postuliert, dass unterscheidbare subjektive emotionale Erfahrungen aus Aktivitäten der Gesichtsmotorik hevorgehen! Eine explizite Formulierung dieser Art habe ich bisher nicht gefunden.)

Reflexthätigkeiten (30f). Eine grosse Zahl complicierter Bewegungen sind reflectorisch. Ein Beispiel, wie es kaum besser gegeben werden kann, ist das oft angeführte von einem enthaupteten Frosche, welcher natürlich nicht fühlen und keine Bewegung mit Bewusstsein ausführen kann. Bringt man aber bei einem Frosche in diesem Zustande einen Tropfen Säure auf die innere Oberfläche des Schenkels, so reibt er den Tropfen mit der obern Fläche des Fusses derselben Seite wieder ab. Wird dieser Fuss abgeschnitten, so kann er diese Handlung nicht ausführen. 'Nach einigen fruchtlosen Anstrengungen giebt er daher den Versuch auf diese Weise auf, erscheint unruhig, als ob er, wie PFLÜGER sagt, irgend eine andere Weise aufsuchte, und schliesslich gebraucht er den Fuss der andern Seite; und dadurch gelingt es ihm, sie Säure wegzureiben. Offenbar haben wir hier nicht bloss Zusammenziehungen von Muskeln vor uns, sondern combinierte und harmonische Contractionen in gehöriger Aufeinanderfolge zur Erreichung eines speciellen Zwecks. Dies sind Handlungen, welche ganz die Erscheinung darbieten, als würden sie druch den Verstand geleitet und durch den Willen angeregt, und zwar bei einem Thiere, dessen anerkanntes Organ der Intelligenz und des Willens entfernt worden ist (Dr. Maudsley, Body and Mind. 1870, p. 8.' (31). Sind die Bewegungen des Frosches, weil er ausser dem einen Fuss auch sein anerkanntes Intelligenz- und Willensorgan nicht mehr hat, Reflexbewegungen? Oder hat er ohne Kopf und Fuss dennoch Verstand und Wille? Oder hatte er etwa beim Wegreiben der Säure gar mehr Glück als Verstand? Soviel Glück, dass er Fuss und Kopf wieder gewinnt, hatte er offenbar nicht, denn er bleibt kopflos. Vgl. auch die verschiedenen Frosch Experimente bei Schütz/Rothschuh, 1976! Darwin kommt einige Seiten später auf den Frosch zurück. Es geht ihm eigentlich darum zu zeigen, dass Reflexbewegungen ursprünglich über das Hirn vermittelte, willkürliche Bewegungen gewesen sein müssen. Er braucht die Beispiele für sein 'Entstehung der Arten': Es ist kaum glaublich, dass die Bewegungen eines kopflosen Frosches, wenn er einen Tropfen Säure oder irgend einen anderen Gegenstand von seinem Schenkel wegwischt, - welche Bewegungen für den speciellen Zweck so gut conditioniert sind, - anfangs nicht willkürlich ausgeführt worden sein sollten, während sie später durch lang fortgesetzte Gewohnheit so leicht gemacht wurden, dass sie zuletzt ohne Bewusstsein oder unabhängig von den Hemisphären des Gehirns ausgeführt werden (35). (...) so möchte es fast scheinen, als ob jede starke Erregung des Nervensystems den stetigen Fluss der Nervenkraft zu den Muskeln unterbräche (Joh. Müller bemerkt (Handuch der Physiologie des Menschen, Bd. 2, 1840, S. 92): 'Bei stärkeren Gemüthsbewegungen verbreitet sich die Wirkung auf alle Rückenmarksnerven bis zu unvollkommenen Lähmung und zum Zittern.' (60) Schon Darwin scheint gewusst zu haben, dass es besser ist, keine Emotionen zu haben, da sonst das Gefühl für die Sache gestört wird! Wir können Lachen druch Kitzeln der Haut, Weinen oder Strinrunzeln durch einen Schlag, Zittern durch Furcht oder Schmerz verursachen u.s.w., wir können aber (...) ein Erröthen durch keine physikalischen Mittel, - d.h. druch keine Einwirkungen auf den Körper verursachen. Es ist der Geist, welcher afficiert werden muss (271). Es scheint, als wären die geistigen Kräfte kleiner Kinder noch nicht hinreichend entwickelt, um ein Erröthen bei ihnen zu gestatten. Daher kommt es auch, dass Idioten selten erröthen (272). Wenn unsere frühen Urerzeuger von Kummer oder Sorgen litten, werden sie nicht eher iher Augenbrauen schräg gestellt oder ihre Mundwinkel herabgezogen haben, bie sie die Gewohnheit erlangt hatten, zu versuchen, ihr Schreien zu unterdrücken. Es ist daher der Ausdruck des Kummers und der Sorge in eminentem Grade menschlich (317). Der freie Ausdruck einer Gemüthserregung durch äussere Zeichen macht sie intensiver. Auf der anderen Seite macht das Zurückdrängen aller äusserer Zeichen, so weit dies möglich ist, unsere Seelenbewegungen milder (320f).

Quelle: Rost, 1990

Anmerkungen von Rolf Todesco

Materialien

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