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"Hypotheses non fingo" ist ein exemplarisches Beispiel für unsägliche Interpretationen, die in erster Linie damit zusammenhängen, dass Begriffe nicht geklärt werden. Auch Autoren wie E. Mach, die wissen, wie sehr sich die Verwendung des Wortes Hypthese verändert hat, bleiben bei ihrer aktuellen Auffassung davon, was eine Hypothese ist, resp. unterstellen (nicht als Hypothese), dass Newton das Wort wie sie verwendet habe.

Meine Interpretation des Satzes ist eine systemtheoretische Abgrenzung des Gegenstandes.
Jene von E. Mach habe ich hierher kopiert. Jene in der Wikipedia kennt nicht einmal, was E. Mach dazu gesagt hat.

I. Newton sagte: "Hypotheses non fingo"
(Ich erfinde keine Hypothesen oder Ich bastle keine unsinnige Begründungen oder ich beobachte den Wertebereich meiner Hypothesen: Wenn ich etwas über die Temperaturabhängigkeit der Ausdehnung einer Quecksilbersäule sage, sage ich nichts (keine Hypothese) darüber aus, weshalb die Quecksilbersäule eine oder eine bestimmte Temperatur hat).
G. Bateson sagte: "Jede Aussage, die zwei deskriptive Aussagen miteinander verknüpft, ist eine Hypothese" ( beides: H. von Foerster: Wissen und Gewissen:135).

E. Mach erläutert den Satz in Erkenntnis(meiner Meinung nach nicht hinreichend):
"6. Eine entschiedene Abneigung gegen Hypothesen hat Newton an den Tag gelegt. Seine erste philosophische oder Forschungsregel lautet: »An Ursachen zur Erklärung der Natur nicht mehr zuzulassen, als wirklich sind, und zur Erklärung der Erscheinungen ausreichen.« [Philosophiae naturalis Principia mathematica. Lib. III. Regulae philosophandi. Reg. 1.] Sie enthält eine deutliche Mahnung, keine Erklärungen zu erdichten, wenn das tatsächlich Bekannte zum Verständnis ausreicht. In derselben Schrift findet sich noch eine zweite für Newtons Haltung charakteristische Stelle. »Ich habe noch nicht dahin gelangen können, aus den Erscheinungen den Grund dieser Eigenschaften der Schwere abzuleiten, und Hypothesen erdenke ich nicht. Alles nämlich, was nicht aus den Erscheinungen folgt, ist eine Hypothese und Hypothesen, seien sie nun metaphysische oder physische, mechanische oder diejenigen der verborgenen Eigenschaften, dürfen nicht in die Experimentalphysik aufgenommen werden. In dieser leitet man die Sätze aus den Erscheinungen ab und verallgemeinert sie durch Induction. Auf diese Weise haben wir die Undurchdringlichkeit, die Beweglichkeit, den Stoss der Körper, die Gesetze der Bewegung und der Schwere kennen gelernt. Es genügt, dass die Schwere existire, dass sie nach den von uns dargelegten Gesetzen wirke, und dass sie alle Bewegungen der Himmelskörper und des Meeres zu erklären im Stande sei.« In diesem Zusammenhange kann das vielzitierte »hypotheses non fingo« zunächst, und zwar mit Recht, auf eine weitere Erklärung der Schwere bezogen werden. Newton hat die tatsächlich bestehende verkehrt quadratische Schwerebeschleunigung nachgewiesen, aus den Erscheinungen abgeleitet. Diese ist also keine Hypothese. Woher aber diese Eigenschaften der Schwere kommen, weiß er nicht, vermag es den Erscheinungen nicht zu entnehmen, und lehnt es ab, eine erdichtete Erklärung vorzubringen. Dies geht mit voller Deutlichkeit aus den zwei folgenden Stellen der Briefe Newtons an Bentley hervor. Newton schreibt:

»Sie sprechen manchmal von der Schwerkraft als wesentlich und der Materie innewohnend. Bitte schreiben Sie mir diesen Begriff nicht zu; denn die Ursache der Schwerkraft ist das, was ich nicht zu kennen vortäusche und daher mehr Zeit benötigen würde, darüber nachzudenken. «(Jan. 17, 1692-1693.)

»Es ist unvorstellbar, dass unbelebte rohe Materie ohne die Vermittlung von etwas anderem, das nicht materiell ist, ohne gegenseitigen Kontakt auf andere Materie einwirkt und sie beeinflusst, wie sie es tun muss, wenn die Gravitation im Sinne von Epikur wesentlich und ihr innewohnend ist. Und dies ist ein Grund, warum ich wünschte, Sie würden mir nicht die angeborene Schwerkraft zuschreiben. Diese Gravitation sollte der Materie angeboren, innewohnend und wesentlich sein, so dass ein Körper auf ein anderes auf Distanz durch ein Vakuum, ohne Vermittlung durch irgendetwas anderes, durch das und durch das ihr Handeln und ihre Kraft von dem einen auf den anderen übertragen werden kann, ist für mich eine so große Absurdität, dass ich glaube, dass kein Mensch, der in philosophischen Fragen eine kompetente Denkfähigkeit hat, jemals in sie hineinfallen kann. Die Schwerkraft muss durch einen Agenten verursacht werden, der ständig nach bestimmten Gesetzen handelt; aber ob dieser Agent materiell oder immateriell ist, habe ich der Betrachtung meiner Leser überlassen.« (Febr. 25. 1692-1693.)
FN: Newtoni Opera. Ed. Horseley. London 1782. Tom. IV, p. 437-438. In dem Briefwechsel mit Bentley handelt es sich für Newton darum, aus der Anordnung des Weltsystems Beweise für das Walten einer göttlichen Weisheit zu gewinnen. Der Ausdruck »inanimate brute matter« zeigt deutlich, daß Newton die beseelte Materie für etwas wesentlich anderes hält, und ihr mehr zutraut, als der rohen toten Materie. Der Dualismus, der uns von unseren wilden Urvätern her so fest in den Knochen steckt, ist auch heute nicht überwunden. Auch W. Thomson in seiner Arbeit »on the dynamical theory of heat« (1852) findet es notwendig zu sagen: »It is impossible, by means of inanimate material agency, to derive mechanical effect from any portion of matter by cooling it below the temperature of the coldest of the surrounding objects.« Und auch H. Hertz (Die Prinzipien der Mechanik 1894), welcher annimmt, daß die gesamte Physik mechanisch-atomistisch zu ergründen sei, hält es doch für nötig – 200 Jahre nach Newton – diese Auffassung (S. 165) ausdrücklich auf die unbelebte Natur zu beschränken. Boltzmann endlich behandelt (1897) die Frage »nach der objektiven Existenz der Vorgänge in der unbelebten Natur«. Ich gestehe offen, daß mir die »leblose« Materie nicht weniger rätselhaft scheint als die belebte, und daß ich die gegenteilige Auffassung für den Rest eines alten Aberglaubens halte. Solange man glaubt, die ganze Physik durch Mechanik erschöpfen zu können, und solange man die Mechanik selbst durch die bisher bekannten einfachen Lehren für erschöpft hält, muß das Leben wirklich als etwas hyperphysikalisches erscheinen. Beiden Auffassungen kann ich mich aber nicht anschließen.

7. Newtons Forschungsweg und Stellung scheint also ganz klar. Er wurde zu der Annahme geführt, daß die Massen Fernwirkungen aufeinander ausüben, analog jener der Erde auf die zur selben fallenden Körper. Er nahm ferner an, daß diese Fernwirkung verkehrt proportional dem Quadrate der Entfernung sei. Als es sich aber durch die analytische Untersuchung zeigte, daß durch diese Annahmen alle Bewegungen im Planetensystem und auf der Erde wirklich dargestellt werden, hörte diese Vorstellung auf für ihn Hypothese zu sein. Sie war für Newton ein Ergebnis der Analyse der Erscheinungen. Er trennte dies scharf von der Frage, ob die Fernwirkung selbst weiter auf Einfacheres zurückgeführt, erklärt werden könne. Dies letztere allein blieb für ihn Gegenstand der Spekulation oder »Hypothese«. Es wäre gewiß eine schwere Schädigung des wissenschaftlichen Fortschritts gewesen, diese beiden Dinge als gleichwertig zu betrachten, dieselben zu konfundieren, oder die Annahme der Fernwirkung wegen ihrer wirklichen oder scheinbaren Unerklärbarkeit unausgesprochen zu lassen.

Die Auffassung aber, als ob Newtons Ablehnung von Hypothesen sich nur auf das Gebiet der Mechanik und Gravitation bezöge, ist jedoch nicht aufrecht zu halten. Denn im Gebiete der Optik, in welcher er selbst reichlich Hypothesen entwickelt, die er aber auch immer sorgfältig von dem Tatsächlichen trennt, und als solche bezeichnet, spricht er sich ebenfalls sehr abfällig über den Wert der Hypothesen aus.
FN: Wer die Opposition Newtons gegen die Hypothesen übertrieben findet, wird dieselbe leichter verstehen, wenn er den Mißbrauch beachtet, welcher in der Descartesschen Zeit mit diesem Forschungsmittel getrieben wurde.


 

Text im lateinischen Original

Hactenus Phænomena cælorum & maris nostri per Vim gravitatis exposui, sed causam Gravitatis nondum assignavi. Oritur utique hæc Vis a causa aliqua quæ penetrat ad usque centra Solis & Planetarum, sine virtutis diminutione; (…)
Rationem vero harum Gravitatis proprietatum ex Phænomenis nondum potui deducere, & Hypotheses non fingo. Quicquid enim ex Phænomenis non deducitur, Hypothesis vocanda est; & Hypotheses seu Metaphysicæ, seu Physicæ, seu Qualitatum occultarum, seu Mechanicæ, in Philosophia Experimentali locum non habent. In hac Philosophia Propositiones deducuntur ex Phænomenis, & redduntur generales per Inductionem. Sic impenetrabilitas, mobilitas, & impetus corporum & leges motuum & gravitatis innotuerunt. Et satis est quod Gravitas revera existat, & agat secundum leges a nobis expositas, & ad corporum cælestium & maris nostri motus omnes sufficiat.

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Deutsche Übersetzung von Jakob Philipp Wolfers

Ich habe bisher die Erscheinungen der Himmelskörper und die Bewegungen des Meeres durch die Kraft der Schwere erklärt, aber ich habe nirgends die Ursache der letzteren angegeben. Diese Kraft rührt von irgend einer Ursache her, welche bis zum Mittelpunkte der Sonne und der Planeten dringt, ohne irgend etwas von ihrer Wirksamkeit zu verlieren. (…)
Ich habe noch nicht dahin gelangen können, aus den Erscheinungen den Grund dieser Eigenschaften der Schwere abzuleiten, und Hypothesen erdenke ich nicht. Alles nämlich, was nicht aus den Erscheinungen folgt, ist eine Hypothese und Hypothesen, seien sie nun metaphysische oder physische, mechanische oder diejenigen der verborgenen Eigenschaften, dürfen nicht in die Experimentalphysik aufgenommen werden. In dieser leitet man die Sätze aus den Erscheinungen ab und verallgemeinert sie durch Induction. Auf diese Weise haben wir die Undurchdringlichkeit, die Beweglichkeit, den Stoss der Körper, die Gesetze der Bewegung und der Schwere kennen gelernt. Es genügt, dass die Schwere existire, dass sie nach den von uns dargelegten Gesetzen wirke, und dass sie alle Bewegungen der Himmelskörper und des Meeres zu erklären im Stande sei.


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