Genus proximum et
differentia specifica
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Als Genus proximum et differentia specifica (definitio fi(a)t per genus proximum et differentiam specificam) bezeichne ich eine auf Aristoteles zurückgehende Regel, nach der eine Definition durch Angabe der nächsthöheren Gattung (Oberbegriff) und der spezifischen Differenz zu erfolgen hat.

Genus proximum steht dabei für die „nächste Gattung“ (→ Gattungsbegriff); differentia specifica für den „eigentümlichen Unterschied“ (→ Artunterschied). „Gattung“ und „Art“ bezieht sich dabei auf das zu wählende Paar Oberbegriff/Unterbegriff (siehe Begriffstypen) und nicht die in der Biologie gebräuchlichen Fachtermini Gattung und Art. Beispiel: Der Begriff „Mensch“ lässt sich als „vernunftbegabtes Lebewesen“ definieren. „Lebewesen“ steht hierbei für die übergeordnete Gattung: Der Mensch gehört zu den Lebewesen – „vernunftbegabt“ für den charakteristischen Unterschied: Von allen Lebewesen besitzt nur der Mensch die Anlage zur Vernunft. Demgegenüber wäre die Definition des Menschen als „auf zwei Beinen gehendes Lebewesen“ ungenau, nämlich zu weit, da nicht nur Menschen, sondern auch Vögel, sofern sie sich am Boden fortbewegen, auf zwei Beinen gehen. Zu eng wäre die Definition des Menschen als „Staaten bildendes Lebewesen“, da sie nicht alle Menschen umfasste; denn es gibt Menschen, die in sozialen Verbänden zusammenleben, die nicht den Charakter von Staaten besitzen. Aristoteles’ Wort vom Menschen als einem zoon politikon ist insofern keine Definition, sondern eine Wesensbeschreibung. Es kommt bei dieser Weise des Definierens auf das Zusammenspiel von genus und differentia an. Was genau genus proximum und differentia specifica wird, hängt vom Diskursuniversum und der Verteilung der Merkmale über die zu klassifizierenden Individuenmenge ab; unter Umständen gibt es mehrere Lösungen, am Beispiel des Menschen etwa „ungefiederter Zweibeiner“ neben „vernunftbegabtes Lebewesen“. Denn im Falle, wo es keine denkenden Pflanzen, intelligenten Pilze usw. gibt, reicht die Differenz „vernunftbegabt“ hin, um aus dem umfangreichen Genus „Lebewesen“ einen Begriff herauszuschneiden, der alle Menschen und nur Menschen umfasst. Die klassische Gattung/Artmerkmal-Definition führt zu einer hierarchischen Klassifikation oder setzt diese voraus. Dies wird in der Arbor porphyriana veranschaulicht. Oberbegriff

Beispiel:
Ich definiere "Maschine", in dem ich sage: Maschinen sind Werkzeuge (Oberbegriff), die durch nicht lebende Energie-Lieferanten angetrieben werden (Kriterium), das heisst, alle Maschinen sind Werkzeuge, aber nicht alle Werkzeuge sind Maschinen, sondern nur jene, die ein bestimmtes Kriterium erfüllen.

bild


bildOberbegriff   (zb. Werkzeug)
bild bildUnterbegriff   (zb. Maschine)bild bild
bild(spezifiziert durch Kriterium)

Selbstbezügliches Beispiel:
Definitionen sind Beschreibungen (= Oberbegriff), die einen Oberbegriff und ein Kriterium einführen (= Kriterium).


 

Differenztheoretisch bezeichne ich eine Definitionen durch die "Differance" zwischen einer Vereinbarung und einer Definition. Auf der Seite der Vereinbarung verwende ich die Definition als Umschreibung für einen Begriff, das heisst, ich vereinbare den Ausdruck, den ich als Er-Satz für eine Definition verwende. Sinn der Definition ist aber nicht die Vereinbarung eines Ausdruckes oder die Erläuterung dessen Verwendung, sondern die Klassifizierung von Gegenständen. Die Verwendung von Wörtern kann ich auch jenseits von Definitionen vereinbaren.

bild

Unterscheidung:bildDefinitionbildversusbildVereinbarung
bildbild
re-entry:bildDefinition in der Vereinbarung

Beispiel:
Ich klassifiziere verschiedene Werkzeuge. Einige nenne ich Maschinen, andere Automaten, weil sie bestimmte Kriterien erfüllen, die ich in meiner Definition als Bestimmung und Abgrenzung verwende. Danach kann ich umgekehrt sagen, dass eine Maschine ein Werkzeug ist, das bestimmte Bedingungen erfüllt. Ich definiere, um Gegenstände zu klassifizieren, und verwende nachher die Definition, um die vereinbarte Klassenbezeichnung (etwa "Maschine") zu erläutern.

Hinweise:

Literatur:

Charles Odgen: Die Theorie der Definition
vergleiche auch: K. Popper über Definitionen


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Textstellen:

„Wir sind unfähig, die Begriffe, die wir gebrauchen, klar zu umschreiben – nicht, weil wir ihre Definition nicht wissen, sondern weil sie keine wirkliche „Definition“ haben. Die Annahme, daß sie eine solche Definition haben müssen, wäre wie die Annahme, daß ballspielende Kinder grundsätzlich nach strengen Regeln spielen.“ Damit ist gesagt, dass wir unsere Begriffe nicht durch Definitionen, sondern Praxis (Wittgenstein nennt es auch „Abrichtung“) lernen. Erst indem wir eine Regel schon beherrschen, sind wir dann auch in der Lage, sie zu bestimmen. "[...] Der philosophisch Verwirrte sieht ein Gesetz in der Weise, in der ein Wort gebraucht wird, und in seinem Streben, dieses Gesetz konsequent anzuwenden, begegnet er Fällen, die zu paradoxen Ergebnissen führen. [...] Aber laßt uns nicht vergessen, daß ein Wort keine Bedeutung hat, die ihm gleichsam von einer unabhängigen Macht gegeben wurde, so daß man eine Art wissenschaftlicher Untersuchung anstellen könnte, um herauszufinden, was das Wort wirklich bedeutet. Ein Wort hat die Bedeutung, die jemand ihm gegeben hat." Ludwig Wittgenstein, Das blaue Buch, Werke Bd. 5, 1. Aufl., Frankfurt (Main) 1989 (S. 49 ff.).

Definitionen sind tautologische Beschreibungen von Beobachtungen.

Hinweise:

Definitionen sind Beschreibungen der wesentlichen Merkmale von Objekten.

Hinweise:


[Kritik der klassischen Definitionsregel]
 
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