"Eichhörnchen" (Wissensverwaltung)        zurück ]      [ Index ]      [ Literatur-Index ]      [ Die Hyper-Bibliothek ]     

 

Emoticons sind ASCII-Code-Graphiken, die "Emotionen übermitteln" (falls Sie wissen, was ich meine ;-)) )


Spurensuche für die Geschichtsschreibung des Emoticons

Mit einigem Aufwand wurde vor wenigen Tagen das vermutlich erste ASCII-Emoticon wieder aufgespürt und sein Jubiläum gefeiert. Mit der Tastatur produzierte Gefühlszeichen wie :) sollen jedenfalls auf einen Vorschlag von Scott Fahlman in die Welt gekommen sein. Dieser machte am 19. September 1982 in einem Nachrichtensystem der Carnegie-Mellon-Universität den Vorschlag, :) für Witze und :( für schlechte Nachrichten zu verwenden. Seine damalige Nachricht führte dazu, dass er in einschlägigen Lexika wie dem «New Hacker's Dictionary» als Erfinder mit der Jahresangabe «um 1980» geführt wurde. Diese Angabe erschien einigen Programmierern zu ungenau. Sie besorgten sich die damaligen Sicherungsbänder, die noch in der Universität lagerten, und rekonstruierten die gesamte Diskussion, in der Scott Fahlman seinen Vorschlag machte.

Zum 20-Jahr-Jubiläum wurde das erste Smiley ins Internet gestellt www-2.cs.cmu.edu/~sef/Orig-Smiley.htm. Prompt regte sich heftiger Widerspruch. Er kam von Programmierern, die wesentlich früher, nämlich im Jahre 1976, an einem Multiuser-System namens Plato arbeiteten und dort eine ganze Reihe von Emoticons erfanden www.platopeople.com/emoticons.html. Dabei machten sie von der Eigenart des Systems Gebrauch, das Buchstaben übereinander darstellen konnte, wenn man einen Buchstaben, die Rückschritt-Taste und wieder einen Buchstaben setzte. Aus einem ? und einem * konnte zum Beispiel ein Lutscher konstruiert werden. Eines dieser übereinander gestapelten Zeichen war ein Roboter. Dieser erscheint am 29. Mai 1980 auf dem Bildschirm des Abteilungsleiters Fi im Rechenzentrum der Schweizerischen Industriegesellschaft für Elektronik und bietet ihm einSpielchen an, das in eine «Höllenroutine» mündet, ein Programm, das auf die Jugendbewegung des Sommers 80 angewendet wird. Der Vorgang ist freilich fiktiv und einem Politkrimi entnommen, der 1981 im eco-Verlag in Zürich erschien. Setzt man die Zeichen nebeneinander, wie es der Computer befiehlt, so ist Phantasie gefragt, um die Bedeutung aus den ASCII-Zeichen zu lesen. =:-)= ist so ein Zeichen, das bereits seine Geschichte hatte, als der Smiley erfunden wurde.Die Kombination steht für Uncle Sam und entstand unter den Vietnam-Gegnern am MIT im Jahre 1968, wie der heute emeritierte Professor Joseph Weizenbaum berichtet. Da der ASCII- Code im Jahre 1968 standardisiert wurde, könnte man das Antikriegszeichen für den Urvater aller Kürzel halten - wenn ASCII keine Vorläufer hätte. Doch ASCII hatte Vorläufer, der Baudot- Code war der wichtigste. Benannt nach dem Franzosen Emile Baudot, wurde dieser Code 1900 für Fernschreiber standardisiert. Da die Papiere der ersten Fernschreiber längst verrottet sind, ist der Operator unbekannt, der das erste :) absetzte.

Doch es wird ihn gegeben haben, denn vom Jahr 1923 sind Fernschreiben bekannt, in denen Weihnachtsgrüsse in Form kleiner Weihnachtsbäume verschickt wurden. Ähnlich dürfte es bei den Schreibmaschinen aussehen. In seinem 1933 erschienenen Buch «Beruf und Ideologie der Angestellten» zitiert der Soziologe Carl Dreyfuss ausBlättern des «Verbandes der weiblichen Angestellten», in denen über die Unart von Stenotypistinnen geschimpft wird, sich sinnlos Getipptes zuzustecken, etwa *:* als Zeichen für kommenden Ärger. Geht man noch weiter zurück, so landet man bei dem Vorfahren des Baudot-Codes, dem Morsecode. Im Jahre 1858 wurde eine Erfindung von Charles Wheatstone patentiert, die bisher von der Hand des menschlichen Telegrafen getippten Nachrichten mit einer Maschine zu stanzen. Wheatstones Erfindung sendete zunächst das Morsealphabet, bis der Baudot-Code eingeführt wurde. Was taten die Telegrafen in der Zeit, in denen die Leitungen still waren und es nichts zu tun gab? Richtig, sie sendeten einander Tratsch und Klatsch und manchmal einfach nur hübsche Muster zu. Sicher wird ein :) dabei gewesen sein.

Detlef Borchers

Neue Zürcher Zeitung, 20. September 2002