Rolf Todesco

Mein Konstruktivismus

Anmerkungen zum Forschungskonzept im Studiengang Systemtheorie (Folien)

 
Es gibt unglaublich viele Konstruktivismen. In vielen dieser Sichtweisen wird postuliert, dass jeder Mensch der Erzeuger seiner Konstruktionen ist, und mithin der Konstrukteur seiner je eigenen Welt. Wo Konstruktivismus Bestandteil einer solchen Welt ist, muss auch jeder seinen eigenen Konstruktivismus konstruieren. Hier konstruiere ich meinen mir eigenen Konstruktivismus. Mit dem Ausdruck mein Konstruktivismus will ich nicht irgendeine Art von Besitz anzeigen, sondern eine Unterscheidung, die ich in bezug auf mögliche Konstruktivismen ziehe (Draw a Distinction!). Gerade weil andere andere Konstruktivismen erzeugen, kann ich das spezifische meiner Konstruktion und mithin mich erkennen. Ich bin im Sinne eines Dialoges froh um alle Konstruktivismen, die andere (er-)finden, respektive die ich unterscheiden und vergleichen kann.

Mein Konstruktivismus meint ein Herstellen, Vorstellen und Darstellen in einem spezifischen Sinn. Ich konstruiere eine äussere Welt, um meine Erfahrungen zu ordnen. Ich konstruiere nicht meine Erfahrungen oder die Phänomene, ich konstruiere Erklärungen zu meinen Erfahrungen. Meine Welt, die aus von mir Unterschiedenem besteht, erklärt mir, was ich erlebe. Mein Konstruktivismus ist eine Theorie, aber keine Erkenntnistheorie. In meinem Konstruktivismus ist es egal, gleichgültig und unerheblich, also im Sinne des Wortes nicht erhebbar, ob eine Realität oder eine Wirklichkeit existiert, die ich erkennen könnte. Ich will keine Erkenntnisse und keine Erkenntnisweise erklären, sondern Phänomene, die in meiner Um-Welt vorhanden sind, weil ich sie konstruiere. Mich interessiert die Welt, die ich erlebe. Mich interessiert das Festmachen von Veränderung, weil ich damit in mein Erleben eingreifen kann. Phänomene, die ich gerne wieder hätte und solche, die gerne nicht mehr hätte, kann ich mit Konstruktionen bannen, wenn ich die Konstruktionen machen kann. Heinz von Foerster sagt, Erklärungen würden die Phänomene aus dem Bereich des Staunens verschwinden lassen. Deshalb mag er Erklärungen nicht. Ich mag Erklärungen, weil ich über sie staunen kann.

Mein Konstruktivismus ist ein Methodenbuch für Konstruktionen. Ich untersuche, welche Phänomene ich mit welchen Mechanismen erklären kann. Ich frage mich für jedes Phänomen, wie die sie hervorbringende Blackbox gefüllt sein könnte. Mein Konstruktivismus ist keine Wahrnehmungstheorie. Ich will keine Wahrnehmung erklären, sondern Phänomene rekonstruieren. Herkömmliche Wahrnehmungstheorien unterstellen vom Beobachter unabhägige Entitäten, die der Beobachter wahrnehmen kann. Mich interessiert nicht die Wahrnehmung, sondern die Konstruktion. Ich bin ein Konstrukteur. Mein Konstruktivismus ist auch keine kognitive Theorie. Die psychologistische Trennung zwischen Kognition und Emotion, wie sie etwa Luc Ciompi in seinem Konstruktivimus macht, macht in meiner Welt keinen Sinn. Als Motivation für diese in der Psychologie übliche Unterscheidung sehe ich eine krude Auffassung, die Lohngeber von Lohnnehmern haben. Ute Osterkamp hat in ihrer kritischen Psychologie herausgearbeitet, dass Motivationsfragen immer dort anfallen, wo andere nicht tun, was man gerne von ihnen hätte, es aber nicht mit roher Gewalt eintreiben will.

Konstruieren ist kostitutive Tätigkeit meines Menschseins. In diesem Sinne verstehe ich das von Franklin entworfene und Marx propagierte Bild eines tool making animals. Als Gattungswesen Mensch entwickle ich nicht Menschen, sondern Werkzeugkonstruktionen. Meine natürliche Ausstattung teile ich mit andern Lebewesen wie Tieren und Neanderthalern. Entwickelter bin nicht ich, sondern meine Konstruktionen. In meinem Konstruktivismus sind Konstruktionen hergestellte Artefakte, nicht phantastische Gedanken. Artefakte stelle ich (mir) vor, in dem ich sie im Sinnen von Konstruktionsplänen zeichne. Die Zeichnungen selbst sind auch Artefake, eigentliche Konstruktionen, in welchen ich beispielsweise Graphitbausteine in eine Ordnung setze. Das Herstelllen eines Artefaktes kann ich analytisch auf Operationen zurückführen, wie es Silvio Ceccato in seinem Konstruktivismus vorgeschlagen hat. Wenn ich einen Plan zeichne, dann operiere ich auf der Ebene des Zeichnens so, wie ich auf der Ebene des Herstellen des Geplanten operiere. Auf einem Stadtplan beispielsweise bewege ich mein Zeichnungswerkzeug so, wie ich (später oder davor) meinen Körper durch die Stadt bewege. Und wenn ich den Stadtplan lese, bewege ich meine Augen - wie Ernst von Glasersfeld in seinem Konstruktivismus - so, wie ich meinen Körper durch die Stadt bewege.

In meinem Konstruktivismus gibt es nichts Mentales, wie es Ernst von Glasersfeld und Silvio Ceccato in ihren Konstruktivismen vorschlagen. Heinz von Foerster schlägt vor die Unterscheidung zwischen the map und the territory zugunsten der Unterscheidung zwischen the map of the map und the map of the territory aufzugeben. Das finde ich sehr lustig. Ich verstehe Heinz von Foerster's Vorschlag rekursiv: the map of the map of the map of the ... Den resultierenden Eigenwert sehe ich als das Verhältnis zwischen den beiden in meiner Welt vorkommenden Artefakten, die ich Konstruktionsplan und Referent des Konstruktionsplan nenne. Als Konstrukteur interessiert mich nicht, ob es die Artefakte wirklich gibt, sondern ausschliesslich, ob ich sie als kohärente Abbildung erfahren kann.

In meinem Konstruktivismus geht es nicht um Wahrnehmung und nicht um Rezeption, sondern um Wahrmachung und Produktion. Wahrmachung bedeutet Tat-Sachen im Sinne Fakten machen (facere). Ein grosses philosophisches Problem ist das Verhältnis zwischen den Sinnen und dem Denken und damit verbunden das Verhältnis zwischen Abstraktion und Verallgemeinerung. Auf der Seite der Rezeption ist überhaupt keine Klärung möglich. Wenn mir jemand erzählt, dass er einen Hund gesehen hat, dann könnte er mir auch sagen, das er einen Puddel oder ein Tier gesehen hat. Diese Unterscheidung bzieht sich nicht darauf, was er gesehen hat, sondern welche Beschreibungen er konstruiert, zu dem, was er gesehen hat. Die Wahrnehnehmung ist unerheblich, keine Tat-Sache. Was über die Wahrnehmung gesagt wird, ist ein materieller Gegenstand, ein Konstrukt, eine Tat-Sache. Ich kann das materielle Wort "Hund" von " Tier" unterscheiden. Es sind verschiedene Tatsachen. Ander Menschen machen nicht andere Hunde, sondern andere Beschreibungen und andere Erklärungen.


Meinen Konstruktivismus entfalte ich in meiner Hyper-Bibliothek

Eine kurze Zusammenfassung meines Konstruktivismus
und einen etwas längeren Crashkurs